Bilder der Revolte: „Studium ist Opium“

Eine Webseite zu den Studentenprotesten mit Fotografien von Ludwig Binder

Die Demonstrationen rund um den Schah-Besuch, der Tod von Benno Ohnesorg oder die Proteste gegen die Notstandsgesetze sind Motive der Fotografien von Ludwig Binder (1928-1980). Der ehemalige Student der Freien Universität Berlin hatte 1961 ein eigenes Fotostudio eröffnet, nachdem er schon vorher für verschiedene Zeitschriften und Zeitungen tätig gewesen war. Mit seinem Team aus freien Mitarbeitern hielt er nun viele große und kleinere Ereignisse im geteilten Berlin mit der Kamera fest. Trotzdem ist Binder heute nur noch einem kleinen Kreis von Personen bekannt, und auch in der Wissenschaft fanden seine Bilder wenig Beachtung. Diesen Zustand wollen die Initiatoren von „Bilder der Revolte“ ändern.

Die noch recht junge Webseite, die im Rahmen des Kultur-Hackathons „Coding da Vinci“ entstanden ist, ist ein relativ kleines Projekt:[1] Kulturinstitutionen stellen sonst schwer zugängliche Daten- oder Bildersätze ins Internet, die dann von allen Nutzern frei verwendet werden können. Das Projekt „Bilder der Revolte“ zeigt die Aufnahmen des Fotografen Ludwig Binder, die die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland digitalisiert und unter einer Creative Commons-Lizenz (CC BY-SA 3.0 DE) verfügbar gemacht hat. Über die Webpräsenz des Hauses der Geschichte dürften die meisten Internetnutzer auf die „Bilder der Revolte“ stoßen, denn dort ist die Seite unter dem Menüpunkt Online-Projekte verlinkt.

Die Bilder aus den 1960er-Jahren sind dann auch die Grundlage der Webseite. Anhand dieser soll die Zeit der Studentenrevolte erfahrbar gemacht werden. Die Seite richtet sich nach eigener Aussage an Wissenschaftler, aber auch an die „historisch interessierte Öffentlichkeit“.[2] Die sechs Mitglieder des Entwicklerteams erklären die Absichten hinter ihrer Seite nur knapp. Hervorgehoben wird aber, dass das Projekt ein „Work in progress“ sei und kontinuierlich weiterentwickelt werden solle – möglicherweise zum 68er-Jubiläum 2018.

Ludwig Binder: Hörsaal der Juristischen Fakultät in der FU, Berlin 27.5.1968. Blick auf eine Tafel mit unterschiedlichen Sprüchen: „Studium ist Opium“, „Nur Faschisten studieren heute“, „Im Haus der ‚Rechts‘ Wahrer schweigt man über Notstand“. Rechts daneben steht eine Gruppe Studierender, die sich miteinander unterhalten. RS: handschriftlich: „Hörsaal Jur. Fak.“, darunter Stempel mit Copyright und Adresse Binders. Quelle: Bilder der Revolte, Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE

Ludwig Binder: Gegendemonstranten demolieren Demonstrantenautos, Berlin 18.2.1968. Ein Mann steht innerhalb einer Menschenmenge und hält eine brennende Fahne (vermutlich rot) hoch. RS: handschriftlich: „68-02-18-5 / Gegendemonstranten demolieren / Demonstrantenautos, verbrennen rote Fahnen, / werfen Rauchbomben“, darunter Stempel mit Copyright und Adresse Binders. Quelle: Bilder der Revolte, Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE

Die Startseite der bei WordPress gehosteten virtuellen Ausstellung zeigt sofort einige der Bilder von Ludwig Binder, auf denen man mit einem „Mouse-Over“ erste Informationen wie Datum und Kurzbeschreibungen erhält. Das Design der Seite ist schlicht und trotz einer „Bilderflut“ auf der Startseite sehr übersichtlich. Nach Anklicken des Bildes, öffnet sich eine Seite, die eine detaillierte Kurzbeschreibung sowie einen kurzen Kommentar zu dem historischen Rahmenereignis liefert. Hierbei werden auch die Notizen Ludwig Binders zu den Aufnahmen kritisch hinterfragt. Auch Verweise auf andere Quellen, die frei im Netz zugänglich sind, gibt es in den Kommentaren. Dazu kann man sich noch den Ort der Fotografie auf einer Karte anzeigen lassen. Außerdem finden sich direkte Links zu Zeitungsartikeln über die Studentenrevolte, die zur gleichen Zeit wie die Fotos entstanden sind. Die verlinkten Artikel sind allerdings zum Großteil in den Zeitungen des Axel Springer Verlags erschienen, der damals eine eindeutige Haltung gegenüber den Protesten hatte. Ein weiteres Element ist die umfangreiche Verschlagwortung auf der Seite, mit der alle Bilder thematisch sortiert werden können. So ist es zum Beispiel möglich, sich alle Fotos anzeigen zu lassen, die auf dem Gelände der Hochschule für Musik entstanden sind.

Die Webseite bietet mehrere Möglichkeiten, mit dem Bildüberfluss umzugehen. So wurden zum Beispiel die Daten der Bilder auf dem Zeitstrahl des „LeMO“ (Lebendiges Museum Online) eingebettet, sodass die Fotos chronologisch angeschaut werden können. Außerdem besteht die Möglichkeit, sich die Geschehnisse nach Orten anzeigen zu lassen. Dies kann sehr hilfreich sein, wenn man sich zum Beispiel nur auf Ereignisse an der Freien Universität Berlin konzentrieren möchte. Ein weiteres Angebot der Webseite sind die „Spaziergänge“, die sich anhand der Karte auch selbst erstellen lassen. So gibt es u.a. einen Rundgang über den Uni-Campus in Berlin-Dahlem. Diese vier Möglichkeiten des Zugriffs sind über eine Leiste ganz oben auf der Webseite auswählbar. Ein weiteres Feature ist eine Suchfunktion, mit der sehr detailliert Bilder herausgefiltert werden können.

Ludwig Binder: Vorabend des Schah-Besuchs – Bahman Nirumand am Rednerpult FU Audimax, Berlin 1.6.1967. Nirumand am Rednerpult stehend, um ihn herum sitzen und stehen Zuhörer, am Rednerpult sind zwei Flugblätter (Schah-Steckbrief) mit der Überschrift „Mord“ und einer s/w Abbildung des Schahs angebracht, seitlich am Pult hängt eine Shah-Maske mit dem Konterfei Farah Dibas. RS: in der Mitte roter Stempel mit Bleistift durchgestrichen: „Copyright By / Ludwig Binder (…)“, rechts daneben blauer Stempel: „binder / Pressefoto Ludwig Binder (…)“, oben handschriftlich in Bleistift: „Vorabend-Schah-Besuch / im Audi-Max“, rechts oben: „67-06-01“. Quelle: Bilder der Revolte, Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE

Die eindrucksvollen Fotos, die auch zahlreiche bekannte Personen der Studentenbewegung zeigen, gestalten einen Besuch auf der Seite sehr kurzweilig. Positiv zu bewerten ist, dass man sich diese Ausstellung nur online vorstellen kann. Hier wird das große Vermittlungspotenzial des Internets zumindest teilweise ausgeschöpft. Ein Schritt nach vorne wäre die Hinzufügung eines schriftlichen Teils, der mehr Kontextualisierung bietet. In Verbindung mit dem Spaziergangs-Feature könnten der Konstruktionscharakter von Geschichte verdeutlicht sowie weitere Kenntnisse über die 1960er-Jahre vermittelt werden. Damit hätte diese virtuelle Ausstellung ihren analogen Pendants wahrscheinlich sogar etwas voraus.

Sehr deutlich wird durch die Seite auch, dass es absolut gewinnbringend für Historiker sein kann, auch bei kleineren Projekten mit Informatikern zusammen in einer Gruppe zu arbeiten. Bei einer strikten Trennung zwischen dem redaktionellen und technischen Bereich, wie es manchmal bei größeren virtuellen Ausstellungen der Fall ist, geht nämlich viel Potenzial verloren. Die gelungene technische Umsetzung der „Bilder der Revolte“ bestätigt dies. Es wäre daher wünschenswert, wenn Projekte wie „Coding da Vinci“ in Zukunft noch eine größere Aufmerksamkeit erfahren würden und so noch deutlich mehr innovative historische Online-Ausstellungen entstehen könnten.

Ludwig Binder: Demonstration für die Freiheit der CSSR, Berlin 21.8.1968. Blick auf einen vereinzelten Demonstranten, der ein Transparent mit der Aufschrift: „Freiheit für die CSSR“ auf einen Pfeiler aufgestützt hat. Er befindet sich an dem Treppenabgang der U-Bahnhaltestelle „Kochstraße“. RS: handschriftlich: „68-08-21-2 / 21.8.68 / Demonstration für die / Freiheit der CSSR“, darunter zwei Stempel mit Copyright und Adresse Binders. Quelle: Bilder der Revolte, Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE

 

[1]Coding da Vinci”: Der Kultur-Hackathon ist ein Gemeinschaftsprojekt der Deutschen Digitalen Bibliothek, der Servicestelle Digitalisierung Berlin, der Open Knowledge Foundation Deutschland und Wikimedia Deutschland. Das Projekt strebt eine Vernetzung von Kulturinstitutionen mit Designern, Softwareentwicklern und Game-Designern an. Mehr dazu in der Broschüre „Coding Da Vinci”, http://codingdavinci.de/downloads/infos-cdv.pdf. (30.11.2016).

[2] Kurzer Infotext über „Bilder der Revolte“, http://codingdavinci.de/projekte/?project_id=0#projects (30.11.2016)

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