„Photography was my ticket to freedom“
Zur Ausstellung „Dayanita Singh: Dancing with my Camera“ im Gropius Bau 18. März - 7. August 2022
Im Jahr 2022 wird die in Neu-Delhi geborene Künstlerin Dayanita Singh mit dem renommierten „Hasselblad Award“ ausgezeichnet. Seit den 1980er Jahren experimentiert sie in ihren Arbeiten mit innovativen Ansätzen, interpretiert Fotografie immer wieder neu und setzt sich durch unkonventionelle Ausstellungsmethoden für zugänglichere Darstellungsformen in Museen ein. Die zentralen Arbeiten aus Singhs Œuvre werden bis zum 7. August in der Ausstellung „Dayanita Singh: Dancing with my Camera“ im Gropius Bau gezeigt. Anlässlich der Ausstellungseröffnung schildert Singh am 17. März 2022 in einem Gespräch mit Stephanie Rosenthal, Direktorin des Gropius Baus und Ausstellungskuratorin, ihren Werdegang sowie ihre Interpretation von fotografischer Bildproduktion.
„The last thing I wanted to be was a photographer“, erklärt die 1961 geborene Singh den Zuschauer:innen im Lichthof des Gropius Bau. Eine frühere Begegnung mit dem Tabla-Spieler Zakir Hussain in einem Konzerthaus und der im Rahmen ihrer Ausbildung in visueller Kommunikation erteilte Auftrag, ihren späteren Mentor bei der Arbeit zu fotografieren, hätten den Impuls zur Auseinandersetzung mit fotografischer Bildproduktion gegeben. Aus dieser Zusammenarbeit resultiert Dayanita Singhs erstes Buch „Zakir Hussain: A Photo Essay“, das 1986 veröffentlicht wurde. „I became a photographer so that I could be free of all the social obligations a woman might have had in the early eighties in my country“, betont Singh. Sie fährt fort: „Photography was my ticket to freedom“. Das Medium war für die Künstlerin ein Mittel, nicht nur um gesellschaftliche Konventionen wie Ehe und Geschlechterrollen zu überwinden, sondern auch um jeglicher Art von Kategorisierung zu entkommen. Daher betrachtet sich die Künstlerin selbst nicht strikt als Fotografin: „I’m not comfortable in any boxes“, betont Singh, „I want to be free of all that.“
Singh versteht die Fotografie als ein begrenztes Medium. Insbesondere die traditionellen Darstellungsformen und Verbreitungswege des Mediums in Museen und Galerien würden zu einer gewissen Starrheit von Fotografie beitragen. Dayanita Singh betrachtet Fotografie daher als „Rohmaterial“ ihrer Arbeit. Für sie ist die eigentliche Kunst, ihr Werk in unerwarteten Formaten und Räumen zu präsentieren. Besondere Relevanz besitzen beispielsweise Bücher oder „Buch-Objekte“ in Singhs Arbeit. Durch das Entwerfen von Büchern experimentiert die Künstlerin mit alternativen Darstellungs- und Betrachtungsformen von Fotografie und schafft somit einen fließenden Übergang zwischen verschiedenen Genres. Das Buch ist keine Ergänzung zur Ausstellung, so die Künstlerin, sondern selbst eigenständiges Ausstellungsobjekt. Auch aus diesem Grund wurden viele von Singhs Arbeiten ausschließlich in Buchform konzipiert. Für die Künstlerin liegt der Mehrwert dieser Darstellungsform ihrer Arbeit darin, dass jede:r ihre Ausstellungen besitzen und archivieren kann. „Das Buch hat etwas Demokratisierendes“, betont Singh.
Wandelbarkeit und Bewegung sind weitere zentrale Konzepte in Dayanita Singhs Werk. Durch bewegliche Holzstrukturen, die von Singh als „mobile Museen“ bezeichnet werden, schuf die Künstlerin Installationen, die eine flexible Darstellung der darin gezeigten Bilder ermöglichen. Diese Installationen laden Kurator:innen wie auch Betrachter:innen dazu ein, durch das Umdisponieren von Bildern den Ausstellungsraum frei zu gestalten und neu zu betrachten. Auch hier gilt es, Fotografien zu befreien – sowohl von ihrer Gebundenheit an Wände als auch etwa von chronologischen Darstellungsformen und weiteren Kategorisierungen. Ihre Arbeiten, so Singh, sollen in jeglicher Hinsicht veränderbar bleiben.
Leitmotive ihrer fotografischen Serien sind Personen, Begegnungen, Musik und Bewegung. Ebenso unkonventionell wie die Darstellungsformen ihrer Fotografien sind die darin dargestellten Subjekte: Singhs Faszination für die Welt der Bollywood-Choreograf:innen wird in ihren eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Aufnahmen genauso deutlich wie ihre Verbundenheit zu marginalisierten Communities Indiens. Dies zeigt sich insbesondere in Singhs umfassenden Arbeiten zu Mona Ahmed, einer 1937 in Delhi geborenen trans Frau. Im Rahmen des durch die „London Times“ erteilten Auftrags, die Community der hijiras (Sammelbegriff für trans und inter Personen) zu fotografieren, lernte Singh 1989 Ahmed kennen. Aus der Begegnung entstand eine langjährige Freundschaft. Zwischen 2001 und 2021 widmete sie ihr mehrere ihrer Arbeiten.
Im Verlauf ihrer über vier Jahrzehnte langen Karriere veröffentlichte Dayanita Singh über 15 Bücher und stellte ihre Werke in 60 internationalen Einzelausstellungen zur Schau. Die in ihren Werken erhaltenen Fotografien stellen die verschiedenen Realitäten der indischen Gesellschaft(en) von den 1980er Jahren bis in die Gegenwart dar: Von marginalisierten Communities über kultivierte Milieus bis hin zu Künstler:innenkreisen: Singhs Werke vereinen die verschiedenen Facetten Indiens. Diese Bilder erfahren durch Singhs innovative Ausstellungsformate und Verbreitungswege besondere Bedeutung.
Zum Abschluss des Gesprächs im Gropius Bau betonte Dayanita Singh: „Mein Ziel bleibt es, das traditionelle Verständnis des Mediums Fotografie herauszufordern und die Grenzen dessen zu erweitern.“
Die Ausstellung „Dayanita Singh: Dancing with my Camera“ wird noch bis zum 7. August im Gropius Bau gezeigt. Die Verleihungszeremonie des „Hasselblad Award“ findet am 14. Oktober in Göteburg in Schweden statt. Anschließend werden die zentralen Arbeiten der Künstlerin im Hasselblad Center ausgestellt.
Hier geht es zur Pressemitteilung zur Ausstellung „Dancing with my Camera“ im Gropius Bau.
Weitere Infos zur Ausstellung unter: https://www.berlinerfestspiele.de/de/berliner-festspiele/programm/bfs-gesamtprogramm/programmdetail_366042.html
Zitation
Janaina Ferreira dos Santos, „Photography was my ticket to freedom“. Zur Ausstellung „Dayanita Singh: Dancing with my Camera“ im Gropius Bau 18. März – 7. August 2022, in: Visual History, 28.07.2022, https://visual-history.de/2022/07/28/ferreira-dos-santos-photography-was-my-ticket-to-freedom/
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-2412
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