Jewish Photography of Crisis
The German Reality in the Eyes of Jewish Photographers, 1928-1938 - Abschlussworkshop des Projekts im April 2022 in Jerusalem
Von April 2019 bis März 2022 erschloss das durch die German-Israeli Foundation geförderte Forschungsprojekt „Jewish Photography of Crisis: The German Reality in the Eyes of Jewish Photographers, 1928-1938“ jüdische Perspektiven auf das Ende der Weimarer Republik, den Beginn der NS-Diktatur und die zunehmende Ausgrenzung und Verfolgung von Jüd:innen. Zum Abschluss der dreijährigen Arbeit luden OFER ASHKENAZI (Jerusalem) und ANNETTE VOWINCKEL (Potsdam) zu einem Workshop an der Hebrew University of Jerusalem am 10. und 11. April ein.
In seinem Grußwort unterstrich Ashkenazi die Bedeutung privater Fotos als herausragende Quelle, um sich den jüdischen Erfahrungen während des Nationalsozialismus anzunähern: Vom Akt des Fotografierens selbst bis hin zur Inszenierung der fotografierten Personen und der Darstellung gesellschaftlicher Zugehörigkeit ermöglicht die Beschäftigung mit Privatfotografie einen neuen Zugang zur deutsch-jüdischen Geschichte nach 1933. In einer sich schnell wandelnden Gesellschaft, so Ashkenazi, wurde Fotografie nach 1933 zum Instrument der Deutung einer neuen Alltagsrealität.
REBEKKA GROSSMANN (Jerusalem) befasste sich in ihrem Vortrag mit dem Leben und Werk der in Aachen geborenen jüdischen Fotografin Martha Maas. Noch 1935 eröffnete sie ein Fotostudio in Berlin und war somit eine der letzten jüdischen Fotograf:innen, die während des Nationalsozialismus ein Studio unterhielten. Das an der Pariser Straße 37 eröffnete Atelier betrieb Maas bis Dezember 1938, als ihr die Weiterführung des Betriebs infolge der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ untersagt wurde. Dem folgte 1942 die Verpflichtung zur Zwangsarbeit in einem Berliner Konfektionsbetrieb für Wehrmachtsuniformen. Da diese Arbeit als „kriegswichtig“eingestuft wurde, entging Maas der Deportation. Sie starb im Jahr 1970 in der Schweiz.
Der bewusste Bruch mit den Trends der Weimarer Fotografie sowie der Versuch, die von ihr porträtierten Menschen in deren Individualität und Authentizität darzustellen, seien zentrale Charakteristika von Maas’ Arbeit gewesen, so Grossmann. Angelehnt an die Studien der Kunsthistorikerin Catherine Soussloff[1] argumentierte sie, dass Martha Maas Teil einer Generation von Fotograf:innen gewesen sei, die zunehmend die Rolle von Porträtfotografie als eine der künstlerischen Ausdrucksformen moderner Identitätsentwürfe verstanden habe. Durch die Stilisierung der von ihr porträtierten Menschen habe Maas als „Integratorin“ fungiert, indem sie ihnen den Zugang in die bürgerliche Gesellschaft ermöglicht habe. Auch angesichts dieser besonderen Leistungen habe sie es vermocht, sich in einer zunehmend feindlichen Umgebung überdurchschnittlich lange zu behaupten.
ROBERT MUELLER-STAHL (Potsdam) beschäftigte sich in seinem Vortrag mit einem der häufigsten Motive privater Fotografie: dem Urlaub. Mueller-Stahl berichtete, dass über die Hälfte der bisher über 100 im Rahmen seines Dissertationsprojekts gesichteten Fotoalben Urlaubsfotos enthalten. Um die von ihm ausgewerteten Alben miteinander zu verbinden und sie in einen Dialog treten zu lassen, betrachtet Mueller-Stahl Urlaub als eine Form von Mobilität und Urlaubsfotos als eine bestimmte Ausdrucksform dieser Mobilität. Er betonte, dass mit Mobilität weniger die Idee von Menschen in Bewegung gemeint sei, sondern eine räumliche Praxis. So versteht er Urlaub in Anlehnung an James Cliffords Ansatz[2] als einen Zustand der Abwesenheit von zu Hause in einer „kulturellen Kontaktzone“.
Mueller-Stahl argumentierte darüber hinaus, dass der freiwillige Ortswechsel eine spezifische Repräsentation des Selbst vor der Kamera ermögliche. Anhand einiger Beispiele aus seinem Fundus verdeutlichte er, dass die Familie das zentrale Element der jüdischen Urlaubsfotografie in der Weimarer Republik war. Dabei habe man sich bewusst darum bemüht, die Familienmitglieder in jenen Fotografien als Mitglieder einer bürgerlichen Gesellschaft darzustellen. Als die beliebten Urlaubsziele graduell zu Orten radikaler Ausgrenzung wurden, habe sich der performative Charakter in der jüdischen Urlaubsfotografie fortgesetzt; zu beobachten sei jedoch spätestens ab 1933 eine Umdeutung traditioneller Vorstellungen der privaten und der öffentlichen Sphären: Urlaubsfotos repräsentierten nun immer stärker Kontinuitätsvorstellungen im Gegensatz zur sich drastisch verändernden sozialen Wirklichkeit.
Die Repräsentation von Kontinuität in visuellen Narrativen stand auch im Zentrum von SHIRA MIRONS (New Haven) Vortrag. Gestützt auf theoretische Abhandlungen unter anderem der Kunsthistorikerin Kaja Silverman[3], zeigte Miron, wie die Idee von Kontinuität in privaten Fotoalben durch gestalterische Elemente generiert wird, was wiederum eine Herausforderung bei der Beschäftigung mit Fotoalben als historische Quellen darstellt. Dies illustrierte Miron anhand der Fotoalben der Familien Plesch und Scherk. Die Geschichten beider Familien waren in den 1930er Jahren vor allem durch Brüche charakterisiert: Der Mediziner János Plesch war gemeinsam mit seiner Frau Melanie und den drei Kindern bereits im Mai 1933 nach Großbritannien emigriert, nachdem er aufgrund seiner „jüdischen Herkunft“ ständigen Schikanen ausgesetzt gewesen war. Ihr Wochenend- und Urlaubsdomizil, die Villa Lemm in Berlin-Spandau, verlor die Familie ebenfalls im Zuge der Flucht.
Auch Ludwig Scherk, der Familienpatriarch und Gründer des Berliner Kosmetikunternehmens Scherk, war bei Kriegsbeginn nach Großbritannien emigriert, wo er im Jahr 1946 starb. Das Unternehmen wurde im Zuge der sogenannten Arisierung an die Schering AG verkauft und konnte erst Ende der 1950er Jahre von seinem Sohn, Fritz Scherk, zurückgekauft werden. In den Fotoalben beider Familien spielten indes die historischen Zäsuren wie auch die persönlichen Verluste eine nur untergeordnete Rolle. Enteignung und Berufsverbote, Flucht- oder Exilerfahrungen wurden kaum sichtbar. Vielmehr suggerieren die Alben beider Familien – bewusst oder unbewusst – vor allem Kontinuität. Durch das Versehen mit Beschriftungen, die grafische Gestaltung sowie die Auswahl und Platzierung der einzelnen Fotografien wurde die Vorstellung einer Longue durée in der Geschichte beider Familien in jenen Alben vermittelt.
SANDRA STARKES (Potsdam) Beitrag scherte thematisch insofern aus, als es darin nicht um spezifisch jüdische Perspektiven oder um die Umbrüche der 1930er Jahre ging. Sie beleuchtete aber auch das Zusammenspiel von Privatheit und Öffentlichkeit, Familie und Staat in privaten Fotoalben. Für ihr Promotionsvorhaben sichtete Starke bislang rund 200 private Fotoalben aus der DDR, um sie einerseits mit der professionellen Pressefotografie zu vergleichen und andererseits die Narrative zu untersuchen, die die Alben und Albenkonvolute transportieren.
Naheliegenderweise finden sich in den Alben regierungsnaher Familien Stilelemente staatlicher Propaganda wieder, insbesondere wenn Feiertage wie der 1. Mai oder der 7. Oktober im Bild festgehalten werden. Andere Autor:innen brachten in der Auswahl und Kommentierung der Bilder aber gerade Distanz zu den offiziellen Inszenierungen zum Ausdruck. Auch bei Urlaubsfotos setzten sich die Fotograf:innen und Autor:innen der Alben in Beziehung zu sozialistischen Großprojekten: So wird bei einigen die moderne Architektur in den Vordergrund gestellt – nicht zwangsläufig eine staatsbejahende Handlung, sondern Ausdruck des Dogmas, nur das Schöne und Erfreuliche abzubilden –, bei anderen aber auch Verfall und Mangel dokumentiert. Durch ihre privaten Fotografien und deren Inszenierung wurden Bürger:innen auch zu Chronisten, sie prägten und prägen das Bild der DDR, ihrer Städte und ihrer Feste.
Die im Workshop gezeigte thematische Vielfalt der Untersuchungen sowie der verschiedenen Zugänge zu Fotoalben verdeutlichen das Potenzial privater visueller Quellen in der Geschichtswissenschaft. Deutlich wurde während des Workshops jedoch ebenfalls, dass die Beschäftigung mit Bildquellen wie Fotoalben große Herausforderungen mit sich bringt: Zwar können private Fotoalben auch ohne umfangreiche Informationen zu den Albenautor:innen wichtige Einblicke in die Erfahrungsgeschichte einzelner Menschen und Gruppen ermöglichen. Dennoch bleiben bei dem Versuch, diese Quellen zum Sprechen zu bringen, die Kontextinformationen zentral. In dieser Hinsicht stellte Ofer Ashkenazi in der Abschlussdiskussion Überlegungen zu digitalen Strategien und Werkzeugen in den Raum, die Forscher:innen bei der Erschließung und Auswertung von einzelnen Fotos wie auch Fotoalben unterstützen können. Als Beispiele hierfür nannte er Crowdsourcing-Projekte, die momentan von verschiedenen Institutionen wie Archiven und Museen erprobt werden. Mittels solcher Ansätze könnten künftig noch größere Fotokonvolute als Quelle handhabbar gemacht werden.
[1] Catherine M. Soussloff, The Subject in Art: Portraiture and the Birth of the Modern, North Carolina 2006.
[2] James Clifford, Routes: Travel and Translation in the Late Twentieth Century, Cambridge 1997.
[3] Silverman, Kaja. The Threshold of the Visible World. London 1996.
Zitation
Janaina Ferreira dos Santos, Jewish Photography of Crisis. The German Reality in the Eyes of Jewish Photographers, 1928-1938. Abschlussworkshop des Projekts im April 2022 in Jerusalem, in: Visual History, 20.05.2022, https://visual-history.de/2022/05/20/ferreira-dos-santos-jewish-photography-of-crisis/
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-2395
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