Tagung: Private Blicke in Diktatur und Demokratie: Schmalfilme und Fotos im 20. Jahrhundert

Online - ZZF Potsdam 10.-11. Dezember 2020

Während Tagebücher und Briefe eher seltene Zeugnisse bilden, die vor allem im Bürgertum überliefert sind, sind private Fotos und Filme aus dem 20. Jahrhundert ubiquitär verfügbar. Doch obgleich die meisten Familien über Zäsuren hinweg ihre Sicht auf die Welt durch private Fotos und Filme dokumentierten und erinnerten, sind sie bisher wissenschaftlich kaum erschlossen. Dabei versprechen sie eine andere Sichtweise auf das 20. Jahrhundert.

Indem die privaten Kameras unterschiedliche Akteur*innen, Handlungen, Ereignisse und Orte sicht- und unsichtbar machten, waren sie aktiv involviert in die Konstruktion dessen, was als „Realität“, als „Familie“ oder als „Privatsphäre“ wahrgenommen wurde und erinnert wird. Neutrale Dokumentationsinstrumente sind Fotografie und Schmalfilm nicht. Die privaten Bildpraktiken konnten sich zwar selbst in den Diktaturen weitgehend politischer Kontrolle entziehen, sind aber deutlich durch soziale Konventionen gekennzeichnet. Gerade dies macht sie zu einer wichtigen Quelle für eine Alltagsgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Fotoalbum aus der DDR, Foto: Sandra Starke

Ziel:
Die Tagung untersucht in einer vergleichenden Perspektive diese (Bewegt-)Bildmedien im Alltag. Denn gerade private Bildquellen mit ihren gängigen Motiven von Häuslichkeit, Familie, Reisen und Vergnügen bieten Historiker*innen Werkzeuge, um Bild- und Blickkulturen in unterschiedlichen Gesellschaften und politischen Systemen zu analysieren.

Zentrale Fragen sind:
Inwiefern wirkten die Bildmedien an der Konstruktion eines spezifischen Blicks auf Alltag in Diktatur und Demokratie mit? Gab es einen individuellen, privaten Blick in unterschiedlichen Gesellschaften und sozialen Gruppen? Lassen sich Darstellungs- und Wahrnehmungsmuster dokumentieren? Was sagen visuelle Überschneidungen und Ähnlichkeiten über Fotografie und Schmalfilm als transnationale Bildmedien aus? Inwiefern partizipierten diese modernen, technischen Kommunikationsmittel an sozio-kulturellen Veränderungsprozessen, brachten bestimmte Verhaltensweisen im Alltag erst hervor?

Die Filme und Fotografien werden dabei als Techniken der Subjektivierung und des eigen-sinnigen Erfassens von Wirklichkeit untersucht. Entsprechend ist zu diskutieren, inwiefern Kameras konformes oder gerade non-konformes Verhalten legitimierten und stimulierten. Gab es Brechungen, Spiegelungen oder „Gegenbilder“ einer öffentlichen Bilderwelt (Werbung, Propaganda, oppositionelles Bildprogramm)? Welche Anlässe und Ereignisse forderten zum Ablichten und Aufbewahren der Bildzeugnisse auf? Welche öffentlichen und staatlichen Impulse und Vergemeinschaftungsangebote strahlten auf individuelle Filmer*innen und Fotograf*innen aus und wie eigneten sich die Akteur*innen Bildwissen für ihre Praxis an? Auch besondere Lebenswege, wie Migrations- und Fluchterfahrungen, finden Beachtung.

Neben den Bildern und Aufnahmen selbst soll der Umgang mit ihnen thematisiert werden. Was passierte mit den Bildern nach der Herstellung und wie wurden sie aufbewahrt und gezeigt? Damit rückt die Konstruktion von familiären Gedächtnissen in den Vordergrund, die entlang der überlieferten Zeugnisse Narrative ausbildeten.

Einzubeziehen ist, wie sich diese Praktiken mit dem technischen Wandel veränderten, etwa der Einführung von Video, Sofortbildkameras und schließlich der Digitalisierung. Abschließend wird diskutiert, wie Historiker*innen und Archivar*innen mit diesen Zeugnissen künftig umgehen sollen: Die Überlieferung und auch rechtliche Fragen sind bisher ungeklärt. Hierfür möchten wir aktuelle Forschungsarbeiten ins Gespräch bringen.

 

Veranstalter:
Frank Bösch/Sebastian Thalheim
Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF)

Die Tagung findet in Verbindung mit dem Forschungsverbund „Das Mediale Erbe der DDR“ statt (https://medienerbe-ddr.de/) statt und wird vom ZZF Potsdam ausgerichtet.

 

Filmstill Schmalfilm: Westberlin 1958: Besuch der Verwandtschaft. Quelle: S. Thalheim privat © mit freundlicher Genehmigung

Filmstill Schmalfilm: Westberlin 1958: Besuch der Verwandtschaft. Quelle: S. Thalheim privat © mit freundlicher Genehmigung

PROGRAMM

DONNERSTAG, 10. DEZEMBER 2020

13.00 Einführung
Frank Bösch (Potsdam), „Private Medien als Quellen der Zeitgeschichte“

13.15-14.45 Uhr  | Techniken der Subjektivierung in Demokratie und Diktatur
Michaela Scharf (Wien), „Filmen als Selbstbehauptung: Ellen Illichs Familienfilme (1936-1943)“
Sandra Ladwig (Wien), „Fakt, Fiktion, Imagination: Geschichte(n) der Freizeit in Amateurfilmpraktiken“
Moderation: Laurence McFalls (Montreal)

15.15-17.15 Uhr | Private Fotos im Nationalsozialismus
Maiken Umbach (Nottingham), „Sprechende Fotos? Methodische Reflexionen aus dem interdisziplinären Forschungsprojekt ‚Photography as Political Practice in National Socialism‘“
Gisela Parak (Bremerhaven), „Methodische Überlegungen über den Zugriff auf fotografische Reisealben der KdF-Schiffsreisen“
Robert Müller-Stahl (Potsdam), „Reflexionen der Krise. Sport in der deutsch-jüdischen Privatfotografie zwischen Weimarer Republik und Nationalsozialismus“
Moderation: Rolf Sachsse (Bonn)

17.45-19.15 Uhr | Visuelle Kulturen in Ost(mittel)europa
Monica Rüthers (Hamburg), „Das Land ohne Lächeln. Einblicke in sowjetische Fotokulturen zwischen Familie und Kollektiv“
Margarete Wach (Warschau), „Polnische Amateurfilme im Sozialismus“
Moderation: Eva Pluharova-Grigiene (Flensburg)

 

FREITAG, 11. DEZEMBER 2020

9.00-10.30 Uhr | Die DDR im Bild und Schmalfilm
Sandra Starke (Potsdam), „Bild der Arbeit. Beruf, Betrieb und Gender in DDR-Fotoalben“
Friedrich Tietjen/Sophie Schulz (Berlin), „Biografie und Geschichte. Private Fotografie in Ostdeutschland 1980-2000“
Moderation: Ralf Forster (Potsdam)

10.45-12.15 Uhr | Familienbilder im Nachkriegseuropa
Sebastian Thalheim (Berlin), „‚Verkehrte Welten‘. Familienfilm in der DDR – Ein eigensinniges Vergnügen“
Tim van der Heijden (Luxemburg), „Understanding through Experimentation: An Experimental Media Archaeological Approach to Early Twentieth- Century Home Movie Making“
Moderation: Annette Vowinckel (Potsdam)

13.00-14.30 Uhr | Bilder von Minderheiten – Blicke auf Minderheiten
Renée Winter (Wien), „Ver-Sammeln. Ein Video-Gedächtnis aus der Nachfolgegeneration von Überlebenden des Porajmos“
Isabel Enzenbach (Quito), „Private Bilder und visuelle Erinnerungen mosambikanischer VertragsarbeiterInnen“
Moderation: Jürgen Danyel (Potsdam)

15.00-16.30 Uhr | Podiumsdiskussion: Das Nachleben privater Aufnahmen im digitalen Zeitalter
Susan Aasman (Groningen)
Ralf Springer (Münster)
Elmar Mauch (Dortmund)
Moderation: Sebastian Thalheim

 

Kontakt und Anmeldung

Eine Online-Teilnahme am Zoom-Meeting der Tagung ist nach vorheriger Anmeldung möglich:

Judith Koettnitz
Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
Am Neuen Markt 1
14467 Potsdam

E-Mail: koettnitz@zzf-potsdam.de

 

Vortragende wie Moderator*innen der Tagung haben der Redaktion von Visual History vorab ein Foto oder Filmstill aus der Forschungspraxis geschickt und dazu einige Sätze notiert: zum Bild selbst, zum Projekt, zum Vortrag auf der Tagung – so ist ein visuelles Mosaik zum Informieren, Stöbern und Entdecken entstanden.

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