Ambivalente Bilder: Fotografien und Bildpostkarten aus Südamerika im Deutschen Reich
ca. 1880-1930
Das von Hinnerk Onken bearbeitete und von der DFG geförderte Projekt zu den „ambivalenten Bildern“ aus und von Südamerika im Deutschen Reich zwischen 1880 und 1930 geht der Frage nach, welche Vorstellungen sich die Menschen im Deutschen Reich anhand von Fotos und Bildpostkarten von dem fremden Kontinent gemacht haben. Die Bildmedien zeigten einerseits Eisenbahnen und Bahnhöfe, Stadtansichten, Parlamente, Regierungspaläste, Banken und andere (öffentliche) Gebäude, Häfen, Zoos und Fabriken. Ein ganz anderes Bild zeichneten dagegen Ansichten von Indigenen und Ruinen.
Insgesamt scheinen diese Quellen, die mit bestehenden Vor- und Einstellungen sowie mit Projektionen von Fantasien und Sehnsüchten zusammenwirkten, eine bekannte Dichotomie aus Tradition und Moderne zu bestätigen. Die genauere Untersuchung aber ergibt, dass die Motive besser mit dem Begriff der Ambivalenz zu erfassen sind. Es gab hybride (Re-)Präsentationen – manche Abbildungen „oszillierten“ zwischen verschiedenen Bedeutungen. Methodisch ist dies mit Ansätzen zum Kulturkontakt, zu transferts culturels und zu Transkulturation sowie wissen(schaft)sgeschichtlichen Überlegungen, unter anderem zur Popularisierung von Wissen, zu analysieren. Denn es waren in erster Linie Forscher, die den Menschen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik Südamerika mit Fotos „vor Augen führten“.
Die zu untersuchenden Bildmedien sind einem Netzwerk deutscher Südamerikaforscher um Robert Lehmann-Nitsche, Max Uhle, Arthur Posnansky, Charles Kröhle, Georg Hübner, Hans Heinrich Brüning und Friedrich Mayntzhusen sowie den Schweden Erland und Otto Nordenskiöld zuzuordnen. Die Bilder stammen vornehmlich aus Argentinien, Peru, Bolivien, Paraguay, Brasilien und Chile. Der Untersuchungszeitraum von den 1880er-Jahren bis ca. 1930 umfasst die Zeit, in der diese Männer in Südamerika aktiv tätig waren. Aus der Unmenge des von ihnen überlieferten Quellenmaterials wird jenes für die Untersuchung herangezogen, das durch Publikation die Möglichkeit hatte, die (populär)wissenschaftliche Öffentlichkeit in Deutschland zu erreichen.
Dazu werden weitere mit Fotos illustrierte zeitgenössische Publikationen zu einzelnen Ländern, Regionen oder zu Südamerika insgesamt analysiert. Mit der Bildpostkarte wird darüber hinaus ein Medium in die Untersuchung einbezogen, das zwar seit einigen Jahren auch in der Geschichtswissenschaft verstärkte Aufmerksamkeit erfährt, aber bislang zumindest im südamerikanischen Kontext nicht systematisch in umfassendere Untersuchungen einbezogen wurde. Auch über dieses Medium wurde das Wissen um Südamerika und die dort lebenden Menschen popularisiert.
Während zu den Bedingungen der Wissensproduktion in Südamerika und zu einzelnen Beständen visuell vermittelten Wissens bereits einige Arbeiten vorliegen, ist die Ebene der Wahrnehmung der zu untersuchenden Visualisierungen bislang stark vernachlässigt worden. Theoretisch knüpft das Projekt diesbezüglich an erkenntnistheoretische Überlegungen und Studien zur Wahrnehmung sowie an historisch-soziologische Forschungen zur Konstruktion von Alterität und Identität an. Bezüglich der analytischen Ebene des Blicks liegt die Annahme zugrunde, dass verschiedene Betrachter von Bildern diese zwar verschieden „sehen“ (abhängig von ihrem Vorwissen, ihren Einstellungen, ihrer Stimmungslage etc.), dass es gleichwohl aber Codes gibt, die bei Angehörigen einer Gruppe mit gemeinsamer kultureller Prägung ähnliche Reaktionen auslösen. Zwar lässt sich nicht genau ermitteln, wie welches Bild auf welchen Betrachter wirkte – dazu fehlen schlicht die Quellen. Es kann aber festgestellt werden, dass die Bilder Teil von Diskursen waren. Insofern auf den Fotos etwa die Körper von indigenen Südamerikanern und Südamerikanerinnen in den Blick genommen wurden, sind sie daher im zeitgenössischen „Rassen“-Diskurs zu verorten.