Fotografie und Kriegsberichterstattung im Warschauer Aufstand 1944

Eine Ausstellung

Zum 70. Jahrestag des Warschauer Aufstands ließ die Landeszentrale für politische Bildung in Hamburg in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsbereich Public History der Universität Hamburg, dem Museum des Warschauer Aufstands in Warschau sowie dem Verlag Leica Fotografie International eine historisch-fotografische Ausstellung unter dem Titel „Auf beiden Seiten der Barrikade. Fotografie und Kriegsberichterstattung im Warschauer Aufstand 1944“ erarbeiten. Die Ausstellung wurde am 1. Oktober 2014 im Mahnmal St. Nikolai in Hamburg eröffnet und ist seitdem an mehreren Orten in Deutschland präsentiert worden.

Ausgangspunkt für dieses Projekt war die Entdeckung, dass neben deutschen Fotografen, die den Aufstand dokumentiert haben – Mitglieder der Propagandakompanien (PK) der Wehrmacht und SS, die seit den 1930er Jahren standardmäßig mit Leica-Kameras ausgestattet wurden –, auch die Mehrzahl der Fotograf*innen unter den polnischen Kriegsberichterstatter*innen (PSW – Prasowi Sprawozdawcy Wojenni) mit einer Leica in Warschau fotografierte. Doch den Warschauer Aufstand nur auf der Ebene der technischen Ausrüstung zu betrachten, würde dem historischen Ereignis nicht gerecht werden. Das Kurator*innen-Team um Aleksandra Duralska (Museum des Warschauer Aufstands) und David Rojkowski (Leica Fotografie International) entschloss sich daher, seinen Fokus auf die Verwendung der Fotografien in der damaligen deutschen und polnischen Presse zu richten und sich kritisch den Pressefotografien als historischen Quellen zu nähern.

Eingangstafel der Ausstellung. Foto eines polnischen Presse-Kriegsberichterstatters, Anfang August 1944. Fotograf: unbekannt, Quelle: Museum des Warschauer Aufstands, MPW-IP/7059, © mit freundlicher Genehmigung

Zum Aufbau der Ausstellung

Die Ausstellung besteht aus zwei Teilen: Der erste Teil erzählt über die mediale Darstellung des Warschauer Aufstands in der – während der Erhebung in Warschau erscheinenden – polnischen Aufstandspresse und über die zum Teil darin veröffentlichten Bilder von PSW-Fotograf*innen. Im zweiten Teil stehen entsprechend die Eigenheiten der deutschen Presse bei der Berichterstattung über den Warschauer Aufstand und die darin zum Teil publizierten Bilder von Mitgliedern der Propagandakompanien der SS und der Wehrmacht im Vordergrund. Der stringente Aufbau der Ausstellung unterstreicht den Untersuchungszeitraum vom Beginn des Warschauer Aufstands am 1. August 1944 und seiner endgültigen Niederschlagung am 2. Oktober sowie dem Ende der deutschen Propaganda-Aktion im November 1944.

Darüber hinaus haben die Kurator*innen weitere Verbindungslinien zwischen den wichtigsten Motiven der Kriegsberichterstattung gezogen, die sich auf polnischer und deutscher Seite weitgehend deckten: das Kämpfen der eigenen Soldaten, das Zeigen der Waffen, das Darstellen des Feindes und die Zuweisung einer aktiven bzw. passiven Rolle für die Zivilbevölkerung – Motive, die bis heute die visuelle Berichterstattung über Kriege und bewaffnete Konflikte prägen.

Blick in die erste Version der Ausstellung, Oktober 2014, Mahnmal St. Nikolai Hamburg. Fotograf: David Rojkowski ©

Kurze Geschichte des Warschauer Aufstands

Durch den Aufstand wollte die polnische bürgerliche Opposition ihr Land von der nationalsozialistischen deutschen Besatzung befreien. Mit dem Vorrücken der Alliierten in Europa nach der Landung in der Normandie und der sowjetischen Truppen in Ostmitteleuropa schien der Zeitpunkt dafür geeignet zu sein. Die Lenkung erfolgte durch die Exilregierung der Republik Polen in London, die die Heimatarmee (AK – Armia Krajowa) befehligte. Eingebunden waren auch Truppenteile der westlichen Alliierten, die vor allem mit Hilfslieferungen (Waffen und Verpflegung) Warschau zu versorgen suchten.

Die brutale Niederschlagung des Aufstands durch deutsche SS- und Polizeieinheiten und die nachfolgende Besetzung Warschaus durch die Rote Armee, nachdem die Stadt von den deutschen Truppen nahezu vollständig zerstört worden war, führten zur Etablierung eines prosowjetischen kommunistischen Systems in Polen bis 1989/90.

Trotz der massiven Verluste und Zerstörungen der letzten Monate des Zweiten Weltkriegs konnte von engagierten Akteur*innen in Polen eine relativ große Anzahl an visuellen Dokumenten, Presseerzeugnissen, lebensgeschichtlichen Interviews, (Tage-)Büchern u.Ä. gerettet werden, die ein breites Spektrum zur Auseinandersetzung mit dem Thema bietet. In Deutschland ist die Materiallage zwar nicht so weitläufig, doch es existieren einige Dokumente, Zeitungen und Zeitschriften sowie vor allem Pressefotografien, da die Niederschlagung des Warschauer Aufstands einer der letzten großen militärischen „Erfolge“ des Deutschen Reichs im Zweiten Weltkrieg war und eine dementsprechend große Präsenz in deutschen Medien hatte. Diese Präsenz zeigt sich heute noch an der hohen Zahl überlieferter Fotografien zu diesem Thema im Bestand kommerzieller Bildagenturen wie zum Beispiel ullstein bild, bpk-Bildagentur oder Süddeutsche Zeitung Photo.

Der jahrelange unkritische Umgang mit (Propaganda-)Fotografien von dem Aufstand war eine weitere Motivation, sich in dieses Thema zu vertiefen und die heute verfügbaren Bildquellen kritisch zu untersuchen. Wichtig war uns als Kurator*innen, die Erwartung mancher Besucher*innen, anhand von Fotos zu erfahren bzw. zu sehen, wie der Warschauer Aufstand wirklich war, nicht zu erfüllen, sondern auf die konstruierte Darstellung des Ereignisses zu verweisen. Denn das, was die Menschen 1944 über den Warschauer Aufstand zu hören, zu lesen und vor allem zu sehen bekamen, war nur ein kleiner Teil des Ganzen: Viele der in der Ausstellung gezeigten Fotos sind, wie wir heute wissen, aus propagandistischen Gründen entstanden. Von den etwa 200.000 Toten in Warschau sind auf den veröffentlichten Fotos lediglich zwei zu sehen.[1]

„Reportage des Fotodienstes des BIP“. Aktuelle Aufnahmen aus der Stadt und Porträts von Soldaten der AK wurden als Fotowandzeitungen in Soldatenheimen und an öffentlichen Orten aufgestellt. PSW-Fotograf: „Topór“, August 1944, Quelle: Museum des Warschauer Aufstands, MPW-IK/2719, © mit freundlicher Genehmigung

Porträt von Warschauer Aufständischen. Den polnischen Soldaten fehlte es vor allem an Waffen und Munition. Die polnische Aufstandspresse konzentrierte sich daher auf die Darstellung der am besten bewaffneten Einheiten. PSW-Fotograf*in: unbekannt, Anfang August 1944, Quelle: Museum des Warschauer Aufstands, MPW-IP/1924, © mit freundlicher Genehmigung

 

Quellenauswahl (Fotografien)

Die Objektauswahl wurde von den Kurator*innen mit besonders großer Sorgfalt durchgeführt und begründet. Das wichtigste Auswahlkriterium war die propagandistische Verwendung der Fotos, um die jeweilige offizielle visuelle Sprache nicht mit anderen, heute zugänglichen Quellen zu vermischen und die Motive miteinander vergleichbar zu machen.[2]

Die Recherche wurde also gleichzeitig von einem Verifikations- und Selektionsprozess begleitet. Zu den von uns nicht genutzten Bildern gehörten beispielsweise Fotos, die zwar von Kriegsberichterstatter*innen erstellt, damals jedoch nicht von den offiziellen Stellen als Propaganda-Aufnahmen verwertet wurden, weil sie sich nicht zur Veröffentlichung eigneten. Auf polnischer Seite waren es insbesondere Fotografien von Gräbern und Beerdigungen, von erschöpften Zivilisten, Verletzten und von Toten. Nicht verwendet haben wir auch Bilder von Amateuren, die keine Erlaubnis besaßen, an neuralgischen Punkten des Aufstands zu fotografieren, und deren Aufnahmen hauptsächlich von Alltagsperspektiven geprägt sind.

Des Weiteren haben wir keine Gruppenbilder und Porträts von Aufständischen für die Ausstellung verwendet, die im Bewusstsein der historischen Bedeutung der Erhebung erstellt worden sind. Diese Bilder prägen heute zwar die visuelle Erinnerung an den Aufstand in Polen, 1944 waren sie jedoch nicht für die Öffentlichkeit gedacht und dienten als Andenken und private Erinnerungsträger. Sie spielten daher in der damaligen Berichterstattung keine Rolle.

Ein von den Aufständischen erobertes Fahrzeug. Veröffentlicht in der Wandzeitung „Warszawa Walczy“ Nr. 39, 18. August 1944. Fotograf: Sylwester Braun (public domain)

Die gleichen Kriterien galten auch für Bilder von Fotografen der deutschen Propagandakompanien, die keinen Bezug zu den Propagandavorgaben aufweisen, darunter Bilder, die auf Negativen deutscher PK-Fotografen zu finden sind und deutsche Gräber, Tote und erschöpfte Kameraden zeigen. Verzichtet haben wir darüber hinaus auf die Abbildung von PK-Fotos, die ein anderes Bild der Ereignisse zeigen, als offiziell propagiert wurde, und sich damals ebenfalls nicht für Propagandazwecke eigneten. Nicht verwendet wurden zudem private Fotografien von deutschen Offizieren und Soldaten, die 1944 in Warschau im Einsatz waren.[3]

Nicht berücksichtigt wurden schließlich Aufnahmen, die vor dem 1. August 1944 bzw. nach dem Abzug der polnischen Heimatarmee aus Warschau ab Mitte Oktober 1944 entstanden sind oder deren Urheberschaft nicht eindeutig PK- oder PSW-Fotograf*innen zugeordnet werden konnte. Der Fokus bei der Auswahl der Fotografien lag also nicht auf einer möglichst umfassenden (fotografischen) Darstellung des Aufstands, sondern auf Motiven und konkreten Fotografien, die 1944 den Zeitungsredaktionen zur Verfügung standen. Dazu gehörten damals strukturbedingt nur zensierte Fotos von PK- bzw. PSW-Fotograf*innen.

Dieses deutsche Propagandafoto wurde Ende 1944/Anfang 1945 als Pressefoto der Agentur Associated Press in einer Tageszeitung in Minneapolis, USA, veröffentlicht. Es handelt sich dabei um kein bildtelegrafisches „Wirephoto“, wie der Stempel vorgibt, sondern um einen Baryt-Abzug (hochwertiges Fotopapier), der vermutlich mit anderen Fotos per Kurier über Schweden in die USA gelangt ist. Foto: SS-PK Seidel: „Nach der gescheiterten Warschauer Revolte“. Quelle und Copyright: Privatsammlung David Rojkowski

Quellenauswahl (Presse)

Polnische Aufstandspresse

Neben der „reinen“ Form der Fotografien als Negative, Papier- und Kontaktabzüge sowie Digitalisate existieren die Bilder auch in ihrer „verwerteten“ Form, hauptsächlich als Presseerzeugnisse. Wurden Fotos gedruckt, so erschienen sie nie unkommentiert. Sie traten immer eingebunden in einen textuellen Kontext auf. Diese Kombination aus Text und Bild spielte eine Schlüsselrolle bei der Vermittlung von propagandistischen Inhalten in Zeitungen, Zeitschriften, auf Flugblättern und Plakaten. Aus diesem Grund wurden in der Ausstellung in jedem Kapitel Beispiele aus der „Praxis“ herangezogen.

Die polnische Untergrundpresse funktionierte wie die anderen Bereiche des polnischen Untergrundstaats (Bildung, Militär, Justiz) während der deutschen Besatzung straff organisiert im Untergrund weiter und verfügte über geheime Verlage, Druckereien und konspirative Vertriebswege im gesamten Generalgouvernement. Fachleute aus der Vorkriegszeit bildeten in kleinen Gruppen junge Redakteur*innen, Fotograf*innen und Journalist*innen aus.

Mit dem Beginn des Aufstands agierte der polnische Untergrundstaat in den befreiten Stadtteilen Warschaus nicht mehr konspirativ, sondern aktivierte seine Strukturen und übernahm gemeinsam mit der Heimatarmee die Verwaltung der Hauptstadt.

Bereits in den ersten Tagen erlangten die Aufständischen mit der Eroberung einer Druckerei, eines Papierlagers und eines Elektrizitätswerks im Zentrum Warschaus drei wichtige strategische Ziele, die den Propaganda- und Presseeinsatz ermöglichten. Die Arbeit der Presse- und Rundfunkredaktionen, Fotograf*innen,[4] Filmemacher*innen[5] und anderer Propaganda-Einheiten koordinierte das Büro für Information und Propaganda der AK (BIP). Das BIP bekämpfte die deutsche Propaganda, informierte die Führung über die Stimmung unter den Soldaten und der Zivilbevölkerung und prägte die öffentliche Meinung durch eine solidarische Haltung mit den Aufständischen.

Katalog der Ausstellung: Peter Haslinger/Sabine Bamberger-Stemmann/Tatjana Tönsmeyer (Hg.), Auf beiden Seiten der Barrikade: Fotografie und Kriegsberichterstattung im Warschauer Aufstand 1944, Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung, Institut der Leibniz-Gemeinschaft, Marburg; Landeszentrale für politische Bildung Hamburg, 2018. Doppelseite (164-165) aus dem Katalog mit Beispielen der polnischen Aufstandspresse. Mit freundlicher Genehmigung der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg Vergrößern

Die kurzzeitig eroberte Freiheit führte in Warschau zu einer kreativen Explosion: Während des Warschauer Aufstands erschienen in der Stadt ca. 150 verschiedene Zeitungen: darunter Tageszeitungen wie „Biuletyn Informacyjny“ mit einer Auflage von 28.000 Exemplaren,[6] Zeitungen für die kämpfenden Einheiten, Zeitungen von politischen Gruppierungen und Parteien mit mehreren tausend Exemplaren täglich und sogar Kinderzeitschriften in kleinster Auflage.

Die Presseerzeugnisse waren in den von polnischen Einheiten kontrollierten Gebieten erhältlich, erreichten aber auch auf konspirativen Wegen das gesamte Generalgouvernement. Fotos der PSW-Fotograf*innen waren in mehreren Tageszeitungen, Sonderbeilagen und in Wandzeitungen an Mauern abgedruckt sowie als Papierabzüge in Fotowandzeitungen in Soldatenheimen und anderen öffentlichen Räumen zu finden. Mit dem Verlust des Elektrizitätswerks am 4. September 1944 und der unterbrochenen Stromversorgung konnten ab diesem Zeitpunkt keine weiteren Fotos mehr vergrößert und abgedruckt werden. Die Fotograf*innen setzten ihre Arbeit dennoch fort und dokumentierten den Aufstand weiter.

 

Deutsche Presse

Anders als die hauptsächlich im Aufstandsgebiet erscheinende polnische Presse hatte die deutsche Presse verschiedene Einsatzgebiete und somit auch Zielgruppen. Inhaltliche Unterschiede gab es darüber hinaus zwischen der Berichterstattung in der Reichspresse („Völkischer Beobachter“, „Das Schwarze Korps“, „Berliner Illustrierte Zeitung“, „Hamburger Zeitung“ etc.), der polnischsprachigen NS-Besatzungspresse im Generalgouvernement („Nowy Kurier Warszawski“, „Goniec Krakowski“), Soldatenzeitungen der Propagandakompanien, die um und in Warschau eingesetzt waren („Frontnachrichten“, „Der Durchbruch“ etc.) sowie in deutschen Auslandsillustrierten („Signal“), die in mehreren Sprachen im besetzten bzw. neutralen Ausland als hochwertige Magazine noch bis April 1945 erschienen sind.

Katalog der Ausstellung: Haslinger/Bamberger-Stemmann/Tönsmeyer (Hg.), Auf beiden Seiten der Barrikade, Doppelseite 202-203, zum propagandistischen Einsatz der Auslandsillustrierten „Signal“, die zwei Sonderbeilagen zum Warschauer Aufstand veröffentlichte. Mit freundlicher Genehmigung der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg Vergrößern

Kernpunkt der Berichterstattung über den Warschauer Aufstand war zum einen die angeblich schnelle und siegreiche Reaktion der deutschen Streitkräfte. Zum anderen wurde das „polnische Problem“ zu einem politischen Thema, das im breiteren Kontext zur Diskreditierung der Alliierten instrumentalisiert wurde.

Eine besonders wichtige Rolle für die deutsche Propaganda spielte während des Aufstands die polnischsprachige Tageszeitung „Nowy Kurier Warszawski“,[7] die nach der Evakuierung der deutschen Verwaltung und Propaganda-Abteilung aus Warschau im knapp 100 Kilometer entfernten Litzmannstadt (heute Łódź) weiter gedruckt und mit LKWs der Wehrmacht nach Warschau und in die umliegenden Durchgangslager gebracht wurde, die für die ausgesiedelte Warschauer Zivilbevölkerung provisorisch errichtet wurden. Dort wurde die Tageszeitung, in der bei Weitem die meisten PK-Fotos erschienen sind, an die Warschauer*innen verteilt. Vor allem durch ihre große Vermissten-Rubrik erreichte sie eine hohe Zahl von Leser*innen.

Wie wichtig dieses direkte Propaganda-Organ für die deutsche Führung war, zeigen Akten der Propaganda-Abteilung Krakau,[8] die eine hastige Rückholaktion von einem der wichtigsten Mitarbeiter der Zeitung aus Berlin nach Litzmannstadt dokumentieren.

Katalog der Ausstellung: Haslinger/Bamberger-Stemmann/Tönsmeyer (Hg.), Auf beiden Seiten der Barrikade, S. 229, zum Einsatz der polnischsprachigen Tageszeitung „Nowy Kurier Warszawski“ bei der Berichterstattung über den Besuch eines Delegierten des Internationalen Roten Kreuzes im Durchgangslager Pruszków. Mit freundlicher Genehmigung der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg

Rückseiten von Pressefotos

Zu den weiteren Quellen, die in die Ausstellung Eingang fanden, gehören Rückseiten von Fotografien, hauptsächlich deutsche Pressefotos, die oftmals Angaben zum Fotografen, Zeitpunkt und Ort sowie eine Bildunterschrift beinhalten. Die Vorderseiten der Originalabzüge haben sich seit 1944 kaum verändert. Manche der gut erhaltenen Rückseiten sind dagegen zu einem Spiegel der vergangenen 75 Jahre Pressegeschichte geworden und geben Aufschluss über die Arbeitsweise von Zensor*innen und Redakteur*innen. Neben den oben genannten Angaben tragen sie Informationen zur Verwendung der Bilder in der Presse („Nur Ausland!“), zu erfolgten Publikationen, bildredaktionellen Praktiken, Besitzverhältnissen der Bildagenturen (Deutscher Verlag/Ullstein; Scherl/Zentralbild), veränderten Sprachregelungen („Banditen“/„Aufständische“; „Grenadiere der SS“/„aufgeputschte Faschisten“) u.v.m.

Die Rückseiten der polnischen Fotografien blieben zur Zeit der Veröffentlichung meistens leer. Manchmal weisen sie das Pseudonym der Fotograf*innen, ein Datum, eine Information zur Veröffentlichung oder auch eine knappe Bildunterschrift auf – handschriftlich mit Bleistift notiert. In der Presse wurden die Urheber*innen mit ihrem nom de guerre (z.B. „PSW-Joachim“) genannt.

Rückseite des Pressefotos von SS-PK Seidel „Nach der gescheiterten Warschauer Revolte“ mit einem Beleg der Veröffentlichung in einer US-amerikanischen Zeitung und einer exakten Übersetzung der vom deutschen Propaganda-Apparat vorgegebenen Bildbeschreibung als Bildunterschrift. Quelle und Copyright: Privatsammlung David Rojkowski

Quellenauswahl (Dokumente)

Neben Fotografien, Negativen und anderem visuellen Material sowie Presseerzeugnissen und Plakaten wird in der Ausstellung eine Auswahl an schriftlichen Dokumenten vorgestellt. Diese beziehen sich auf Fotografien, Propagandamaßnahmen und die Presse. Sie geben einen tieferen Einblick in die Funktionsweise der Propaganda-Apparate sowie zum Einsatz der Fotograf*innen und beleuchten bei einigen Aufnahmen ihren Entstehungs- bzw. Veröffentlichungskontext.

Für den polnischen Teil stehen vor allem Broschüren des Büros für Information und Propaganda im Vordergrund, die zur Ausbildung von Fotograf*innen und Redakteur*innen eingesetzt wurden. Bereits 1943 in geheimen Militärverlagen der Heimatarmee gedruckt, enthielten sie genaue Instruktionen für den Einsatz von Presse und Fotografie in einem kommenden Aufstand. Aus der Zeit des Aufstands selbst stammen einige Meldungen von PSW-Soldat*innen und -Fotograf*innen.

Katalog der Ausstellung: Haslinger/Bamberger-Stemmann/Tönsmeyer (Hg.), Auf beiden Seiten der Barrikade, S. 168, mit Abbildungen einer Meldung des Fotografen Joachim Joachimczyk „PSW-Joachim“ und dem dazu gehörenden Negativ sowie von Broschüren des BIP. Mit freundlicher Genehmigung der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg

Die Anzahl und Vielfalt der Dokumente auf deutscher Seite sind wesentlich größer, dennoch gibt es nur eine rudimentäre Überlieferung. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Presse-Anweisungen des Reichspressechefs Otto Dietrich, die für die Berichterstattung über den Warschauer Aufstand in der Reichspresse ausschlaggebend waren. Die Abschriften der sogenannten Tagesparolen, die bei den täglich stattfindenden Reichspressekonferenzen im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) in Berlin an Journalist*innen ausgegeben wurden, geben einen Einblick in die staatliche Presselenkung und die NS-Sprachregelung. Sie beinhalten Anweisungen, wann, wie und in welchem Ausmaß über den Warschauer Aufstand in der Reichspresse informiert und welche Informationen verschwiegen werden sollten.

Die vorhandene Korrespondenz zwischen der Hauptabteilung Propaganda in Krakau und dem RMVP in Berlin sowie weitere Schreiben des Propagandaministeriums und anderer Berliner Ministerien sind Teil der in der Ausstellung präsentierten Dokumentation. Weitere Dokumente beziehen sich auf einzelne Propagandaaktionen und Fotografien.

Wie die belichteten Filme der PK-Fotografen aus Warschau im Hinblick auf ihre Qualität, ihren Inhalt und ihre Eignung für die Propaganda bewertet wurden, ist nicht überliefert. Anhand einer „Befundmeldung“ der SS-Standarte „Kurt Eggers“ Gruppe Bild vom 27. Juli 1944, in der Arbeiten mehrerer Fotografen besprochen wurden, die kurze Zeit später in Warschau im Einsatz waren, erfahren wir aber, dass die Fotografen fortwährend Rückmeldungen aus der Zentrale erhielten, was sie beim Einsenden der entwickelten Filme nach Berlin zu beachten hatten und mit welchen technischen Problemen sie konfrontiert waren.

 

Katalog

2018 erschien im Verlag des Herder-Instituts für historische Ostmitteleuropaforschung und der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg ein dreisprachiger Katalog der Ausstellung, der eine erweiterte Auswahl an Fotos und Dokumenten präsentiert sowie zahlreiche wissenschaftliche Beiträge zur Erforschung des Warschauer Aufstands, der deutschen und polnischen Erinnerungspolitik und der politischen Bildung. Darüber hinaus sind darin auch die zum Teil eigens für die Ausstellung recherchierten Schicksale der an der Berichterstattung beteiligten deutschen und polnischen Fotograf*innen zusammengefasst. Ein letztes Kapitel widmet sich der Frage, was mit den Fotografien nach dem Ende des Aufstands geschah und wofür sie weiter eingesetzt wurden.

Umschlag des Katalogs zur Ausstellung: Haslinger/Bamberger-Stemmann/Tönsmeyer (Hg.), Auf beiden Seiten der Barrikade. PSW-Fotograf*in: unbekannt, polnischer Presse-Kriegsberichterstatter (PSW), Anfang August 1944. Mit freundlicher Genehmigung der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg

Die Ausstellung wurde seit ihrer ersten Station im Jahr 2014 in Hamburg an mehreren weiteren Orten in Deutschland gezeigt. Eine Präsentation im Museum des Warschauer Aufstands in Warschau ist bisher nicht zustande gekommen.

Als nächste Station in Deutschland ist eine Open-Air-Ausstellung in Berlin im Sommer 2024 geplant.

 

Zur Ausstellung

„Auf beiden Seiten der Barrikade. Fotografie und Kriegsberichterstattung im Warschauer Aufstand 1944“

Projektpartner: Landeszentrale für politische Bildung Hamburg, Universität Hamburg, Museum des Warschauer Aufstands, Leica Fotografie International, Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung, Konsulat der Republik Polen in Hamburg

Schirmherrschaft: Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Botschafter der Republik Polen in Deutschland

Kurator*innen: Aleksandra Duralska, David Rojkowski

 

Katalog der Ausstellung

Auf beiden Seiten der Barrikade: Fotografie und Kriegsberichterstattung im Warschauer Aufstand 1944, Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung, Institut der Leibniz-Gemeinschaft; Landeszentrale für politische Bildung Hamburg, 2018

Herausgebende: Prof. Dr. Peter Haslinger (Herder-Institut Marburg), Dr. Sabine Bamberger-Stemmann (Landeszentrale für politische Bildung Hamburg), Prof. Dr. Tatjana Tönsmeyer (Bergische Universität Wuppertal)

Autor*innen: Miriam Y. Arani, Sabine Bamberger-Stemmann, Wolfgang Benz, Włodzimierz Borodziej, Aleksandra Duralska, Frank Golczewski, Peter Haslinger, Jens Jäger, Habbo Knoch, Adam Krzemiński, Joanna Lang, Stephan Lehnstaedt, Thorsten Logge, David Rojkowski, Thomas Rost, Tatjana Tönsmeier, Daniel Uziel

Sprache: Deutsch, Polnisch, Englisch

Broschiert: 264 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, 46,00 €

ISBN-10: 3879694206, ISBN-13: 978-3879694204

 

 

[1] Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass weitere Bilder von getöteten Menschen veröffentlicht worden sind. Doch unsere Recherche ergab lediglich zwei Aufnahmen: eine Veröffentlichung auf polnischer und eine auf deutscher Seite. Die Perspektive war dabei sehr ähnlich: Das Bild wurde jeweils aus einer größeren Entfernung gemacht. Zu erkennen war lediglich die Gestalt eines auf der Straße liegenden, toten Körpers.

[2] Das verwendete polnische Material besteht aus Fotografien und Negativen aus den Beständen des Museum des Warschauer Aufstands, welches das größte Foto-Archiv zu diesem Thema in Polen pflegt und Partner des Projekts war. Deutsche Fotos, Kontaktabzüge und Rückseiten der Pressebilder stammen vor allem aus dem Bundesarchiv in Koblenz, dem Archiv von ullstein bild, der Bildagentur bpk der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und aus privaten Sammlungen.

[3] Dazu zählen beispielsweise der Wehrmachtsunteroffizier Joe J. Heydecker (Joe J. Heydecker, Die Stille der Steine. Warschau im November 1944, Berlin 1994), das Mitglied des „Sprengkommandos“ Alfred Mensebach (Edward Serwański/Irena Trawińska (Red.), Zbrodnia niemiecka w Warszawie 1944 r. [Das deutsche Verbrechen in Warschau 1944], Poznań 1946. Dokumentarfotos im Anhang) sowie der deutsche Postbeamte Hermann Beyerlein (Rudolf Jaworski/Florian Peters, Alltagsperspektiven im besetzten Warschau / Perspektywy codzienności w okupowanej Warszawie. Fotografien eines deutschen Postbeamten (1939-1944) / Fotografie niemieckiego urzędnika pocztowego (1939-1944). Materialien zu Kunst, Kultur und Geschichte Ostmitteleuropas, Marburg 2013).

[4] Insgesamt nahmen auf polnischer Seite am Warschauer Aufstand ca. 36 Presse-Kriegsberichterstatter*innen und 35 andere Fotograf*innen teil sowie ein Filmteam des BIP mit zwölf Kameramännern.

[5] Filmteams des BIP waren ebenso an wichtigen Orten im Einsatz und drehten Material, das auch für polnische Wochenschauen verwendet wurde, die während des Aufstands mehrmals im Kino gezeigt wurden.

[6] Der tatsächliche Empfänger*innenkreis war viel höher, denn die Zeitungen wurden von Hand zu Hand weitergereicht.

[7] Die Auflage des „Nowy Kurier Warszawski“ lag vor dem Beginn des Aufstands bei 200.000 Exemplaren täglich.

[8] Bundesarchiv Berlin, R55/1206, pag. 22ff.

 

 

Zitation


David Rojkowski, Fotografie und Kriegsberichterstattung im Warschauer Aufstand 1944. Eine Ausstellung, in: Visual History, 01.03.2021, https://visual-history.de/2021/03/01/fotografie-und-kriegsberichterstattung-warschauer-aufstand-1944-ausstellung/
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-2131
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