Rezension: Palästina/Israel im Blick

Bildgeographien deutsch-jüdischer Fotografinnen nach 1933

Frau auf einem Hügel

Buchcover. © Wallstein Verlag

Mit ihrer Dissertationsschrift „Palästina/Israel im Blick. Bildgeographien deutsch-jüdischer Fotografinnen nach 1933“ hat Anna Sophia Messner eine umfassende Studie vorgelegt. Indem sie bislang wenig beachtete Fotografinnen[1] in den Fokus rückt und ihre Bedeutung für die Fotografie im Exil[2] sowie für die deutsch-jüdische Fotografie in Palästina/Israel herausarbeitet, leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Fotografie-Geschichte. Der Autorin gelingt es, die individuellen Exilerfahrungen und künstlerischen Verarbeitungsprozesse der Fotografinnen in beeindruckender Vielfalt darzustellen und in einen transnationalen, zeit- und kulturhistorischen Kontext einzubetten.

Die Arbeit zeichnet sich durch eine solide Forschungsbasis und eine beeindruckende Detailgenauigkeit aus – trotz fragmentarischer Quellenlage. Denn Fotografien (und überhaupt Lebenszeugnisse) fehlen für ganze Lebensabschnitte oder sind nicht mehr zuordenbar, unter anderem deshalb, weil zionistische Organisationen in Palästina – auf deren Aufträge emigrierte Fotografinnen und Fotografen angewiesen waren – in den 1930er und 1940er Jahren häufig auf den Ausweis der Autor:innenschaft verzichteten.[3]

Die zehn Fotografinnen, die im Zentrum der Arbeit stehen, waren moderne junge Frauen, die im Rahmen ihrer Ausbildung und teilweise auch schon Berufstätigkeit in der Weimarer Republik mit den Entwicklungen des Neuen Sehens und einer Neuen Fotografie und Bildpublizistik assoziiert waren – wenn auch in unterschiedlicher Weise. Diese avantgardistischen Strömungen hatten sich in den 1920er Jahren in Deutschland und – das kommt in der Studie leider etwas zu kurz – parallel in einem transnationalen Kunst- und Kulturtransfer in Europa, der jungen UdSSR und in den USA entwickelt.[4]

Das erste Kapitel leistet neben Fragestellung, theoretischer Rahmung und methodischer Skizze auch einen zeit- und kulturhistorischen Abriss zur Stellung von Frauen in der Weimarer Republik im Allgemeinen und Fotografinnen im Besonderen, zum Bruch 1933 samt Berufsverbot und Exklusion sowie zur Vorgeschichte der (zionistischen) Fotografie in Palästina. Der Versuch, die Perspektive auf die ausgewählten Fotografinnen zu vereinheitlichen, irritiert allerdings, denn wie sich im Weiteren zeigt, war diese Gruppe alles andere als homogen. Weder gehörten sie – wie hier behauptet – zu „eine[r] Generation deutsch-jüdischer Fotografinnen“, noch hatten alle die Avantgarde-Bewegungen der Weimarer Republik „maßgeblich geprägt“ und auch nicht alle emigrierten nach Palästina (S. 15).

So fokussieren die folgenden drei Buchkapitel auf fotografische Arbeiten unterschiedlicher Protagonistinnen innerhalb verschiedener Zeiträume und spezifischer Lebenssituationen. Unter der Überschrift „Von Deutschland nach Palästina und zurück“ werden im zweiten Kapitel Aufnahmen der Fotografinnen Lou Landauer, Marianne Breslauer und Aenne Mosbacher besprochen, die Palästina in den 1930er Jahren bereist und fotografiert hatten. Die Autorin konstatiert einen Wandel der visuellen Rezeption Palästinas vom biblischen Blick auf das Heilige Land[5] hin zu individuellen, künstlerisch-individuellen und auch ideologisch aufgeladenen visuellen Auffassungen im Sinne des zionistischen Aufbauprojektes. So entstanden die Aufnahmen teilweise im Auftrag zionistischer Organisationen und sind an der Schnittstelle von Tradition und Moderne zu verorten.

Das dritte Kapitel leuchtet „Zwischenräume“ aus, worunter hier sowohl zeiträumliche Dimensionen zwischen dem Herkunftsland und dem Exilland Palästina als auch individuelle Bewegungen und kollektive Vernetzungen verstanden werden. Für Ellen Auerbach war Palästina ein Zwischenexil, das sie 1936 wieder verließ. Ihre fotografischen und filmischen Arbeiten aus dieser Zeit belegen eine intensive Auseinandersetzung mit der Erfahrung von Veränderung in einer Großstadt im Werden (Tel Aviv) oder mit Mobilität, wobei die (Schiffs-)Passage als zentraler Topos des modernen Exils aufscheint. Zugleich schuf sie sich in der Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksformen Räume für Experimente. Marli Shamirs Landschaftsfotografien erkennt die Autorin als persönliche Form der Auseinandersetzung mit der neuen Heimat, in die sie – noch keine 20 Jahre alt – 1938 gelangte, und in der sie sich von religiös und politisch geprägten Bild-Ideologien löste. Schließlich geht es um Ricarda Schwerins künstlerische Arbeit. Sie lebte als Nichtjüdin in Palästina, später in Israel und knüpfte nach ihrer Emigration mit der Herstellung von Holzspielzeug an Bauhaus-Traditionen an. Erst Mitte der 1950er Jahre gelangte sie zur Fotografie zurück. Hier war es der Autorin ein Anliegen, am Beispiel der Freundschaft von Hannah Arendt und Ricarda Schwerin auf die existenzielle Bedeutung von (transatlantischen) Netzwerken im Exil aufmerksam zu machen.

Den spezifischen Beitrag der Fotografinnen Lieselotte Grschebina, der Geschwister Meyer, Lou Landauer und Alice Hausdorff zum nation building in Palästina/Israel verhandelt das letzte Kapitel. Diesen Beitrag leisteten die Fotografinnen unter anderem mit der Darstellung weiblicher Räume im Auftrag der zionistischen Frauenorganisation WIZO oder mit Industrieaufnahmen (Charlotte und Gerda Meyer), die sich in die Ikonografie des Landes eintrugen. Darüber hinaus etablierte Lou Landauer Fotografie als künstlerisch-experimentelles Medium und kämpfte für einen Studiengang Fotografie an der New Bezalel-Akademie in Jerusalem. Alice Hausdorff trug zur Entwicklung und Anerkennung von Tanzfotografie im jungen Staat Israel bei. Auch hier spannt die Autorin noch einmal den großen Bogen von der Ausbildung und frühen fotografischen Arbeiten ihrer Protagonistinnen in der Weimarer Zeit hin zu ihrem Wirken in Palästina/Israel. Zugleich skizziert sie – im Kontrast zur Neuen Frau der Weimarer Zeit – das (Doppel-)Bild der Neuen Jüdin in Erez Israel: Die Neue Jüdin wurde einerseits als aktive Erbauerin (zumeist als Chaluza an der Seite des Neuen Juden) propagiert, während in ihr zugleich traditionelle Vorstellungen ihrer Rolle als Frau und Mutter fortlebten. Selbst in den fortschrittlichen sozialistischen Kibbuzzim sah man ihre Aufgabe im Führen des (kollektiven) Haushaltes.[6]

Gerade in Bezug auf die soziale Kategorie gender (doch nicht nur hier) zeigen sich Anschlussstellen für weitere Forschung – u.a. die Frage nach dem Fotografieren als Profession, das die meisten der Fotografinnen früher oder später aufgaben. Gründe dafür, die in der Arbeit sichtbar werden, erscheinen für das weibliche Exil (bis heute) in besonderer Weise charakteristisch – Verantwortung für Kinder und Familie, Mangel an finanziellen Mitteln, unterstützenden Netzwerken und auch an öffentlicher Anerkennung.

Die fotografischen Einzelanalysen in allen Kapiteln ermöglichen den Nachvollzug visueller Transformationen und die Entwicklung neuer Ausdrucksformen. Diese Transfers leisteten die Fotografinnen – hineingeworfen in ein Leben, für das ihnen zunächst (visuelle) Begriffe fehlten – über viele Jahre. Damit gelingt der Autorin tatsächlich die Rekonstruktion einer „Vielfalt weiblicher Perspektiven“ – auch wenn der Publikation eine bessere Bildredaktion in Bezug auf Platzierung und Qualität des Drucks zu wünschen gewesen wäre.

Allerdings wird der bildwissenschaftliche Ertrag der geleisteten analytischen Anstrengung nicht systematisch festgestellt und am Schluss auch nicht auf die leitenden Fragestellungen bezogen. So bleiben wichtige Fragen wie die nach einer „hybriden Bildsprache“ offen und Begriffe wie „Bildgeographie“ sowie auch der einer ästhetischen, ikonografischen, sozialen und historischen „Matrix“ (S. 349f.), die die Fotografien angeblich konstruierten, bleiben letztlich ungeklärt.

Eine weitere Schwäche der Arbeit ist ein streckenweise redundanter Sprachgebrauch. Fortwährend referiert der Text auf die künstlerischen und emanzipatorischen Avantgarde-Bewegungen der Weimarer Republik wie das Neue Sehen, die Neue Frau und die Neue Sachlichkeit u.s.f., dabei werden diese Bezüge bereits im einleitenden ersten Kapitel erschöpfend dargestellt.

Das soll die eingangs festgestellte Leistung und Bedeutung der Studie insgesamt nicht schmälern. „Palästina/Israel im Blick“ ist ein wichtiges Buch und sei nicht nur denjenigen, die an Foto-Geschichte interessiert sind, empfohlen. Was hier aufgefaltet wird, ist ein Stück Zeit- und Kulturgeschichte, deutsch-jüdische Geschichte, weibliche Exilgeschichte, ein Blick auf kultur- und medienhistorische Entwicklungen und transnationale Netzwerke aus der Zeit nach 1933. Es ist vor allem ein Plädoyer für die Anerkennung der künstlerischen Leistung dieser Fotografinnen und ein Beitrag zur aktuellen Debatte über Migration, Identität und Gender, ein Buch, das zum Nachdenken anregt und neue Perspektiven für die Forschung eröffnet.

 

 

Anna Sophia Messner, Palästina/Israel im Blick. Bildgeographien deutsch-jüdischer Fotografinnen nach 1933, Wallstein 2023, 376 S. (Israel-Studien. Kultur – Geschichte – Politik ; 6). – EUR 47,-

 

 

[1] Namentlich Aenne Mosbacher, Lou Landauer, Alice Hausdorff, Gerda und Charlotte Meyer, Ricarda Schwerin, Marli Shamir, Marianne Breslauer, Ellen Auerbach und Lieselotte Grschebina.

[2] Klaus Honnef-Frank Weyers, Und sie haben Deutschland verlassen…müssen. Fotografen und ihre Bilder 1928–1997, Bonn 1997; Anne Auer (Hrsg.), Übersee. Flucht und Emigration österreichischer Fotografen 1920–1940, Wien 1997.

[3] Micha Bar-Am, Deutsch-jüdische Fotografen und die visuelle Kultur in Palästina. In: Moshe Zimmermann-Yotam Hotam (Hrsg.), Zweimal Heimat. Die Jeckes zwischen Mitteleuropa und Nahost, Frankfurt a.M. 2005, S. 255-259, hier S. 256.

[4] Dazu u.a. Inka Graeve, Klassenauge versus Neues Sehen. Zur Rezeption sowjetischer Photographie in Berlin. In: Irina Antonowa-Jörn Merkert (Hrsg.), Berlin-Moskau 1900–1950, München/New York 1995, S. 221-225; Leah Bendavid-Val, Photographie und Propaganda. Die 1930er Jahre in den USA und der UdSSR, Zürich/New York 1999.

[5] Dazu ergänzend: Kathleen Stewart Howe, Revealing the Holy Land, Berkeley 1997; Farkash Gallery (ed.), From Then to Eternity, Tel Aviv 1998.

[6] Matthias Lindemann, Requiem für einen Traum? Transformation und Zukunft der Kibbutzim in der israelischen Gesellschaft, Berlin/Münster 2007, S. 254.

 

 

 

 

 

Dieser Text wird veröffentlicht unter der Lizenz Creative Commons BY-SA 4.0. Eine Nutzung ist auch für kommerzielle Zwecke in Auszügen oder abgeänderter Form unter Angabe des Autors bzw. der Autorin und der Quelle zulässig. Im Artikel enthaltene Abbildungen und andere Materialien werden von dieser Lizenz nicht erfasst. Detaillierte Angaben zu dieser Lizenz finden Sie unter https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/

Folgende Beiträge könnten Sie auch interessieren:

Artikel kommentieren

Ihre Email wird nicht veröffentlicht.

AlphaOmega Captcha Historica  –  Whom Do You See?