Ein Jahr, ein Bild?
Traditionslinien in der Wirklichkeitskonstruktion von World Press Photo
Als der Verfasser dieses Textes 2009 seine Dissertation abschloss, lagen insgesamt 49 World Press Photos of the Year vor. Seit 1955 waren sie durch eine in den Niederlanden ansässige Stiftung mit unablässigem Einsatz aus der immer größer werdenden Flut von Einsendungen herausdestilliert worden. Dass 2014 mehr als 5000 professionelle Fotografen rund 100.000 Fotos zur Begutachtung einsandten, illustriert den enormen Stellenwert dieses eigentlich impertinenten Preises. Steht es einem Foto tatsächlich zu, das Pressefoto des Jahres zu sein? Kann es in seiner endlichen Anzahl von Bildelementen die theoretisch unendliche Komplexität eines Jahres dahingehend verdichten, einen absoluten Bezugspunkt in der retrospektiven Betrachtung seiner Zeit zu verankern? Und lassen sich darüber hinaus überhaupt nachvollziehbare Maßstäbe für die Wahl eines Pressefotos des Jahres formulieren, die sich zumindest nachträglich aus der Analyse des Materials ableiten lassen?
Zu Beginn der 2000er-Jahre war es trotz der bereits einsetzenden Digitalisierung der Fotografie noch möglich, gemeinsame Strukturmerkmale der Siegerbilder pointiert zu formulieren. „Noch nie ist ein Gesamtsiegerfoto aufgetreten, das in technischer Hinsicht mit dem Attribut ‚experimentell‘ belegt werden müsste […]. In den Jahrzehnten der Juryarbeit hat sich demnach eine erkennbare Traditionslinie etabliert: Auch wenn an den Fotografen die Forderung nach einer herausragenden Kreativleistung gerichtet wird […], muss sich sein Bild gleichzeitig innerhalb bestimmter Gestaltungsmuster bewegen. Die optische Umsetzung hat primär der effizienten Illustration des nachrichtlichen Inhalts und allenfalls sekundär der Verdeutlichung technischer Möglichkeiten zu dienen.“[1]
Erfreulicherweise ließe sich die hier zitierte Aussage in dieser Absolutheit heute nicht mehr treffen. In den letzten Jahren wandten sich die international besetzten Jurys wiederholt Bildern zu, die kein punktuelles Ereignis herausgriffen, sondern vielmehr ein komplexes Thema. Einen vorläufigen Höhepunkt markierte dabei das im Jahr 2014 ausgezeichnete World Press Photo 2013. Der US-Fotograf John Stanmeyer zeigte eine Gruppe afrikanischer Migranten, die bei Nacht am Strand der ostafrikanischen Stadt Dschibuti versuchen, ihre Mobiltelefone mit dem nicht weit entfernten Netz des benachbarten Somalias zu verbinden. Von einer geglückten Verbindung hängt der Kontakt zu zurückgelassenen Familien und Freunden ab – eine universell verständliche Problematik, in denen Bezüge zu drängenden Themen wie Globalisierung und Migration, aber auch die vollständige Technisierung der Kommunikation mitschwingen. Das minimalistische Available Light-Foto setzt sich deutlich von der Bildsprache anderer Gesamtsiegerfotos ab. In seiner Innovationskraft markiert es sogar zu den anderen Fotos dieses Jahrzehnts einen wirksamen Kontrapunkt. Zuletzt hatten sich weitaus traditionellere Bildkonzepte durchgesetzt: 2011 gewann das formal inszenierte Kopfporträt einer in grausamer Weise entstellten Afghanin. Die im Stil einer Pietà dokumentierte Fürsorge einer Mutter im Jemen für den an den Folgen einer Tränengasattacke leidenden Sohn setzte sich 2012 durch. 2013 folgte eine wegen des nachträglichen Einsatzes digitaler Beleuchtungseffekte kontrovers diskutierte Darstellung einer aufgebrachten Menschenmenge in Gaza-Stadt.[2]
Hinter dieser scheinbaren Diskontinuität stehen langfristige Trends bei der Wahl des Gesamtsiegerfotos, aber auch innerhalb des globalen Bildermarkts. Um die Rolle von World Press Photo innerhalb dieses Systems verständlich zu machen, soll nun zunächst auf die Stiftung selbst und die für sie ausschlaggebenden Ziele eingegangen werden. Im Anschluss werden die Gesamtsiegerfotos innerhalb eines größeren Verständniskontexts analysiert. Außerdem werden zentrale Ergebnisse zweier Inhaltsanalysen vorgestellt, in denen sämtliche in den Jahrbüchern von World Press Photo publizierten Fotos analysiert worden sind.
Die Stiftung World Press Photo: Geschichte, Arbeitsweise und Bedeutung
Anlass zur Gründung von World Press Photo war – wie so häufig – ein Jubiläum: 1955 existierte die Niederländische Vereinigung der Fotoreporter (NVF) seit 25 Jahren als Interessenvertretung und gleichzeitig als Forum des Erfahrungsaustauschs. 1948 hatte die NVF im Rahmen ihres jährlichen Treffens damit begonnen, in einem zunächst kleinen Rahmen die Fotos ihrer Mitglieder zu präsentieren. Bedingt durch den großen Erfolg entwickelte sich das Projekt nach und nach zu einem nationalen Wettbewerb für niederländische Fotojournalisten und wurde unter dem Namen „Silberne Kamera“ bekannt.[3] Um ihr langjähriges Bestehen zu feiern, beschloss die NVF, ihre Ausstellung für das Jubiläumsjahr zu einem internationalen Wettbewerb auszuweiten. „The impulse behind the idea was that Dutch photojournalists would benefit from exposure to work of international colleagues.“[4]
Obwohl sich zunächst nur die relativ kleine Zahl von 42 Fotografen aus elf Ländern mit 301 Fotos an dem neu geschaffenen Wettbewerb beteiligte, wurde die Veranstaltung von den Initiatoren als großer Erfolg wahrgenommen. Unter dem Dach der NVF sollten noch drei weitere Ausstellungen organisiert werden, ehe 1960 die eigenständige Stiftung World Press Photo gegründet wurde. Als unabhängige Organisation hat sie sich dem Non-Profit-Prinzip verschrieben: Das Stiftungsziel besteht nicht in dem Erwirtschaften eines Gewinns, sondern in der Erfüllung des gemeinnützigen Grundgedankens. Sämtliche Aktivitäten haben den Zweck, professionellem Fotojournalismus ein Forum zu bieten und ihn in seiner Entwicklung zu unterstützen.
Innerhalb der Organisation wird der Erfolg von World Press Photo auch dem Umstand zugeschrieben, dass sich der Stiftungssitz in den Niederlanden befindet. Das relativ kleine Land war im Zweiten Weltkrieg nicht als Militärmacht auf den Plan getreten und unterhält traditionell eine Vielzahl internationaler Beziehungen. Obwohl schon drei Jahre nach Aufkommen des Wettbewerbs der Gesamtsieg an einen US-Amerikaner ging und sechs Jahre später ein chinesischer Fotograf teilnahm, zeigte World Press Photo – zumindest mit Ausstellungsaktivitäten – lange Zeit ausschließlich in Europa Präsenz. 1969 wurde dabei erstmals eine Grenze überschritten, als die eingesandten Fotos in Japan zu sehen waren. 1977 erreichten die prämierten Fotos auch den Ostblock und wurden in Budapest präsentiert.
Die Stiftung hielt dabei stets an dem Prinzip fest, dass die Ausstellung nur unzensiert und vollständig gezeigt werden dürfe. Es ist nur eine einzige Ausnahme aus den frühen 1990er-Jahren bekannt, als im Iran mit Einverständnis aller beteiligten Fotografen Teile ihrer Fotos mit Klebeband verdeckt oder übermalt wurden. Die Maßnahme diente dazu, insbesondere nackte Frauenhaut zu verbergen. Von Seiten der Stiftung wurde damals argumentiert, dass die grundsätzliche Ablehnung jeder Form von Zensur ausnahmsweise der Chance unterzuordnen sei, in dem autoritären Staat auszustellen. Weitergehende Eingriffe in die Bildauswahl werden jedoch nicht akzeptiert: Beispielsweise existiert keine chinesische Ausgabe des World Press Photo Jahrbuchs, da die Volksrepublik für sich das Recht reklamiert, unliebsame Aufnahmen entfernen zu dürfen.[5]
Diese grundsätzliche Ablehnung jeder Form von Zensur macht World Press Photo zu einem prominenten Vertreter des Konzepts der Pressefreiheit. Über die Internetpräsenz der Stiftung lassen sich heute theoretisch von jedem Ort der Erde die aktuellen Siegerfotos und die Gesamtsieger aller Jahrgänge abrufen. Der ursprünglich kleine nationale Wettbewerb hat sich stetig zu einem international präsenten Forum der Pressefotografie entwickelt. Insofern erscheint die Selbstcharakterisierung von World Press Photo gerechtfertigt, nach der sich die Stiftung in einer Position befindet, „where it not only runs the world’s most prestigious contest of photojournalism, but administers the world’s widest-ranging annual photo exhibition, and offers a breadth of related activities that is unmatched”.[6]
Auch wenn World Press Photo durch die große Öffentlichkeitswirkung des vergebenen Preises primär als Wettbewerbsplattform wahrgenommen wird, engagiert sich die Organisation im Feld der Pressefotografie seit den 1970er-Jahren als ehrenamtlicher Ausrichter von Fortbildungsveranstaltungen. Nachdem bereits damals erste Wochenendseminare in Amsterdam angeboten worden waren, überschritt diese Praxis 1990 eine relevante Professionalisierungsschwelle: Ungarn wurde als Schauplatz des ersten Seminars ausgewählt, das die Stiftung im Ausland organisierte. Als im folgenden Jahr ähnliche Projekte in der Tschechoslowakei und Indonesien realisiert wurden, etablierte sich das Seminarangebot als fester Bestandteil des jährlichen Aktivitätenkanons. Um defizitär entwickelte Mediensysteme sukzessive zu verbessern, werden seitdem primär in Entwicklungs- und Schwellenländern Workshops veranstaltet. Neben technischen Kenntnissen sollen den Teilnehmern auch Zugangswege zu nationalen und internationalen Mediendistributionskanälen vermittelt werden.
Das kontinuierliche Wachstum des Wettbewerbs und der gleichzeitig stattfindende Ausbau der Fortbildungsangebote stellen hohe personelle Anforderungen an World Press Photo. Seit 1986 bedient sich die Stiftung deshalb einer zweigeteilten Organisationsstruktur: Während ein in mehrere Abteilungen untergliederter Stab von circa 20 Personen primär administrativen Aufgaben nachgeht, gibt ein ehrenamtlich tätiger Vorstand die Rahmenbedingungen vor und repräsentiert die Stiftung nach außen. Da dort überwiegend Entscheidungsträger aus der meist niederländischen Medienbranche tätig werden, ist World Press Photo trotz internationaler Ausrichtung weiterhin tief in der heimischen Medienszene verwurzelt.
Der Wettbewerb richtet sich seit seinem Bestehen ausschließlich an professionelle Fotografen. Bereits das erste erhaltene Teilnehmerformular aus dem Jahr 1956 trägt den Hinweis „for professionals only“.[7] Wer Fotos einreicht, muss deshalb gleichzeitig die Daten seines Arbeitgebers angeben oder anhand anderer Dokumente wie dem Presseausweis eine journalistische Tätigkeit nachweisen können. Ein Foto der Mondlandung aus dem Jahr 1969 belegt den hohen Stellenwert dieses Prinzips: Obwohl damals mehr als 600 Millionen Fernsehzuschauer die NASA-Mission live verfolgten, durften die Aufnahmen dieses herausragenden nachrichtlichen Ereignisses nicht um den Gesamtsieg konkurrieren – der Astronaut Neil Armstrong konnte als ihr Urheber nicht als Fotograf im Sinne des Wettbewerbs anerkannt werden. Um sein Foto dennoch zeigen zu können, wurden es außer Konkurrenz in eine Sonderkategorie aufgenommen.
World Press Photo spiegelt so seit Jahrzehnten keinesfalls Fotojournalismus in seiner Gesamtheit wider, sondern konzentriert sich ausschließlich auf dessen professionellen Aspekt. Eine besondere Rolle kommt dabei dem jährlich publizierten Buch zum Wettbewerb zu. Seit es 1962 zum ersten Mal erschienen ist, hat es sich zu einem fest etablierten Multiplikator für Pressefotografie entwickelt. Im immer härter werdenden Konkurrenzkampf um Preise und Auszeichnungen müssen Wettbewerbsfotos eine enorme Prägnanz aufweisen, die sie wiederum für die mediale Verwendung prädestiniert. Indem sie in diesem Kontext auch von Fotografen rezipiert werden, erscheinen sie geeignet, deren Bildsprache zu beeinflussen. Das visuelle Destillat vergangener Jahre wird so zum potenziellen Impuls einer künftigen Entwicklung.
Auf individueller Ebene ist demnach von einem sehr weit reichenden Stiftungseinfluss auszugehen: Indem jeder Teilnehmer unabhängig von seinem Erfolg kostenlos ein Jahrbuch zugestellt bekommt, kann er seine Arbeit mit Fotos vergleichen, die die Jury als preiswürdig erachtet hat. Das Jahrbuch wird so zu einem integrierenden Element, das Fotografen in aller Welt zu einem virtuellen Forum verbindet. Begreift man Fotografie als visuelle Sprache, wird demnach ihr Vokabular und ihre Grammatik nach den Maßstäben der jährlich wechselnden Jury durch World Press Photo modifiziert. Wiederkehrende Phrasen werden von Beobachtern aufgegriffen und in das eigene Aussagespektrum integriert.
World Press Photo wird so zu einem Katalysator moderner Pressefotografie. In einem reaktiven Prozess wird die Arbeit von Fotojournalisten in aller Welt gebündelt, selektiert und als Konzentrat wieder dem System zugeführt. Seit 1998 bedient sich die Stiftung dabei eines zweistufigen Jurysystems, um die Zahl der eingehenden Fotos zunächst massiv zu reduzieren, ehe der eigentliche Bewertungsprozess eingeleitet werden kann. Beide Jurys setzen sich ausschließlich aus international anerkannten Fotografen, Bildredakteuren und Mitarbeitern von Fotoagenturen zusammen. Deren praktisch erworbenes Fachwissen wird so für die Stiftung zu einer wertvollen Ressource, auf deren Grundlage die Jurymitglieder ihre Entscheidungen treffen.
Die Gesamtsiegerfotos: Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Die überblicksartige Betrachtung aller World Press Photos of the Year macht bei der Siegerverteilung eine deutliche Asymmetrie deutlich: Von 56 seit 1955 prämierten Fotografen stammen allein 19 aus den USA. Damit dominiert dieses Land auf höchster Ebene nicht nur den Gesamtwettbewerb, sondern gleichzeitig auch die Gewinnerauswahl auf dem eigenen Kontinent. Lediglich zwei kanadischen Teilnehmern ist es ebenfalls gelungen, als Pressefotograf des Jahres ausgezeichnet zu werden. Durch die Addition beider Länder wird Nordamerika so mit 21 Siegern zum wichtigsten Kontinent, der sich knapp vor Europa (20) platziert und andere Teile der Erde wie Asien (10), Afrika (3) und Südamerika (2) deutlich hinter sich lässt. Australien kommt überhaupt nicht vor, da noch nie ein dortiger Teilnehmer den Wettbewerb für sich entscheiden konnte.
Diese ungleiche Verteilung reflektiert jene Dominanz der USA und Europas auf dem Sektor der internationalen Pressefotografie, die häufig als prägende Konstellation der vergangenen Jahrzehnte charakterisiert wird.[8] Gleichzeitig illustriert sie jedoch ein weiteres Phänomen: Offenbar spielt neben der kontinentalen Zugehörigkeit eines Fotografen auch die wirtschaftliche und soziale Entwicklung seines Herkunftslandes für die Siegeschancen eine entscheidende Rolle. Dieser Zusammenhang erschließt sich unmittelbar aus den ökonomischen Rahmenbedingungen des Fotojournalismus. Da dessen primäre Zielsetzung in der Veröffentlichung seiner Produkte besteht, lässt sich hochwertige Pressefotografie nur in einem Umfeld realisieren, das funktionierende Distributionskanäle aufweist. Erst wenn der Fotograf eine Verbindung zwischen den Produkten seiner Arbeit und einem als Käufer auftretenden Mediensystem herstellen kann, werden aktuelle und zukünftige Projekte realisierbar.
Als direkte Folge dominieren Fotografen aus hoch entwickelten Ländern den Wettbewerb. Zieht man den Human Development Index des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen heran, konnte nur einmal ein Fotograf den Wettbewerb zu einem Zeitpunkt für sich entscheiden, als sein Herkunftsland zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Erde gezählt wurde. Dabei handelt es sich um den Inder Pablo Bartholomew, der 1984 für sein Foto von der Giftgaskatastrophe in Bhopal ausgezeichnet wurde. Als Arko Datta 2004 als zweiter Inder für eine Aufnahme von der Tsunamikatastrophe prämiert wird, ist das südasiatische Land bereits eine Kategorie aufgestiegen.
Gegenwärtig ist kein Grund erkennbar, warum sich etwas an der nahezu völligen Marginalisierung gering entwickelter Länder auf höchster Ebene ändern sollte. Die Defizite der dortigen Infrastruktur setzen sich nahtlos ins Mediensystem fort und stellen selbst für die Partizipation im kleinen Maßstab einen enormen Hemmschuh dar. Besonders deutlich fällt die Diskrepanz im Falle Afrika aus: Dem Kontinent kommt im Kontext des Gesamtsiegerfotos nicht die Rolle eines Bilderlieferanten zu, sondern vielmehr eines Schauplatzes von Ereignissen. Insgesamt neun Mal ist ein Ereignis in einem afrikanischen Land auf einem World Press Photo of the Year zu sehen. Dieser Teil der Welt hat damit mehr Gewicht als Nordamerika (5) und Südamerika (3) zusammen und platziert sich hinter Asien (26) und Europa (13) auf dem dritten Platz. Der Vorrang Asiens speist sich aus verschiedenen Quellen: So sind allein sechs Motive aus der Zeit des Kriegs in Vietnam prämiert worden, was dieses Land zum mit Abstand am häufigsten im Wettbewerb dargestellten Staat macht. Hinzu kommt der bis heute ungelöste Nahostkonflikt mit wiederkehrenden Fotos aus dem Libanon und den Palästinensischen Autonomiegebieten. In Australien ist indessen kein einziges Gesamtsiegerfoto aufgenommen worden.
Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass das Siegerfoto primär ein Bild der Welt zeigt, das sich das Mediensystem des hoch entwickelten Teils der Erde gemacht hat. Dabei ist bis heute eine starke Verortung im westlichen Kulturkreis festzustellen. Auch wenn Teilnehmer aus Asien wahrnehmbar als Gesamtsieger in den Wettbewerb involviert sind, vermögen sie nicht die Dominanz nordamerikanischer oder europäischer Fotografen in Frage zu stellen. Allenfalls latent vorhanden sind Einflüsse aus Südamerika und Afrika, die in ihrer geringen Zahl jedoch keine eigene Strömung innerhalb des Wahrnehmungsfelds etablieren können.
Doch nicht nur auf der Ebene der geografischen Verteilung lassen sich klare Auswahlpräferenzen der Jurys ausmachen. Auch die Fotos selbst weisen in formaler Hinsicht deutliche Gemeinsamkeiten auf. So existiert kein World Press Photo of the Year, das die Wirkung eines grafischen Effekts über den Inhalt selbst stellt. Allenfalls der Einsatz sichtbarer Bewegungsunschärfen (wie der sich manifestierende Regenschleier auf Stanislav Terebas Fußballfoto von 1958), gesteigerter Kontraste (wie auf Don McCullins Porträt einer weinenden Zyprerin von 1964), das Operieren mit mehreren Schärfeebenen (wie auf Jean-Marc Boujus Foto von 2004, auf dem sich der Stacheldraht eines US-Militärgefängnisses unscharf durchs Bild zieht), oder der kombinierte Einsatz von Unterbelichtung und Bewegungsunschärfe (wie auf Tim Hetheringtons Porträt eines erschöpften US-Soldaten von 2007) sind nachweisbar. Bei allen vier Beispielen unterstützt die technische Gestaltung die Kommunikation des Inhalts, ohne diesen jedoch in den Hintergrund zu drängen. Es handelt sich also um gestalterische Mittel, die dosiert eingesetzt als Teil der Komposition auftreten.
Absolute Kontinuität besteht indes in der Praxis, niemals vollständig positive Fotos auszuzeichnen. Implizit besteht offenbar ein bislang unter den Jurys ungebrochener Konsens, der fröhliche oder gar humorvolle Bilder auf höchster Ebene grundsätzlich eliminiert. Von 56 World Press Photos of the Year weist nur ein einziges keine substanziell negative Komponente auf: Stanislav Terebas Aufnahme von einem Fußballländerspiel in Prag (1958) zeigt nicht mehr, als die Störung eines organisierten Sportereignisses durch plötzlich einsetzenden Regen. Dabei handelt es sich allenfalls um ein Handicap, keinesfalls jedoch um ein potenziell gefährliches Unglück oder gar eine substanzielle Katastrophe.
Es existiert kein anderer Fall, der nicht zumindest partiell Teil eines negativen Kontexts wäre: Helmuth Piraths Foto von der Rückkehr deutscher Soldaten aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft am 9. Oktober 1955 zeigt nicht nur eine Familienzusammenführung, sondern zugleich Menschen, die durch den Krieg gelitten haben. David Burnetts Aufnahme aus einem thailändischen Flüchtlingslager (1979) dokumentiert neben der geglückten Flucht einer Mutter und ihres Kindes aus Kambodscha zugleich auch die Folgen willkürlicher Gewaltexzesse. Lara Jo Regans Aufnahme aus dem Leben einer mexikanischen Emigrantenfamilie (2000) berichtet von einem Leben minimaler sozialer Sicherheit, die jederzeit in völlige Armut umschlagen kann.
In aller Regel schwingt das schlechthin Negative jedoch nicht latent im Echo seiner Konsequenzen mit, sondern manifestiert sich unmittelbar im Schicksal abgebildeter Protagonisten. Weit mehr als die Hälfte aller World Press Photos of the Year zeigt Teile des Spektrums emotionalen Leids, das vom stillen Blick der Trauer bis zum für den Betrachter unhörbaren Schrei der Verzweiflung reicht. Leichte Spuren des Hungers, bandagierte Wunden oder Gesichter, die in Flammen aufgehen oder schwer verstümmelt wurden, sind derweil die bisweilen schockierenden Eindrücke, die physisches Leid auf fast jedem dritten prämierten Foto hinterlassen hat. Zehn Leichen finden sich ebenfalls auf den Aufnahmen, was fast jedes sechste Foto gleichzeitig zu einem Totenbild macht. Für den Fotografen bedeutet die Konfrontation mit diesen Motiven nicht nur eine ethische und emotionale Gradwanderung, sondern häufig auch ein gesundheitliches Risiko, das bis hin zur akuten Lebensgefahr reichen kann.
Die kontinuierliche Visualisierung menschlicher Miseren und gewalttätiger Konfrontationen verleiht dem World Press Photo of the Year die Form eines prinzipiell anthropomorphen Bildes: Der Mensch und sein Schicksal stehen immer im Mittelpunkt. Es erscheint vollkommen undenkbar, statt eines Katastrophenopfers nur das Desaster selbst zu zeigen oder die Ruinenlandschaft eines Kriegsschauplatzes ohne seine Bewohner zu dokumentieren. Der Mensch mit seinen Verletzungen und Affekten ist der Ausgangspunkt emotionaler Teilhabe, der die Brücke in die Gefühlswelt des Betrachters schlägt. Um im Rahmen einer Redewendung zu bleiben, handelt es sich dabei fast immer um Personen „wie du und ich“ – nur drei Mal treten Prominente in Gestalt des japanischen Politikers Inejiro Asanuma (1960), des chilenischen Präsidenten Salvador Allende (1973) oder des spanischen Putschisten Antonio Tejero (1981) auf. Die auf diese Weise entstehende Unmittelbarkeit wird durch den Umstand unterstrichen, dass die Abgebildeten in den seltensten Fällen wie in den frühen Tagen des Fotojournalismus für die Kamera posieren. Außer dem aidskranken Ken Meeks (1986), den spielenden Palästinenserkindern (1993), dem verstümmelten Hutu (1994), den Landminenopfern in Angola (1996) und der durch ihren Ehemann entstellten Afghanin (2010) sind alle anderen Protagonisten aus der Situation heraus aufgenommen worden, die so für den Rezipienten authentisch erfahrbar wird.
In rund der Hälfte aller Siegerfotos speist sich die abgebildete Konstellation direkt oder indirekt aus einem Kriegsereignis. In keinem anderen Kontext lösen sich fundamentale Prinzipien der Humanität so nachhaltig auf wie dort. Ein damit verbundener gesellschaftlicher Zerfallsprozess bis hin zur vollständigen Desintegration ist naturgemäß ein Kondensationspunkt besonderen medialen Interesses. Der Krieg bringt so fortwährend Ereignisse großer journalistischer Relevanz hervor. Einen festen Platz im Themenkanon können daneben nur Katastrophen großen Ausmaßes und politisch motivierte Demonstrationen und Auseinandersetzungen für sich behaupten. Zwei 1955 und 1958 ausgezeichnete Sportfotografien nehmen demgegenüber einen Platz in einer Außenseiterkategorie ein, die mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen weiteren Zuwachs erfahren wird. Eine ähnliche Beobachtung trifft auf Ereignisse wie die Schießerei bei Saarbrücken (1971) und den Hausbrand von Boston (1975) zu, die keinen substanziellen Anteil am globalen Nachrichtengeschehen haben. Auch die sozialdokumentarischen Ansätze von Alon Reiningers HIV-Dokumentation (1986) und Lara Jo Regans Porträts einer mexikanischen Emigrantenfamilie (2000) sind Einzelfälle geblieben.
Ungleich häufiger stellen die Gewinnerfotos materiellen Mangel oder Katastrophen in den Mittelpunkt. Das in seinen Konsequenzen mit Abstand am häufigsten thematisierte Phänomen bleibt indessen die Gewalt: Fast zwei Drittel der ausgewählten Fotos richten ihren Fokus darauf, ihre direkten oder indirekten Folgen zu zeigen. Die Wirklichkeit des World Press Photo of the Year besteht demnach nicht in der zivilisatorischen Errungenschaft, sondern im Zivilisationsbruch, nicht im sozialen Fortschritt, sondern im Elend, nicht im Frieden, sondern im Krieg. Seine elementaren Motive haben sich seit 1955 in ständiger Variation entfaltet und determinieren so auch künftige Selektionsentscheidungen.
Visuelle Traditionslinien in den Jahrbüchern von World Press Photo
In insgesamt zwei Studien wurden sämtliche in den Jahrbüchern von World Press Photo publizierten Fotos in einer Vollerhebung analysiert. Neben der bereits erwähnten Dissertation wurde eine weitere Folgestudie vorgenommen,[9] die bestehende Tendenzen auf ihre Richtung und Stetigkeit hin untersuchte. Analysiert wurden dabei 9647 (2006) bzw. 10.430 (2012) Fotos nach Kriterien, wie abgebildete Themen, Negativismus, Technik und Narration, sowie nach den Ländern, aus denen die Fotografen sowie die abgebildeten Motive stammen. Außerdem wurde anhand des bereits erwähnten Human Development Index analysiert, wie hoch der Entwicklungsstand der jeweiligen Länder zum Aufnahmezeitpunkt war. Auf diese Weise wird die Gesamtkonfiguration der jeweiligen Jahresausstellung sichtbar, die typischerweise aus etwa 200 Fotos besteht. Detaillierte Prozentwerte und Auskünfte zu methodischen Fragen sind insbesondere der Publikation von 2006 zu entnehmen.
Es wäre naiv anzunehmen, dass sich in der von World Press Photo vorgenommenen Bildauswahl der multiperspektivische Charakter des internationalen Mediendiskurses in pluralistisch ausgewogener Form verdichtet. Dies ist bereits durch die Heterogenität des Teilnehmerfelds ausgeschlossen, dessen Repräsentanten primär aus Europa und Nordamerika stammen. Auch wenn asiatische Fotografen sich daneben als dritte Einflussquelle zusehends engagieren, folgt die Perspektive der involvierten Personen damit primär den Maßgaben einer Enkulturation durch ein westliches Werte- und Gesellschaftssystem. Indem der Wettbewerb im Laufe seiner Geschichte jedoch Zehntausende von Fotografen als Teilnehmer mobilisiert hat und Hunderttausende von Fotos zugunsten einer winzigen Auswahl verwarf, entstand durch die Selektionsleistung der Jurys eine beachtenswerte Metaebene. In gewisser Weise kann jeder Jahrgang von World Press Photo als Stichprobe eines explosionsartig anwachsenden Bilderkosmos gewertet werden, der sich in seiner Komplexität längst jeder Auswertung entzieht.
Zahlreiche intervenierende Faktoren geben dieser Stichprobe eine Gestalt, deren Gewichtungen tatsächliche Medienkonstellationen reflektieren – zumindest aus westlicher Sicht. Die Dominanz europäischer und nordamerikanischer Teilnehmer bei der Gestaltung des Gesamtsiegerfotos und des verbleibenden Bildbestands ist dabei als zentraler Faktor zu werten. Aus hocheffizienten Mediensystemen stammend, verwirklichen diese Teilnehmer offensichtlich jene Definition des nachrichtlichen Fotos am besten, der die regelmäßig westlich dominierten Jurys durch ihren Abstimmungsprozess jedes Jahr erneut Gestalt verleihen.
Außer Australien existiert kein Kontinent, dessen Abbildungen nicht mehrheitlich von Europäern und Nordamerikanern angefertigt wurden. Dennoch beginnen sich die Schwerpunkte in diesem Jahrzehnt sukzessive zu verlagern. Zeigte bis in die 1980er-Jahre nicht einmal jedes zehnte Foto ein afrikanisches Land, stammt in diesem Jahrzehnt fast jede fünfte Abbildung von dort. Analog dazu wuchs auch der Anteil asiatischer Länder, die in der Gegenwart auf fast 30 Prozent des Gesamtmaterials gezeigt werden. Diese Veränderung geht so weit, dass sich Asien heute sogar knapp vor dem bis dahin dominanten Europa positionieren kann. Asiens steigende Relevanz geht jedoch nicht zuletzt auf die Berührung zahlreicher westlicher Interessen zurück, die dort ihren Kulminationspunkt finden: Neben den an wirtschaftlicher Bedeutung weiter zunehmenden Schwellenländern China und Indien sind es insbesondere Regionen wie der Irak, die Palästinensischen Autonomiegebiete oder Afghanistan, die als Krisengebiete porträtiert werden oder als Austragungsort militärischer Auseinandersetzungen in den Fokus drängen.
Erst wenn sich das Feld der platzierten Fotografen pluralisiert und sich in seiner Gewichtung den abgebildeten Ländern annähert, steigt die Chance auf eine ausgeglichene thematische Verteilung. Gegenwärtig sprengt die Zahl der Konfliktfotos in Afrika und Asien jede Proportion, während sie in Europa und Nordamerika deutlich unter dem Durchschnitt verharrt. Dafür wird auf diesen Kontinenten die Mehrzahl der Fotos von Themen wie Gesellschaft, Politik und Sport dominiert. Australien und Südamerika werden derweil so selten mit Aufmerksamkeit bedacht, dass kaum verlässliche Aussagen über die dortigen Themenagenden möglich sind. Das mit dem Namen „World Press Photo“ implizit verknüpfte Versprechen einer globalen Betrachtung des Fotojournalismus wird in dieser Hinsicht also nicht eingelöst. Es handelt sich vielmehr um eine Momentaufnahme von Bildern, die aus westlicher Sicht relevant erscheinen. Je weiter sich Fotos demnach vom Epizentrum des Interesses entfernen, desto seltener finden alltägliche nachrichtliche Ereignisse auf ihnen einen Niederschlag.
Während in hoch entwickelten Ländern die Gesamtzahl der negativ aufgeladenen Fotos knapp über einem Viertel liegt, überschreitet sie in Schwellen- und Entwicklungsländern deutlich die Hälfte. Normativ abweichende Phänomene wie Gewalt, Unglücke, soziale Miseren oder das Leid unheilbar Kranker erfahren in Industriestaaten demnach eine Porträtierung als Ausnahmephänomen – in allen anderen Teilen der Welt werden sie visuell zur Regel stilisiert. Je geringer die Entwicklung eines Landes ausfällt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, auf dort entstandenen Fotos leidende Menschen oder gar Leichen zu erblicken. Dies bedeutet nicht, dass Leid und Elend nicht auch in hoch entwickelten Ländern dargestellt werden – in absoluten Zahlen erreichen sie sogar häufig die höheren Werte. Da hier jedoch auch eine Sphäre jenseits des Zivilisationsbruchs thematisiert wird, drängt sich das Bild des Menschen in prekären Situationen nie in den Vordergrund.
Es ist ein Privileg hoch entwickelter Länder, auch auf Fotos dargestellt zu werden, die per se über keinerlei Nachrichtenwert verfügen. Die Chance auf eine Darstellung trivialer oder gar komischer Alltagsbegebenheiten sinkt gemeinsam mit dem Entwicklungsstand. Die gleiche Beobachtung lässt sich auf das Auftreten prominenter Personen übertragen: Während bekannte Persönlichkeiten und Entscheidungsträger direkt oder indirekt auf jedem fünften Foto aus Europa, Nordamerika oder Australien eine Rolle spielen, ist dieser Wert in Afrika, Asien oder Südamerika gerade einmal halb so groß. Dafür begibt sich der Fotograf hier mehr als doppelt so oft in potenzielle oder akute Lebensgefahr, um die Motive seiner Fotos auf Film und Chip zu bannen. Natürlich könnte man diesen Befunden entgegenhalten, dass mit fallender Entwicklung auch die Probleme eines Landes ansteigen würden und damit problematische Ereignisse weitaus häufiger anzutreffen seien. Dem ist jedoch zu erwidern, dass auch in Industrienationen Menschen mit entsetzlichen Situationen des Leids konfrontiert sein können und auch hier eskalierende Momente anzutreffen sind.
Das World Press Photo of the Year übt durch seine enorme Öffentlichkeitswirkung einen weit reichenden Einfluss auf die Wahrnehmung des Gesamtwettbewerbs aus. Die Untersuchung hat gezeigt, dass Negativismus hier als narrativer Standard angesehen werden muss. Implizit hat sich hier ein Kommunikationsstandard entwickelt, der ein herausragendes nachrichtliches Ereignis mit einer ebenso herausragenden Bildsprache kombiniert. Dies provoziert regelmäßig das Entstehen von ikonografisch anmutenden Bildern des Leids. Innovative Konzepte können sich demgegenüber vergleichsweise selten Geltung verschaffen. Offenbar orientieren sich die einzelnen Jurys bewusst oder unbewusst an dem bereits durch andere Siegerfotos abgesteckten Horizont und gehen nur selten über die so etablierten Traditionslinien hinaus. Anders ist nicht zu erklären, dass bestimmte Bildkonzepte kontinuierlich reproduziert werden. Die vom Schicksal ihres Kindes zu Tränen gerührte Mutter ist nur ein Beispiel für verschiedene archetypische Erzählmuster, die als Stereotypen zur Effizienz der Kommunikation einen maßgeblichen Beitrag leisten. Es ist auch in Zukunft davon auszugehen, dass die Mehrzahl der Jurys bei der Wahl des Gesamtsiegerfotos jenes Bild bevorzugen wird, das einen größeren und oftmals abstrakten Zusammenhang mit dem erschütternden Schicksal eines Individuums verknüpft. Müsste ein einzelner Terminus zur Charakterisierung des Hauptpreises benannt werden, wäre dies zweifellos Emotionalisierung.
Es liegt nicht in der Verantwortung von World Press Photo, ob auf die actio des visuellen Reizes die reactio der Anteilnahme folgt. Wie und ob der Rezipient auf die Ausstellung reagiert, ob er sich innerlich mit den Abgebildeten solidarisiert oder achtlos an ihnen vorübergeht, entscheidet sich genauso häufig, wie Besucher die Ausstellung aufsuchen. Als Plattform für die Präsentation von Fotojournalismus verfolgt die Stiftung primär das Ziel, Interesse für journalistische Fotografie in all ihren Facetten zu wecken. Dass deren Motive auch nach mehr als 50 Wettbewerben immer wieder von Missständen geprägt sind, die die Menschheit nach wie vor nicht überwunden hat, kann nicht dem Fotografen zur Last gelegt werden.
Obwohl die von World Press Photo berufenen Jurys nachweislich kein ausgewogenes Bild der Wirklichkeit selektieren, erheben sie zumindest den Anspruch, manipulierte Fotos durch das Reglement auszuschließen. Die größte Leistung der Stiftung könnte demnach darin bestehen, die Glaubwürdigkeit des Mediums Fotografie auch im Zeitalter der digitalen Bilderwelten partiell zu bewahren. Auch wenn World Press Photo neben dem System der Pressefotografie auch dessen Defizite widerspiegelt, leistet die Stiftung gleichzeitig einen zentralen Beitrag zum Erhalt seines ambitioniertesten Anspruchs: Wenn sie dem Betrachter neben der bloßen äußeren Gestalt eines Ereignisses auch einen Moment der Wahrhaftigkeit eröffnet, ihn mit ihrem Zauber gefangen nimmt oder aufrüttelt, baut sie ihm gleichzeitig eine Brücke zu einem Ereignis, das ihm sonst verschlossen geblieben wäre. Als Fokus mag World Press Photo blinde Flecken und Unschärfen aufweisen – was aber einmal scharf abgebildet wird, kann sich ins kollektive Gedächtnis einbrennen und so vielleicht nicht die Welt, aber zumindest unsere Einstellung zu ihr verändern.
Link zur Dissertation: Alexander Godulla, Fokus World Press Photo. Eine Längsschnittanalyse „ausgezeichneter“ Pressefotografie von 1955 bis 2006, Saarbrücken 2009 http://d-nb.info/997407689/34
[1] Alexander Godulla, Fokus World Press Photo. Eine Längsschnittanalyse „ausgezeichneter“ Pressefotografie von 1955 bis 2006, Saarbrücken 2009, S. 148.
[2] Vgl. Alexander Godulla, Authentizität als Prämisse? Moralisch legitimiertes Handeln in der Pressefotografie, in: Communicatio Socialis 47 (2014), Heft 4, S. 402-410.
[3] Michaela Pissermayr, World Press Photo – Die Welt durch das Auge der Kamera. Diplomarbeit, Wien 2004.
[4] World Press Photo (Hrsg.). Broschüre zum 50-jährigen Jubiläum, Amsterdam 2005, S. 2.
[5] Vgl. Colin Jacobson, Underexposed. „Pictures can lie and Liars use Pictures“, London 2002, S. 63.
[6] World Press Photo (Hrsg.). Broschüre zum 50-jährigen Jubiläum, Amsterdam 2005, S. 3.
[7] N.N., World Press Photo 56 Amsterdam, in: De Fotojournalist 4 (1956), S. 10.
[8] Mary Panzer, Things as they Are. Photojournalism in Context Since 1955, London 2005, S. 6.
[9] Alexander Godulla, Pluralization through Digitalization? Contemporary Changes in the Development of Transnational Crisis Photography, in: IAMCR, Crises, ‚Creative Destruction‘ and the Global Power and Communication Orders, Montevideo 2013, S. 1-15.
Zitation
Alexander Godulla, Ein Jahr, ein Bild? Traditionslinien in der Wirklichkeitskonstruktion von World Press Photo, in: Visual History, 09.02.2015, https://www.visual-history.de/2015/02/09/ein-jahr-ein-bild/
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-1270
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