Nationalsozialismus, Holocaust und Zweiter Weltkrieg im österreichischen Bildgedächtnis
Ein Promotionsprojekt über Bildstrategien und Gegenbilder im Spannungsverhältnis von nationaler und transnationaler Vergangenheitsdeutung
Am 15. März 1938 hielt Adolf Hitler seine „Anschluss“-Rede am Wiener Heldenplatz vor 250.000 Menschen. Im Bilderkanon der Zweiten Republik war das Bild aber jahrelang absent und wurde erst Ende der 1970er-Jahre Teil des österreichischen Bildgedächtnisses. Die Dissertation nimmt diese Transformationen und Inhalte des Bilderkanons in Österreich nach 1945 hinsichtlich der Visualisierung der NS-Zeit in den Blick. Auch sollen die Einflüsse transnationaler geschichtspolitischer Prozesse auf das österreichische Bildgedächtnis analysiert werden. Im Fokus der Arbeit steht dabei der Gebrauch von Fotos, d.h. die sozialen, historischen und politischen Funktionen, die „geschichtsmächtige Bilder“ als Kristallisationspunkte von Vergangenheitsentwürfen erfüll(t)en.
Gefragt wird mit Aleida Assmann danach, nicht welches „Sachwissen“, sondern welches „Identitätswissen“ durch die Fotografien vermittelt wird. Das in der Tradition der Cultural Studies stehende Konzept von „Repräsentation“ nach Stuart Hall ermöglicht die Zusammenführung von Gedächtnis und Visualität in einer historisch-politischen Perspektive: Wie werden durch fotografische Narrative Bedeutungszuschreibungen generiert und in welchem Zusammenhang stehen diese mit Machtkonstellationen? Im Vordergrund steht also die Frage: Welche Bilder repräsentieren welche Vergangenheit? Und welche Aspekte der Vergangenheit werden aus welchen Gründen eher im Dunkeln gelassen?
Die Quellen stammen zum größten Teil aus der Tages- und Wochenpresse sowie aus Schulbüchern, wobei darüber hinaus aber auch historische Ausstellungen sowie Bildbände und vereinzelte TV-Dokumentationen berücksichtigt werden. Vor allem Schulbücher bieten eine gute Ausgangsbasis zur Untersuchung des österreichischen Bildgedächtnisses: Das Schulbuch wird als Vermittler normativer Inhalte gefasst, die ihrerseits Endprodukt soziopolitischer Aushandlungen sind. Im Fokus steht sein Charakter als Ausdruck einer offiziellen, nationalen Vergangenheitssicht und die dadurch gegebene Möglichkeit, Transformationen im historisch-politischen Kontext zu untersuchen.
Durch die Vielzahl an Quellen soll herausgearbeitet werden, wie das Wechselspiel von Einzelbild und Gesamtkorpus, unterschiedlichen Themengebieten und ikonografischen Motiven qualitativ gefasst werden kann. Methodische Prämisse ist es, Bilder in ihrer sozialen Kontextualisierung, kulturellen Einbettung und innerhalb ihrer „cadres médiaux“ zu untersuchen, um im Sinne einer „Visual History“ das soziale Feld, in dem gesehen wird, untersuchen zu können. Warum in welchem historisch-kulturellen Kontext der Kanonisierung aus einer fotografischen Quelle ein Sinnbildungsangebot wird, ist als Leitfrage herauszustreichen.
Mag.a Ina Markova
DOC-Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Projektmitarbeiterin am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien
http://www.univie.ac.at/zeitgeschichte/markova-ina/