„Ein großes Fest und eine Belastungsprobe“
Das Capa-Zentrum in Budapest eröffnet unter großem Andrang seine erste Ausstellung „Zeitgenössische Bildprojektionen“
Eröffnungsfeiern sind zum Netzwerken da. Die in der Ausstellung präsentierten Bilder kann man einige Tage später, im Rahmen eines zweiten Besuchs, in Ruhe anschauen.
Dass diese ewige Wahrheit der Vernissagen für die Auftaktveranstaltung des neuen Robert Capa Zentrums für zeitgenössische Fotografie ebenfalls zutraf, konnten die Interessierten am 2. Dezember 2013 feststellen. In den frisch renovierten Räumen des vormaligen Ernst-Museums in Budapest mischte sich der Geruch der frisch gemalerten Wände mit den lebhaften Gesprächen der Anwesenden und der musikalischen Untermalung durch die Band Budapest Bár. In ihren Eröffnungsreden betonten der zuständige Minister für Humanressourcen, Zoltán Balog, die Leiterin des Instituts, Orsolya Kőrösi, und Tamás Féner, Jurymitglied des ersten Wettbewerbs des Capa-Zentrums, wie nötig die ungarische Fotografie diesen Ort brauche. Die Hoffnung sei, so Kőrösi, dass sich das Zentrum zur stabilen, verlässlichen Einrichtung entwickle. Dafür sei eine intensive Zusammenarbeit mit den jüngeren wie auch den älteren Fotografengenerationen eine der wichtigsten Voraussetzungen.
In der Tat nimmt sich das Capa-Zentrum viel vor: Das Haus in der Nagymező Straße soll der Treffpunkt für die zeitgenössischen visuellen Kunstrichtungen werden, wobei neben dem Foto auch das Theater, der Film und die bildende Kunst im Institutskonzept Berücksichtigung finden. So wie Capa – Namenspate und Verpflichtung zugleich – „stets vor Ort war“, will auch das Zentrum bei den entscheidenden Ereignissen der Gegenwart anwesend sein.
Wie sich die Mitarbeiter und (Gast-)Kuratoren des Zentrums die zeitgemäße Auseinandersetzung mit dem aktuellen Bild vorstellen, ist zurzeit in der Eröffnungsausstellung „Zeitgenössische Bildprojektionen“ („Kortárs vetített képek“) zu sehen. Die Werke entstanden aufgrund eines vor wenigen Monaten erfolgten Aufrufs des Zentrums. Zwischen dem 23. September und dem 3. November 2013 erreichten insgesamt 1001 Werke die international besetzte Jury, bestehend aus Károly Kincses (Fotomuseologe), Maria Kapajeva (Fotografin, Universitätsdozentin), Olga Jürgenson (Fotografin, Kuratorin), Miklós Peternák (Universitätsdozent, Leiter des Lehrstuhls für Intermedialität), Balázs Telek (Fotograf, Künstler, Kurator) und Gabriella Uhl (Kunsthistorikerin, Kuratorin). Neben den ausgesuchten Wettbewerbsbeiträgen präsentiert die Schau auch eingeladene Gastbeiträge.
Unter den fünf prämierten Arbeiten beschäftigen sich lediglich zwei mit dem Komplex “Robert Capa“. István Szőnyis „Robert Capa‘s Masterworks – Politically Correct and Censored Edition“ zeigt die bekannten Bilder des Kriegsfotografen – meist Aufnahmen, die einzelne Menschen oder menschliche Schicksale im Krieg in den Mittelpunkt stellen –, ohne jedoch die Identität der abgebildeten Personen preiszugeben. Ihre Gesichter sind alle unkenntlich gemacht: gepixelt. Mit dieser Installation stellt Szőnyi die Frage nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit von zeitgenössischer Fotografie in Zeiten des immer strengeren Schutzes von Persönlichkeitsrechten. Der Kurzfilm von Filmemacher Àrpád Sopsits nimmt sich dagegen das bekannteste, vielleicht auch problematischste und am meisten diskutierte Capa-Foto „The Falling Soldier“ vor. Der Spielfilm denkt über die möglichen Entstehungszusammenhänge dieser weltberühmten Aufnahme nach. Wie werden Kriegsfotografien produziert, und welche Rolle spielt die Entstehung eines Bildes für die spätere Rezeption?
Zwei weitere Arbeiten, die mit einem Preis ausgezeichnet wurden, widmen sich den etwas aktuelleren Konflikten in und um Ungarn.
Benedek Lakatos‘ beeindruckende Aufnahmen entstanden in Srebrenica, dem Ort, dessen Name als Chiffre für den größten Völkermord in Europa seit dem Holocaust gilt. Die Fotos zeigen menschenleere Räume, Orte der Erinnerung oder den Friedhof, wo die Opfer begraben sind. Deutlich wird – zumal aus ungarischer Sicht – die Nähe der Ereignisse, eine geografische, aber auch zeitliche Nähe. Zugleich stehen die Aufnahmen aber auch für die wachsende Entfernung zu diesen Taten durch das Verdrängen der Erinnerung an die Kriegsverbrechen während des Bosnienkriegs.
Die Fotoredaktion des Online-Nachrichtenportals „Origo“ stellte in ihrem Beitrag für „Zeitgenössische Bildprojektionen“ die visuelle Berichterstattung in den Vordergrund. Ihre multimediale Installation „Ungarn im Raum“ („Magyarország térben“) deckt die unterschiedlichsten Themen, Konflikte der letzten fünf Jahre ab: Wie kommt man als Rollstuhlfahrer auf dem Sziget-Festival zurecht?
Mit welchen Schwierigkeiten sieht sich eine Sportlehrerin konfrontiert, die kein Geheimnis daraus macht, dass sie lesbisch ist? Was beschäftigt die Überlebenden der Giftschlamm-Katastrophe von 2010 in Kolontár und Devecser am meisten? Wer sind die Bewohner des Slums außerhalb der Stadt Nagybánya, der rumänischen Baia Mare? Wie geht es bei Senioren-Weltmeisterschaften im Ringen zu? Die Vermischung der Pressefotos mit O-Tönen der porträtierten Menschen schafft eine Zwischenform zwischen Fotografie und Film. Während der Zuschauer die Slideshow der stehenden Aufnahmen betrachtet und den dazugehörigen Geschichten lauscht, werden vorhandene Lücken unweigerlich geschlossen. Das Video entsteht im Kopf. So auch im Falle einer Reportage von Bálint Hirling über Dr. Henrik Mensch, einen Gynäkologen, der seine Leidenschaft fürs Ringen auch mit knapp 70 Jahren nicht aufgegeben hat. „Papa, zerre an seinem Kopf!“ („Apu, a fejét rángasd!“) – wenn man den klaren Instruktionen des Sohnes, der den Vater trainiert, zuhört, füllen sich die visuellen Lücken.
Der Hauptpreis für „Self Fashion Show“ („Öndivatbemutató“, weitere Informationen am Ende dieses Beitrags) ist ein Indiz für die thematische wie auch mediale Offenheit des ersten Wettbewerbs des Capa-Zentrums. Ganz ohne Capa und ganz ohne Fotos schafften es die Schüler der Budaer Zeichnerschule, mit einem Remake des Werks von Tibor Hajas die Jurymitglieder zu überzeugen. In ihrer 2013er Version von „Self Fashion Show“ beleuchten sie die gegenwärtigen Abhängigkeiten, in die wir uns im digitalen Zeitalter durch Facebook, Google und Co. begeben.
Insgesamt schlägt die Ausstellung einen großen Bogen von den frühen Techniken des Visuellen im Auftakt (wie die Camera Obscura), über Kriege in der Vergangenheit (Zweiter Weltkrieg, Bosnienkrieg) bis zu den Auseinandersetzungen der Gegenwart (Libyen, Syrien). Neben den in einer Art “musealen Kriegszone“ ausgestellten Capa-Reflexionen steht die Schau auch für verschiedene weitere Aspekte offen. Sei es die Situation von Migranten in Europa (György Gáti), Fragen rund um menschliche Beziehungen (Mona Birkás) oder die Möglichkeit der Erinnerung an verstorbene Familienmitglieder (Katalin Illés).
Das Capa-Zentrum eröffnet seine Pforten mit einer Fotoausstellung, die gar keine ist. Die Grenzen verschwinden, die Bilder sind an die Wände, die Decke, Leinwände oder den Boden projiziert. Sie fangen an zu sprechen, wir können sie über Bildschirme auswählen, aktivieren und wieder anhalten. Der Versuch, ein unvoreingenommenes Konzept zu realisieren, ist deutlich geworden. Eine Frage für die Zukunft ist, ob dies auch so bleibt? Oder: Wird das Capa-Zentrum noch seine inhaltlichen und medialen Steckenpferde finden?
Die Ausstellung „Zeitgenössische Fotografien“ ist noch bis zum 31.12.2013 im Capa-Zentrum in Budapest zu sehen.