Neue Rezensionen: H-SOZ-KULT
Neue Rezensionen auf H-Soz-Kult zu Publikationen aus dem Bereich der Historischen Bildforschung und Visual History
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2019
rezensiert von Andreas Weinhold, redaktionell betreut durch Ulrich Prehn
Wenn es um den Holocaust geht, greifen die meisten Schulbuchredaktionen auf sie zurück: Fotos aus dem von der SS angefertigten Album, das unter dem ebenso plakativen wie verkürzenden Namen „Auschwitz-Album“ weltweite Berühmtheit erlangt hat. Es zeigt die Ankunft ungarischer Jüdinnen und Juden im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau zwischen Mai und August 1944, ihre Selektion, die Beschlagnahmung ihres Eigentums und die Vorbereitung des Massenmordes in den Gaskammern beziehungsweise durch Zwangsarbeit. Ursprünglich umfasste das Album 197 Fotos, beidseitig auf 28 helle Fotokartons geklebt. „Umsiedlung der Juden aus Ungarn“ heißt es zur Tarnung des Genozids auf dem Titelblatt. […]
Kooperationsverbund #LastSeen (Hrsg.): #last seen. Bildatlas. Bilder der NS-Deportationen
Bad Arolsen 2023: Selbstverlag
rezensiert von Andreas Weinhold, redaktionell betreut durch Ulrich Prehn
Das große Verdienst der Herausgeber:innen von #LastSeen ist es, mit ihrem Bildatlas bekannte und unbekannte Fotos der Deportationen in die Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager an einem zentralen Ort zusammenzuführen. Für die Bildgeschichte des NS-Terrors ist das nicht nur deshalb von Bedeutung, weil eine Zusammenschau der Bilder weit mehr über Ablauf und Umstände der Deportationen verrät als das einzelne Foto. Die Bildstrecken aus zahlreichen deutschen Klein- und Großstädten zeigen auch, wie allgegenwärtig die mit der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik verbundenen Maßnahmen waren. In Schulbüchern, Print- und Online-Publikationen sind es heute vor allem Fotos aus polnischen Tatorten, aus Auschwitz oder dem Warschauer Ghetto, die als visuelle Chiffren für den organisierten Massenmord stehen. Aber der Holocaust und der Porajmos – der Völkermord der Nationalsozialisten an den Sinti:zze und Rom:nja – spielten sich nicht nur hinter den Mauern der Ghettos und Vernichtungslager ab. Es handelte sich um dezentrale Massenverbrechen. […]
Wallstein Verlag, Göttingen 2023
rezensiert von Alexander Schmidt, redaktionell betreut durch Ulrich Prehn
Die von Vera Marstaller vorgelegte, im Rahmen des Sonderforschungsbereichs „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ in Freiburg entstandene Dissertation nimmt das extrem umfangreiche Bildkorpus der Propagandakompanien (PK) in den Blick. PK-Mitglieder haben wohl etwa drei Millionen Fotos zwischen 1939 und 1945 produziert, erhalten sind davon gut die Hälfte, allein das Bundesarchiv verwahrt etwa 1,1 Millionen PK-Fotos. Angesichts dessen scheint eine Eingrenzung des Untersuchungsmaterials in jedem Fall sinnvoll und so beschränkt sich Vera Marstaller auf Fotos, die in zeitgenössischen Illustrierten des Zweiten Weltkriegs veröffentlicht wurden. Dies geschieht nicht nur zur Beschränkung des Forschungsgegenstands, sondern ist auch einem theoretisch anspruchsvollen, mehrstufigen Analyseinstrumentarium geschuldet. […]
DOM Publishers, Berlin 2024
rezensiert von Alexander Kraus, redaktionell betreut durch Jan-Holger Kirsch
Nach den Fußgängerzonen als innerstädtischen Verweillandschaften und der Verwandlung des Stadtraumes in „Verkehrserwartungsland“ widmet sich Ulrich Brinkmann im finalen dritten Band seiner groß angelegten Untersuchung urbaner Räume nun der „Siedlung als Element des Städtebaus“. Auch in diesem Buch erschließt er sich und seinen Leser:innen die deutsch-deutsche Stadtplanungsgeschichte über Ansichtskarten, die meist zeitgleich mit den auf ihnen abgebildeten Großwohnsiedlungen entstanden sind. Brinkmann betont, die Postkarten-Bilder könnten sehr wohl als „repräsentativ“ für die Wahrnehmung der Siedlungen verstanden werden, „ohne dass sie von der jeweiligen Wohnungsgesellschaft oder dem Bauträger, dem Stadtplanungsamt oder einem Planungsbüro in Auftrag gegeben worden wären“ (S. 8). […]
Wochenschau-Verlag, Frankfurt 2023
rezensiert von Georg Marschnig, redaktionell betreut durch Felix Hinz
Der im Jahr 2023 von Frank Britsche und Lukas Greven herausgegebene Band „Visual History und Geschichtsdidaktik. (Interdisziplinäre) Impulse und Anregungen für Praxis und Wissenschaft“ möchte die Debatte um Visual History und Geschichtsdidaktik wieder anstoßen, die nach einem Aufflammen am Ende der 2000er-Jahre länger nicht mehr im Zentrum der geschichtsdidaktischen Diskussion stand. Christoph Hamanns Forderung nach einer Fokussierung von „Bildkompetenz“ (2007) verfing in der vielschichtigen Kompetenzdebatte kaum. Nicht zuletzt die Konfrontation mit den Bilderwelten auf Social Media sowie die auch in der Unterrichtspragmatik immer stärker verfangende Kompetenzorientierung verlangen eine Wiederaufnahme der geschichtsdidaktischen Auseinandersetzung mit Bildmedien. […]
UCL Press, London 2023
rezensiert von Benedikt Wintgens, redaktionell betreut durch Jan-Holger Kirsch
Parlamente sind zentrale Schauplätze der Politik. Einige ihrer Gebäude zählen zu den berühmtesten Bauwerken der Welt. Sie sind Versammlungsort und Arbeitsplatz, oft auch historisches Monument sowie Anziehungspunkt für Reisende. Zwar gibt es über die bekanntesten Beispiele – den Westminster Palace in London, das Kapitol in Washington D.C. oder den Reichstag in Berlin – eine Vielzahl hervorragender Einzelstudien und Kataloge, die oft im zeitlichen Zusammenhang von Umbaumaßnahmen oder Neubauprojekten entstanden sind; zudem verfolgen anregende Analysen aus der politischen Theorie sowie der Rechtsgeschichte Deutungs- und Traditionslinien von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart. Was bisher aber fehlt, ist eine systematisierende, international vergleichende Perspektive, die den jeweils nationalen Blickwinkel weitet und nach Gemeinsamkeiten, Unterschieden sowie Querverbindungen sucht. […]
Silvy Chakkalakal: Indienliebe. Die frühe Ethnographie und ihre Bilder
Kulturverlag Kadmos, Berlin 2024
rezensiert von Caren Dreyer, redaktionell betreut durch Maria Framke
Silvy Chakkalakals geschmackvoll gestaltetes Buch untersucht die Faszination, die ab Ende des 18. Jahrhunderts im Europa der gebildeten Kreise von Indien ausging. Indien lieferte in der Zeit der Napoleonischen Kriege – und erst recht in den Jahren der beginnenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Sprachen und Kulturen des Subkontinents – eine Folie für Sehnsüchte und Phantasien. Dies wurde, wie Chakkalakal eindrücklich darstellt, von Reiseberichten und Bildbänden gefördert, die damals besonders im deutschsprachigen Raum populär waren. Sie analysiert an erster Stelle diese Bilder und wendet eine Methode an, die nicht den referierten Inhalt, sondern die Interaktion zwischen Dargestelltem und Betrachter bzw. Leser im Fokus hat. Besonders Bildvorlagen wie die anscheinend sehr beliebten Asketenszenen und Frauendarstellungen, die immer wieder abgewandelt wurden, zeigen ihr, wie sich die Rezeption eines Topos nach den Bedürfnissen der Leserschaft über die Jahre wandelte. […]
transcript Verlag, Bielefeld 2023
rezensiert von Anna-Katharina Wöbse, redaktionell betreut durch Claudia Prinz
Googelt man im globalen Bilderkanon den Begriff „Klimawandel“ oder „Klimakrise“, ist es nicht weit bis zu einem der prominentesten Signets der aktuellen ökologischen Katastrophe: Ein (abgemagerter) Eisbär steht isoliert und verloren auf einer kleinen Eisscholle. Der Referenzraum Arktis klappt wie selbstverständlich vor dem inneren Auge auf. Wir sehen nicht einfach ein Raubtier in seinem Habitat. Sondern wir sehen in und hinter ihm eine dysfunktionale Polarwelt, die ihre vermeintliche Ewigkeit verliert. Das Tier ist ruiniert. Da, wo endlose Schneefelder und Meereis, also tendenziell menschenleere Wildnis vorherrschen sollte, haben die Gesellschaften der Moderne mit ihrem CO2-Ausstoß die arktische Eiseskälte aufgetaut und liefern die großen Bären einem düsteren Schicksal aus. So omnipräsent ist dieses Motiv geworden, dass sich die britische Tageszeitung „The Guardian“ 2019 gar selbst verordnete, es nicht mehr unkommentiert als selbsterklärendes Bild des Klimawandels zu verwenden, weil es Diskussionen verkürze und Klischees verstärke. […]