CfP: Bewegte und bewegende Bilder/Objekte im mechanischen Zeitalter
Akzentbereich Visualitäten: Kontexte und Rahmungen, Justus-Liebig-Universität Gießen – Einsendeschluss für Beitragsvorschläge: 30. Juli 2022
Als der Bischof von Würzburg und der Reichsritter von Rosenberg Ende des 16. Jahrhunderts um die Jagdgrenzen auf der fränkischen Gemarkung Heckfeld vor dem Reichskammergericht stritten, ließ dieses zur Beweisaufnahme eine sogenannte Augenscheinkarte durch den Maler Heinrich Brückner anfertigen.
Das Ergebnis sieht auf den ersten Blick wie eine entlang der Längsachse gespiegelte Landschaftsdarstellung aus. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass eine in zwei Dimensionen „gepresste“ Ansicht eines konkreten, topographisch eindeutigen Naturraums vorliegt, durch den die mehrköpfige Schiedskommission wandert, um über die strittige Grenze zu diskutieren und das Gesehene sowie das dazu Gesagte zu protokollieren. Die Aktivitäten der Kommission sind das eigentliche Thema der Darstellung, und der Betrachter ist – auch anhand des Protokolltextes – angehalten, sie Schritt für Schritt und durch wechselnde Blickpunkte in der großformatigen Augenscheinkarte nachzuvollziehen.
Dieses Beispiel einer frühneuzeitlichen Augenscheinkarte zeigt komprimiert den komplexen Zusammenhang von Bild und Bewegung: Bilder sind mobil und in Bewegung, Bewegung wird im Bild dargestellt, und Bilder erzeugen Bewegung – physisch, kognitiv, affektiv oder sozial/politisch – im Betrachter bzw. in der Betrachterin.
Die Tagung widmet sich diesen für die Geschichte der Visualität wichtigen Zusammenhängen und nimmt dafür den europäischen Kulturraum von der klassischen Antike bis zur frühen Moderne vor der Erfindung des Films in den Blick. Dabei sollen nicht nur die Bildwerke an sich, sondern auch die entsprechende zeitgenössische Literatur zum Sehen, zum Bild und zur Kunst berücksichtigt werden.
Von diesem komplexen Zusammenhang zwischen Bild und Bewegung ausgehend, verfolgen wir mit der Tagung folgende Zielsetzungen: Zum ersten wollen wir in einem langen Betrachtungszeitraum, den wir als mechanisches Zeitalter fassen, und breiter europäischer Perspektive unterschiedliche Anlässe und Modalitäten des Sehens von/in Bewegung sammeln, um ein Verständnis im interdisziplinären Diskurs zu erreichen.
Darüber hinaus ist es unser Anliegen, über die Wechselbeziehungen zwischen historischen Wahrnehmungsweisen sowie materieller Kultur und haptischer Präsentation nachzudenken. Ein besonderes Interesse gilt den Praktiken der Visualisierung von Bewegung und Praktiken des Bewegens sowie ihrer Interaktion. Hierzu sollen konkrete Bildobjekte und Bewegungen an, in und mit ihnen vorgestellt werden sowie Bilder, die Bewegung(en), auch im Sinne von Affekten, beim Publikum bzw. im sozialen/politischen Raum verursachen.
Dies kann auf drei Arten geschehen:
1. Angesprochen werden die Mobilität der Bilder bzw. Bildobjekte, sowohl grundsätzlich (z.B. als Tafelbilder) als auch immanent im Sinne von Beweglichkeit (z.B. Automaten, aber auch Figuren- oder Objektensembles), und ihre Performanz/Performativität im Lauf der Zeit („wilde Kontexte“, Objektbiographie). Wir wollen hierzu die räumlichen und zeitlichen Veränderungen der Bilder/Objekte in den Fokus nehmen. Auch die Funktionsweise der Bewegung könnte analysiert werden.
2. Es interessiert die Bewegung im Bild selbst. Es sollen die Erzähltechniken und die damit verbundene Bildorganisation untersucht werden. So ist zu fragen, mit welchen Mitteln Bewegung dargestellt oder erzeugt wurde und wie sich dies auf den Betrachter oder die Betrachterin auswirkte. Auch der Zusammenhang zwischen Bewegung in der Darstellung und ihrer Funktion könnte untersucht werden. Hinzu käme die Analyse, welche Zwecke einerseits der/die schaffende Künstler:in, andererseits der oder die Auftraggeber:in verfolgten.
3. Schließlich soll zudem das die Betrachter:in Bewegende der Bilder/Objekte in den Fokus genommen werden. Es geht um das Agens des Bildes, die Spezifika des Ästhetischen sowie die Eigenlogik des Bildlichen, die den Betrachter/die Betrachterin auf unterschiedlichen Ebenen, die als physisch, kognitiv, affektiv und sozial/politisch zu erkennen sind, ansprechen. Hier soll es grundsätzlich um die Frage nach den sozialhistorischen Praktiken des Sehens gehen und den historischen Epochen, bei denen Bewegung eine besondere Rolle spielte. Auch die theoretischen Überlegungen, die als Grundlage dienten, könnten angesprochen werden.
Einsendeschluss für Beitragsvorschläge ist der 30. Juli 2022.
Wir bitten um einen kurzen Lebenslauf und ein Abstract.
Die Tagung findet vom 13. Sept. bis 15. Sept. 2023 an der JLU- Gießen statt.
Kontakt
Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an Prof. Dr. Anette Baumann unter der angegebenen Kontaktadresse.
anette.baumann@reichskammergericht.de
https://www.uni-giessen.de/fbz/fb04/akzentbereiche/Visualitaeten