Gedenken mit dem Bild einer Hinrichtung?
Finnische Münzen im Jubiläumsjahr 2017
Finnland feiert im Jahr 2017 sein 100-jähriges Jubiläum. Das finnische Parlament hatte am 6. Dezember 1917 gegenüber Russland seine Unabhängigkeit erklärt. Für das Jubiläumsjahr wurde das Thema „Gemeinsam“ ausgewählt, das als Nenner für sämtliche offizielle Veranstaltungen und Produkte dient.[1] Im April 2017 sorgte nun aber die finnische Münzprägeanstalt (Mint of Finland) für Empörung, als sie die Gedenkmünzenserie „Itsenäisyyden vuosikymmenet“ (100 Jahre finnische Unabhängigkeit) vorstellte. Hierbei handelt es sich um eine Serie von insgesamt fünf Jubiläumsmünzen, von denen jede für einen bestimmten Zeitraum der neueren finnischen Geschichte steht. Die Münzen wurden von dem renommierten finnischen Designer Ilkka Suppanen entworfen und sollten ab dem 4. Mai 2017 erhältlich sein.[2]
Dazu kam es aber nicht mehr, denn schon die erste Vorstellung der Serie löste heftige Diskussionen aus. Der Designer hatte nämlich für die erste Münze, die für den Zeitraum 1918-1939 steht, ein Foto ausgewählt, das angeblich eine Hinrichtungsszene aus dem Finnischen Bürgerkrieg zeigt. Die Unabhängigkeit von Russland brachte schwere innere Konflikte mit sich, die vom 27. Januar bis zum 5. Mai 1918 zu einem Bürgerkrieg zwischen den sozialistischen „Roten“ und den bürgerlichen „Weißen“ in Finnland führten. Dieser Krieg war von Terror und Gräueltaten auf beiden Seiten geprägt. Nach dem Sieg der „Weißen“ kam es zu Racheaktionen an den besiegten „Roten“ in Form von zahlreichen Hinrichtungen.[3]
Das für die Münze ausgewählte Foto zeigt eine Szene, in der zwei Männer in der Uniform der „Weißen“, die am linken Bildrand stehen, mit Gewehren auf sechs am rechten Bildrand sich befindenden Männer zielen. Zusätzlich findet sich dort ein dritter Mann, der mit einer Pistole auf sie zielt. Unmittelbar vor dem Entstehen der Aufnahme müssen es sieben Männer gewesen sein, denn einer liegt bereits am Boden.
Beim Betrachten der aufgereihten Männer fällt auf, dass zwei von ihnen einen Anzug tragen – was damals nur den oberen Schichten der finnischen Gesellschaft möglich war, zu denen die „Roten“ nicht zählten. Diese Beobachtung, gemeinsam mit der Tatsache, dass mehrere von den in Kürze hinzurichtenden Männern im Bild lächeln, untermauert den Verdacht, dass es sich um ein gestelltes Bild handeln könnte. Tatsächlich sei das Foto, so Jukka Kukkonen, emeritierter Forscher des Finnischen Museums für Fotografie, zweifelsfrei erst nach dem Krieg, etwa am Anfang der 1920er Jahre entstanden und außerdem gestellt. Dennoch ist es eine der am häufigsten verbreiteten Aufnahmen in den Bildbänden der Zwischenkriegszeit, von der mehrere Abzüge in verschiedenen Archiven und Sammlungen vorliegen. Wir wissen bis heute weder wo das Foto aufgenommen noch von wem es gemacht worden ist. Es ist auch nicht bekannt, welchem Zweck das Bild ursprünglich dienen sollte.
Ob das Foto nun gestellt ist oder nicht spielte in den hitzigen Diskussionen über die Gedenkmünze zunächst keine Rolle. In erster Linie – das Thema verbreitete sich wie ein Lauffeuer in den Sozialen Medien – wurde die Geschmacklosigkeit der Bildauswahl betont. Die alten „Narben“ des Bürgerkriegs würden wieder aufgerissen, was zur Zweiteilung der Gesellschaft beitrage und schlecht zum Jubiläumsjahr passe. Auch viele finnische Politiker empfanden die „Hinrichtungsmünze“ als geschmacklos. Nachdem Finanzminister Petteri Orpo seinen Wunsch nach Rücknahme der Münzen getwittert hatte, stellte sich schnell heraus, dass gerade er als Finanzminister den Beschluss zu ebendiesen Gedenkmünzen zu verantworten hatte.[4] Orpo wurde daraufhin scharf kritisiert. Seine Verteidigung, wonach er sich kaum mit der „künstlerischen Seite“ dieser Münzen beschäftigt habe, ließ sich schnell widerlegen, denn der von ihm unterschriebene Beschluss enthielt eine Beschreibung der Münzen.
Finnische Bürgerinnen und Bürger brachten nun ihre eigenen „Gedenkmünzenentwürfe“ in die Diskussion ein, mit regimekritischen oder humoristischen Inhalten.[5]
Dem Designer wurde Sensationshascherei vorgeworfen, erst recht, nachdem bekannt wurde, dass die Gedenkmünze mit dem Titel „Globale Gerechtigkeit“, die für die Jahre 2000-2017 stehen sollte, das international bekannte Foto des toten Kindes Aylan Kurdi zeigt.[6]
Der Künstler verteidigte seine Arbeit im Interview in der Tageszeitung „Aamulehti“: Er habe mit der Bildauswahl den Blick auf die größten Herausforderungen des jeweiligen Zeitabschnitts richten wollen. Außerdem habe er betonen wollen, dass der Bürgerkrieg letztendlich zur Einigung des finnischen Volks geführt habe. Auf der Rückseite der Münzen finde sich außerdem jeweils ein Bild, das quasi als Gegenstück zeige, was zur gleichen Zeit erreicht worden sei. Bei der „Hinrichtungsmünze“ sei auf der Rückseite ein Bild vom Olympiastadion in Helsinki zu sehen. Weiterhin freue er sich, so Ilkka Suppanen im Interview, über die rege Diskussion, die die Gedenkmünzen entfacht hätten.[7]
Die finnische Münzprägeanstalt wiederum hielt den Kritikern entgegen, dass die Bildauswahl ebenso wie der gesamte Planungsprozess von einem Expertengremium beaufsichtigt worden sei. Allerdings nannten die Verantwortlichen keine Namen; bis heute ist nicht bekannt, was für ein Gremium die Münzentwürfe begutachtet hat.
Letztendlich wurde die gesamte Gedenkmünzenreihe zurückgezogen und der diesbezügliche Beschluss widerrufen. Auch die finnische Münzprägeanstalt gab eine öffentliche Entschuldigung ab.[8]. Dies wiederum sahen einige als Beweis dafür, dass die Finnen selbst nach 100 Jahren nach den Ereignissen nicht in der Lage seien, den Tatsachen ins Auge zu sehen, sondern diese lieber vergessen würden, um gerade im Jubiläumsjahr den „schönen Schein“ zu wahren. Andere empfanden die Rücknahme als Akt der Zensur, der einem immer engstirniger werdenden, finnischen politischen Horizont Rechnung tragen würde.[9]
Ganz gleich, wie man den Skandal deutet, im Grunde handelt es sich hierbei um einen Fall, in dem die Akteure vermutlich unerwartet mit der Brisanz von historischen Fotografien konfrontiert wurden. Zwar versuchte der Designer, nachträglich zu erklären, wie die Bilder gesehen werden sollten. Was er aber dabei nicht berücksichtigte, war, dass Bilder immer unterschiedlich und kontrovers gedeutet werden können. Dies macht die Verwendung solcher Fotografien, die das Leiden anderer zeigen, als Teil und im Kontext einer Gedenkmünzenreihe, die ausgerechnet anlässlich eines Jubiläums herausgegeben wird, zu einer umstrittenen Handlung. Bestenfalls können solche Motive bei den Betrachtern Aufmerksamkeit, Irritation, Ratlosigkeit, schlimmstenfalls Verstörtheit und Wut hervorrufen. Dieser Vorgang in Finnland führt auch zu der Frage, was mit dem Einsatz von solchen Bildern bewirkt werden soll? Gibt es das „richtige“ Bild, um an traumatisierende Ereignisse zu erinnern? Vom Finnischen Bürgerkrieg sind zahlreiche Fotos überliefert,[10] aber diese zeigen, wie Kriegsfotos eben, den Krieg nur von einer Seite und sind somit nicht dazu geeignet, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu erzeugen. Das ist sicherlich einer der wichtigsten Gründe dafür, warum bei Monumenten, Denkmälern o.Ä., die an einen Bürgerkrieg erinnern, häufig eine abstrakte Bildsprache zur Verwendung kommt.[11] Möglicherweise hätte hier die Idee des Künstlers von den zwei Seiten einer Münze, einen neuen Ansatz bieten können. Dafür hätten die Bilder aber besser aufeinander abgestimmt sein müssen. Auf jeden Fall zeigt das Geschehen in Finnland, dass Bilder eine Gesellschaft durchaus in Aufruhr versetzen können, was bis heute leider nur allzu oft übersehen wird.
[1] Siehe https://finland.fi/de/leben-amp-gesellschaft/2017-feiert-finnland-100-jahre-unabhangigkeit/.
[2] Siehe die Website der Mint of Finland: https://www.suomenrahapaja.fi/eng/news/itsenaisyyden.
[3] Für eine kurze finnischsprachige Geschichte des Bürgerkriegs siehe http://www.tyovaenperinne.fi/tyovaki/tyovaenliikkeen-kirjasto/suomen-sisallissota-1918/.
[4] Siehe hierzu: https://www.aamulehti.fi/kotimaa/petteri-orpo-tuomitsee-suomi-juhlarahan-kuvan-taysin-mauton-24437037.
[5] Siehe hierzu: https://twitter.com/hashtag/juhlaraha?src=hash.
[6] Das Foto sowie der Entwurf der Gedenkmünze finden sich online unter https://suomenkuvalehti.fi/jutut/kotimaa/teloituskolikolle-luvassa-jatkoa-2019-juhlarahassa-julkaistaan-kuollut-syyrialaispoika/.
[7] Interview mit Ilkka Suppanen, in: Aamulehti, 25.4.2017.
[8] Die offizielle Meldung zur Rücknahme der Münzen online unter https://www.suomenrahapaja.fi/eng/news/itsenaisyyden%20vk2.
[9] Einer der vielen Blogbeiträge, die zum Thema entstanden sind.
[10] Eine Auswahl findet sich auf Flickr.
[11] Vgl z.B. den Artikel von Nils Theinert, Denkmäler für eine verlorene Sache. Die Entwicklung konföderierter Denkmäler am Beispiel North Carolinas, 1870-1910, in: Visual History, 02.05.2017.