Münchner Illustrierte Presse (1923 bis 1933): von Otto A. Hirth bis Stefan Lorant

 

Das Blatt mit den großen Namen seiner Bildberichterstatter und dem Ruf seines letzten Chefredakteurs in der Weimarer Republik Stefan Lorant gilt bis heute als Keimzelle des modernen Bildjournalismus. Angaben zur Zeitschrift und zu ihrer Redaktion sind oft unvollständig oder falsch, in der nationalen und internationalen bildjournalistischen Literatur lebt sie jedoch beständig fort.[1]

Der Fotojournalist Tim N. Gidal prägte ein bis heute mächtiges Narrativ: „Die Photoreportage hatte 1929 bei der Münchner den entscheidenden Schritt zu einem klar umrissenen Selbstverständnis getan. Dasselbe gilt für den Photojournalismus als Ganzes.“[2] Zum Beweis listete Gidal ein Feuerwerk von Reportagen der Jahre bis 1932 auf. Obwohl Stefan Lorant Gidal später die Urteilsfähigkeit absprach,[3] nahm er gerne den Titel des Paten im modernen Fotojournalismus an. Gisèle Freund schrieb hierzu später das akademische Testat: „Lorant kam als erster auf die Idee, Reportagen machen zu lassen. […] Als erster geht er davon aus, dass das Publikum nicht allein über das Tun und Treiben der Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens informiert werden will, sondern dass der Mann von der Straße sich für Dinge interessiert, die ihn selbst angehen. Die Idee sollte einige Jahre später den großen Erfolg des Life Magazins begründen.“[4]

Die Fotografiegeschichte hat sich längst von diesen Zuschreibungen gelöst. Der moderne Bildjournalismus begann nicht dort, wo Gidal und Lorant den „Paukenschlag“ hörten. Es entwickelte sich in der Forschung ein realitätsnäheres prozessuales Verständnis zu dessen Professionalisierung, die sich auf viele Beiträge berufen kann. Auch gingen die Untersuchungen zeitlich und räumlich über nationale Fokussierungen hinaus. Geblieben ist der Ruf der „Münchner Illustrierte Presse“, obwohl die Zeitschrift – abgesehen von den subjektiven Werturteilen Gidals und Lorants – wenig untersucht worden ist.[5] Wurde die Illustrierte im Jahr 1929 wirklich aus einem „statischen […] etwas provinziell […] in ihrer Aufmachung noch phantasielosen“[6] Dasein geführt? Und wie würde ein Vergleich mit der auflagenstärkeren „Berliner Illustrirte Zeitung“ ausfallen?

 

Drei Paten: „Jugend“, „Berliner Illustrirte Zeitung“, „Münchner Neueste Nachrichten“

Die in den Jahren 1908 bis 1918 erschienene „Münchner Illustrierte Zeitung – Süddeutsche Woche“ der Süddeutschen Zeitungs-Gesellschaft und die „Neue Münchner Illustrierte Zeitung“ von 1920 bis 1921 aus dem Fritz Gallert Verlag werden in der Pressegeschichte immer wieder als Vorgänger der „Münchner Illustrierte Presse“ angeführt,[7] hatten aber bis auf die Übereinstimmungen im Titel keine Gemeinsamkeiten. Die erste Ausgabe der damals noch „Münchener Illustrierte Presse“ erschien am 5. Dezember 1923 bei der im Sinne der Risikoverteilung neu gegründeten Münchner Illustrierten Presse GmbH, München, Lessingstr. 1, Geschäftshaus der „Jugend“, Georg Hirth Verlag. Der Unternehmensverbund des Druckhauses Knorr & Hirth mit dem Georg Hirth Kunstverlag war mit dem Verkauf der Druckerei im Jahr 1920 aufgelöst worden.

Es war das Team der „Jugend“ mit Wilhelm Dzialas (Text) und Otto A. Hirth (bildlicher Teil), das die „Münchener Illustrierte Presse“ (MIP) ins Leben rief. In Unterscheidung zu seinem Stiefbruder Arthur Hirth, der zeitweise verlegerisch für die „Jugend“ verantwortlich zeichnete, war in diesem Falle der spätere als Kunstmaler bekannte Otto Albert Hirth redaktionell tätig. Hirth versah die MIP von Beginn an mit einem modernistischen Layout. Dies wurde durch die ausgezeichnete Bildreproduktion und ihr Druckbild unterstrichen. Der Umfang erreichte 1924 zwanzig Seiten bei einer Auflage von 50.000.[8] Ob das kleine Redaktionsteam bereits von den Kollegen der „Münchner Neuesten Nachrichten“ in der nahegelegenen Sendlingerstraße Unterstützung erhielt, ist nicht bekannt. Gedruckt wurde die MIP wie auch die „Jugend“ (bis Februar 1926) bei der Knorr & Hirth GmbH. Die Betriebe fanden erst 1925 über den Rückkauf durch Knorr & Hirth wieder unter ein Dach.[9] Ab Nr. 49 des Jahres wurde der Titel mit „Münchner Illustrierte Presse“ angepasst.

Neben der „Jugend“ war die „Berliner Illustrirte Zeitung“ das Maß für die Massenpresse. Dzialas und Hirth übernahmen ihr Konzept mit ganzseitigem Titel, Bilderseiten, Zeichnungen, Literaturbeiträgen, einer Rätselecke sowie der Werbung im Mittelteil und formulierten so bereits über Form und Inhalt ihren Anspruch auf den überregionalen Markt. (Abb. 1)

Die Titelseite der Zeitschrift zeigt einen Zeppelin auf weißem Grund, von unten fotografiert.

Abb. 1: Titelseite: „Der erste Transatlantik der Lüfte!“, Münchener Illustrierte Presse, Jg. 1, Nr. 41, 6. September 1924

Eine Besonderheit der frühen MIP war die mehrseitige Beilage „Illustrierte Technik/Illustrierte Funktechnik“. Ab der Nr. 49 vom 6. Dezember 1925 zeigte das Impressum den Münchner Neueste Nachrichten Verlag Knorr & Hirth AG an. Im Aufsichtsrat des neuen Zeitungs- und Zeitschriftenverlags saßen die Eigner Paul Reusch, Karl Haniel und Ernst Brandi aus der Bergwerk- und Stahlindustrie.[10] Mit den „Münchner Neuesten Nachrichten“ im Rücken erfuhr die MIP eine deutliche Stärkung. Die „Jugend“ verblieb im G. Hirth Verlag. Das Impressum der „Jugend“ weist die Richard Pflaum AG erst ab Nr. 8 vom 20. Februar 1926 in der Nachfolge des G. Hirth Verlags aus.[11]

 

1926 bis 1930: die Ära Otto Pflaum

Nach dem Eigentümerwechsel folgten personelle Änderungen. Der Jurist und Honorarkonsul Dr. Otto Pflaum (Abb. 2) löste im September 1926 den Verlagsdirektor Dr. Friedrich Trefz ab.[12] Bereits im Dezember 1925 wurde der junge Ingenieur Paul Feinhals (Abb. 3) als Hauptschriftleiter der MIP berufen, zusammen mit Walter Foitzick für die Textredaktion und dem Zeichner Hugo Huber für die bildnerische Gestaltung. Der Zeichner der „Jugend“ Karl Arnold lieferte Illustrationen und Karikaturen. Feinhals und Huber setzten aus dem Stegreif modernen Bildjournalismus im Blatt um.

 

Porträtfoto eines Mannes, darunter ein kurzer Zeitungsartikel

Abb. 3: Paul Feinhals (1897-1932), Fotograf: unbekannt, in: Kölnische Illustrierte Zeitung, Jg. 7, Nr. 43, 22. Oktober 1932, S. 1072

Bild eines sitzenden Mannes im Anzug, darunter ein kurzer Zeitungsartikel

Abb. 2: Konsul Dr. Otto Pflaum (1873-1930), Fotograf: unbekannt, in: Münchner Illustrierte Presse, Jg. 7, Nr. 24, 15. Juni 1930, S. 818

 

 

 

Nachdem sie im Jahr 1927 einen fotografischen Aprilscherz von der Hochzeit des nordchinesischen Marschalls Tschangtsolin mit der Tochter des britischen Geschäftsträgers in Peking veröffentlicht hatten, stellten sie zur gelungenen Täuschung in Nr. 17 in Anspielung auf die Bildpraxis ihrer Konkurrenten „Berliner Illustrirte Zeitung“ (BIZ) und „Arbeiter-Illustrierte-Zeitung“ (AIZ) die Frage: „Sind Photos Dokumente?“ (Abb. 4). Die MIP ließ ihrem Aprilscherz in der Nr. 14 vom 6. April 1927 eine ernst gemeinte Bildkritik über den „Keudell-Titel“ der AIZ vom 13. März 1927 folgen. Darin wurde das Titelbild, das gemeinsame Schießübungen des Innenministers Walter von Keudell mit Olympia-Wehrverbänden belegen sollte, als „photographische Fälschung“ entlarvt. Die MIP wollte sich damit von der Montagepraxis des Sensations- und Propagandajournalismus ihrer Konkurrenzblätter abgrenzen.

Zeitschriftenseite mit vier großen Abbildungen von einer Hochzeit oben und von Soldaten unten

Abb. 4a: Reportage „Gibt es Krieg zwischen England und Kanton?“, Montage: Hans Witzig, Fotos: Atlantic, Sport und General, in: Münchner Illustrierte Presse, Jg. 4, Nr. 13, 1. April 1927, S. 331

Zeitschriftenseite mit einer Fotocollage, von einem Mann, der mit der Schere eine Collage von Kriegsvorbereitungen in Japan zusammenstellt.

Abb. 4b: Reportage „Sind Photos Dokumente? Entstehung eines Trickbildes, Schere und Kleistertopf – die Hauptutensilien des Trickphotographen Witzig“, Fotograf unbekannt, in: Münchner Illustrierte Presse, Jg. 4, Nr. 17, 27. April 1927, S. 462

Fotografie in einer Zeitschrift, das angeblich Schießübungen zeigt, in der Bildunterschrift aber als manipulierte Montage beschrieben wird, da zwei Soldaten vorne in der Luft zu schweben scheinen.

Abb. 4c: „Eine photographische Fälschung“ mit AIZ-Titel „Keudell’s Scharfschützen“, in: Münchner Illustrierte Presse, Jg. 4, Nr. 14, 6. April 1927, S. 362

In der Ausgabe vom 7. November 1927 gab István Lóránt (späteres Pseudonym Stefan Lorant) (Abb. 5) vom „Bilder Courier“, der illustrierten Beilage zum „Berliner Börsen-Courier“, mit dem Beitrag „Massen, Zahlen, Rekorde“ unter dem Pseudonym G. Reich sein Debüt bei der „Münchner Illustrierte Presse“. Mit der Nr. 37 von 1928 übertrug Pflaum Lorant die Berliner Schriftleitung. Der bisherige Berliner Schriftleiter Hans Looser wechselte als Bildredakteur zur Tageszeitung „Tempo“ im Verlag Ullstein. Auch im Jahr 1928 gelang es Otto Pflaum, Walter Fritz Gorodiski (später: Fritz Goro), den jüngsten Mitarbeiter aus dem Redaktionsstab von Ullstein als Direktionsassistenten zu verpflichten. Goro verfügte bereits über ausgezeichnete Verbindungen zu Fotografen und Agenturen und fungierte als Kontaktmann und Entdecker des journalistischen Nachwuchses.[13] Im April 1929 holte Pflaum den jungen Gebrauchsgrafiker Richard Lindner (Abb. 6), der in Berlin unter anderem auch für Ullstein in der Buchgestaltung tätig war. Er arbeitete im Bereich Layout und Illustration und avancierte später kurzzeitig zum grafischen Leiter.[14]

 

Foto eines sitzenden Mannes im dunklen Anzug, der leicht nach vorne gebeugt direkt in die Kamera blickt.

Abb. 5 Stefan Lorant (1901-1997), Fotograf: Rolf Mahrenholz, Januar 1933, abgedruckt in: Michael Hallett, Stefan Lorant: Godfather of Photojournalism, Lanham, MD 2006, S. 46

Foto eines Mannes in Hemd und mit Schlips, der an einem Holztisch sitzt und etwas auf Papier aufschreibt.

Abb. 6: Richard Lindner (1901-1978), Fotograf: unbekannt, ca. 1933, abgedruckt in: Richard Lindner, Gemälde und Aquarelle 1948-1977, München 1997, S. 15

 

 

Ein bedeutender Teil der Pressefotografen und Agenturen der Vorkriegs- und Kriegsgeneration wurde in diesen Jahren schrittweise verdrängt bzw. erneuerte sich. Eine Dokumentations- und Archivfotografie sowie in die Jahre gekommene Portraitateliers wurden weniger nachgefragt. Manche fotografischen Betriebe fielen der Weltwirtschaftskrise anheim. Konkurse, Umfirmierungen, Zusammenschlüsse und Neugründungen veränderten den Angebotsmarkt. Die Bildredaktionen arbeiteten immer weniger mit montierten Bilderbögen aus Agenturmaterial, sondern beauftragten bzw. kauften Bildsequenzen und fertige Reportagen.

Bereits ab 1927 bot Henry Guttmann (Pseudonym Hill Gilland, Paris) der „Münchner Illustrierte Presse“ wie auch ihren Konkurrenzblättern Reportagen von Andor Kertész (Pseudonym André Kertész), Paul Edmund Hahn sowie von Emery und Margit Kelen an. Auch Simon Guttmann setzte mit seinen Fotografen Hans Felix Sigismund Baumann (Pseudonym Felix H. Man), Otto Maximilian Umbehr (Pseudonym Umbo), Wolfgang Weber nach der Gründung der Pressefotoagentur Dephot ab dem Jahr 1928 auf das Konzept fertiger Bildbeiträge. Ebenso fand der Wiener Bildagent Rudolf Birnbach mit seiner Berliner Agentur Weltrundschau mit Wolfgang Neudatschin (späteres Pseudonym Neudin), Wladislaw Seldowicz (späteres Pseudonym Michel Seldow) und Ignatz Nachum und Georg Gidalewitsch (späteres Pseudonym Tim N. und Georg Gidal) große Akzeptanz bei den Redakteuren der MIP. So beschleunigte sich die Hinwendung zum Journalismuskonzept subjektiver Sehweisen, chronologischer wie essayistischer Reportagestile und deren Streben nach filmischer Bildwirkung. Andere internationale Bildlieferanten wie Keystone, World Wide und Associated Press zogen nach. Im Talentpool des Dr. Pflaum waren mittlerweile alle Fähigkeiten versammelt, den modernen Stil zu redigieren und zu layouten. So rückte die „Münchner Illustrierte Presse“ mit einer beachtlichen Auflage von 700.000 Exemplaren auf Platz 2 der deutschen Illustrierten.

 

1931 bis 1933: vom Zenit zur Gleichschaltung

Im Juni 1930 verstarb Pflaum. Anton Betz ersetzte ihn und erhielt den vorrangigen Auftrag, den trotz des Erfolgs hoch verschuldeten Verlag zu sanieren und den Nationalsozialisten im Interesse der schwerindustriellen Eigner mehr Einfluss zu sichern. Die mit der Verschuldung verschärften antisemitischen Anfeindungen, die auch schon in den 1920er Jahren die Auseinandersetzungen zwischen monarchistischen Nationalen und Demokraten begleitet hatten, erhöhten den Druck.[15] Der Katholik Paul Feinhals verließ die MIP und übernahm die Redaktion der „Kölnischen Illustrierten Zeitung“ bei DuMont Schauberg.[16]

Zunächst rückte im Jahr 1930 ab der Nummer 28 der ebenfalls katholische Hugo Huber auf die Position des Chefredakteurs nach. In der Folgezeit wurde Huber im unregelmäßigen Wechsel mit dem jüdischen Redakteur Stefan Lorant als verantwortlich genannt. Im März 1932 folgte Huber Feinhals bei der „Kölnischen Illustrierten“ nach. Paul Feinhals war bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen.[17] Lorant wurde schließlich allein verantwortlicher Chefredakteur der „Münchner Illustrierte Presse“. Die Illustrierte blieb noch ein Jahr weitgehend frei von rechtsnationalen Ideologien. 1933 zerschlug die Welle von Verhaftungen in den Redaktionen u.a. von Lorant und schließlich auch von Anton Betz die freie Presse von Knorr & Hirth. Den jüdischen Zeitungsleuten Goro, Lindner und nach seiner Freilassung im September 1933 auch Lorant blieb nur Flucht und Emigration. Die Redaktion der MIP wurde nach Anweisung von Heinrich Himmler neu besetzt und der Verlag 1935 in den Franz Eher Nachfolger Verlag überführt. Die letzte Ausgabe der Illustrierten erschien im 27. Jahrgang mit der Nr. 22 am 30. Mai 1945.

 

Das filmische Muster

Die Journalistin Brigitte Werneburg spricht bei der Münchner von der „filmischen Sozialisation“ ihrer Macher und der Leserschaft. Die Pressefotografie sei hier nicht mehr nur das eine aus der Textgeschichte abgeleitete Pressefoto oder die kompilierte Bildgeschichte, sondern eine Bildserie in subjektiver, visueller Erzähltechnik des Autorenkurzfilms, die durch eine „selbstindizierende journalistische Berichterstattung“ in fortgesetzte Kommunikation mit ihrer Leserschaft treten konnte.[18] Sie sieht Stefan Lorant vorrangig als den Mann, der in der Redaktion das Wissen und die Mittel gehabt hätte, „Fotografen für eine solche Reportage zu beauftragen, beziehungsweise das teure Reportage-Angebot der Dephot […] zu akzeptieren“.[19]

Eine filmische Sozialisation sei in erster Linie Lorant zuzusprechen, der mit dem Titel und der Gestaltung seines 1928 erschienenen Fotobuches „Wir vom Film“ hierauf referenzierte.[20] Die Idee, filmische Muster auf Druckmedien zu übertragen, entwickelte sich mit dem Erfolg des Kinos und den ab 1914 in den Vorprogrammen laufenden (Kriegs-)Wochenschauen. László Moholy-Nagy sah im Jahr 1927 die filmische Umsetzung von Fotografie in „Fototext“ und „Typofoto“ und somit „den Höhepunkt aller fotografischen Verfahren im Film“.[21] Siegfried Kracauer bemerkte im selben Jahr, dass die illustrierten Zeitungen mit der Fülle ihrer Bilder dem Verfahren der filmischen Wochenschau entsprächen, die Bilder sich jedoch mit der Zeit von ihrem Kontext befreit hätten.[22] Die Stuttgarter Ausstellung „Film und Foto“ verfestigte 1929 in ihrer Medienverbindung das filmische Muster.

Der Fotobericht von Felix H. Man über die Zugreise von Aristide Briand und Pierre Laval nach Berlin im Kurzfilmstil war streng chronologisch (Abb. 7). Lorants eigener Bildbericht vom Renntag in Epsom verwendete Totale, Halbtotale, Groß- und Detailaufnahmen des Films (Abb. 8).

Doppelseitige Reportage über eine Zugreise: Abteil, Speisewagen, Bahnhof, Zug, Verabschiedung und Ankunft am Brandenburger Tor in Berlin.

Abb. 7: Reportage: „Von Frankreich … nach Deutschland“. Fotobericht von Felix H. Man über die Zugreise von Briand und Laval nach Berlin, in: Münchner Illustrierte Presse, Jg. 8, Nr. 41, 11. Oktober 1931, S. 1286-1287

Doppelseitige Reportage über ein Pferderennen: auf der rechten Seite das Szenario mit Pferden und Publikum von oben; links, runde Bilder einzelner Szenen: Besucher:innen, Wettmacher, leicht bekleidete Frauen etc.

Abb. 8: Reportage: Stefan Lorant, „Alle Gentlemen waren dabei“, in: Münchner Illustrierte Presse, Jg. 8, Nr. 25, 21. Juni 1931, S. 820-821

Aber es kann nicht Lorant allein gewesen sein. Die Ausgaben der Jahre 1925 bis 1931 dokumentieren eine Qualifizierung der gesamten medialen Prozesskette in faszinierenden Beiträgen. Paul Feinhals wiederholte die als Werbefilm anmutende Reportage „Wellenbad Lunapark“ (Abb. 9) von 1929 bei der Kölnischen mit dem „Schwimmbad am Rhein“ (Abb. 10) im Sommer 1930. Der Ullstein-Chefredakteur Kurt Korff sprach schon 1927 von der „vollkommen neuen Einstellung dem Bild gegenüber“. Es wäre kein Zufall, „daß die Entwicklung des Kinos und die Entwicklung der Berliner Illustrirten Zeitung ziemlich parallel laufen“.[23] Die Agenturen und freien Fotografen waren die Multiplikatoren dieses neuen Stils. Die Leser:innenschaft forderte dies bei der illustrierten Presse der Weimarer Republik ein. Unter Berücksichtigung aller Akteure und ihrer engen Verbindungen untereinander, den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise sowie der zunehmenden politischen Repressionen von rechts stellt sich die Frage nach dem Vorsprung der „Münchner Illustrierte Presse“ nicht mehr.

Doppelseitige Reportage über ein Hallenbad mit acht Bildern von Besucher:innen außerhalb des Wassers.

Abb. 9: Reportage: „Wellenbad Lunapark. Bilder aus dem großen Berliner Hallenbad“, Aufnahmen: Felix H. Man, Agentur Dephot, in: Münchner Illustrierte Presse, Jg. 6, Nr. 28, 14. Juli 1929, S. 918-919

Doppelseitige Reportage mit acht Fotos über Besucher:innen eines Schwimmbads am Rhein

Abb 10: Reportage: „Die letzten schönen Sommertage: Schwimmbad am Rhein“, Aufnahmen: Westbild, in: Kölnische Illustrierte Zeitung, Jg. 5, Nr. 37, 13. September 1930, S. 1104-1105

 

 

[1] Siehe u.a. Hans-Dieter Kübler, Bildjournalismus und Pressefotografie, Geschichte, mediale Formate, Analysen. Eine Einführung, Wiesbaden 2022, S. 179f.; Olaf Kunde, Geschichte des modernen Fotojournalismus: Ursprünge und Entwicklung 1850-1990, Hamburg 2014, S. 44, 47, 67; Wolfgang Pensold, Eine Geschichte des Fotojournalismus. Was zählt, sind die Bilder, Wiesbaden 2015, S. 49; Christian Bouqueret, Des années folles aux années noires. La nouvelle vision photographique en France 1920-1940, Paris 1997, S. 156; Thierry Gervais/Gaëlle Morel, The Making of Visual News. A History of Photography in the Press, London/New York 2017, S. 6, 49.

[2] Tim N. Gidal, Deutschland – Beginn des modernen Photojournalismus, Luzern/Frankfurt a.M. 1972, S. 18ff.

[3] Vgl. Michael Hallett, Stefan Lorant: Godfather of Photojournalism, Lanham, MD 2006, S. 46, Fußnote 25 und 26.

[4] Gisèle Freund, Fotografie und Gesellschaft, Reinbeck b. Hamburg 1986, S. 130f.

[5] Vgl. Ute Eskildsen (Hg.), Fotografie in deutschen Zeitschriften 1924-1933. Eine Ausstellung des Instituts für Auslandsbeziehungen, Stuttgart 1982; Bodo von Dewitz/Robert Lebeck, Kiosk – Eine Geschichte der Fotoreportage, Ausstellungskatalog, Göttingen 2001, S.108ff.

[6] Gidal, Deutschland, S. 15.

[7] Vgl. Zeitschriftendatenbank (ZDB): https://zdb-katalog.de/title.xhtml?idn=013026550 [15.06.2023].

[8] Vgl. Hermann Pollig, Fotografie in deutschen Zeitschriften 1883-1923. Eine Ausstellung des Instituts für Auslandsbeziehungen. Zusammengestellt von Bernd Weise, Berlin, Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart 1991, S. 25.

[9] Vgl. Paul Hoser, Knorr & Hirth, in: Bayerische Staatsbibliothek, Historisches Lexikon Bayerns, https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Knorr_&_Hirth [15.06.2023].

[10] Vgl. ebd.

[11] Die Richard Pflaum AG wird vereinzelt als Gründerverlag der „Münchner Illustrierte Presse“ angeführt. Dies trifft lt. Impressum jedoch nicht zu, vgl. Hoser, Knorr & Hirth.

[12] Vgl. Zeitungs-Verlag: Fachblatt für das gesamte Zeitungswesen, 31. Jg., 1930, S. 973.

[13] Vgl. C. Zoe Smith, Fritz Goro on Tape – An Émigré Photojournalist’s Professional Biography. Paper presented at the Annual Meeting of the Association for Education in Journalism and Mass Communication, 68th, Memphis, TN, August 3-6, 1985, S. 5 (7), online unter https://files.eric.ed.gov/fulltext/ED258230.pdf [15.06.2023].

[14] Vgl. Claudia Loyall, Biographie, in: Richard Lindner. Gemälde und Aquarelle 1948-1977, Haus der Kunst, München, 7. Februar bis 27. April 1997, München/New York 1997, S. 147-154, hier S. 147f.

[15] Vgl. Peter Langer, Paul Reusch und die Gleichschaltung der „Münchner Neuesten Nachrichten“ 1933, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 53 (2005), H. 2, S. 203-240, hier S. 208f., online unter https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2005_2_2_langer.pdf?level=1 [15.06.2023].

[16] Vgl. Reiner Hartmann, Die Schöne und ihr Fluch. Die Kölnische Illustrierte Zeitung in der Zeit von 1926–1933, in: Fotogeschichte 164 (2022), S. 56-60, online unter https://www.fotogeschichte.info/bisher-erschienen/hefte-ab-150/164/reiner-hartmann-koelnische-illustrierte-zeitung-fotogeschichte-164-2022/ [15.06.2023].

[17] Vgl. Kölnische Illustrierte Zeitung Nr. 43, 22.10.1932.

[18] Brigitte Werneburg, „Wir vom Film“ – Fotojournalismus und Film, in: Harro Segeberg (Hg.), Die Perfektionierung des Scheins. Das Kino der Weimarer Republik im Kontext der Künste, München 2000, S. 217-240, hier S. 224ff.

[19] Ebd., S. 225.

[20] Vgl. Werneburg, S. 222, Stefan Lorant, Wir vom Film. Das Leben Lieben Leiden der Filmstars, Berlin 1928.

[21] László Moholy-Nagy, Malerei Fotografie Film. Neue Bauhausbücher, Mainz 1967 (zuerst 1927), S. 31, 36ff.

[22] Siegfried Kracauer, Die Photographie, in: Das Ornament der Masse, Essays, Frankfurt a.M. 1963, S. 33.

[23] Kurt Korff, Die Berliner Illustrirte, in: 50 Jahre Ullstein 1877-1927, Berlin 1927, S. 290.

 

 
 

 

Zitation


Reiner Hartmann, Münchner Illustrierte Presse (1923 bis 1933): von Otto A. Hirth bis Stefan Lorant, in: Visual History, 19.06.2023, https://visual-history.de/en/2023/06/19/hartmann-muenchner-illustrierte-presse-1923-bis-1933/
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-2531
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