Rezension: Ausstellung „Amateurfotografie. Vom Bauhaus zu Instagram“

Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, 03.10.2019 – 12.01.2020

Ausstellungsflyer „Amateurfotografie. Vom Bauhaus zu Instagram“ © Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Die Ästhetik der Ausstellungsgestaltung im Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, verweist beim Betreten der Räume sofort auf das Thema: Ein aufdringliches Teppichblau konkurriert mit Ausstellungswänden aus hellgrauen Lochblechsegmenten. Die Kapiteltexte sind auf verschiedenfarbige Tafeln aufgezogen und stehen locker im Raum verteilt, ebenso wie einige Spiegel, Vitrinen, Tische, Regale und Medienstationen. Alles trägt zum vorläufigen, werkstatthaften und uneinheitlichen Charakter des ersten Eindrucks der Ausstellung zum Medium Amateurfotografie bei.

Sicher fühlen sich einige Besucher*innen von diesem Anblick leicht abgeschreckt, bei mir löste er eher eine euphorische Goldgräberstimmung aus. Eine Ausstellung kleinformatiger Amateurfotografie, alle einheitlich einzeln gerahmt hinter Passepartouts wie kleine kunsthistorische Preziosen, hätte ich in diesem Zusammenhang als unpassend empfunden. Wenn sie auch in diesem Fall nicht völlig vermieden wurden: Auf diese Weise werden hier beispielsweise die Fotografien des Bauhauses präsentiert.

Ausstellungsansicht: Ausstellungsarchitektur von Nagy und Jehle Architektur, Wien. Foto: Sandra Starke, Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE

In einem weiten chronologischen Bogen von den Anfängen der Amateurbewegung im späten 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart fragt die Kuratorin Esther Ruelfs nach der Innovationskraft und dem kreativen Potenzial der Amateurfotografie. Dabei stellt sie die Bauhausfotografie an den Anfang einer Entwicklung, die Direktheit, Spontanität und Authentizität der Bilder verspricht bis hin zum demokratischen und politischen Potenzial der Fotografie heute in den sozialen Medien. Deutlicher Schwerpunkt der Ausstellung ist die Fotografie der Bauhäusler*innen, die die imperfekte Knipserästhetik zum künstlerischen Stilmittel erklärten.

Durch die ausgestellten Foto-Ratgeber in der Vitrine ist jedoch zu erkennen, dass verschiedene Strömungen parallel existierten und die Avantgarde des Bauhauses und des Neuen Sehens noch lange nicht Teil des Mainstreams und der ambitionierten kunstfotografisch geprägten und in Vereinen organisierten Amateurfotograf*innen war, denen es um „schöne“ harmonische und perfekt ausgeleuchtete Sujets wie Postkartenlandschaften ging. Die von ihnen deklarierten „Fotofehler“ wie starke Aufsicht, Untersicht der Kameraperspektive oder stürzende Linien der fotografierten Gebäude sollten mithilfe von Ratgebern zur Aufnahmetechnik unbedingt vermieden werden. Dahingegen forderte der Bauhausschüler Werner Gräff 1929 in seinem Buch „Es kommt der neue Fotograf!“ dazu auf, keine fotografischen Regeln und Beschränkungen zu akzeptieren. Das ästhetische Experiment generierte sich gerade aus den Fehlern der Knipser*innen, die aus Sicht der ziemlich paternalistisch agierenden Bauhäusler*innen als „unverbildet“, direkt und authentisch galten. Dass der Verwendungszusammenhang ein gänzlich anderer war, die Knipser*innen für ihre familiäre Erinnerung und für das Familienalbum fotografierten und die Bauhäusler*innen mit neuartiger künstlerischer Formensprache avantgardistische Werke für die interessierte Öffentlichkeit erschaffen wollten, wird dabei nur allzu leicht übersehen.

Ausstellungsansicht: Ausstellungsarchitektur von Nagy und Jehle Architektur, Wien. Foto: Sandra Starke, Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE

Die Begriffe Knipser*in, Hobbyfotograf*in und Amateur*in unterscheidet die Ausstellung zu großen Teilen nicht. Erst im Kapitel Die eigene Lebenswirklichkeit II wird konstatiert, dass die Ausstellungsobjekte weniger von Knipser*innen als von ambitionierten Amateur*innen stammen, was nach meinem Eindruck aber für die gesamte Ausstellung gilt. Die Amateur*innen werden hier unter dem Schlagwort der Obsession für ein konkretes fotografisches Sujet beleuchtet, das sie den Konzeptkünstler*innen vermeintlich nahebringen soll.

Das Schlagwort der Demokratisierung durch und mit Bildern jedoch trügt – es sei denn, hier ist nur die massenhafte und stark normierte Verwendung, ausgelöst von der Verfügbarkeit der Kameras, für den privaten Gebrauch gemeint. Auch die NS-Diktatur erkannte und förderte das affirmative Potenzial der Amateurfotografie und rief besonders die bis dato unorganisierten Knipser*innen zum „Millionenheer der Amateurphotographen für den unbegrenzten und national wichtigen Bereich der geistigen und seelischen Wiederaufbauarbeit“.[1] Die Etablierung einer „Bildschrift des Volkes“[2] war das Ziel der staatlichen Bemühungen um die Amateurfotografie: Das „Fotografieren ist in diesem Sinne keine Spielerei, sondern Rasse‑ und Familienpflicht“.

Die Ausstellung jedoch lässt die Fotografie im Nationalsozialismus völlig aus, scheinbar auch um das Narrativ der positiven Entwicklung des Mediums, die „Demokratisierung“ der Bilder von der Bauhaus-Avantgarde zu Instagram, nicht unnötig zu gefährden. Das ist schade, denn Amateurfotografie hat das Potenzial, eine Vielfalt von Narrativen zu entwickeln. Sie enthält sowohl normierende Elemente – die Menschen so aussehen lassen, wie sie gesehen werden wollen – als auch individuelle oder gar eigen-sinnige Ausdrucksformen, die widerständisches Potenzial beinhalten können, aber eben nicht müssen. Nicht zuletzt verändert die Amateurfotografie auch die Wahrnehmung der Ereignisse: Wer fotografiert, ist nicht nur dabei und nimmt teil, sondern will sich später seiner selbst als aktiv Handelnder erinnern. Gerade für die Knipser*innen gilt: Wo fotografiert wird, ist es schön!

Unter der Kapitelüberschrift Gesellschaft verändern subsumiert die Ausstellung alles, was sie im Laufe des 20. Jahrhunderts unter dem politisch-progressiven Potenzial der Amateurfotografie versteht: von der Arbeiterfotografie, die ja eigentlich gerade nicht nur linke Pressefotografie liefern sollte, sondern die eigene ärmliche Lebenswirklichkeit der Arbeiter*innen zum Politikum erklärte, zu den Studentenprotesten in Westdeutschland, den Selbstbildern von Migrant*innen bis hin zur Anti-AKW-Bewegung in Gorleben und globalen Bürgerjournalist*innen heute. Die Amateurfotografie fungiert in diesen Konstellationen als selbstbestimmtes Zeugnis einer „Geschichte von unten“, die eine von den offiziellen Bildern (z.B. Pressefotografie) abweichende Perspektive auf das Geschehen möglich macht. Das Foto als Waffe zu nutzen, das taten, wenn man der Ausstellung glauben will, immer nur die Guten.

Lohnenswert wäre es, die Fotograf*innen mit den Bildern untereinander oder mit dem zeithistorischen Kontext zu verbinden. So wirkt es in der Ausstellung, als wenn jede/r Amateurfotograf*in auf seiner eigenen Insel werkelte, die von seinen/ihren eigenen Obsessionen dominiert wird: sei es der Hund, das Motorrad, das eigene Gesicht, die sexuelle Präferenz oder die Baudenkmäler der Stadt.

Einen interessanten Versuch zur Verschränkung von unterschiedlichen fotografischen Motivationen unternimmt das Museum für Kunst und Gewerbe in einem Kubus für Diaprojektionen, in dem zwei Konvolute von Reisefotografie ausgerechnet aus der DDR, einem Land mit äußerst beschränkter Reisefreiheit, ausgestellt werden. In einer Projektion werden 80 Kleinbilddias der Lehrerin Hildegard Schneider aus Neuzelle gezeigt, die im bildungsbürgerlichen Impetus ihre Reisen nach Kuba, Bulgarien, in die Sowjetunion, nach Rumänien, Vietnam oder Nordkorea unter kulturhistorischen und ethnologischen Aspekten nüchtern dokumentierte. Sie selbst taucht auf den Dias nie auf, stets scheint der neutrale Blick mit Bildungsauftrag im Vordergrund der Fotografien zu stehen, die sie konsequent auch im DDR-Unterricht verwendet hat.

Dieser Serie gegenüber wird die Auswahl von ebenfalls 80 Farbdias von Axel Herrmann projiziert, der als Pilot zusammen mit seiner Frau Heide, die als Stewardess arbeitete, ein hedonistisch anmutendes Jetset-Leben in den USA, Brasilien, Japan, Hawaii oder Italien führte. Nicht nur, dass diese Reiseziele für die Mehrzahl der Menschen in der DDR völlig unerreichbar waren, es spricht aus ihnen auch stärker die Lust an der Selbstinszenierung und die Adaption westlichen Lifestyles: Selbstportraits am Swimmingpool mit bunten Cocktails wechseln sich ab mit Modeaufnahmen und mondänen Hotels – fast schon eine frühe Variante der Selfie-Kultur. Eine schöne Entdeckung, dass beide Blickwinkel auf das Reisen gleichzeitig in der DDR existierten und nun zusammen präsentiert werden können.

Als Hauptproblem der Ausstellung erscheint mir neben der häufig fehlenden historischen Kontextualisierung der Fotografien, der Konzentration auf ausschließlich positiv-kreative Potenziale der Amateurfotografie und der Ausblendung des Nationalsozialismus die völlig kommentarlose Vermischung von Amateurfotografie mit künstlerischen Positionen: Künstler*innen, die mit Amateurfotografie oder Amateurästhetik arbeiten oder diese imitieren, um sich bewusst vom etablierten Kunstbetrieb abzugrenzen und trotzdem von diesem besonders authentischen, „unprofessionellen“ Effekt profitieren. Dazu zählen die Arbeiten von Irene Chabr, Joachim Schmid, Amalia Ulman und Eva und Franco Mattes sowie Dieter Hacker. Irgendwann muss dann wohl jeder Amateurfotograf ein Konzeptkünstler und jeder Konzeptkünstler ein Amateur sein.

 

Cover Ausstellungskatolog © Kehrer Verlag Heidelberg 2019

Zur Ausstellung erschien ein Katalog im Kehrer-Verlag mit vier ergänzenden Beiträgen von Bernd Stiegler zu Fotofehlern, von Susanne Regener zu Körperbildern, von Ulrike Bergemann zu Fotofiltern und von Susanne Holschbach zu Zeitzeugenschaft und Bildpolitik.

Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Amateurfotografie. Vom Bauhaus zu Instagram, herausgegeben von Esther Ruelfs, Tulga Beyerle. Texte von Ulrike Bergermann, Susanne Holschbach, Florentine Muhry, Susanne Regener, Esther Ruelfs, Sven Schumacher, Bernd Stiegler, Kehrer Verlag Heidelberg 2019; 192 Farb- und S/W-Abb. Deutsch / Englisch ISBN 978-3-86828-964-0 Euro 29,90

 

 

 

[1] Vgl. Willy Frerk, in: Photofreund 1933, zit. nach: Timm Starl, Knipser. Die Bildgeschichte der privaten Fotografie in Deutschland und Österreich von 1880 bis 1980, München 1995, S. 19.

[2] Dieses und das folgende Zitat vgl. Willy Stiewe, Foto und Volk, Halle 1935, S. 9 und S. 55.

 

Siehe zur Ausstellung auch Dennis Jelonnek: Rezension zu: Amateurfotografie. Vom Bauhaus zu Instagram, 03.10.2019 – 12.01.2020 Hamburg, in: H-Soz-Kult, 14.12.2019, www.hsozkult.de/exhibitionreview/id/rezausstellungen-356.

 

 

Zitation


Sandra Starke, Rezension: Ausstellung „Amateurfotografie. Vom Bauhaus zu Instagram“, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, 03.10.2019 – 12.01.2020, in: Visual History, 18.12.2019, https://www.visual-history.de/2019/12/18/rezension-ausstellung-amateurfotografie-vom-bauhaus-zu-instagram/
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-1715
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