Familienfilm in der DDR
Schmalfilmkultur zwischen staatssozialistischem Ideal und Alltagsbildern
Die Bilder sind verwackelt, unscharf und blass. Filmisch begleitet wird der Ausflug in den Schrebergarten oder die Jugendweihe des Kindes. Auf den ersten Blick zeigen die Normal 8- und Super 8-Filme der 1950er bis 1980er Jahre aus der DDR Bekanntes; bei genauerem Hinsehen wird jedoch deutlich, welche Geschichte sich darin verbirgt. In dem Promotionsprojekt „Familienfilm in der DDR. Schmalfilmkultur zwischen staatssozialistischem Ideal und Alltagsbildern“ analysiere ich unter Verwendung regulationstheoretischer, praxeologischer und diskursanalytischer Ansätze 18 Schmalfilmbestände aus der DDR – also Quellenmaterial, das wissenschaftlich bisher kaum dokumentiert und erforscht wurde. Die zentralen Forschungsfragen sind, welche Darstellungen von Familie in der gefilmten Freizeit produziert wurden und wie diese in Beziehung zum staatssozialistischen Bildprogramm im Besondern sowie zur weltweiten Verwissenschaftlichung und Popularisierung eines normierten Familientypus standen.
In den Schmalfilmen artikulieren sich zwei durchaus widersprüchliche Dynamiken: Zum einen wurde diese Technologie in der fordistischen Wachstumsperiode der 1950er bis Mitte der 1970er Jahre als Dispositiv von Freizeit und Familie popularisiert, was den Individualismus förderte sowie den Wunsch nach Teilhabe an der westlichen Konsumkultur verstärkte. Zum anderen aber boten die Produktion und Rezeption der Filme individuellen Raum für eine eigen-sinnige Lebensdarstellung. Hierdurch entstanden zahlreiche Brüche des Ideals einer „sozialistischen Familie“.
Zunächst werden auf der Grundlage von Sequenzprotokollen durch bildimmanente Filmanalyse die Inhalte, Motive und Darstellungsweisen der Schmalfilme herausgearbeitet und exemplarische Einzelbilder ausgewählt. Für die daran anschließende visuelle Diskursanalyse werden in komparativer Herangehensweise Film-Stills der Schmalfilme mit Darstellungsweisen von Familie und Freizeit in den zwei Amateurfilmzeitschriften „Film für Alle“ (1956-1962) und „FOTOKINO-magazin“ (1963-1991), in 13 Ratgebern des VEB Fotokinoverlags sowie in Werbeanzeigen, Werbefilmen, Prospekten der Schmalfilmapparaturen und Schaufensterinstallationen verglichen. Die diskursiven Aussagen werden auf der Grundlage von Archivrecherchen sowie anhand narrativer Interviews und gemeinsamer Sichtungen mit den FilmerInnen in Beziehung zur konkreten Praxis gesetzt: Distribution, Produktion und Rezeption.
Der Gebrauch von Schmalfilmapparaturen und die filmische Darstellung von familialer Freizeit werden in Orientierung an neueste praxeologische Forschungen zu Familie und Verwandtschaft als Praktiken von displaying families gedeutet: routinierte Handlungen vor und hinter der Kamera sowie bei der Projektion, die familiale Gemeinschaft konstituieren. Nach praxeologischer Auffassung sind diese Aktivitäten und Darstellungen durch technische, gesellschaftliche und kulturelle Rahmungen mit geformt, etwa die Rolle des Vaters oder, in Abgrenzung zum offiziellen Leitbild, der Besuch der Westverwandtschaft. Für die Deutung müssen diese populären Alltagsbilder somit in ein Geflecht aus technischen, ökonomischen und kulturellen Bedingungen und Diskursen zu Familie, Freizeit, Konsum, Alltag und Urlaub eingebettet werden.
Somit wird das Filmen mit einer Pentaka 8 nicht als private Handlung isoliert gedeutet. Vielmehr wird in komparativer Perspektive deutlich, dass die DDR-Schmalfilme sowohl Spezifika des ostdeutschen Alltags überliefern als auch Ausdruck einer transnationalen Bildkultur waren und Symbole des Konsums und individuellen Wohlstands auf 8 mm und Super-8 festhielten: das Putzen des Trabants, der Einzug in die Plattenbauwohnung, der Wochenendausflug auf die Datsche oder der Ungarnurlaub.
Auf diese Weise will die Studie den wissenschaftlichen Blick auf die DDR vertiefen. Schmalfilmen wird nicht als isoliertes Forschungsfeld der Alltags- oder Wirtschaftsgeschichte betrachtet, sondern aus regulationstheoretischer Perspektive werden private Bildpraktiken mit Strategien der staatssozialistischen Konsumindustrie verflochten. Dadurch leistet die Arbeit einen weiter ausgreifenden Beitrag zur Geschichte der Familie und ihrer visuellen Kultur in den fordistischen Jahrzehnten.
Anm. d. Red. (16.11.2021):
Die Rezension zum Buch auf H-Soz-Kult: Sandra Starke, Rezension: Sebastian Thalheim, 8 mm DDR. Familienfilme als Alltagspraxis, Konsumgut und Erinnerungsmedium, Berlin 2021, in: H-Soz-Kult, 16.11.2021, www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-95188