Ausstellung: Auf Augenhöhe – Afrika und seine Moderne
Jean Molitor

Haus im Wald

Wohnhaus Le Champignon in Gitega, Burundi, Architekt: unbekannt, um 1940. Foto: Jean Molitor, Burundi 2009 ©

In Burundi steht ein überdimensionales Schwammerl. Ein Foto davon ist derzeit im Berliner Willy-Brandt-Haus zu sehen, gemeinsam mit anderen Aufnahmen verschiedener Gebäude der Moderne in afrikanischen Staaten – sie sind Teil der aktuellen Ausstellung „Auf Augenhöhe – Afrika und seine Moderne“ mit Fotografien von Jean Molitor. Die Aufnahmen sind allerdings nicht nur für Liebhaber:innen steingewordener Fungi von Interesse, sondern genauso für Historiker:innen wie für die Zivilgesellschaft. Aber erst zur Ausstellung selbst.

 

Die Ausstellung „Auf Augenhöhe“

Die Ausstellung konzentriert sich auf Fotografien moderner Gebäude, die der Fotograf Jean Molitor auf seinen Reisen in afrikanischen Staaten anfertigte. Moderne bezeichnet hier wohlgemerkt die Strömung in der Architektur, nicht die geschichtswissenschaftliche Epoche. Neben den Gebäuden zeigt die Ausstellung eine Collage von Straßenfotografien sowie wenige Fotos und Videoaufnahmen von Molitors Reisen samt den Menschen, denen er dabei begegnete. Besucher:innen lernen so die Umgebung der dokumentierten Gebäude kennen und die Umstände, unter denen die Aufnahmen entstanden.

Molitor wollte die Gebäude sachlich, nüchtern und möglichst komplett abbilden, gewissermaßen „cleane“ Bilder erstellen, wie er selbst bei der Eröffnung der Ausstellung im Willy-Brandt-Haus berichtet. Die Fachsprache nennt das Messbildfotografie. Die Gebäude auf Molitors Fotos stehen dadurch ruhig und alleine dar, fast einsam auf weiter Flur – ein untypisches Bild, wie Molitor weiter erzählt, denn zu den meisten Tageszeiten würde es auf den Straßen vor den Gebäuden von Menschen wimmeln.

Für Molitor ist es nicht die erste Reise in die Ferne: Seit Abschluss seines Fotografiestudiums bei Arno Fischer an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig 1993 zieht es den Fotografen immer wieder auf unterschiedliche Kontinente, um Aufnahmen für verschiedene Medien anzufertigen oder sich für NGOs zu engagieren.[1]

Weißes, rundes Gebäude

Tankstelle in Asmara, Eritrea, Architekten: Carlo Marchi/Carlo Montalbetti, 1937. Foto: Jean Molitor, Eritrea 2019 ©

Dementsprechend sind die Aufnahmen aus Afrika Teil eines umfassenderen Anliegens Molitors: Er möchte ein Archiv erstellen mit Aufnahmen moderner Architektur aus aller Welt.[2] Molitor wünscht sich den Erhalt der fotografierten Gebäude; er möchte sie vor dem Vergessen bewahren und an ihre Geschichte erinnern. Dementsprechend verweist er darauf, dass der Erhalt mancher dieser Gebäude in Afrika zum Zeitpunkt der Aufnahmen nicht sicher war.

Vor dem Hintergrund dieses Anliegens Molitors könnten Historiker:innen sein Archiv-Projekt auch als Auftrag verstehen.

 

Ein Auftrag für Historiker:innen?

Molitors Archiv-Projekt birgt einen umfassenden Korpus von Aufnahmen moderner Gebäude in verschiedenen Staaten weltweit, der in den kommenden Jahren noch weiter anwachsen wird.[3] Und dieser Korpus schreit geradezu nach geschichtswissenschaftlicher Analyse. Historiker:innen können hier synchron oder diachron vergleichen, können Geschichte wie Rezeption der Gebäude recherchieren und so Magier:innen ähnlich steinerne Pilze zum Sprechen bringen.

Damit nicht genug erinnert Molitors Archiv moderner Architektur Historiker:innen an einen wesentlichen Umstand: Nicht nur sie und einige Künstler:innen interessieren sich für alte Mauern. Es besteht ebenso ein zivilgesellschaftliches Interesse an der Architektur der Moderne. So berichtet Molitor in der Ausstellung von der Arbeit der Organisation „docomomo“, die sich international dafür einsetzt, Gebäude der Moderne zu dokumentieren und zu erhalten.[4] In Afrika engagieren sich ganz verschiedene Menschen mit verschiedenen biografischen Hintergründen für „docomomo“. Ihnen geht es darum, Infrastruktur zu erhalten, aber genauso um nationales Bewusstsein, um Heimat. Und dieses zivilgesellschaftliche Interesse unterstreicht den Auftrag, den Historiker:innen in Molitors Projekt sehen könnten: nämlich, mit dem Bildbestand zu arbeiten und dabei das zivilgesellschaftliche Interesse an den Gebäuden aufzugreifen, damit diese und deren Geschichte eben nicht im Archiv Staub ansetzen.

 

Alte Mauern und ein Dialog

Dieses Interesse von Historiker:innen und Nicht-Historiker:innen an ein- und demselben Gegenstand kann einen wichtigen Dialog herstellen. Zivilgesellschaft wie Wissenschaft können sich fragen: Was bedeuten die Gebäude, die uns umgeben? Was bedeuten sie uns? Wie wollen wir mit ihnen umgehen? Zivilgesellschaftliche wie wissenschaftliche Antworten auf solche Fragen können sich wechselseitig ergänzen und wiederum ganz neue Fragen anregen. Und ein derartiger Dialog kann entstehen, ganz ohne alte Mauern mühsam überwinden zu müssen – auf Augenhöhe.

Großes Gebäude

Unabhängigkeitsbogen (Independence Arc) in Accra, Ghana, Architekt: Victor Adegbite 1961. Foto: Jean Molitor, Ghana 2022 ©

 

Auf Augenhöhe – Afrika und seine Moderne

Jean Molitor

17. Mai bis 7. Juli 2024

Willy-Brandt-Haus

Wilhelmstraße 140, 10963 Berlin

Alles Infos zur Ausstellung auch auf der Website.

 

 

[1] Vgl. dazu die biografischen Angaben auf Molitors Website, https://jean.molitor.photography/vita/ [29.05.2024].

[2] Vgl. Susanne Lenz, Begegnung mit einem Besessenen, in: berliner-zeitung.de, 30.11.2023, https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/jean-molitor-stellt-sein-buch-bauhaus-berlin-vor-begegnung-mit-einem-besessenen-li.2164050 [29.05.2024].

[3] Weiterführend siehe dazu die Fotos „Kunstprojekt Bau1haus“ auf Molitors Website: https://jean.molitor.photography/gallery/kunstprojekt-bau1haus/ [29.05.2024], einen Artikel aus dem „Spiegel“ zum Thema: o.A., Bauten mit Glücksgefühl, in: Spiegel, 16.12.2018, https://www.spiegel.de/fotostrecke/jean-molitor-fotografie-archiv-der-moderne-fotostrecke-165762.html [30.05.2024], sowie die Publikation: Nadine Barth (Hg.), Jean Molitor: bau1haus – die moderne in der welt, Ausstellungskatalog, Berlin 2018.

[4] Vgl. zu diesen Angaben die Website von „docomomo international“: About, in: docomomo.com, https://docomomo.com/organization/ [29.05.2024].

 

 

 

 

Zitation


Tobias Eder, Ausstellung: Auf Augenhöhe – Afrika und seine Moderne. Jean Molitor, in: Visual History, 10.06.2024, https://visual-history.de/2024/06/10/eder-ausstellung-auf-augenhoehe-afrika-und-seine-moderne-jean-molitor/
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-2798
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