Fotografieren für Krieg und „Volksgemeinschaft“
Rezension: Vera Marstaller, Heldengesten. Front und Heimat in nationalsozialistischen Kriegsfotografien 1939-1945
Beim beiläufigen Blick in die Bahnhofsbuchhandlung wird klar: Der Mythos der sauberen Wehrmacht ist visuell keineswegs gebrochen. Auf dem Cover geschichtsklitternder Militärmagazine strotzen junge Soldaten im Graustufendruck, mal mit ernster, mal mit lachender Miene. Die lässig um den Hals getragene Schutzbrille beweist Coolness, die schussbereite Waffe wird im technischen Detail auf den nächsten Heftseiten erklärt, und die austauschbare Kulisse, Steppe, Wüste oder Schneelandschaft, verspricht Abenteuer im Stil von Karl May. Der „Elite-Verband“[1] oder das „Duell der Besten“,[2] das sind die Bildwelten der Propagandakompanien, die im Zweiten Weltkrieg etwa drei Millionen Fotografien machten. In den Redaktionen dieser Magazine sitzen promovierte Historiker:innen, die Fotokritik wahrscheinlich üben könnten.
Vielleicht ist das ein aufgebauschter Befund; immerhin zeigen etwa Museen, Schulbücher oder auch Fernsehdokumentationen 2024 andere Fotografien des nationalsozialistischen Deutschlands als noch in den 1990er Jahren. Aber die Mediengeschichte der „Volksgemeinschaft“ lässt sich bis in die Gegenwart fortschreiben. Vera Marstaller legt mit „Heldengesten. Heimat und Front in nationalsozialistischen Kriegsfotografien (1939-1945)“ einen Grundstein für die Erforschung dieser Bildwelten. Anhand von drei Illustrierten, „Die Wehrmacht“, „Berliner Illustrirte Zeitung“ und „Die junge Dame“ (nach 1940 „Kamerad Frau“), analysiert Marstaller die Darstellung der deutschen Wehrmacht in der Massenpresse. Entstanden ist die Studie im Sonderforschungsbereich 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“, der zwölf Jahre lang Fragen zur sozialen Verfassung von Held:innengestalten aufwarf und beantwortete.[3]
Etwa 20.000 Fotografien schaute sich Marstaller für diese Studie an und wählte einige nach den Logiken des Zeitungslesens und des Sehens in Konstellationen (Aby Warburg) aus, insbesondere in sogenannten Geschlechterräumen (S. 33). Anschließend wurden diese verschlagwortet nach Inhalt, Motiv, Art, Gestaltung, Medialität, Materialität, Bild-Text-Verhältnis oder crossmedialer Rahmung. So geben sie Aufschluss über einen breiteren Kontext, denn mit mehr Verschlagwortung entstehen größere Konstellationen an Bildern. Das heißt nicht, dass diese Fotografien automatisch Ikonen sind, sondern Stellvertreter und Ausnahmen.
Marstaller widmet sich im ersten Teil der „Visualisierung des Soldatischen“. Im zweiten Teil geht es um die „Partnerschaft“, um das Opfer, das auch fotografisch erbracht wird: weiblich markiert an der „Heimatfront“, männlich markiert durch den „gefallenen“ Soldaten. Im dritten Teil fügt Marstaller beides zusammen in der Visualisierung der „Volksgemeinschaft“. Soldaten wurden im Krieg gefährdet, verwundet und auch getötet. Heroisierungen können dem dadurch ausgelösten Leid entgegenwirken. In der heroischen Fotografie schwingt also immer auch mit, dass diese Gewalt angewendet werden muss, um eine zukünftige, schwerere Gewalt zu verhindern; schwerer bedeutet hier die Zukunftserwartung und imaginierte Bedrohung einer Gefährdung des „deutschen Volkes“. Und auch Frauen gefährdeten ihren Körper, wenn sie, direkt oder indirekt, am Kriegsgeschehen beteiligt waren. Dem Soldaten gleichgestellt war der PK-Fotograf, auch er riskierte sein Leben, und notfalls schoss er. Er ist in jedem Bild mitzudenken. Die „Volksgemeinschaft“ wird fotografisch als Kampf gegen Gut und Böse repräsentiert und so, vormals gesellschaftlich geächtete, Gewalt legitimiert, so Marstaller.
Dabei konnte die „Volksgemeinschaft“und ihre Fotograf:innen bereits auf Ästhetiken vor 1933 zurückgreifen. Das Wissen um die Welten des Krieges stammte aus den medialen Berichterstattungen weit vor dem Nationalsozialismus. Es war der Krieg der Infanteristen im Ersten Weltkrieg, die sogenannte Kampfzeit am Ende der Weimarer Republik oder die deutsche Kriegsbeteiligung der Legion Condor. Durch diese historische Anbindung an eine Zeit vor 1933 und die Einbeziehung des Konzepts „Volksgemeinschaft“ macht Marstaller deutlich, wie vielseitig Fotografien für Radikalisierungsprozesse genutzt wurden; auch dann, als die Niederlage immer wahrscheinlicher wurde. Propaganda ist keine Einbahnstraße. Ihre staatliche Lenkung ist auf den Blick der Betrachtenden angewiesen. Die Fotografie bietet mehrdeutige Heldenbilder an – gerade das macht sie in der Rezeption so machtvoll. Die heroische Überhöhung, also die Attraktivität für Angehörige der „Volksgemeinschaft“, ergibt sich dabei aus der Fotografie selbst. Das übrigens ist kein Spezifikum des Nationalsozialismus, sondern eines der (Kriegs-)Fotografie, die auch an anderen Orten und zu anderen Zeiten Heroismen mithilfe ihrer Medialität verstärkte.
Vera Marstaller versteht Fotografien in erster Linie als Fotografien. So salopp das auch klingen mag – das macht Sinn. Denn die Fotografie ist zu merkwürdig, zu spezifisch, um einen anderen Vergleich heranzuziehen. In zweiter Linie sind Fotografien für Marstaller mit Gesten vergleichbar: Im Anschluss an Benjamins These zur Geste als einschneidende Handlung seien auch Fotografien in der Lage, einen bestimmten Moment stillzustellen. Erst dadurch entstehe Distanz zum Geschehen, erst dadurch komme es zum „Prozess der Reflexion“ (S. 11), und das Foto wirke auf die Betrachtenden. Diese grundlegenden Überlegungen zur Fotografie im Nationalsozialismus sind es, die Vera Marstallers Text auszeichnen, ebenso wie die Übersetzung von Theorie in ein methodisches Vorgehen beim Erforschen des unübersichtlichen Genre der Kriegsfotografie.
Marstaller verbindet die Praxeologie des Fotos mit der des Krieges: „In Illustrierten verdichten sich durch den wiederholten Abdruck verschiedenster Fotografien diese Handlungen zu sozialen Praktiken, die selbst – vermittels der Darstellung stillgestellter Körper im Foto – auf eine Vielzahl sozialer Praktiken verweisen.“ (S. 13). Das Ergebnis sei ein Mythos im Sinne Roland Barthes’, dessen Entstehung im und durch das Foto verwandt mit Konzepten wie dem „Bildakt“ (Horst Bredekamp) sei. Dahinter stehen Benjamins Überlegungen zum Theater, Austins Sprechakttheorie und eben Barthes’ moderne Mythen.[4]
Ich verstehe Marstallers Synthese so, dass die „fotografische Geste“ Teil der performativen Wirkmächtigkeit der Fotografie ist. „Helden“ entstehen demnach, wenn Fotografien in Kriegszeiten produziert und gezeigt werden und heroische Gesten die Grenze hin zur Gewalt durchbrechen. Gleichzeitig ist diese Gewalt die Grundlage für die Fotografien, und ein wechselseitiger Prozess der Radikalisierung beginnt. „Der Krieg schaffte Verhältnisse, die seinen Auftakt reproduzierten […].“ (S. 320) Es ist spannend, Marstallers Ergebnissen, insbesondere aus Teil 3, Studien zur Fotografie im nationalsozialistischen Alltag gegenüberzulegen.[5] So entsteht ein Überblick über die Radikalisierung durch die Kamera.
Vielleicht wäre es interessant gewesen, über den Eigensinn auf der anderen Seite der Kamera nachzudenken.[6] Wenn die Kamera unterbricht und Betrachtende zum „Schau mal!“ aufgefordert werden – was ist dann die Reaktion im Moment der Aufnahme? Was ist die Antwort der Fotografierten auf die Macht der Kamera? Geschieht hier ein nahtloses Einschreiben der Fotografierten in das propagierte Bild vom Helden und der „Volksgemeinschaft“? Mir stellt sich die Frage, wie das von Marstaller aufgestellte Analyseinstrument der „fotografischen Geste“ die Wirklichkeitserzeugung durch die fotografierten Soldaten einfing. Denn erst durch die Anwesenheit der Kamera vollzogen menschliche Körper Handlungen, die nicht einfach durch den Fotografen vorgegeben wurden. Allerdings ist es ungleich schwerer, die Produktion der Fotografien zu erforschen. Hier gibt es kaum historisches Material, etwa Aussagen von Wehrmachtssoldaten zu Fotositzungen oder zum Einsatz der Propagandakompanien an der Front.
Vera Marstallers Dissertation ist theoriegesättigt. Es lohnt sich, Seiten zweimal zu lesen, damit sich Sätze und Gedanken erschließen. Die aktuelle Forschung wird sinnvoll aufgenommen, in Methode übersetzt und am einzelnen Foto treffend angewendet. Teilweise fehlten mir Hinweise auf die neuere Literatur zur Gesellschaftsgeschichte des Nationalsozialismus. Das aber nur am Rande. Mit Marstallers Text lässt sich, für den Nationalsozialismus vielleicht erstmalig, verstehen, was genau mit der „Macht der Bilder“ gemeint ist. Die Geste ist nur eine der performativen Kräfte, die hier am Werk sind.
Die bildgesättigte Gegenwart braucht solche scharfen Analyseinstrumente, denn die Gesten der PK-Fotografien wirken weiter: Die AfD hat auf Tiktok weitaus mehr Follower:innen als die demokratischen Parteien und verbreitet dort ihre revisionistischen Annahmen über Wehrmachtssoldaten auch mithilfe von historischen Fotografien. Marstallers Buch ist ein Grundbaustein, sich in diesen Bildwelten zurecht zu finden und den Kontinuitäten des Nationalsozialismus bewusst zu werden.
Vera Marstaller, Heldengesten. Front und Heimat in nationalsozialistischen Kriegsfotografien 1939-1945, Göttingen, Wallstein 2023. ISBN 9783835354050; 360 S.; 94 Abb., EUR 39,-
Open Access https://doi.org/10.46500/83535405
[1] So z.B. das Magazin „Militär & Geschichte“ (2021), Heft 16, mit dem Titel „Panzergrenadier-Division Großdeutschland. Der Elite-Verband der Wehrmacht“.
[2] Siehe Clausewitz – Das Magazin für Militärgeschichte (2023), Heft 3: „Duell der Besten“.
[3] Siehe die Website des Freiburger Sonderforschungsbereichs 948, https://www.sfb948.uni-freiburg.de/de [25.11.2024].
[4] Siehe zu Benjamin und Barthes, die ähnliche Ideen zu Wahrnehmung und Erinnerung durch die Fotografie entwickelten: Kathrin Yacavone, Benjamin, Barthes and the Singularity of Photography, London 2012.
[5] Beispielsweise Linda Conze/Ulrich Prehn/Michael Wildt, Sitzen, baden, durch die Straßen laufen. Überlegungen zu fotografischen Repräsentationen von „Alltäglichem“ und „Unalltäglichem“ im Nationalsozialismus, in: Annelie Ramsbrock/Annette Vowinckel/Malte Zierenberg (Hg.), Fotografien im 20. Jahrhundert. Verbreitung und Vermittlung, Göttingen 2013, S. 270-298; oder auch Detlef Hoffmann, „Auch in der Nazizeit war zwölfmal Spargelzeit“. Die Vielfalt der Bilder und der Primat der Rassenpolitik, in: Fotogeschichte 17 (1997), H. 63, S. 57-68, online unter https://zeithistorische-forschungen.de/sites/default/files/medien/material/2015-2/Hoffmann_1997.pdf [25.11.2024].
[6] Beispielsweise Craig Owens, Posieren, in: Herta Wolf (Hg.), Diskurse der Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters, Bd. 2, Frankfurt a.M. 2003, S. 92-114.
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