Weihnachten bei Wagners
„Deutsche Weihnacht. Ein Familienalbum 1900-1945“
Wir wissen nicht viel über Richard Wagner und seine Frau Anna – nur, dass er Bahnangestellter war und begeisterter Hobbyfotograf. Alles andere können wir vermuten und durch unser Vorwissen ableiten. Im Jahre 1900 begann das Ehepaar Wagner vor Weihnachtsbaum und Geschenken per Selbstauslöser Fotos von sich zu schießen. Der gekonnt in Szene gesetzte Gabentisch sollte zu einer 44-jährigen Tradition werden.
Birgit Jochens präsentiert als – Herausgeberin – in ihrem Buch „Deutsche Weihnacht. Ein Familienalbum 1900-1945“ die Fotografien von Anna und Richard Wagner. Die Bilder lassen Rückschlüsse auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Begebenheiten des jeweiligen Jahres zu. Zusammen mit zeitgenössischen Zeitungszitaten verbindet Jochens die Bildbeweise und schriftlichen Quellen, um diese in einen größeren Zusammenhang zu bringen.
Das erste Bild, aus dem Jahr der Jahrhundertwende, zeigt die frisch Verheirateten in ihrer Wohnung in Essen, zusammen mit Katze Mietze. Die Geschenke fallen in diesem Jahr noch klein, aber fein aus. Gebäck und weihnachtliche Früchte stehen auf dem Tisch neben einem Postkartenalbum.
Acht Jahre später kann man mehr Gaben auf den Bildern erkennen. Frau Wagner bekam von ihrem Mann einen Hut, eine moderne Bluse und ein neues Jackett. Es scheint, als sei Richard Wagner erfolgreich in seinem Beruf, sodass die Eheleute sich, trotz der hohen Steuern des Jahres 1908, einen gewissen Standard leisten können. „Die Steuerpolitik macht sich jetzt bereits auf den Honigkuchen breit“, meldete zum Beispiel die „Charlottenburger Neue Zeit“ am 11.12.1908.[1]
Mitten im Ersten Weltkrieg, mittlerweile in einer Wohnung in Berlin-Schöneberg zu Hause, feierten Wagners 1917 ein sehr kaltes Weihnachten. Der Kohlenmangel machte ihnen und Millionen anderen in Europa zu schaffen. Dem Ehepaar blieb nichts anders übrig, als in ihren Wintermänteln vor dem Gabentisch zu posieren. Die anfängliche Euphorie über den Krieg – 1914 gab es noch eine Karte mit Truppenbewegungen als Geschenk – hatte sich bei vielen gewandelt, und Entbehrung war an ihre Stelle getreten.
Sieben Jahre später, nach der Inflation der Nachkriegsjahre, kann man langsam eine Besserung erkennen, sodass sich das Ehepaar wieder mit einem vollen Gabentisch präsentiert. Der Weihnachtsbaum hat eine beachtliche Größe, und der bürgerliche Wohlstand ist im Hause Wagner wieder eingekehrt.
Auf dem Foto des Jahres 1927 erkennt man die deutlich gealterten Eheleute vor einem reich gedeckten Tisch. Auch Richard Wagner war dem Werbe-Slogan sei „Dame und Hausfrau“[2] der Firma AEG erlegen und schenkte seiner Frau einen elektrischen Staubsauger. Zum ersten Mal brannten auch elektrische Weihnachtskerzen am reich geschmückten Baum.
Die zwei Weltkriege, die damit einhergehende Inflation der 1920er-Jahre und der Kohlenmangel machten es Anna und Richard Wagner nicht immer leicht, ihre gemeinsame Zeit rund um das Weihnachtsfest zu genießen. Anhand der Bilder sieht man, dass es dem Ehepaar trotz allem gelang, für die Fotografien eine gute Stimmung zu erzeugen, einfach gesagt, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Die Sammlung der Aufnahmen endet mit einem letzten Abzug von Anna Wagner aus dem Jahr 1945, unter dem ihr Mann vermerkt, dass sie mit Kleidung nur noch 80 Pfund wöge. Kurz darauf stirbt Anna Wagner mit 71 Jahren an Unterernährung. Fünf Jahre später stirbt auch ihr Mann mit 77 Jahren.
Die Aufnahmen des Ehepaars Wagner sind ein interessantes Zeugnis deutscher Geschichte. Sie zeigen einen Beamtenhaushalt, der sich zunächst kaisertreu zeigt – das Bild an der Wand von Wilhelm II. ist noch auf dem Foto von Weihnachten 1921 zu sehen. Weiter bezeugt die Sammlung die Instabilität der Weimarer Republik und die Zeit der Entbehrung. Zuletzt wird uns die Technisierung vor Augen geführt, wenn sich Anna Wagner mit Bügeleisen, Staubsauger und Heizkörper fotografieren lässt. Hinweise auf die politische Einstellung der Wagners und den Einfluss der Nationalsozialisten auf ihr Leben lassen sich hingegen auf den Weihnachts-Abbildungen zwischen 1933 bis 1945 gar nicht finden.
Das Buch „Deutsche Weihnacht. Ein Familienalbum 1900-1945“ ist eine kurzweilige Sammlung von schönen, bewegenden und interessanten Bildern des letzten Jahrhunderts.[3] Nicht nur für Historikerinnen und Historiker haben die Fotografien einen hohen Wert, auch als abendliche Lektüre vor dem eigenen Weihnachtsbaum eignet sich dieser Bildband sehr gut.[4]
[1] Birgit Jochens (Hrsg.), Deutsche Weihnacht. Ein Familienalbum 1900-1945, Berlin 1996, S. 20.
[2] Vgl. Birgit Jochens (Hrsg.), Deutsche Weihnacht. Ein Familienalbum 1900-1945, Berlin 1996, S. 56.
[3] Erschienen im Nicolai Verlag Berlin 2006. 86 Seiten, gebundene Ausgabe. Preis 16,95 EUR.
[4] Die Originalaufnahmen sind im Museum Charlottenburg-Wilmersdorf in Berlin archiviert.
Zitation
Mirjam Judit Langer, Weihnachten bei Wagners. „Deutsche Weihnacht. Ein Familienalbum 1900-1945“, in: Visual History, 23.12.2016, https://www.visual-history.de/2016/12/23/weihnachten-bei-wagners/
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-1581
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