Ruth & Lotte Jacobi. Fotografien

Ausstellungsrezension

Lotte Jacobi: Schauspielerin Lotte Lenya, Berlin, 1928 © The University of Hampshire, 2019. Ausstellungsplakat: Ruth & Lotte Jacobi. Fotografien, Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V., Berlin, ab 26. September 2020

Die Ausstellungsankündigung „Ruth & Lotte Jacobi“, die im Rahmen des EMOP Berlin – European Month of Photography 2020 präsentiert wurde, klingt vielversprechend: „Zum ersten Mal ist das fotografische Werk – bestehend aus Porträts, Stillleben, Reportagen, Lichtbildern und Experimentalaufnahmen – dieser vierten Generation einer jüdischen Fotografenfamilie in einer Ausstellung vereint.“ (Einführungstext) Selten haben Besucher*innen die Möglichkeit, sich Werke von Fotografinnen vergleichend anzusehen. Viel zu häufig werden diese als Einzelgängerinnen und Ausnahmen präsentiert.

Ausstellung: Ruth & Lotte Jacobi. Fotografien, Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V., Berlin, Oktober 2020, Foto: Anne Vitten ©

Die Fotografien von Ruth und Lotte Jacobi stehen sich im Atrium des Willy-Brandt-Hauses gegenüber. Sie sind auf weißen, mobilen Raumteilern angebracht (Abb. 1 und 2) und verlaufen parallel zu den Raumwänden. Den Fotografien steht jeweils eine kurze Einführung zum Leben der Fotografinnen und zur Einordnung ihrer Werke vor.

Die Ausstellung beginnt vom Eingang aus gesehen auf der linken Seite mit Lotte Jacobi. Der Einführungstext ordnet sie als „weltbekannte […] Fotografin […]“ ein, die nach einer zweijährigen Ausbildung an der Staatlichen Höheren Fachschule für Phototechnik in München 1927 das väterliche Atelier im Berliner Neuen Westen übernimmt. Lotte Jacobi porträtiert in den 1920er und 1930er Jahren die künstlerische und politische Avantgarde. Dies spiegelt sich auch in den ausgewählten Fotografien u.a. von Lotte Lenya, deren ausdrucksstarkes Porträt auch als Pressebild dient.

Ausstellung: Ruth & Lotte Jacobi. Fotografien, Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V., Berlin, Oktober 2020, Foto: Anne Vitten ©

Neben Porträtaufnahmen finden sich in der Auswahl auch einige Fotos von Tanzgruppen. Diese stechen aus dem Konvolut hervor – Lotte Jacobi entwirft ein wunderbares Spiel aus Licht und Schatten (Abb. 3). Die Aufnahmen wirken dynamisch, modern und unerwartet. Sie beschrieb es selbst so: „Mein Stil ist der Stil der Menschen, die ich photographiere“[1] – und das lässt sich bei den verschiedenen Arten der Porträts auch nachempfinden. Sie wirken echt und nicht überinszeniert.

Ausstellung: Ruth & Lotte Jacobi. Fotografien, Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V., Berlin, Oktober 2020, Foto: Anne Vitten ©

1935 emigrierte Lotte Jacobi gemeinsam mit ihrem Sohn und ihrer Mutter nach New York. In dieser Zeit entstanden New Yorker Stadtansichten und Porträts berühmter Persönlichkeiten und Exilant*innen, so begegnen den Besucher*innen u.a. Thomas Mann und Albert Einstein gemeinsam auf einer Fotografie.

Die Auswahl endet mit vier Fotogrammen, denen sich die Fotografin ab 1947 widmete und die sie „in einen veränderten Zustand von freudiger Erregung versetzt[en]“.[2] Sie sind eher abstrakt und lassen nicht unmittelbar auf die verwendeten Materialien schließen, mit denen sie arbeitete. Es ist erfreulich, einmal Werke einer weiblichen Vertreterin dieser fotografischen Technik zu sehen, denkt man sonst doch zumeist an die Experimente von László Moholy-Nagy oder Man Ray.

Neben dem Einführungstext stehen den Besucher*innen noch zwei weitere Texttafeln zur Verfügung, auf denen die Arbeitsweise von Lotte Jacobi beschrieben wird und die mit persönlichen Zitaten versehen sind. Entnommen sind diese Bausteine der 1997 erschienenen Publikation „Atelier Lotte Jacobi. Berlin – New York“ von Elisabeth Moortgat und Marion Beckers.[3]

Auf der gegenüberliegenden Raumseite spiegelt sich der Ausstellungsaufbau geradezu. Links findet sich eine kurze Biografie von Ruth Jacobi (Einführungstext) – die leider gleich im ersten Absatz direkt mit ihrer Schwester Lotte „der berühmten Fotografin“ verglichen wird.

Ruth wird an der Photographischen Lehranstalt des Berliner Lette-Vereins ausgebildet und arbeitet nach fünfjähriger Tätigkeit im Familienatelier bereits in New York. Sie kehrt Anfang der 1930er Jahre nach Europa zurück und führt ab 1931 das gemeinsame Atelier Jacobi mit ihrer Schwester Lotte in der Joachimsthaler Straße, später am Kurfürstendamm. Zusammen mit ihrem zweiten Mann emigriert Ruth ebenfalls 1935 in die USA.

Die Schwestern eröffnen noch im gleichen Jahr ein gemeinsames Fotostudio in New York, das Ruth ein Jahr später verlässt, um ein eigenes Atelier zu eröffnen. Sie widmet sich allerdings nicht mehr lange der Fotografie, sondern unterstützt ihren Mann in dessen Arztpraxis.

In Ruth Jacobis Nachlass finden sich Porträtaufnahmen, u.a. ebenfalls eines von Albert Einstein, Stillleben, New Yorker Straßenszenen. In der überschaubaren Auswahl von Fotografien fällt auf, dass Ruth Jacobi, im Gegensatz zu ihrer Schwester Lotte, mit einem gewissen Augenzwinkern fotografierte. Davon zeugt nicht nur die „Spaziergängerin mit Gans“ von 1928, sondern auch ein theatralisch wirkender „Seifenverkäufer“, den sie ebenfalls 1928 in New York fotografiert hat. Auch Ruth experimentierte mit fotografischen Techniken, wie die Fotomontage mit Pelikan von 1932 deutlich macht.

Das angekündigte Begleitmaterial fällt den Besucher*innen erst einmal nicht direkt ins Auge. Eine kleine Vitrine (Abb. 4) mit Familienfotografien, einer Kurzbiografie zu Sigismund Jacobi, der hier nur als Vater von Lotte bezeichnet wird, und einer Anzeige des Photographischen Ateliers von Alexander Jacobi, Ruth und Lottes Großvater väterlicherseits, von 1869 geben einen kurzen Einblick in das Leben der traditionsreichen Fotograf*innen-Familie.

Auf der Stirnseite des Atriums rechts, also auf der Seite, auf der die Fotografien von Ruth Jacobi ausgestellt werden, finden Besucher*innen einen Zeitstrahl von 1812 (Preußisches Judenedikt) bis zur endgültigen Teilung Deutschlands 1949 (Abb. 5). Neben allgemeinen Schlaglichtern der Geschichte fließen auch ein paar Informationen zur Familie Jacobi ein.

Ausstellung: Ruth & Lotte Jacobi. Fotografien, Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V., Berlin, Oktober 2020, Foto: Anne Vitten ©

Ausstellung: Ruth & Lotte Jacobi. Fotografien, Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V., Berlin, Oktober 2020, Foto: Anne Vitten ©

Der Katalog, auf den die Besucher*innen im Atrium hingewiesen werden, entpuppt sich als die Begleitpublikation der 1997 im Verborgenen Museum gezeigten Ausstellung „Atelier Lotte Jacobi. Berlin – New York“. Das lässt sich aufgrund der Qualität der Publikation von Marion Beckers und Elisabeth Moortgat verschmerzen, aber es fehlt ein Pendant, das einen tieferen Einblick in die Arbeit von Ruth Jacobi erlaubt hätte. Angeboten hätte sich hier beispielsweise das 2008 im Auftrag des Jüdischen Museums Berlin erschienene Begleitbuch zur Ausstellung „Ruth Jacobi. Fotografien“,[4] in dem viele ihrer Bilder zum ersten Mal veröffentlicht worden und persönliche Erinnerungen der Fotografin eingeflossen sind.

Um den Anspruch der Ausstellung umzusetzen, „die Arbeiten beider Schwestern“ zu vereinen, ist mehr nötig, als dies nur räumlich zu tun. So findet meines Erachtens eher eine Gegenüberstellung statt, bei der nicht deutlich wird, in welchem Verhältnis die Schwestern zueinander standen. Die Fotografien von Lotte Jacobi, eingefasst in schwarzen Rahmen, werden so präsentiert, dass Besucher*innen sie ohne Hindernisse anschauen können. Die in hellen Holzrahmen eingefassten Fotografien von Ruth Jacobi hingegen sind schwer zu betrachten, weil sich die Lichter des Raums darin deutlich spiegeln (Abb. 6).

Ausstellung: Ruth & Lotte Jacobi. Fotografien, Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V., Berlin, Oktober 2020, Foto: Anne Vitten ©

Mit mehr Kontextinformationen hätte die Ausstellung an Substanz gewonnen. Warum zum Beispiel wurden die Schwestern an unterschiedlichen Lehranstalten ausgebildet, wenn sie doch bereits aus einer „Fotografendynastie“ kamen? War es für sie notwendig, „Zusatzqualifikationen“ vorzuweisen, sich breiter ausbilden zu lassen, um sich auf dem umkämpften Markt in den 1920er und frühen 1930er Jahren behaupten zu können? Was bedeutete es für weibliche Exilantinnen, eine neue Existenz aufzubauen? Von welchen Strukturen profitierten sie?

Offensichtliche Parallelen in der Auswahl der fotografischen Sujets hätten einen direkten Vergleich der Werke möglich gemacht, aber auch Unterschiede offenbaren können. Beide Schwestern porträtierten, beide widmeten sich Straßenszenen und beide experimentierten mit fotografischer Technik. Ob Ruth Jacobi tatsächlich im Schatten ihrer Schwester stand, sei dahingestellt. Beide Frauen ergriffen den Beruf der Fotografin, was sicher mit ihrer Familiengeschichte zu tun hatte, aber auch der damaligen Zeit entsprach. Der Beruf war en vogue und eignete sich besonders für junge Frauen aus gutbürgerlichem Hause. Ob die Schwestern deshalb gleiche Ziele hatten, wie zum Beispiel, berühmt zu werden – offensichtlich eher nicht –, bleibt offen. Auch bleibt das persönliche Verhältnis der beiden Schwestern unklar.

Als zusätzliches Angebot sind die von der Künstlerin Anke Göhring geleiteten Online-Workshops zur Ausstellung eine gute Ergänzung und Vertiefung. Hier werden nicht nur Frauenbilder und -rollen der damaligen Zeit mit heute verglichen, auch schauen die Teilnehmenden auf die Situation von Frauen in Europa und Amerika. Es findet eine intensive Betrachtung der Fotografien beider Schwestern statt, die dann auch mit Fotografien anderer Fotografinnen in Dialog gebracht werden.

Die Ausstellung ist trotz der genannten persönlichen Kritikpunkte unbedingt für einen Besuch zu empfehlen. Durch die Gegenüberstellung der Fotografien lassen sich damalige (Bilder-)Trends erkennen, aber auch individuelle Ausdrucksformen herauslesen, und eine Entdeckung der Fotos der Jacobi-Schwestern ist allemal lohnend.

 

 

Ausstellung: Ruth & Lotte Jacobi. Fotografien

Präsentiert vom Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V., in Kooperation mit StädteRegion Aachen – kuratiert von Dr. Nina Mika-Helfmeier, Jüdisches Museum Berlin, University of New Hampshire, im Rahmen des EMOP Berlin – European Month of Photography.

Ursprüngliche Laufzeit: 26. September 2020 bis 10. Januar 2021
Momentan sind alle Ausstellungen aufgrund der Corona-Pandemie voraussichtlich bis zum 31. Januar 2021 geschlossen.

 

 

[1] Zit. nach: Marilyn Myers Slade, „Lotte Jacobi“, in: New Hampshire Profiles 36. Jg., No. 1, Jan. 1987, S. 38-45, hier S. 38.

[2] Lotte Jacobi, unveröffentlichte handschriftliche Aufzeichnungen unter dem Titel „über Photogenics“, zit. aus: Photogenics – Abenteuer in Licht, in: Marion Beckers/Elisabeth Moortgat, Atelier Lotte Jacobi. Berlin – New York. Begleitpublikation zur gleichnamigen Ausstellung im Verborgenen Museum, Berlin 1997, S. 183ff., hier S. 183.

[3] Die über 200 Seiten starke Begleitpublikation zur Ausstellung „Atelier Lotte Jacobi. Berlin – New York“ (Das Verborgene Museum, 23. Januar bis 23. März 1997) erschien 1997 in Berlin.

[4] Aubrey Pomerance im Auftrag des Jüdischen Museums Berlin (Hg.), Ruth Jacobi. Fotografien, Berlin 2008.

 

 

Zitation


Anne Vitten, Ruth & Lotte Jacobi. Fotografien. Ausstellungsrezension, in: Visual History, 11.01.2021, https://visual-history.de/2021/01/11/ruth-lotte-jacobi-fotografien/
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-2078
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