Ausstellung „Bizzare Normality“

Über das Leben im ukrainischen Lwiw zwischen Normalität und Krieg

Eine Frau steht in einer dunklen Wohnung.

Plakat der Foto-Ausstellung „Bizarre Normality“; Fotograf: Hans Hugo Hoffmann ©, Potsdam 2025

Ein Interview mit dem Fotografen Hans Hugo Hoffmann

Die zwischen April 2023 und April 2025 entstandene Fotoserie des Künstlers Hans Hugo Hoffmann untersucht die Ambiguität des Alltags von Künstler:innen und Kreativen in Lwiw in der Ukraine. Derzeit sind die Fotos im Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) ausgestellt. Die ZZF-Mitarbeiterin und Osteuropa-Historikerin Corinna Kuhr-Korolev sprach mit dem Fotografen über seine Motivation, für dieses Projekt in die Ukraine zu fahren, und darüber, was er außer den Fotos von dort für sich mitgenommen hat.

 

Corinna Kuhr-Korolev: Lieber Hans Hugo, wir kennen uns aus privaten Zusammenhängen, deshalb werde ich beim Du bleiben. Wenn ich es richtig sehe, hast Du beruflich und familiär keinen Bezug zu Osteuropa. Hat es Dich denn sonst schon häufiger in diese Richtung gezogen? Was findest Du dort, was Du an anderen Orten vielleicht nicht findest?

Hans Hugo Hoffmann: Bisher habe ich die osteuropäischen Länder immer auf privaten Reisen kennengelernt – zum Beispiel Polen, das Baltikum, Georgien und auch Russland. Mich interessiert die Geschichte der Länder, aber besonders die Gespräche mit den Menschen: ihre Gewohnheiten, ihre Gefühle, Sorgen und Hoffnungen. Und als Fotograf habe ich natürlich immer ein besonderes Interesse daran, Momente und Situationen festzuhalten, die für andere von Bedeutung sein könnten.

 

Die Ukraine ist gegenwärtig nicht irgendein Land in Europa, sondern das Land, das sich seit dem russischen Angriff 2022 im vollumfänglichen Krieg mit Russland befindet und im Osten des Landes verzweifelt versucht, sein Territorium zu verteidigen. Warum bist Du ausgerechnet dorthin gefahren und was hast du da erlebt?

Ich hatte geplant, zu Ostern 2022 in die Ukraine zu reisen – nach Odessa und Kiew –, um Freunde zu besuchen. Aber die großangelegte russische Invasion der Ukraine im Februar 2022 machte mir einen Strich durch die Rechnung. Ein Jahr später – vielleicht auch ein wenig aus Trotz – habe ich mich dann entschlossen, „wenigstens“ die vermeintlich sichere Stadt Lwiw zu besuchen. Das schien mir machbar und ausreichend sicher.

Dort angekommen, fiel mir sofort diese besondere Ambivalenz auf, die mich sehr beeindruckt und berührt hat: Die Menschen gehen morgens zur Arbeit, Straßenbahnen, Cafés und Restaurants sind gut besucht, Handwerker und Bauarbeiter sanieren Gebäude und Straßen. Der Krieg ist auf den ersten Blick kaum spürbar. Die Passanten in den Altbauvierteln erinnerten mich an Café-Besucher in Berlin-Schöneberg.

Im Verlauf dieser ersten von insgesamt vier Reisen wurde mir in vielen Gesprächen jedoch schnell klar, dass gar nichts normal ist. Spätestens als der erste Luftalarm über den Rynok-Platz schrillte, war die vermeintliche Fassade der Normalität dahin. So entstand mein Vorhaben, diese bizarre Normalität fotografisch festzuhalten. Der Titel der Ausstellung ist bereits bei diesem ersten Besuch in Lwiw entstanden.

 

Darf ich ehrlich sein? Ich bin ein bisschen gespalten, ob es ethisch in Ordnung ist, in ein Kriegsland zu fahren und dort seine eigenen Interessen zu verfolgen. Wir als Historiker:innen sind in einer vergleichbaren Situation, wenn wir in die Ukraine zur Archivarbeit fahren. Ich frage mich: Muss das gerade jetzt sein? Haben die Menschen dort nicht ganz andere Sorgen?

Das Gegenteil ist der Fall. Reisen fördert das gegenseitige Verständnis – auch in Kriegszeiten. Würde man der Ukraine mehr helfen, indem man sie ignoriert? Nein. Mich hat es sehr beeindruckt, wie die Menschen vor Ort weitermachen. Sie gehen ihren Berufen mit Leidenschaft nach, auch wenn das Notstromaggregat gestartet werden muss. Eine gewisse Normalität, so habe ich verstanden, ist essenziell fürs Überleben. Niemand kann tagtäglich trauern.

Ich bin froh, dass ich hingefahren bin, die Situation erlebt habe und nun darüber berichten kann. Denn für uns in Deutschland ist der Krieg oft abstrakt. Täglich neue Zahlen von Verwundeten, Toten, zerstörten Häusern lassen uns abstumpfen. Ich finde es daher wichtig, eine Verbindung zu den Menschen herzustellen – jenseits der Zahlen. Daher habe ich versucht, gewohnte Bildwelten zu verlassen und eine Nähe zwischen den porträtierten Künstler:innen in Lwiw und den Betrachter:innen zu ermöglichen.

Ein Designer aus Lwiw, der genauso gut in Berlin-Mitte arbeiten könnte – zu ihm kann man vielleicht leichter eine Beziehung aufbauen. Ein Ausstellungsbesucher sagte zu mir: „Das könnte auch ich sein!“ Nur so lässt sich die Abstraktion auflösen, und es wird möglich, sich mit dem Krieg auch emotional auseinanderzusetzen.

Die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, haben es übrigens sehr positiv aufgenommen, dass wir uns für ihre Geschichten interessieren und ihre Sorgen weitertragen.

Ein Mann steht draußen vor einer rostigen Tür.

Dima Maikut, Lwiw 2024, Fotograf: Hans Hugo Hoffmann ©

Dima Maikut: „Creativity helps me think and, in the midst of total chaos and meaninglessness, search for something that will be real.

 

Auf Deiner Webseite habe ich gesehen, dass Du Dich schon länger mit dem Genre „Porträt“ beschäftigst. Und dann hast Du in Lwiw Menschen getroffen, die Du so interessant fandest, dass Du den Wunsch hattest, eben sie zu porträtieren? Wie wolltest Du sie fotografieren?

Ich habe darüber nachgedacht, wie man die bizarre Normalität in Lwiw mit fotografischen Mitteln festhalten könnte. Durch einen Kontakt zur Lviv National Academy of Arts fiel die Wahl auf Künstler:innen und Kunstschaffende. Ich wollte Menschen fotografieren, die dageblieben sind und weitermachen – ohne das Drama des Krieges explizit zu bebildern. Deshalb war es mir wichtig, sie in ihren Ateliers, Wohnungen oder Arbeitsräumen zu fotografieren – an Orten, an denen sie sich aufhalten und sicher fühlen. Durch die in diesem vertrauensvollen Rahmen erstellten Fotografien kommt man den Menschen nahe, kann sich vielleicht in sie hineinversetzen. Es geht mir darum zu zeigen, dass viele Ukrainer:innen mit Stolz, Fleiß und Zielstrebigkeit weiterarbeiten.

Weitermachen kann auch eine Form von Widerstand sein.

 

Und wie hast Du die Menschen durch die Kamera wahrgenommen?

Sehr verletzlich, sehr reflektiert, aber auch sehr stolz. Da ist zum Beispiel die Malerin und Fotografin Sofiia Maksymovich. Ihr künstlerisches Thema sind transgenerationale Erinnerungen. „Die Erinnerungen der Vorfahren hinterlassen Spuren auf den Körpern der Nachkommen“, sagt sie. In ihrem Atelier direkt hinter der Lemberger Oper – das sie sich mit anderen Künstlern teilt – hängt an der Fensterscheibe noch eine Zeichnung von Margarita, einer anderen Malerin. Sie ist nicht mehr in Lwiw, sondern freiwillig als Sanitäterin an die Front gegangen. „Margarita ist eine sehr starke Frau“, sagte Sofiia mir spürbarem Stolz, aber auch mit großer Nachdenklichkeit.

Eine Frau steht mit den Händen an der Hüfte im Flur einer Wohnung.

Sofiia Maksymovich, Lwiw 2024, Fotograf: Hans Hugo Hoffmann ©

Sofiia Maksymovich: „In times of war, life feels distant, like a simulation in Baudrillard’s sense.

 

Du bist beim Fotografieren den Künstlerinnen und Künstlern nahegekommen. Sicherlich auch durch die Gespräche, die ihr dabei geführt habt. Was war das Hauptthema, das alle umtrieb?

Ein zentrales Thema ist die drohende Einberufung der Männer – das betrifft auch Künstler. Einige unterrichten an öffentlichen Schulen oder an der staatlichen Kunstakademie, was ihnen – vorerst – einen gewissen Schutz bietet. Doch alle wissen: Das kann sich jederzeit ändern. Auch für die Frauen ist das eine große Sorge, es geht um Freunde, Ehemänner, Brüder, Väter – und oft auch um die eigene Zukunftsplanung, die derzeit wie eingefroren scheint.

Ein weiteres großes Thema ist die Frage: bleiben oder ins Ausland gehen? Zum Beispiel Olga Klymuk, eine Fotografin, geboren in Tscherwonohrad, ausgebildet in Lwiw. Obwohl sie immer wieder darüber nachgedacht hat, das Land zu verlassen, fühlt sie sich tief mit der Ukraine verbunden. Sie liebt die Denkweise, die Geschichte ihres Landes. Während sie zwischen ihren zwei Freundinnen sitzt und sanft ihren Hund streichelt, spricht sie von ihrer Bewunderung für diejenigen, die bleiben. Sie spricht oft vom „ukrainischen Kontext“, einem Begriff, den sie nur von Landsleuten wirklich verstanden sieht. Nur wenn man hier lebt, kann man ihn nachvollziehen. „Im Ausland würde es schwer sein, sich verstanden zu fühlen“, sagt sie – und deshalb bleibt sie.

Farbporträt einer Frau, hinter ihr ein Haus

Olga Klymuk, Lwiw 2024, Fotograf: Hans Hugo Hoffmann ©

Olga Klymuk: „Leaving would mean facing a world in which it would be difficult to feel understood.“

 

Was hast Du von all diesen Begegnungen für Dich persönlich mitgenommen?

Eine intensive Verbundenheit mit den Künstler:innen in Lwiw – mit vielen bin ich weiterhin in Kontakt, einige haben mich bereits in Berlin besucht. Aber auch eine große Demut. Einer der Portraitierten, Pavlo Yurinets, sagte: „Die heutige Normalität Lwiws erscheint bizarr. Doch in Wirklichkeit ist sie der Vorbote künftiger Veränderungen.“ Er wurde im Frühjahr 2025 eingezogen.

Ein Mann sitzt mit verschränkten Armen an einem Küchentisch.

Pavlo Yurinets, Lwiw 2024, Fotograf: Hans Hugo Hoffmann ©

Pavlo Yurinets: „Today’s bizarreness is the vanguard of future change.

 

Ich danke Dir für das Gespräch und dafür, dass wir Deine Fotografien in unserem Seminarraum im ZZF noch bis Ende Juli 2025 auf uns wirken lassen können. Ich mag daran besonders, dass Deine Protagonist:innen uns bei der Arbeit zuschauen, wenn wir dort sitzen. Die Frage, wie machen wir als Historiker:innen weiter in einer Zeit, in der sich alles um uns herum verändert und die Frontlinie 2500 Kilometer entfernt ist, treibt auch uns um.

 

 

Die Fotoserie „Bizarre Normality“  ist vom 12. Juni bis 31. Juli 2025 zu sehen im:

Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF)

Am Neuen Markt 9d, 14467 Potsdam

 

Montag bis Donnerstag: 10 bis 17 Uhr
Freitag: 10 bis 15 Uhr

Interessierte melden sich bitte bei den Mitarbeiter:innen der Bibliothek des ZZF

 

Das Buch zur Ausstellung: „Bizarre Normality“ von Hans Hugo Hoffmann. Softcover / 96 Seiten / 33 Abbildungen / 4-Farben Digitaldruck / 22,5 x 28cm. Erste Ausgabe April 2025 / ISBN 978-3-947198-98-6

Bezug über die Website des Fotografen: hanshugohoffmann.com

 

 

Dieser Artikel ist Teil des Themendossiers: Bilder des Krieges in der Ukraine,
hg. v. d. Visual History-Redaktion

Themendossier: Bilder des Krieges in der Ukraine

 

 

 

 

Zitation


Hans Hugo Hoffmann und Corinna Kuhr-Korolev, Ausstellung „Bizzare Normality.“ Über das Leben im ukrainischen Lwiw zwischen Normalität und Krieg, in: Visual History, 07.07.2025, https://visual-history.de/2025/07/07/ausstellung-bizzare-normality/
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-2930
Link zur PDF-Datei

 

Nutzungsbedingungen für diesen Artikel

Copyright (c) 2025 Clio-online e.V. und Autor, alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk entstand im Rahmen des Clio-online-Projekts Visual-History und darf vervielfältigt und veröffentlicht werden, sofern die Einwilligung der Rechteinhaber:innen vorliegt.
Bitte kontaktieren Sie: <bartlitz@zzf-potsdam.de>

 

Folgende Beiträge könnten Sie auch interessieren:

Artikel kommentieren

Ihre Email wird nicht veröffentlicht.

AlphaOmega Captcha Historica  –  Whom Do You See?