Methodenworkshop: Bilder als wissenschaftliche Quelle
Veranstaltet im Rahmen der Nachwuchsförderung der Philosophischen Fakultät der Universität Siegen und dem DFG-Graduiertenkolleg Locating Media, 4. April 2014
In vielen historischen, kultur-, medien- und politikwissenschaftlichen oder ethnologischen Forschungsprojekten besteht der Wunsch und nicht zuletzt auch die Notwendigkeit, neben schriftlichen Quellen auch Bilder als Quellen gewinnbringend in das Forschungsvorhaben einzubringen. Trotz der bereits erschienenen methodischen Hilfestellungen zeigt sich außerhalb der kunst- und bildwissenschaftlichen Praxis eine gewisse Unsicherheit.[1] Innerhalb der unterschiedlichen Forschungsvorhaben und den davon abhängigen, spezifischen Zugängen zu Bildquellen ist die Frage, welche Methoden und Analyseverfahren im Kontext der eigenen Fragestellungen eingesetzt werden können, nach wie vor präsent.
Von dieser Schwierigkeit im praktischen Umgang mit Bildern – seien es Gemälde, Grafiken, Fotografien, Comics, Logos oder Videobilder – ausgehend, entstand auf Initiative von Daniela Fleiß in Zusammenarbeit mit dem Doktorandenkolleg Locating Media im Rahmen der Nachwuchsförderung an der Philosophischen Fakultät der Universität Siegen die Idee eines Methodenworkshops, der sich konkret und praktisch mit Bildern als wissenschaftliche Quelle beschäftigen sollte. Ziel der eintägigen Veranstaltung, an der neben den Organisatorinnen und den eingeladenen ReferentInnen vorwiegend DoktorandInnen teilnahmen, war das Zusammentragen konkreter methodischer Lösungsansätze sowie die Reflexion bereits vorhandener Erkenntnisse im wissenschaftlichen Umgang mit Bildquellen.
In den einführenden Grußworten von ANGELA SCHWARZ (Siegen), Prodekanin für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs, GABRIELE SCHABACHER (Siegen), wissenschaftliche Koordinatorin des Graduiertenkollegs, und DANIELA FLEIß (Siegen), wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, wurde nochmals die Notwendigkeit einer Diskussion über die zur Verfügung stehenden Methoden und deren Anwendung und Brauchbarkeit deutlich.
Die drei Impulsreferate, die den ersten Teil des Workshops gestalteten, stellten bereits erprobte Methoden vor und zur Diskussion. In Vertretung von JENS JÄGER (Köln), der persönlich nicht anwesend sein konnte, las Angela Schwarz dessen Vortrag Kein Bild ohne Kontext. Oder: Gibt es kontextunabhängige Bedeutungen? vor, in dem fotografische Bilder im Mittelpunkt standen. Sein Ausgangspunkt war es, auf Probleme, die sich bei der Arbeit mit fotografischen Quellen ergeben können, aufmerksam zu machen und konkrete Lösungsansätze vorzustellen. So besteht nach Jäger die Schwierigkeit weniger im Umgang mit sogenannten Ikonen, zu denen die wichtigsten Informationen vorliegen, als vielmehr im Umgang mit denjenigen Fotografien, deren Entstehungskontext und Rezeptionsbedingungen nicht bekannt sind. Für die Bearbeitung solcher Bildquellen schlug Jäger vor, sie als Teil des Narrativs zu untersuchen, in welches sie eingebunden sind. Auch wenn jegliche Informationen über den Bildträger hinaus verloren gegangen sind, so existiert doch das Bildobjekt selbst, das auf seine technische Herstellung und ästhetische Erscheinung hin befragt werden kann. Insbesondere letztere folgt Konventionen, die Aufschlüsse über die Entstehungszeit oder die Funktion des Bildes eröffnen können. Bereits diese Informationen lassen eine kritische Quellenanalyse zu. Dabei, so Jäger schließlich, dürften Bildquellen nicht isoliert betrachtet werden, sondern müssen stets in Beziehung zu anderen Quellen – auch unterschiedlicher Art – gesetzt werden. Auf diese Weise verneinte er die eingangs gestellte Frage nach der Existenz einer kontextunabhängigen Bedeutung: Denn auch wenn über die Fotografien selbst keine konkreten Informationen vorliegen, so können über ihre Materialität und Erscheinung Rückschlüsse auf ihren Entstehungskontext gezogen werden. Auf diese Weise bleibt kaum eine Bildquelle kontextlos.
Daran schloss der Vortrag MARTIN KNAUERS (Münster) auch inhaltlich an, indem er exemplarisch an einem Bildtypus aufzeigte, wie der von Jäger angesprochene Kontext und dessen Erschließung rekonstruiert werden könne. Knauer spannte dabei den Bogen vom Herrscherbildnis über aktuelle politische Porträts hin zu einer besonderen Form des gegenwärtigen Selbstporträts: dem Selfie, das in jüngster Zeit über soziale Internetplattformen eine wachsende Verbreitung findet. Knauer führte vor Augen, wie sich dieses an die Darstellungskonventionen des traditionellen Bildtypus anlehnt. Als Beispiele dienten hier Herrscherbildnisse und aktuelle Pressebilder Putins, die ebenfalls durch das Zurückgreifen auf bereits bestehende Repräsentationstraditionen nicht zuletzt auch eine spezifische Rezeption auslösen. In allen drei Beispielen bestätigten sich formale Parallelen in der (Selbst-)Darstellung. Das Selfie gibt der Gattung Porträt eine neue Relevanz, die nicht zuletzt auch ein wissenschaftliches Potenzial bereithält. Doch wie kann methodisch mit diesen Bildern gearbeitet werden? Für eine erste Annäherung empfahl Knauer einen assoziativen Umgang, der schließlich um traditionelle Fragestellungen ergänzt werden müsse, um die Tradition, die Funktion und den Gebrauch dieser Bilder erschließen zu können.
Den Ausgangspunkt des dritten Vortrags von ANDREAS ZEISING (Siegen) bildete schließlich die Frage: Was macht die Kunstgeschichte mit Bildern? So verdeutlichte Zeising, dass sich die Kunstgeschichte zwar nicht nur mit Bildern beschäftige, der Umgang mit diesen jedoch eine Kernkompetenz des Fachs darstelle. Folglich würden sich auch die Methoden der bildwissenschaftlichen Anschauung aus der Kunstgeschichte heraus entwickeln, da auch Bilder außerhalb des klassischen Bereichs der Kunst auf ihre Bildlichkeit hin untersucht werden müssten. Hier lieferten die Methoden, die innerhalb der Kunstgeschichte entwickelt worden seien, ein wertvolles Instrumentarium, das von den Bildern aus denke und nach deren Funktionsweisen frage. Drei von Zeising abschließend vorgestellte Methoden – Rezeptionsästhetik, (politische) Ikonografie und Interpiktorialität – könnten sich schließlich auch für eine Bildanalyse außerhalb der kunsthistorischen Forschung eignen.
Der zweite Teil des Workshops diente dazu, in Kleingruppen methodische Schwierigkeiten an konkreten Einzelbeispielen zu diskutieren. Im Vorfeld waren die TeilnehmerInnen dazu aufgefordert worden, Bildbeispiele mitzubringen, um so die im jeweiligen Forschungsvorhaben auftretenden methodischen Schwierigkeiten zu veranschaulichen. In der gemeinsamen Gruppendiskussion wurde schließlich an potenziellen Lösungen gearbeitet. In der Gruppe, die von Martin Knauer angeleitet wurde, fanden sich die Projekte zusammen, die sich zeitlich vor 1900 orientieren. Dabei standen Druckgrafiken und Fotografien vom 16. bis zum frühen 20. Jahrhundert zur Diskussion. Thematisch reichte das Spektrum der zu behandelnden Bilder von Illustrationen in historischen Lehrbüchern und der illustrierten Presse bis hin zu kolonialen sowie wissenschaftlichen Fotografien und Ausstellungsaufnahmen. In der zweiten, von Andreas Zeising moderierten Gruppe, wurden Bildquellen aus dem 20. und 21. Jahrhundert präsentiert und besprochen. Diese stammen aus Forschungsprojekten zur Umweltbewegung, zur Selbstpräsentation von Militärfirmen, zu Medienpraktiken im Kontext der Migration, zum Kalten Krieg in Computerspielen, zur Fabrik als touristischer Ort um 1900 und zur Straße als Massenmedium.
Bei der Präsentation und Diskussion der Fallbeispiele kristallisierten sich trotz der Bandbreite an Themen und Quellen in beiden Gruppen ähnliche Fragen und Schwierigkeiten heraus. So wurde diskutiert, wie aus einem großen Bildkorpus eine repräsentative, aussagekräftige Auswahl an Einzelbildern getroffen werden kann, die sich für eine detaillierte Analyse eignet. Dabei wurde der Vorschlag eingebracht, den Korpus in verschiedene Kategorien, die abhängig vom jeweiligen Bildkorpus ggf. selbst generiert werden müssen, zu unterteilen, um festzustellen, wie repräsentativ ein Einzelbild für den gesamten Bildbestand ist. Schließlich könnten sowohl typische wie auch untypische Bilder zur genaueren Behandlung ausgewählt werden, um einen Gesamteindruck des Bestands zu garantieren. Dabei wurde eine Auswahl und Kombination möglichst verschiedener Bildmedien, sofern diese innerhalb eines Themas relevant sind, gutgeheißen.
Mehrfach kam darüber hinaus die Problematik zur Sprache, über nur wenige Zusatzinformationen zu den Bildern zu verfügen. Sowohl bei wissenschaftlichen Fotografien wie auch bei Kolonialaufnahmen sind Entstehungsbedingungen und Urheber der Aufnahmen häufig unbekannt. Hierbei stellten sich die Fragen, wie diese Bilder behandelt werden können und welche Informationen dennoch rekonstruierbar sind. Auch der Umgang mit filmischen Bildern sowie die Rolle und Bedeutung eines Filmstills in der Analyse der narrativen Struktur wurden diskutiert. In den einzelnen Diskussionen wurden dabei die in den Impulsreferaten vorgeschlagenen Methoden und Lösungsansätze nochmals aufgegriffen. Die von Jäger betonte Notwendigkeit, stets den Kontext mitzudenken, in dem die Bilder eingebettet sind und der sich in zeitgenössischen Bildwelten, Bildpräsenzen und Bildpraktiken äußert, wurde bekräftigt. Auch die von Zeising vorgestellten Methoden erwiesen sich als hilfreich.
Nach der Gruppenarbeit kamen abschließend nochmals alle TeilnehmerInnen zusammen, um die Ergebnisse der Gruppendiskussionen zu präsentieren. Insgesamt stellte sich heraus, dass für die Arbeit an und mit Bildern kein Patentrezept geschrieben werden kann. Abhängig von der Fragestellung nehmen Bilder als Quelle unterschiedliche Relevanzen ein und verlangen je nach Disziplin, Quantität und Qualität individuelle Methoden. So können nicht nur bereits existierende Herangehensweisen helfen, sondern Untersuchungsmöglichkeiten müssen oftmals gänzlich neu gedacht werden. Darin liegt zum einen eine Schwierigkeit, zum anderen aber auch ein Gewinn für die historische Bildforschung.
Als Fazit wurde empfohlen, die Bilder in ihrer Materialität und historischen Dimension zu behandeln sowie stets deren Herstellungs- und Verbreitungsbedingungen zu berücksichtigen. Erst in dieser Kombination kann eine dem Bild gerechte und für das Forschungsvorhaben gewinnbringende Analyse erfolgen. Auch die Kombination mit anderen Quellen wurde nochmals betont, in deren Verbund das Bild zwar eine eigene, jedoch nicht isolierte Rolle einnehmen müsse. Abschließend wurde dazu ermutigt, ergebnisoffen an Bilder heranzutreten und nicht eine ungeprüfte These auf das Bild anzuwenden, wodurch andere Deutungsmöglichkeiten von vornherein ausgeschlossen würden.
Insgesamt kann auf einen sowohl in seinem Format, seiner Struktur wie auch seiner inhaltlichen Diskussion sehr gelungenen Workshop zurückgeblickt werden. Die große Bandbreite an fachlichen Disziplinen, unterschiedlichsten Bildtypen und Forschungsthemen bestätigte, welch hoher Stellenwert dem Bild als wissenschaftlicher Quelle zugeschrieben werden muss und dass die Etablierung eines sicheren und selbstverständlichen Umgangs mit diesen ein wichtiges Vorhaben ist.
[1] Zur Einführung in die historische Bildforschung siehe u.a.: Martina Heßler, Konstruierte Sichtbarkeiten. Wissenschafts- und Technikbilder seit der frühen Neuzeit, München 2006; Jens Jäger, Photographie. Bilder der Neuzeit. Einführung in die historische Bildforschung, Tübingen 2000; Jens Jäger, Fotografie und Geschichte, Frankfurt a.M. 2009; Gerhard Paul, BilderMACHT. Studien zur „Visual History“ des 20. und 21. Jahrhunderts, Göttingen 2013; Gerhard Paul (Hrsg.), Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006.
Siehe auch den Tagungsbericht von Tobias Scheid: Bilder als wissenschafliche Quelle. Interdisziplinärer Methodenworkshop auf H-Soz-u-Kult vom 30.6.2014.