Buchreihe: Visuelle Geschichtskultur
Die im Böhlau Verlag erscheinende Reihe „Visuelle Geschichtskultur” wurde 2005 von dem Osteuropahistoriker Stefan Troebst, Professor für Kulturgeschichte des östlichen Europa an der Universität Leipzig und stellvertretender Direktor des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO), ebendort begründet und bis Band 9 in Verbindung mit den Kunsthistorikern Anders Åman (†) von der Universität Uppsala und Steven A. Mansbach von der University of Maryland in College Park sowie dem Neuzeithistoriker László Kontler von der Central European University in Budapest herausgegeben. Ab Band 10 figurieren Stefan Troebst und Arnold Bartetzky, Fachkoordinator für Kunstgeschichte am GWZO, als Herausgeber in Verbindung mit Steven A. Mansbach sowie der Kunsthistorikerin Małgorzata Omilanowska von der Universität Gdańsk. Vom Band 15 an erscheint die Reihe sowohl im Print als auch im Open Access.
In der interdisziplinären Buchreihe werden kunsthistorische und geschichtswissenschaftliche Monografien und Sammelbände zum Überlappungsbereich der Forschungsfelder Geschichtskultur und visual culture in deutscher wie englischer Sprache publiziert. So wie das Konzept der visual culture die kunsthistorische Forschung bereichert hat, so hat der pictorial turn in den Kulturwissenschaften der Geschichtswissenschaft neue Impulse gegeben. Dies trifft insbesondere für das Untersuchungsdesign der Geschichtskultur mit ihren drei Komponenten politischer, ästhetischer und historiografischer Art zu – deren zweite sich ja unmittelbar, die erste zu großen Teilen mit der visuellen Kultur berühren. Daher liegt es nahe, visual culture und Geschichtskultur unter dem Rubrum „Visuelle Geschichtskultur” forschungsstrategisch zusammenzuspannen. Dafür spricht überdies die arbeitshypothetische Vermutung, dass gerade auf dem Gebiet der Geschichtspolitik, sei sie von staatlichen oder sub- bzw. nicht-staatlichen Akteuren betrieben, ein substantieller, möglicherweise qualitativer Unterschied zwischen visuellen und nicht-visuellen Bedeutungsträgern besteht, dass also das „Schlagbild” (Aby Warburg) das Schlagwort an Emotionalität und Memorabilität – und damit an Wirkung wie Nachhaltigkeit – übertrifft, gleichsam durchschlagender ist.
Band 1: Neue Staaten – neue Bilder?
Infolge der beiden Weltkriege und des Zusammenbruchs der kommunistischen Regime erlebte Europa im 20. Jahrhundert eine Reihe von Staatsneugründungen und Systemwechseln. In jeder Umbruchssituation waren die Staaten mit der Aufgabe einer Neubestimmung ihres Selbstverständnisses und ihrer Selbstdarstellung konfrontiert. Der Band betrachtet anhand eines breiten Spektrums von Bildträgern die Visualisierungsstrategien staatlicher Macht in den Spannungsfeldern zwischen Modernisierung und Kontinuität, zwischen nationaler Identität und europäischer Tradition.
Rezension H-Soz-Kult
Band 2:
Der Band behandelt den ambivalenten Umgang mit dem Staatssozialismus in den kollektiven und individuellen Erinnerungen in Südosteuropa. Den unterschiedlichen Strategien des Erinnerns an den Realsozialismus, ihren Inhalten und Medien spüren die Autorinnen und Autoren des Bandes nach, die aus den Disziplinen Geschichte, Anthropologie, Volkskunde, Soziologie, Literaturwissenschaft, Psychologie und Kunstwissenschaft kommen.
Rezension H-Soz-Kult
Band 3:
Der Band behandelt die Geschichte Polens in der Erinnerungskultur der Neuzeit. Die Autoren gehen von der These aus, dass sich die Historiographie von Erinnerungen weiterentwickeln lässt, wenn sie als Verflechtungsgeschichte betrieben wird. Polnische Erinnerungsdiskurse werden in diesem Buch nach ihren Verknüpfungen unter anderem mit deutschen, jüdischen, litauischen und russischen Erzählweisen befragt. Die erinnerten Phänomene umfassen Städte, Schlachten und Aufstände, Persönlichkeiten, Feindbilder und Ereignisse.
Band 4:
Das historische Zentrum von Danzig erscheint vielen heutigen Besuchern als eine originalgetreue Nachbildung der im Zweiten Weltkrieg untergegangenen Stadt. Tatsächlich verbirgt sich aber hinter den rekonstruierten Fassaden eine neue urbane Struktur, die den Leitbildern des modernen Wohnungsbaus entspricht und auch in den bauplastischen Details viele Abweichungen zu den alten Häusern aufweist. Jacek Friedrich belegt in seinem Buch, dass Danzig nicht nur demographisch, sondern auch visuell polonisiert wurde. Entstanden ist eine neue Stadt in altem Gewand.
Rezension H-Soz-Kult
Eine endliche Geschichte.
Die Heimatbücher der deutschen Vertriebenen sind eine bislang kaum beachtete Form der Heimwehliteratur. Nicht Historiker und Fachleute, sondern die Betroffenen selbst sammelten darin nach 1945 all das, was ihnen von ihrer Heimat erinnernswert schien, und schufen so gleichsam ein kollektives Gedächtnis der Erlebnisgeneration. Zugleich schrieben sie jedoch die „endliche Geschichte“ von etwas, das verloren war und blieb. Auf diese Weise bewahren die Heimatbücher nicht nur deutsches Kulturerbe im Osten Europas vom Baltikum bis Bessarabien, sondern geben auch Auskunft auf die Frage, was Heimat eigentlich ausmacht, wenn man sie verloren hat.
Bulgarien im Bild.
Die populärsten Nationalbilder der Länder auf dem Balkan wurden im 19. Jahrhundert durch ausländische Künstler geschaffen. Bislang wurde diese Schlüsselrolle fremder visueller Medien und ihrer Urheber für die Konstruktion nationaler Selbstbilder in der kulturgeschichtlichen Forschung kaum thematisiert. Dies gilt auch für das Bild Bulgariens. Die Studie analysiert am Beispiel des 1878 gegründeten Nationalstaats die intervisuellen Austauschprozesse zwischen dem westlichen Europa und dem Balkan sowie die intermedialen Kontexte der illustrierten Presse, der Historien- bzw. Ereignismalerei sowie der Fotografie als die herausragenden Medien in diesem Prozess.
Rezension H-Soz-Kult
Belarus verbildlichen.
Staatssymbole repräsentieren den Staat nach außen und akzentuieren seine Souveränität, während sie nach innen der Integration und der Identitätsbildung dienen. Ein Systemwechsel ist meist von einem Wechsel der staatlichen Symbolik begleitet: Eine neue politische Orientierung verlangt neue Flaggen, Nationalhymnen und Staatswappen. Welche Symbole sich die ehemalige sowjetische Teilrepublik Belarus (Weißrussland) nach der Unabhängigkeit 1991 gab, wie sie verändert wurden und welche Bedeutung sie für die Nationsbildung des neuen Staates haben, steht im Mittelpunkt der Studie.
Mit Taras Ševcenko Staat machen.
In der Erinnerungskultur und Geschichtspolitik der Ukraine spielt der Nationaldichter Taras Ševcenko (1814–1861) eine besondere Rolle. Er steht im Zentrum des Streits um gegensätzliche Vergangenheitsdeutungen für den Zusammenhalt des Landes. Halb ernst, halb ironisch wird er deshalb als „Ein und Alles“ der Ukrainer bezeichnet. Das Buch betrachtet die Vorstellungen über Ševcenko von Schriftstellern, Künstlern, Journalisten, Intellektuellen, Politikern und Wissenschaftlern in der Ukraine vor und nach der Erlangung der Eigenstaatlichkeit im Jahr 1991.
Rezension H-Soz-Kult
Nation – Staat – Stadt.
Welche Rolle spielen Architektur, Denkmalpflege und Bildkünste für die Inszenierung nationaler Geschichte und für staatliche Repräsentation? Wie wurde und wird mit der Zerstörung baulicher Symbole der Vergangenheit umgegangen? Wie wirken sich Kriege und Systemwechsel auf urbane Entwicklung und Identität aus? Die reich illustrierten Beiträge des Bandes gehen diesen Themen anhand einer Vielzahl von Fallbeispielen aus verschiedenen, vorwiegend mittel- und osteuropäischen Ländern nach. Sie durchmessen einen Zeitraum von gut zwei Jahrhunderten, zwischen 1800 und der unmittelbaren Gegenwart.
Maria in der Krise
Der besondere Stellenwert der Marienfrömmigkeit in katholischen Ländern geht auf kulturelle und religiöse Prägungen seit dem 17. Jahrhundert zurück, die bis heute nachwirken. In historischen Krisenzeiten spielte der Marienkult für viele ostmitteleuropäische Staaten eine bedeutende Rolle. Dieser Sammelband nimmt zwei für Ostmitteleuropa zentrale Zäsuren vergleichend in den Blick: Die Konfessionalisierung und die Wendezeit ab 1989. An einzelnen Fallstudien wird der identitätsstiftenden Bedeutung und der politischen Funktionalisierung Marias in transnationaler Perspektive nachgegangen.
Band 11: Arnold Bartetzky/Rudolf Jaworski (Hrsg.), Geschichte im Rundumblick.
Die ersten Panoramen waren bereits um 1800 in England, Deutschland und Frankreich zu sehen gewesen, bevor sie auf dem ganzen Kontinent und darüber hinaus populär wurden. Die Faszination des Mediums ist geblieben. Davon zeugen etwa verschiedene Wiederbelebungsversuche in sozialistischen Ländern und neuerdings der Erfolg der Panoramabilder Yadegar Asisis in Leipzig, Dresden und Berlin. Aus medien- und bildgeschichtlicher Sicht gelten Panoramen als wichtiger Schritt zur massenmedialen Vermittlung visueller Botschaften im öffentlichen Raum.
Von der Ablehnung zur Aneignung? From Rejection to Appropriation?
Der Band beschäftigt sich mit dem Denkmalwert und der gesellschaftlichen Akzeptanz von Bauzeugnissen aus der Zeit des Sozialismus in Mittel- und Osteuropa. Zu Wort kommen erfahrene Konservatoren und Planer sowie Kunsthistoriker und engagierte Künstler aus postsozialistischen Ländern, die das Architekturerbe des Sozialismus nicht als Bürde, sondern als Chance zur (re-)interpretierenden Erhaltung und Erneuerung eines gemeinsamen europäischen Nachkriegserbes verstehen.
Gebrochene Kontinuitäten.
Der Band untersucht solche Erinnerungsorte Ostmitteleuropas, die einerseits national gedeutet werden, andererseits transnational geprägt sind. Wegen ihrer Bedeutung für mehrere Nationen und Gesellschaften können sie eine verbindende Funktion erfüllen oder zur Abgrenzung gegenüber Fremdem wie dem „Osten“, der Orthodoxie, dem „Balkan“ oder dem Islam dienen. Das Zusammenspiel von religiöser Überlieferung, politischer Indienstnahme und individueller Aneignung dieser Erinnerungsorte sowie ihre visuelle Repräsentation werden interdisziplinär beleuchtet.
Götter der Nationen.
Religiöse Erinnerungsfiguren dienten dazu, Heilssicherheit, dynastische und später nationalstaatliche Herrschaftslegitimität sowie nationale Gemeinschaft als möglichst dauerhafte, bis zum Weltenende geltende Vorstellungen zu festigen. Bei den orthodoxen Südslaven lassen sich in nachbarschaftlicher Abgrenzung und Konkurrenz unauflösbare Verflechtungen feststellen. Die dynamische Verquickung von (ost-)römischen, mittelalterlichen serbischen und bulgarischen sowie osmanischen und westeuropäisch-nationalen Diskursen, Strukturen und „Vermächtnissen“ prägt diese europäische Geschichtsregion.
In Anknüpfung an die vielfältige historische Erforschung der Kommemorierung von Kriegen sowie der damit einhergehenden Formen von Erinnerungspolitik widmet sich dieser Sammelband einer Thematisierung des Völkerschlachtereignisses in den Gedächtniskulturen Ost(mittel)europas. Konkreten Anlass dazu bot das Leipziger Doppeljubiläum: jenes der Schlacht im Jahre 1813 sowie das der Einweihung des Völkerschlachtdenkmals im Jahre 1913. Im Zentrum stehen dabei kultur- und erinnerungsgeschichtliche Perspektiven – mit einem Schwerpunkt auf jeweiligen nationalen Narrativen und daran hängenden Mythenbildungen. Auch finden mediale Aufbereitungen des Ereignisses in Literatur, bildender Kunst und Film besondere Berücksichtigung.
Der Erste Weltkrieg war der erste militärische Konflikt, in dem die Geisteswissenschaften Aufgaben der Propaganda übernahmen. Im Herbst 1914, nach den Zerstörungen in Reims und Leuven, starteten die Mittelmächte mit dem „Kunstschutz“ eine Kampagne, die den Vorwurf „deutscher Barbarei“ in der Kriegsführung widerlegen sollte. Die Aktivitäten des „Kunstschutzes“ umfassten alle Kriegsschauplätze, die bisherige Forschung blieb jedoch auf Belgien und Frankreich konzentriert. Dieser Band behandelt den Themenkomplex erstmals in vergleichender Perspektive und legt dabei den Schwerpunkt auf die Regionen des östlichen und südöstlichen Europa.
Der Rekonstruktion symbolträchtiger, zerstörter Baudenkmäler und Ensembles wurde immer wieder eine wichtige Rolle für Nationsbildung und nationale Selbstbehauptung beigemessen. Dies gilt besonders für werdende, junge und im Umbruch befindliche Nationalstaaten. Die Inszenierung der Architektur vergangener Epochen dient hier der Stärkung des Nationalbewusstseins, oftmals auch der Legitimation staatlicher Souveränität und territorialer Ansprüche. Im Mittelpunkt des Bandes, der einen weiten Bogen vom 19. Jahrhundert bis in die unmittelbare Gegenwart schlägt, stehen die nationalpolitischen Motive von Rekonstruktionsprojekten in Mittel- und Osteuropa.