Wenn Bilder plötzlich lächeln
Die Ausstellung „Fotografien berühren“ in Berlin
Die Fotografie als scheinbar objektive Darstellungsform gewann im 19. Jahrhundert sowohl qualitativ als auch quantitativ rapide an Bedeutung. Dabei erschien das Medium auch als optimal, um Informationen über andere Kulturen und Völker zugänglich zu machen. Das Ethnologische Museum Berlin-Dahlem besitzt eine stattliche Sammlung entsprechender Aufnahmen von Forschungsreisenden aus zahlreichen Nachlässen, Ankäufen oder Schenkungen. Allein aus Lateinamerika befinden sich über 6000 Stück – entstanden zwischen 1868 und den 1930er-Jahren – in der Sammlung.
„Fotografien berühren“ lautet der Titel der aktuellen Ausstellung in Dahlem, die sich zum Ziel gesetzt hat, eben jene Fotografien aus Lateinamerika neu zu erschließen und dabei nicht die Forschungsreisenden oder Entdeckungen in den Fokus zu rücken, sondern die Abgebildeten.
Die Präsentation entstand in Kooperation des Ethnologischen Museums mit dem Museum für Asiatische Kunst in Berlin-Dahlem und ist Teil der dritten sogenannten Probebühne des Humboldt Lab. In Vorbereitung auf den Umzug der beiden Museen und ihrer Sammlungen in das im Bau befindliche Berliner Stadtschloss experimentieren Kuratoren und Gestalter mit neuen Ausstellungsformen, die vor allem neue Perspektiven auf die Sammlungen ermöglichen sollen.
Zwei Jahre lang hat der Kurator und Ethnologe Michael Kraus die Sammlungen von Schwarz-Weiss-Fotografien aus Lateinamerika des Ethnologischen Museums bearbeitet. Akribisch recherchierte und rekonstruierte er die fotografischen Aufnahmesituationen sowie die Biographien abgelichteter Personen. Sein Ziel war es, „alte Begegnungen nachzuvollziehen und neue zu ermöglichen“. Die grundlegenden Fragen, die Kraus an die Fotografien stellt, lauten demzufolge: Wer sind die abgebildeten Menschen? Was lässt sich heute noch aus dem Leben der Fotografen und Fotografierten berichten und wie können kollektive ethnologische Zuschreibungen (beispielsweise nach Stämmen) aufgelöst werden? In der Zusammenschau legt er nun Kategorien wie Angst, Empathie, Körperlichkeit und Ambivalenz frei. Dabei gelang es ihm – so im Einleitungstext nachzulesen –, einen intensiven, nahezu persönlichen Kontakt zu den Abgelichteten herzustellen.
Den ersten – und im Grunde maßgeblichen – Raum von dreien füllt eine Installation des Berliner Szenografie-Büros chezweitz: Auf drei große Banner werden wechselnde Blow-Ups von Fotografien aus der Sammlung des Museums projiziert. Was zunächst wie eine herkömmliche, statische Präsentation von Fotos aussieht, irritiert beim näheren Betrachten: Die abgelichteten Personen auf den Bildern bewegen sich: Mal hebt und senkt sich ein Brustkorb, mal legt sich eine Stirn in Falten, mal hebt ein Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen an. Die vom Kurator intendierte „Begegnung“ mit den Personen berührt zunächst verblüffend intensiv. Denn jener minimalinvasive technische Kunstgriff entfaltet eine beachtenswerte Wirkung, vermag er doch die fotografierten „Objekte“ scheinbar zum Leben zu erwecken.
Bei längerem Betrachten beginnt sich ein innerliches Unbehagen zu regen: Ist man gegebenenfalls doch wieder in die kolonialfotografische Falle getappt? Reproduziert die Präsentationsform – zwar ungewollt aber doch augenfällig – am Ende nicht wieder eine Zurschaustellung von teilweise unbekleideten und zumeist nicht freiwillig abgebildeten Personen? Möglicherweise ist dies aber auch schlichtweg Ausdruck eines Zielkonflikts zwischen der Aufbereitung und Darstellung entkontextualisierter Fotografien bzw. historischer Fotosammlungen und dem Versuch, den Ausstellungsbesucher zu „berühren“. Die allgemeine Frage bleibt: Lassen sich statische Aufnahmen ohne durch Manipulation hervorgerufene Irritation überhaupt zum Leben erwecken? Die Ausstellung im Humboldt Lab wird wohl nicht das letzte Experiment bleiben, das sich der Rolle von Fotografien in Ausstellungen widmet, aber ein guter Anfang.
Die Ausstellung „Fotografien berühren“ im Rahmen der Probebühne 3 des Humboldt Lab ist noch bis zum 30. März 2014 im Museum Dahlem zu sehen.
Museen Dahlem
Staatliche Museen zu Berlin
Lansstraße 8
14195 Berlin
Öffnungszeiten: Di – Fr 10.00 Uhr – 18 Uhr
Ich teile die Skepsis hinsichtlich der Präsentationsform der hier ausgestellten Bilder. Einen Beitrag zu einer kritischen und reflexiven Auseinandersetzung mit dem Thema koloniale Fotografie kann ich hierin beim besten Willen nicht erkennen. Vielmehr steht die Präsentation für mich in einer kolonialen Bildtradition, die in der Figur den sog. „Nicknegers“ vermutlich ihren sinnfälligsten Ausdruck gefunden hat.