Rezension: Detlef Lorenz, Bilder in der Presse: Pressezeichner und Presse-Illustrationen im Berlin der Weimarer Republik

Cover des Buches „Bilder in der Presse“ von Detlef Lorenz © Lukas Verlag

Detlef Lorenz (6.12.1938-4.2.2019) hat nach einem Studium der Kunstgeschichte und Publizistik an der Freien Universität Berlin über vierzig Jahre als Werbefachmann gearbeitet, hat sich neben seinem Beruf im internationalen Arbeitskreis Bild, Druck, Papier zur Geschichte von Drucken und Papieren engagiert und zu einzelnen Künstlern publiziert;[1] von seinen weiteren Veröffentlichungen dürften das Künstlerlexikon „Reklamekunst um 1900“[2] und der Stadtführer „Künstlerspuren in Berlin“[3] die bekanntesten sein.

In den letzten zehn Jahren hat er sich einem wenig beachteten Spezialgebiet der bildenden Kunst zugewandt und in autoptischer Detailarbeit aus den Quellen ein Künstlerlexikon der Pressezeichner, begrenzt auf Berlin und die Jahre der Weimarer Republik, erarbeitet, ein gänzlich privates Projekt, über das er in einem Tagungsband berichtet hat.[4] Dort war sich Lorenz noch unklar, in welcher Form er die Ergebnisse seiner Forschungen zugänglich machen solle, ob als Datenbank oder als Buchwerk in der Art eines Lexikonbandes (dort S. 70). Er hat sich für einen Lexikonband entschieden, der nun eindrucksvoll im Großformat in mustergültiger Ausstattung, Erschließung und Erläuterung erschienen ist[5] – wenige Tage nach seinem Tod.

Über Arbeit und Berufsstand der Pressezeichner sind bislang nur vereinzelte Publikationen, vor allem aus dem Bereich der Publizistikwissenschaft und Pressegeschichte erschienen; diese Literatur dürfte wohl vollzählig in das Alphabet des umfangreichen Literaturanhangs von über 200 Einträgen eingeflossen sein (S. 483-486). In der Blütezeit des Berufsstandes wurde 1929 in Berlin der Verband der Pressezeichner gegründet, der auch zwei Bälle und eine Ausstellung veranstaltet hat, deren Almanache überliefert sind. Der Verein ist zu einem unbekannten Zeitpunkt in den Reichsverband der Deutschen Presse eingegliedert worden (S. 20-23). In den Skizzenbüchern zu den Bällen sind die Namen von ca. 80 Mitgliedern und 6 Ehrenmitgliedern verzeichnet, ein nur verschwindend geringer Prozentsatz der von Lorenz jetzt nachgewiesenen Illustratoren: ca. 6000 mit Namen, weitere 800 mit nicht entzifferbaren Kürzeln und noch weitere Unbekannte mit Illustrationen, auf denen weder ein Name noch eine (lesbare oder unlesbare) Signatur zu erkennen sind (S. 14).

Um eine gesicherte Grundlage für sein Künstlerlexikon zu erarbeiten, hat sich Lorenz der nicht geringen Mühe unterzogen, insgesamt 145 Presseorgane aus dem Berlin der Weimarer Republik, vom November 1918 bis März 1933, darunter allein 70 Tageszeitungen, Seite für Seite auf Illustrationen durchzusehen (gemessen an der nur zu schätzenden Gesamtzahl von über 2500 Zeitschriften und 147 Tageszeitungen allein für das Jahr 1928 auch dies nur ein wenn auch nicht geringer Teil), im Original, auf Mikrofilmen oder als Digitalisate.

Ihn interessierten dabei nur als Strichätzungen und Autotypien ausgeführte Feder-, Kohle- oder Tuschzeichnungen, Stiche und Radierungen, Holz- und Linolschnitte, Scherenschnitte, Silhouetten und Schattenrisse auf Zeitungs- oder geglättetem Papier. Fotografien oder farbige Reproduktionen von Gemälden interessierten ihn nicht, auch Anzeigenwerbung nicht, obwohl hier zum Teil dieselben Künstler tätig waren, andererseits aber wieder diejenigen grafischen Visualisierungen von Statistiken und Sachverhalten, die von den ausführenden Künstlern mit Namen gezeichnet waren. Bei der Durchsicht ergab sich selbstverständlich, dass die Vorlagen nicht nur von zeitgenössischen in- und ausländischen Künstlern stammten, sondern aus der gesamten Geschichte der Kunst, doch sind etwa zwei Drittel der ca. 3000 Künstler, deren Geburtsdaten Lorenz ermitteln konnte, nach 1890 geboren, sind also Künstler der Weimarer Zeit.

Lorenz hat seine Untersuchung auf Zeitungen, Zeitschriften und Magazine eingegrenzt, die in Berlin verlegt worden sind: Berlin in den zwanziger Jahren gilt ihm als Höhepunkt der quantitativen und qualitativen Diversifizierung der Presse in Deutschland, es gab keinen Ort, der eine größere Vielfalt in thematischer, politischer und kultureller Hinsicht geboten hätte. Eine Vielfalt, die sich auch in der großen Zahl, der Herkunft und Tätigkeit der Pressezeichner widerspiegelt. Zu den ermittelten Namen hat Lorenz nicht nur die jeweiligen Fundstellen jahrgangsgenau angegeben,[6] sondern auch Lebensdaten und -orte, übrige Tätigkeitsbereiche und kurze biografische Charakterisierungen incl. Literaturhinweise. Inhaltlich passend und zudem den Band grafisch auflockernd hat Lorenz zeichnerische Selbstporträts von nahezu 500 Künstlern den Einträgen im Kleinformat hinzugefügt.

Für ungefähr 2000 Künstler hat er lediglich die Fundstellen notieren können, weil weder biographische noch anderweitige Hinweise auffindbar waren. Unter Berücksichtigung der schon erwähnten 800 Künstler, deren Kürzel oder Signaturen nicht zu entziffern waren, gilt somit fast für die Hälfte der aufgefundenen Künstler, dass von ihnen nur ihr Name oder ihr Kürzel oder eben gar nichts bekannt ist. Lorenz vermutet wohl zu Recht, dass neben berufsmäßig arbeitenden Künstlern auch Amateure bei passender Gelegenheit tagesaktuelle Zeichnungen für Presse, Bildagenturen oder Materndienste lieferten, ohne Anspruch auf Würdigung oder Dokumentierung, bei großer Konkurrenz und schlechter Bezahlung. Er sieht darin den wenig geachteten bis prekären Status der Pressezeichner in der Hierarchie der Künstler wie in der Hierarchie der Redaktionen bestätigt.

In seiner lesenswerten Einführung erläutert Lorenz nicht nur seine Motivation und den Aufbau des Künstlerlexikons, sondern schreibt auch über die soziale Stellung der Pressezeichner und Illustratoren und die kurze Blüte ihrer Profession in den späten zwanziger Jahren. Nach den traditionellen Holzstichen für den Buchhochdruck wurden für den Rotationshochdruck mit groben Zeitungspapieren ab 1880 leichter handhabbare Strichätzungen und Autotypien (Rasterverfahren) sukzessiv und besonders nach dem Ersten Weltkrieg zur gängigen Illustrationstechnik. Sie wurden nach und nach ergänzt durch Rotationstiefdruckverfahren, die auf geglättetem Papier auch die Wiedergabe von Fotografien aus technischen Gründen zunächst nur in wöchentlich erscheinenden Zeitungsbeilagen und in illustrierten Zeitschriften ermöglichten.

Lorenz setzt als letzte Hochphase der älteren Verfahren die zweite Hälfte der zwanziger Jahre an, danach wurden die zeichnerischen Illustrationen zunehmend verdrängt und schließlich marginalisiert durch photographische Abbildungen, denen allgemein größere Realitätsnähe zugesprochen wurde, in einem Prozess, der erst in den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts durch neue Rotationsflachdruckverfahren seinen Abschluss fand. Entsprechend wurden in der Presse die künstlerisch ausgebildeten Pressezeichner durch zunächst autodidaktisch arbeitende Fotografen verdrängt.

In der politischen und gesellschaftlichen Geschichte Deutschlands trafen Konkurrenz und technischer Wandel in den dreißiger Jahren zudem auf die rigorose Verdrängung aller Juden und politisch Missliebigen aus der Presse: Lorenz widmet sein Buch den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft unter den Illustratoren, jenen 52, die er im Frontispiz mit Namen nennen kann, „sowie den vielen, deren Schicksal nicht geklärt werden konnte“ (ebd.). Entsprechend deutlich charakterisiert Lorenz auch die Parteigänger und Nutznießer des NS-Systems, die es unter den Zeichnern gleichfalls gab.

Auf den Hauptteil des Lexikons, das alphabetische Verzeichnis der Künstlerinnen und Künstler, folgen zehn Seiten mit beispielhaften Illustrationen, um die Bandbreite ihrer Inhalte und Formen anzudeuten, danach in ungefährer alphabetischer Ordnung die im Format einander angeglichenen Signaturen der mit Namen entzifferten Künstlerinnen und Künstler, gefolgt von denen der biografisch nicht weiter nachweisbaren (mit Angabe der Fundstellen), schließlich folgen die nicht zuordenbaren resp. nicht lesbaren Signaturen (ebenfalls mit Angabe der Fundstellen). Danach folgt die Liste der autoptisch recherchierten Zeitungen, Zeitschriften und Magazine mit Angaben zu Zeitraum, Verlag, Erscheinungsweise, Hinweisen auf Auflagenhöhe und weiteren Bemerkungen. Im Anhang folgen die schon erwähnten Literaturhinweise und Nachweise zu den Abbildungen.

Wer wissen will, welche zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstler in der Weimarer Zeit zeichnerisch für die Presse gearbeitet haben und welche historischen damals in den Zeitungen, Zeitschriften und Magazinen abgedruckt worden sind, wird an diesem Band nicht vorbei kommen, auch wenn tatsächlich nicht alle Presseorgane durchgesehen worden sind. Lorenz hat eine herkulische Arbeit erledigt, zeitaufwendig und angespornt wohl nur durch die Vorstellung, dass niemals jemand das umfangreiche Material wird noch einmal anfassen wollen, wie der ehemalige Direktor des Instituts für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund, Hans Bohrmann, in seinem Geleitwort schreibt (S. 8). Die Kärrnerarbeit ist geleistet, die weiteren Forschungen werden andere, nach Lorenz, ausführen müssen; er hat die Basis gelegt, dafür gebühren ihm Dank und Respekt.

 

 

Detlef Lorenz, Bilder in der Presse: Pressezeichner und Presse-Illustrationen im Berlin der Weimarer Republik; Dokumentation und Künstlerlexikon, Berlin, Lukas-Verlag 2019, 495 S. EUR 50.00

 

 

Diese Rezension ist eine Zweitveröffentlichung und zuerst auf dem Portal IFB erschienen. Wir danken Wilbert Ubbens und Dr. Klaus Schreiber für die freundliche Genehmigung, den Text auf Visual History zu veröffentlichen.

Quelle: Informationsmittel (IFB): Digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft

http://informationsmittel-fuer-bibliotheken.de/showfile.php?id=9908

 

 

[1] Vgl. den Eintrag „Detlef Lorenz“ in der Wikipedia  [Aufruf: 05.08.2019]. – Die DNB verzeichnet 13 Einträge unter seinen Namen: http://d-nb.info/gnd/132363267. Vgl. auch die Laudatio auf ihn von Konrad Vanja unter Personalia in: Tagungsband … / Arbeitskreis Bild Druck Papier, Hagenow 2008: Christa Pieske zum 90. Geburtstag, Münster 2009 (Arbeitskreis Bild, Druck, Papier ; 13), S. 263-267.

[2] Detlef Lorenz, Reklamekunst um 1900: Künstlerlexikon für Sammelbilder, Berlin 2000.

[3] Detlef Lorenz, Künstlerspuren in Berlin vom Barock bis heute: ein Führer zu Wohn-, Wirkungs- und Gedenkstätten bildender Künstlerinnen und Künstler, Berlin 2002. Rez.: IFB 03-1-172 http://swbplus.bsz-bw.de/bsz099511061rez.htm.

[4] Detlef Lorenz, Pressezeichner und reproduzierte Kunst in der Berliner Presse der Weimarer Republik: Essay zu einer Dokumentation, in: Katja Leiskau/Patrick Rössler/Susann Trabert (Hg.), Deutsche Illustrierte Presse: Journalismus und visuelle Kultur in der Weimarer Republik, Baden-Baden 2016, S. 59-70.

[5] Inhaltsverzeichnis unter: http://d-nb.info/1151948594/04.

[6] Hier zeigen sich die Grenzen individueller privater Forschung ebenso wie die traditioneller Nachschlagewerke: Tages- oder gar seitengenaue Nachweise der Werke einzelner Künstlerinnen und Künstler würden bei der höchst ungleichen Verteilung des Materials jede Arbeitsökonomie und jedes Buchvolumen sprengen, „das können je Jahr zwischen einer und vielen hundert Vorkommen sein“ (S. 17).

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