Helden im Nationalmuseum
Zur aktuellen Capa-Ausstellung in Budapest
Auf den ersten Blick ist die Kombination der Werbebanner am imposanten Eingang des Ungarischen Nationalmuseums recht überraschend. Die Plakate machen auf die drei aktuellen Ausstellungen des Museums, die jeweils einen “Helden“ in den Mittelpunkt stellen, aufmerksam: Siebenbürgen-Fürst Gábor Bethlen, Nationaldichter Sándor Petőfi sowie Kriegsfotograf Robert Capa.
Die Verbindung zwischen Capa und Budapest, seinem Lebenswerk und seiner Geburtsstadt scheint hergestellt. Aber Capa als der ungarische Nationalheld, als Teil des nationalen Erbes? Glücklicherweise gibt die Ausstellung keine oberflächliche und simple Antwort auf diese Frage. Im Gegenteil: Die Schau, konzipiert durch Èva Fisli, konzentriert sich vielmehr auf einzelne Kategorien, die die Figur “Robert Capa“ und sein Lebenswerk ausmachen. Ganz andere Schwerpunkte, als etwa die Nationalität, stehen dabei im Fokus.
Eine der zentralsten Erfahrungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die der Heimatlosigkeit. Nicht nur in unmittelbarer Folge der beiden Weltkriege waren oder wurden unzählige Menschen gezwungen, ihr Land zu verlassen. Auf dieser universalen Erfahrung der Flucht und des Fremdseins basiert die Gestaltung des ersten Raums der Ausstellung. Fliehende deutsche Bauern im März 1945 sind da neben spanischen Flüchtlingen in Frankreich und neuen Siedlern im Hafen von Haifa 1949 zu sehen.
Wie die Strukturierung des Capa’schen Materials nahelegt, wohnen dem Exil nicht nur die Heimatlosigkeit, sondern auch Neuanfänge und Heimkehr als Chance inne. Capas Werdegang vom hungrigen Emigranten zum Starfotografen wird in diesem Sinne ebenfalls nachgezeichnet. Erfreulich sind in diesem Raum die Hinweise auf seine sich ständig vergrößernden beruflichen und freundschaftlichen Netzwerke: Ohne diese Kontakte hätte es Capa nicht zu Weltruhm gebracht. Ein Wermutstropfen im Auftakt „Migrant“ ist, dass für die Darstellung der Relevanz dieses Netzwerks, dessen Infrastruktur häufig Caféhäuser bildeten, durch eine überdimensionierte Aufnahme eines menschenleeren Caféhausinterieurs verwendet wird. Wo sind die Caféhausbesucher? Es kommt doch auf sie an und nicht auf Thonet-Stühle und die Kaffeetassen. Kritisch anzumerken ist zudem, dass den wenigen Objekten, die präsentiert werden, keine Beschriftungen zugeordnet sind. Gehörten die Bücher, der Teddy-Bär oder die Kameras einst Capa? Ein Buch mit seiner handschriftlichen Widmung und auch die mit einem halben Ohr aufgeschnappte Bemerkung einer Dame, die eine Besuchergruppe durch die Ausstellung führt („Mit der Kamera, die dort steht, hat er fotografiert!“), sprechen dafür. Für die Augen des Historikers ist dies jedoch zu wenig.
Im zweiten Abschnitt der Ausstellung richten sich alle Scheinwerfer auf den „Photoreporter“. Capas wichtigste Aufträge (erste Reportagen für die Agentur Dephot, der Spanische Bürgerkrieg, Reportagen aus Paris um 1936, der Zweite Weltkrieg, die Reise in die Sowjetunion mit John Steinbeck, Fotos aus Mexico usw.) werden parallel mit ihrer medialen Verwertung in Illustrierten oder Büchern präsentiert. Diese Kontextualisierung, die Beschreibung einzelner Arbeitsschritte rund um die journalistische Fotografie in knappen Übersichtssätzen – „Die Erstellung von Illustrierten ist Mannschaftssport“ („Az újságszerkesztés csapatjáték“) –, fasst das Entscheidende an diesem Beruf gelungen zusammen. Nur gelegentlich bleibt die Ausstellung an der Oberfläche, wenn beispielsweise in Schubladen retuschierte Fotos präsentiert werden, es jedoch keinen Hinweis darauf gibt, wer genau wann und weshalb die Bearbeitung der Bilder veranlasst hat. Retusche ist noch lange keine Zensur! Um die Unterschiede feststellen zu können, braucht man jedoch viel mehr Informationen.
Im dritten Teil der Schau dreht sich unter dem Titel „Gambler“ alles um die Frage des Spiels. Dass nicht nur Capa selbst als leidenschaftlicher (Karten-)Spieler hier im Mittelpunkt steht, verdeutlichen die Fotos. Ob Boxen, eine Schneeballschlacht, mit kaputtem Kriegsgerät rumalbernde Kinder, Schach, Pferderennen oder Tanz, das Spiel hat unzählige Formen. Es führt in eine andere, eine Fantasiewelt mit ihren ganz eigenen Regeln. Kinder spielen, um sich auszuprobieren, um den richtigen Umgang mit Dingen oder anderen Menschen einzuüben. Spielen vertreibt letztlich die bösen Geister, und in den Jahrzehnten, als Capa fotografierte, gab es einige davon.
Der Schluss der Ausstellung thematisiert den letzten großen Aspekt des Capa-Mythos. Er veranschaulicht, welche Möglichkeiten es bei der Interpretation von „Hero“ gibt. Capa bekam Anerkennung und schließlich einen gewissen Status. Er war der erfolgreiche Fotoreporter, ein Held, der lediglich mit einer Kamera bewaffnet verschiedene Kriege überlebte. Zu den prominenten Freunden, wie Ernest Hemingway, gesellten sich mit den Jahren Kollegen (Henri Cartier-Bresson), später Fotohistoriker (Richard Whelan), die die Qualitäten des Abenteurers schätzten und gern auch öffentlich würdigten.
Kuratorin Fisli dreht das Rad aber noch weiter, indem die Ausstellung fragt, wer Capa zum Helden machte, was “Nähe“ mit “Heldentum“ zu tun hat und schließlich wer Capas eigene Helden waren? Und hier sind wieder alle Augen auf die in seinen Fotos abgebildeten Menschen gerichtet. Sie sind – laut Fisli – Capas Helden.
Um den Ausflug zu den zahlreichen Identitäten des “Bob Capa“ abzurunden, steht kurz vor dem Ausgang ein sogenannter Doku-Raum zur Verfügung. Hier können Besucher einen Blick auf die Endprodukte der Zusammenarbeit des Fotografen mit Journalisten und Bildredakteuren werfen, in Capas Buch „Slightly out of Focus“ blättern oder sich über die seit 2009 in der Obhut des Ungarischen Nationalmuseums befindenden Fotokollektion, bestehend aus Capa-Meisterkopien, informieren.
Der Gliederung der Ausstellung durch die Untertitel „Migrant“, „Photoreporter“, „Gambler“ sowie „Hero“ geht mit der Präsentation von Capas Fotografien entlang dieser, zum einen bewusst gewählter zum andern aber auch unfreiwilliger, Rollen einher. Bei drei Kategorien (Migrant, Spieler und Held) springt buchstäblich ins Auge, dass nicht ausschließlich der weltberühmte Fotograf gemeint ist, sondern auch oder vor allem die Abgebildeten seiner Aufnahmen. Diese grundsätzlichen menschlichen Erfahrungen sind es, die diese Ausstellung besonders machen: Jeder Mensch kann plötzlich zum Heimatlosen werden, wir alle spielen (mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg), und manchmal kommt es im Leben auf (große oder kleine) Heldentaten an. Da müssen Fragen der Nationalität bzw. des Nationalismus außen vor bleiben.
Die Ausstellung „Robert Capa / Der Spieler“ kann noch bis zum 26.01.2014 im Ungarischen Nationalmuseum in Budapest besucht werden.
Zitation
Eszter Kiss, Helden im Nationalmuseum. Zur aktuellen Capa-Ausstellung in Budapest, in: Visual History, 19.12.2013, https://www.visual-history.de/2013/12/19/helden-im-nationalmuseum/
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-1373
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