Rezension: Japan 1900
A Portrait in Color von Sebastian Dobson und Sabine Arqué
Sebastian Dobson, freier Wissenschaftler auf dem Gebiet der frühen Fotografiegeschichte Japans und Ostasiens, hat gemeinsam mit Sabine Arqué, Dokumentarin, Bildredakteurin und Autorin mit den Themenschwerpunkten Tourismus und Fotografie, eine umfangreiche Monografie zu Fotografien Japans um 1900 vorgelegt. Der mit mehr als 700 zu einem großen Teil kolorierten Fotografien reich bebilderte, mit englischen, deutschen und französischen Texten versehene Band „Japan 1900: A Portrait in Color“ lädt ein zu einer „Reise durch Japan um die Jahrhundertwende“.
In der Einleitung des Bildbandes (S. 15-17) zeichnen der Autor und die Autorin ein kurzes Porträt Japans in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Schwerpunkt ist dabei die Regierungszeit des Kaisers Mutsuhito, auch Meiji-Zeit genannt, von 1868 bis 1912, die durch intensive Modernisierung und Öffnung hin zum Westen geprägt war. Mit dem Sturz der japanischen Feudalordnung 1868 setzte eine Abkehr von der Politik der Abschottung ein, der Austausch Japans mit dem Ausland intensivierte sich. 1912 war Japan zu einem anerkannten Mitglied der internationalen Gemeinschaft geworden und zur Großmacht aufgestiegen, mit eigener Armee und Marine sowie eigenen Kolonien.
Zudem wurde Japan nunmehr zu einem beliebten Reiseziel für Tourist*innen und Sujet für Fotograf*innen in und außerhalb des Landes. Wie eng verflochten Tourismus und Fotografie im Japan des ausgehenden 19. Jahrhunderts waren, zeigt das Beispiel der Stadt Yokohama. Der junge Fotograf Shima Shûkichi eröffnete hier sein Studio, in dem ausländische Gäste Ansichten der Region Hakone als Souvenirs erwerben konnten. Kooperationen ausländischer und inländischer Fotografen mit lokalen Hotels sorgten dafür, dass deren Werke schnelle Verbreitung fanden. Auch Kusakabe Kimbei steht für die zunehmende Präsenz japanischer Fotografen im Raum Yokohama Ende des 19. Jahrhunderts. Tourist*innen konnten bei ihm aus einem Katalog mit über 2000 Fotografien eine Auswahl treffen; zudem wurden Diabilder und auf Seidenstoff abgezogene Fotoaufnahmen angeboten sowie japanische Kleidung und Requisiten für Porträtaufnahmen. Andere Fotografen ahmten diese Strategien nach. Die Yokohama Shashin (dt. „Fotos von Yokohama“) entwickelten sich zu einer großen eigenständigen Industrie, die als Souvenir und Exportartikel zugleich Japans Bild im Ausland prägten.
Diese Bemerkungen gleich zu Beginn des Buches dienen nicht nur der historischen Kontextualisierung, sondern sensibilisieren zugleich den Blick der Betrachter*innen dafür, dass es sich bei den im Bildband präsentierten Werken keinesfalls um historische Dokumente eines „unvoreingenommenen“, „natürlichen“ Blicks auf Japan handelt. Die Fotografien sind zu einem großen Teil inszenierte Aufnahmen, die die Kultur Japans für ausländische Besucher*innen zur Geltung bringen und mit Gewinn vermarktet werden sollten. Dementsprechend beinhaltet der Band neben vereinzelten Bildaufnahmen auch Postkartenmotive, die Titelseite eines Touristenführers des japanischen Tourismusbüros sowie ein Werbeplakat der 1896 gegründeten Tôyô Kisen Kaisha (dt. „Orientalische Dampfschifffahrtsgesellschaft“)[1] (S. 16f.), um hier einige exemplarisch zu nennen.
Schlagen die Leser*innen die Doppelseite am Anfang des Bandes auf, bietet sich ihnen ein Photochromdruck aus dem Jahr 1895. Dieser zeigt den Berg Fuji (Fuji-san) vom Fluss Suzu (Suzukawa) aus gesehen. Im Mittelpunkt der Abbildung ist eine hölzerne Brücke zu erkennen, die von mehreren Personen überquert wird. An beiden Seiten des Flusses stehen Kiefern, im Hintergrund ist der Berg Fuji deutlich zu sehen. Bei den Abgebildeten handelt es sich wahrscheinlich mehrheitlich um Japaner*innen in traditioneller Kleidung. Hervor sticht ein Mann mit Schnurrbart in westlicher Kleidung, der zudem eine Melone als Kopfbedeckung trägt.
Es ist anzunehmen, dass die Herausgeber*innen des Bandes der Fotografie diesen besonderen Platz einräumen, da sie den Übergang Japans zur Moderne und die Öffnung zum Westen hin versinnbildlicht. Der Fuji als Nationalsymbol Japans und die Kiefer als Symbol der Beständigkeit auf beiden Seiten des Flusses kontrastieren mit der „Brücke“ hin zum Westen, die für den intensiveren Austausch mit der Außenwelt steht. Vor diesem Hintergrund kann man die dargestellten Personen dahingehend interpretieren, dass westliche Einflüsse zwar nach und nach aufgegriffen werden, die japanische Eigenart jedoch bewahrt werden soll.
Auch Kusakabe Kimbei machte intensiven Gebrauch von Abbildungen des Fuji als Symbol japanischer Identität, die durch weitere Gestaltungsmittel zum Ausdruck des typisch Japanischen gestützt werden. Exemplarisch zeigen dies zwei Fotografien auf den Seiten 316 und 317. Zu sehen ist zum einen ein japanischer Pilger, der den Berg Fuji erklimmt (um 1890), zum anderen ein älteres japanisches Paar beim Essen am Straßenrand (um 1880), allesamt traditionell in Kimono und japanischen Strohsandalen (warazôri, 藁草履) dargestellt. Auf der Kleidung des Pilgers steht „Keiji, der Pilger“ (keiji dôgyô, 圭司同行). Das Essen des Ehepaars wirkt ebenfalls traditionell japanisch; wahrscheinlich handelt es sich um tonjiki ( 屯 食 ), ein japanisches Gericht bestehend aus braunen Reisbällchen und eingesalzenem, getrocknetem Rettich (takuan, 沢庵).
Auf die Einleitung folgen fünf sehr umfangreich gehaltene Kapitel, die sich mit Fotografien verschiedener Regionen Japans befassen: „Kyushu und das Seto-Binnenmeer“ (S. 26-83), „Von Kobe nach Osaka und Kyoto“ (S. 84-205), „Von Yokohama zum Berg Fuji“ (S. 206-341), „Tokyo und Umgebung“ (S. 342-445) sowie „Nach Norden, Nikkô und Hokkaido“ (S. 446-531).
Kurze Texte von etwa einer halben Seite vermitteln den Leser*innen zu Beginn der jeweiligen Kapitel einen Eindruck von der geschichtlichen Bedeutung der jeweiligen Regionen. So konzentrieren sich die Autorin und der Autor etwa auf die historische Bedeutung der Stadt Nagasaki (S. 31), ein Fischerdorf, das sich nach und nach zur Hafenstadt und, in der Zeit der Landesöffnung, zu einem „Fenster“ Japans für ausländische Besucher*innen entwickelte. Daneben finden sich verstreut über das gesamte Werk knapp gehaltene Informationstexte, zum Beispiel „Teestunde in Japan“ auf Seite 180.
Der Schwerpunkt des Buches liegt jedoch eindeutig auf der Bildwirkung. So wartet der Band mit einer Vielzahl an ganzseitigen (auch doppelseitigen) Abbildungen auf. Die Bilderläuterungen sind möglichst knapp, jedoch für das Verständnis des Kontextes ausreichend umfassend gehalten. So finden sich neben Aussagen zu Bildthema und Datierung häufig auch Hinweise zur Quellengattung (z.B. Postkarte) sowie historische Zusatzinformationen (z.B. zur Geschichte des Hafens von Kôbe als Erläuterung mehrerer Aufnahmen auf S. 95).
Der vergleichsweise knapp gehaltene Anhang des Bandes (S. 532-536) beinhaltet neben einem Index eine Auswahlbibliografie, die neben zeitgenössischen Werken auch Forschungsliteratur zur Fotografiegeschichte und Webseiten umfasst. Eine Danksagung rundet den Band ab. Insgesamt handelt es sich also um ein empfehlenswertes Werk für all jene, die sich einen Eindruck von der fotografischen Darstellung (und Inszenierung) Japans um 1900 machen wollen.
Sebastian Dobson/Sabine Arqué, Japan 1900: A Portrait in Color, Köln: Taschen Verlag 2021, Hardcover, 29 x 39,5 cm, 536 Seiten, mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch, € 150,-
[1] https://www.jacar.go.jp/english/glossary_en/term3/0010-0080-0080-0070.html [18.01.2022].
Zitation
Lukas Frank, Rezension: Japan 1900. A Portrait in Color von Sebastian Dobson und Sabine Arqué, in: Visual History, 07.02.2022, https://visual-history.de/2022/02/07/frank-rezension-japan-1900/
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-2347
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