Rezension: Eliane Kurmann, Fotogeschichten und Geschichtsbilder
Aneignung und Umdeutung historischer Fotografien in Tansania
Als ich auf das Buch „Fotogeschichten und Geschichtsbilder. Aneignung und Umdeutung historischer Fotografien in Tansania“ aufmerksam gemacht wurde, war mein erster Gedanke: endlich! Genau auf diese Kombination von geografischem Fokus (Tansania), historischer Quellenart (Fotografien aus kolonialen Kontexten) und postkolonialen Gegebenheiten (Aneignung und Umdeutung) hatte ich gewartet. Und mein Leseerlebnis wurde nicht enttäuscht. Dabei möchte ich insbesondere Kurmanns weitreichende Recherchen, ihre langjährigen Studien, tiefgehenden Analysen, interdisziplinäre Herangehensweise und diverse Literatur hervorheben.
Neben der Einleitung besteht das Buch insgesamt aus „nur“ drei Kapiteln. Das mag im ersten Moment ungewöhnlich wirken, aber die Aufteilung macht durchaus Sinn und bereitet die oder den Lesenden gut darauf vor, was inhaltlich zu erwarten ist. Jedes Kapitel ist dementsprechend lang (in der Regel rund 100 Seiten), was einer detaillierten Auseinandersetzung mit den vorgestellten Szenarien, Personen(gruppen) und Quellen(gruppen) zu Gute kommt.
Im Buch werden zumeist Kopien von Schwarz-Weiß-Fotografien gezeigt, die vom späten 19. bis ins frühe 21. Jahrhundert reichen. Der Fokus liegt dabei auf drei exemplarischen Fotografien aus Tansania, die aus der Kolonialzeit stammen. Die drei Hauptbildquellen sowie weitere das Thema unterstützende Fotografien wurden fast alle von deutschen, britischen oder anderen nicht-afrikanischen Fotografierenden geschossen. Allen gemein ist, dass sie im Laufe der Jahrzehnte einen Umdeutungsprozess durchlaufen haben.
Daraus ergibt sich laut Kurmann auch der Bezug zu dem Begriff Fotogeschichten – dem Titel des Buches: „Fotogeschichten bezeichnet erstens die Geschichten der drei zentralen Fotografien und vieler weiterer, die durch die verschiedenen Gebrauchsweisen miteinander verwoben sind. Fotogeschichten spielt aber auch darauf an, dass sich mit einer Fotografie unterschiedliche Geschichten vermitteln lassen. Und schließlich geben die Fotogeschichten Einblicke in historische und gegenwärtige Fotopraktiken in Tansania, sodass dieses Buch auch als Beitrag zu einer globalen Geschichte der Fotografie zu verstehen ist.“ (S. 11) So gesehen, vermag sich die oder der Lesende näher mit dem „Heldenporträt eines antikolonialen Widerstandskämpfers, [einer] Fotografie von Gefangenen [des Majimaji-Krieges] kurz vor ihrer Hinrichtung […] sowie [mit einem] Familienbild eines tansanischen Fotografen“ (S. 11) bekannt machen und auseinandersetzen.
![Porträtbild eines Mannes mit nacktem Oberkörper](https://visual-history.de/wp-content/uploads/2024/11/Portraet-Songea-Mbano.jpg)
Porträt von Songea Mbano, ein antikolonialer Widerstandskämpfer, in: Eliane Kurmann, Fotogeschichten und Geschichtsbilder. Aneignung und Umdeutung historischer Fotografien in Tansania, S. 53 (online unter https://www.campus.de/e-books/wissenschaft/geschichte/fotogeschichten_und_geschichtsbilder-17633.html [25.11.2024])
![Gruppe von sitzenden und stehenden Männern und Frauen](https://visual-history.de/wp-content/uploads/2024/11/Majimaji-Kriegsgefangene.jpg)
Fotografie der Majimaji-Kriegsgefangenen kurz vor ihrer Hinrichtung, in: Eliane Kurmann, Fotogeschichten und Geschichtsbilder. Aneignung und Umdeutung historischer Fotografien in Tansania, S. 183 (online unter https://www.campus.de/e-books/wissenschaft/geschichte/fotogeschichten_und_geschichtsbilder-17633.html [06.11.2024])
![Familienfoto vor einem Haus](https://visual-history.de/wp-content/uploads/2024/11/Familienbild-tansanischer-Fotograf.jpg)
Familienbild eines tansanischen Fotografen, in: Eliane Kurmann, Fotogeschichten und Geschichtsbilder. Aneignung und Umdeutung historischer Fotografien in Tansania, S. 275 (online unter https://www.campus.de/e-books/wissenschaft/geschichte/fotogeschichten_und_geschichtsbilder-17633.html [06.11.2024])
Eliane Kurmann hat es vermocht, ein Buch über historische Fotografieforschung zu schreiben, das für Laien ebenso ansprechend und informativ ist wie für erfahrene Forscherinnen und Forscher. Ich kann diesen Band daher einer breiten Leserschaft empfehlen. Ferner passt dieses Buch sehr gut zu den heutigen Kulturgutdebatten in Deutschland, Europa und Afrika, die aufgrund der diversen offenen Fragen noch Jahre andauern werden. Debattiert wird vor allem mit Bezug auf Fotografien aus kolonialen Kontexten deren Digitalisierung und/oder eben auch ihre Restitution ebenso wie die Frage der Agency und welche zukünftigen Deutungsrechte es geben wird. Welche Personen haben, sollen oder dürfen Zugang haben zu diesen wertvollen historischen Bildquellen und welches kulturelle Erbe kann oder soll erhalten bleiben? Das sind nur manche der noch unbeantworteten Fragen in diesen Debatten. Und Eliane Kurmann ist es mit ihrem Buch wahrlich gelungen, einen wichtigen Beitrag hierzu zu leisten.
Eliane Kurmann, Fotogeschichten und Geschichtsbilder. Aneignung und Umdeutung historischer Fotografien in Tansania, Campus Verlag, Frankfurt am Main 2023, 393 Seiten, 45,- Open Access
Zitation
Diana Miryong Natermann, Rezension: Eliane Kurmann, Fotogeschichten und Geschichtsbilder. Aneignung und Umdeutung historischer Fotografien in Tansania, in: Visual History, 25.11.2024, https://visual-history.de/2024/11/25/natermann-rezension-kurmann-fotogeschichten-und-geschichtsbilder/
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-2835
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