Ausstellung „Hip Hop: Conscious, Unconscious“
Fotografiska Berlin, 20. September 2024 bis 26. Januar 2025
Jubiläen verdienen ihre Partys. So beging die Hip-Hop-Szene 2023 ihren 50-jährigen Geburtstag mit Pauken und Trompeten, oder besser zwei Turntables und einem Mic. Bezugnehmend auf das mythische Gründungsdatum des Genres, den 11. August 1973, fanden 2023 verschiedene Veranstaltungen und Konzerte statt.[1] Anlässlich dieses runden Geburtstags zeigt die Fotografiska Berlin seit 20. September die Ausstellung „Hip Hop: Conscious, Unconscious“, eine Retrospektive, die mit 200 Fotografien verschiedener Künstler:innen auf die Geschichte des Hip-Hop von 1973 bis heute zurückblickt und dabei dem Pressetext zufolge auf „ikonische Figuren“ der Szene fokussiert. Aber, was haben die Besucher:innen der Ausstellung von dieser Geburtstagsparty?
„Go DJ“: Die Ausstellung
Zunächst einmal bekommen die Besucher:innen tatsächlich eine Party. Die Ausstellungsräume werden von verschiedenen Songs aus 50 Jahren Hip-Hop begleitet. Das ist erst ungewohnt, passt jedoch sehr gut zum Thema und ergänzt die Foto-Ausstellung um ein wichtiges Element der Hip-Hop-Kultur: Musik.
Die Fotografien in der Ausstellung sind chronologisch und regional geordnet. Von den Anfängen der Hip-Hop-Kultur in New York geht es über verschiedene regionale Zentren einmal quer durch die Geschichte des Hip-Hop in den USA. Anfangs sind noch scheinbar zufällige Schnappschüsse von Breakdancer:innen und frühen Partys der Szene zu sehen. Nach und nach wirken die Aufnahmen dann inszenierter und spiegeln so den wachsenden popkulturellen und kommerziellen Erfolg des Genres. Es wird deutlich, was der Titel der Ausstellung bereits ankündigt: der mehrjährige Prozess, in dem Hip-Hop-Künstler:innen nach und nach bewusst wurde, wie viel kulturellen Einfluss sie bekommen hatten und wie dieser weiter wuchs – „Hip Hop Conscious, Unconscious“.
Im letzten Ausstellungsraum dreht sich dann alles um Hip-Hop in Deutschland. Passend dazu verändert sich die musikalische Begleitung, und es sind nun deutschsprachige Songs zu hören. Allerdings beschränken sich die Ausstellungsmacher:innen hier wirklich auf den Staat Deutschland, anstatt die deutschsprachige Szene zu thematisieren. Das wirkt etwas altbacken und wird der deutschsprachigen Szene nicht gerecht. So ist etwa der erfolgreichste deutschsprachige Rapper der letzten Jahre, Raf Camora,[2] weder in Deutschland geboren noch aufgewachsen, und wenn er in seinen Songs genretypisch seine Heimatstadt repräsentiert, handelt es sich dabei um keine deutsche.
„but we ain’t goin’ out!“: 50 Jahre Selbstbewusstsein und Präsenz
Was „Hip Hop Conscious, Unconscious“ mittels der Fotografien erzählt, ist durchaus relevant – nicht nur für jene, die sich wissenschaftlich mit Visualität befassen. Denn die Fotografien zeigen, dass Kreativität und der menschliche Wunsch sich auszudrücken auch unter widrigen Umständen Wege finden, um zur Geltung zu kommen. Die Pioniere des Hip-Hop bedienten sich an ihrer unmittelbaren Umgebung. Aus den Soul- und Funkplatten ihrer Eltern kreierten sie neue Sounds – und ein neues Genre. Unterlagen, gefunden irgendwo auf der Straße, und eine Straßenecke genügten den ersten Breakdancer:innen, um Kunst zu schaffen.
Die Fotos in der Ausstellung dokumentieren diese Künstler:innen und ihr Umfeld. Sie zeigen Menschen, die ihren Platz einforderten und sich selbstbewusst ihren Raum nahmen. Etwa, indem sie U-Bahn-Züge und Hauswände nutzen, um sich auszudrücken, wie im Falle der Graffiti-Künstler:innen. Oder, indem sie auf Fotografien Selbstbewusstsein und Präsenz zur Schau stellten – wie zum Beispiel auf jener, die Henry Chalfant von Kslay, Dollar Bill und weiteren Künstler:innen aufnahm. Sie alle lebten wohl nicht in den besten Verhältnissen – der Ort der Aufnahme gleicht einer Müllhalde. Dennoch blicken sie so selbstbewusst in die Kamera, als stünden sie auf einem Olympia-Podest. „Wir sind da!“, scheint die Botschaft zu sein. Und das ist letztlich eine der zentralen Botschaften im Hip-Hop, die sich in jeder der Fotografien spiegelt, die die Ausstellung zeigt. Und gerade deshalb ist es eine der Stärken der Ausstellung, Hip-Hop-Geschichte anhand von Fotos zu erzählen, weil die Hip-Hop-Künstler:innen auch über sie Präsenz erzeugten und sich darstellten.
Allerdings wäre der 50. Geburtstag des Genres gleichsam eine Möglichkeit gewesen, einen kritischen Blick auf Geschichte und Gegenwart des Hip-Hop zu werfen und zum Nachdenken anzuregen. Diese Chance verpasst die Ausstellung leider.
„Kill people, burn shit, fuck school“: Wo sind die Abgründe?
Die Ausstellung „Hip Hop: Conscious, Unconscious“ schafft wenig Raum zur kritischen Reflexion über das Genre und seine Geschichte. Es scheint, als stelle die Hip-Hop-Szene die Hip-Hop-Szene aus und feiere sich dabei selbst. Auch die Ausstellungstexte klingen weitgehend wie Lobeshymnen auf das Genre. Eine richtige Party eben. Und ohne Frage existieren ausreichend Gründe, Hip-Hop-Kultur zu feiern, doch hat das Genre genauso seine Abgründe – und die spart die Ausstellung weitgehend aus. Gewalt im und um Hip-Hop verhandelt sie etwa nicht. Im Hinblick auf Homophobie verweist zwar ein Ausstellungstext auf gegenwärtige Rapper, die zu ihrer Homosexualität stehen, die Homophobie innerhalb der Hip-Hop-Kultur wird aber nirgendwo angesprochen. Dabei ist sie wie Sexismus häufig Teil des Genres. Und davor sollte man die Augen nicht verschließen. Es ist zudem in gewisser Weise verkürzt, wenn im Pressetext davon gesprochen wird, Hip-Hop wäre ein „transformatives Genre, das Gemeinschaft neu denkt und Menschen auf der ganzen Welt bis heute empowered“. Denn obwohl dies zweifelsfrei zutrifft, kann Hip-Hop ebenso ausgrenzend wirken. Der Künstler Ben Salomo etwa hat sich über die Jahre aufgrund von Antisemitismus nach und nach von der deutschsprachigen Hip-Hop-Szene distanziert.[3]
Die Ausstellung scheint zu versuchen, diesen kontroversen Themen auszuweichen. In einem abschließenden Ausstellungstext wird im Hinblick auf die Zukunft des Genres ausgeführt, Rap wäre „heute vielfältiger und offener als er je war“ und zudem „weiblicher, queerer, weniger weiß“. Denn: „Die Neuen lassen die Genres und Geschlechterbilder der Alten liegen und ziehen ihr eigenes Koordinatensystem auf.“ Diese Geschlechterbilder früherer Generationen im Hip-Hop und die männliche Dominanz werden in der Ausstellung aber nicht wirklich thematisiert. Somit erzeugt sie das Bild, es hätte in 50 Jahren Hip-Hop weder Maskulinismus noch Homophobie oder Sexismus gegeben. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn die Ausstellung derartige gruppenbezogene Menschenfeindlichkeiten im Hip-Hop diskutiert hätte.
Das gilt ebenso für den Antisemitismus in der deutschsprachigen Szene. Immerhin hängen in der Ausstellung Fotos einiger Künstler:innen, die sich in der Vergangenheit antisemitisch geäußert haben. Der Rapper Sido etwa sprach vor wenigen Jahren in einem Video-Interview unter anderem von einer Art „Verschwörung“ unter Beteiligung der Familie Rothschild und deren vermeintlichem Bankennetzwerk. Haftbefehl bezieht sich in seinem Song „Hang the Bankers“ auf diese Verschwörungstheorie um die Familie Rothschild und textete in „Psst“, er „ticke Kokain an die Juden von der Börse“, oder im Song „Saudi Arabi Money Rich“, er würde seinen „Juwelier treffe[n], aus Israel“. Ganz zu schweigen vom Antisemitismus-Skandal um Farid Bang und Kollegah im Jahr 2018.[4]
In einem Ausstellungstext zum gegenwärtigen deutschsprachigen Straßenrap heißt es bezüglich solcher Abgründe innerhalb des Genres: „Ein Problem mit Gewalt, Sexismus und Rassismus hatte Hip-Hop schon zuvor. Auch in dieser Hinsicht ist er ein Spiegel unserer Gesellschaft.“ Das mag inhaltlich stimmen, ist aber eine sehr oberflächliche Feststellung. Sätze wie diese lassen Besucher:innen etwas ratlos zurück. Denn die Frage, welche Rolle Gewalt, Sexismus, Homophobie, Rassismus oder Antisemitismus im Hip-Hop spielen und warum sie hier so oft auftauchen, wird gar nicht erst gestellt.
Neben derartigen Leerstellen wird in der Ausstellung auch nicht richtig klar, welche visuelle Geschichte des Hip-Hop sie eigentlich erzählen möchte. Denn außer der chronologischen und regionalen Anordnung der Fotografien verfügt sie über kein klares Narrativ.
„standing on the chair like I don’t really care“: Eine Party ohne Kritik
Die Ausstellung „Hip Hop: Conscious, Unconscious“ ist trotzdem einen Besuch wert. Sie ist passend zum Thema gestaltet und zeigt spannende, auch unbekannte Aufnahmen verschiedenster Künstler:innen. Und mit diesen Fotos erinnert sie uns gekonnt an die Macht von Kreativität und Selbstausdruck. Was die Ausstellung aber nicht tut, ja gar nicht erst versucht, ist es, kritisch auf 50 Jahre Hip-Hop zurückzublicken. Allen negativen Trends und Episoden innerhalb des Genres weicht die Ausstellung aus – an manchen Stellen so offensichtlich, dass es beinahe schmerzt. „Hip Hop: Conscious, Unconscious“ ist somit tatsächlich eine typische Party – und Kritik ist nun mal nicht deren Zweck.
Hip Hop: Conscious, Unconscious
präsentiert von Fotografiska und Mass Appeal
20. September 2024 bis 26. Januar 2025 Fotografiska Berlin
Oranienburger Str. 54. 10117 Berlin – Mitte
Alle Infos zur Ausstellung auch auf der Website
[1] Für mehr Infos zur vermeintlichen Geburtsstunde des Hip-Hop siehe etwa diesen Beitrag auf Youtube: Digging The Greats, The Hip Hop Sample That ACCIDENTALLY Changed Everything, in: YouTube.com, https://www.youtube.com/watch?v=xBYiWbfv_Dw&t=154s [21.10.2024], dort ab Minute 01:46. Knapp und humoristisch zur frühen Geschichte des Hip-Hop: Comedy Central, The Early Years of Hip-Hop (feat. Questlove & Method Man), in: YouTube.com, https://www.youtube.com/watch?v=ZnMqFrxxQNg [21.10.2024]. Zu den Veranstaltungen und Konzerten im Rahmen des 50-jährigen Jubiläums: Bianca Gracie, 19 Concerts and Events Celebrating The 50th Anniversary Of Hip-Hop, in: grammy.com, 24.07.2023, https://www.grammy.com/news/50th-anniversary-hip-hop-events-concerts-exhibits-music-list-nyc-atlanta-texas-washington-dc [21.10.2024] oder die Website „The 50th Anniversary of Hip Hop”, https://the50thanniversaryofhip-hop.com [21.10.2024].
[2] Siehe dazu beispielsweise ME-Redaktion, RAF Camora wird zum am häufigsten gestreamten deutschsprachigen Musiker, in: musikexpress.de, 23.06.2023, https://www.musikexpress.de/raf-camora-wird-zum-meistgestreamten-deutschsprachigen-musiker-2322669/ [21.10.2024].
[3] Siehe dazu etwa „Rapper Ben Salomo kündigt Rückzug an: Der Antisemitismus der Rap-Szene. Ben Salomo im Gespräch mit Gesa Ufer“, in: Deutschlandfunk Kultur, 18.04.2018, https://www.deutschlandfunkkultur.de/rapper-ben-salomo-kuendigt-rueckzug-an-der-antisemitismus-100.html [24.10.2024]; „Nach Echo-Eklat: Ben Salomo will mit der deutschen Rap-Szene nichts mehr zu tun haben“, in: Stern, 20.04.2018, https://www.stern.de/kultur/musik/ben-salomo-will-mit-der-deutschen-rap-szene-nichts-mehr-zu-tun-haben-7950328.html [24.10.2024].
[4] Zu Sidos Äußerungen siehe das folgende Video-Interview auf Youtube: Ali Bumaye, Ali therapiert: SIDO!, in: YouTube.com, https://www.youtube.com/watch?v=gHdFSaT4i7Q [24.10.2024], dort ab Minute 19:00. Zu Haftbefehl siehe die im Fließtext verlinkten Songtexte zu „Hang the Bankers“, „Psst“ und „Saudi Arabi Money Rich“.
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