Themendossier: Bilder des Krieges in der Ukraine

 

„Ukrainian Girl“ – Frau in Berlin am Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine, 24. Februar 2022. Fotograf: Lewin Bormann, Quelle: Flickr, Lizenz CC BY-SA 2.0

Mariupol, Irpin, aktuell Butscha – der russische Überfall auf die Ukraine seit dem 24. Februar 2022 führt zu immer neuen grauenvollen Bildern dieses völkerrechtswidrigen Krieges. Mit jedem Ortsnamen werden wir von nun an die verstörenden Fotografien von den Frauen aus der angegriffenen Geburtsklinik in Mariupol, die tote Mutter mit ihren beiden Kindern in Irpin und die ermordeten Zivilist:innen auf den Straßen von Butscha vor Augen haben.

Den visuellen Medien kommt bei der Berichterstattung über diesen Krieg, bei der Deutung wie auch bei der Dokumentation von Kriegsverbrechen eine zentrale Rolle zu. Die Macht der Bilder als gestaltende und mobilisierende Kraft im politischen Prozess wie auch als Fakten schaffender „Bildakt“ (Horst Bredekamp) war in Kriegszeiten schon immer groß.

Aktuell streamen wir den Krieg fast in Echtzeit; hinzukommen Bilder und Videos, die als Fake oder Deep Fake manipuliert oder aus dem Zusammenhang gerissen worden sind. Gleichzeitig wird breit in den Medien und der Öffentlichkeit über die Verifizierung von Bildmaterial und die Würde der Opfer bei ihrer bildlichen Darstellung diskutiert. Kriege werden niemals nur vor Ort geführt, sondern auch global mit Worten und Bildern, wie die Video-Botschaften des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an die Weltöffentlichkeit eindrucksvoll belegen.

Allerdings ist es wohl noch zu früh, umfassende bildhistorische Analysen vorzulegen – die Waffen schweigen nicht, täglich sterben Menschen. Wir wissen nicht, was noch kommt, wie dieser Krieg ausgehen wird. Die Journalist:innen in den Bildredaktionen stehen gegenwärtig vor besonders großen Herausforderungen im Umgang mit dem Bildmaterial. Daher hat die Redaktion von Visual History erste Interviews geführt, um mehr über ihre aktuelle Arbeit zu erfahren. Weitere Gespräche sind geplant sowie Überlegungen zum Umgang und zur Wirkung der Bilder in diesem Krieg.

 

Dieses Themendossier ist partizipativ angelegt. Wenn Sie sich mit einem Beitrag beteiligen möchten, bitten wir um eine Mail an die Redaktion: bartlitz@zzf-potsdam.de

 

Beiträge des Themendossiers „BILDER DES KRIEGES IN DER UKRAINE“
hg. v. d. Visual History-Redaktion:

 

Sophie-Charlotte Opitz, Alles und Nichts.Die Bildstrategien Russlands und der Ukraine im Krieg, in: Visual History, 24.06.2024

Hausruine, davor ein Mensch mit verpixeltem Gesicht und Schrift

„Der von dem Philosophen Günther Anders im Jahr 1980 getätigte Ausspruch ‚Jedes ist nur, weil es Bild ist‘ trifft auf die Ikonologien beider Kriegsparteien zu. Die hieraus resultierenden Bildstrategien weisen aber in zwei diametrale Richtungen. In der Ukraine gehört das Bild den Vielen. Neben der klassischen Berichterstattung kann jede Person in den sozialen Netzwerken Bilder produzieren, verteilen und interpretieren und so zum Image des Krieges als unmittelbare Erfahrung eines massenkulturellen Phänomens beitragen. In Russland wird die von Anders beschriebene Macht des Bildes invertiert. Ganz gleich, ob aufgrund von Überinszenierungen oder unvereinbaren Widersprüchen: Dem Bild, und folglich dem Ereignis, kann nicht mehr getraut werden. So wird das Bild in diesem Krieg zum Ausgangs- und Endpunkt einer mediatisierten Realität, in der es nicht mehr Mittel, sondern Ausdruck der Kriegsführung ist.“

 

 

Andreas Pribersky,„Back in the USSR“. Eine visuelle Analyse von Putins Fernsehansprachen zum Russisch-Ukrainischen Krieg, in: Visual History, 30.10.2023

Zwei Männer am Schreibtisch sitzend, links farbig, rechts Schwarz-Weiß.

„Mit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 hat der russische Präsident die TV-Ansprache zu einem zentralen Element seiner Kriegs-Kommunikation gemacht. Mit nunmehr insgesamt vier Ansprachen und einem Video-Statement aus dem Kreml seit Beginn des russischen Angriffs gegen die Ukraine sind Putins TV-Auftritte im Amtszimmer damit zu einem visuellen Rahmen für die Kommunikation von Schlüsselmomenten der Ukraine-Invasion geworden.“

 

 

Luftschutzbunker, Charkiv, März 2022. Foto: Svetlana Andrus ©

„Du wohnst in Lagern, in Schutzräumen, in der Fremde. Ständig hört man Explosionen. Durch die Fenster sieht man nichts. Sie sind gesichert und verbaut. Die Leute verteilen das letzte Brot untereinander. Die Menschlichkeit ist das Wichtigste im Leben.“

Fünf Frauen aus der Ukraine haben ihre Handy-Fotos aus den ersten Wochen des Russisch-Ukrainischen Krieges im Februar und März 2022 zur Verfügung gestellt.

 

 

 

 

 

 

 

Drei Jugendliche fahren auf zwei Motorrädern über eine staubige Straße einer Stadt.

Screenshot „True Warrior“, DE 2018, Regie: Ronja von Wurmb-Seibel, Niklas Schenck ©

Es geht darum, ein Gleichgewicht zu finden. Die Journalistin Ronja von Wurmb-Seibel im Interview, in: Visual History, 20.09.2022

„Das sind meine größten Kritikpunkte bei der Bild-Berichterstattung über den Ukraine-Krieg: Es werden die angerichteten Zerstörungen gezeigt und Bilder der Angreifer, also von Putin und Co. Das verstärkt ihre Macht und die Angst vor ihnen – und erfüllt damit genau das Ziel von Putin. Daher sollte bei Konflikt-Berichterstattungen nicht nur die Gewalt abgebildet werden, sondern auch der Widerstand dagegen.“

 

 

 

Foto: Anna Tiessen für ZEIT ONLINE ©

„Alles hat sich verdichtet“ – Kriegsbilder aus der Ukraine. Ein Interview mit Michael Pfister und Andreas Prost aus der Bildredaktion von „Zeit Online“, in: Visual History, 01.08.2022

„Natürlich haben Bilder eine aufrührerische Wirkung. Sie können auch während eines Krieges viel verändern – und haben es auch in der Vergangenheit schon getan. Teilweise liegt auch Hoffnung darin, dass sie es tun werden …“

 

 

 

 

 

David Rojkowski, Wir hatten ein normales Leben. Ukraine 2006-2022. Eine Ausstellung, in: Visual History, 21.06.2022

„Trotz eines langjährigen Umgangs mit Kriegsfotografien war meine Auseinandersetzung mit den Kriegsbildern aus der Ukraine im Jahr 2022 plötzlich ganz anders und neu. Bilder eines Krieges zu kuratieren, der gerade stattfindet – in einer bisher für mich nicht bekannten Nähe –, war etwas anderes, als Ereignisse, die Jahrzehnte zurückliegen, in einer neuen Narration vorzustellen. Es war nicht mehr möglich, eine analytische Perspektive einzunehmen, und im Kurator:innen-Team wollte das auch keiner.“

 

 

Andreas Pribersky, Ukrainische „Nachtwache“, in: Visual History, 11.04.2022

„Hier soll ein Motiv herausgehoben werden, dem in allen Analysen eine zentrale Bedeutung zugeschrieben wird: der Repräsentation der beiden Spitzenpolitiker als zentraler Akteure, des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und seines russischen Gegenübers, Wladimir Putin.“

 

 

 

Menschen auf der Flucht aus der Ukraine: zwei Frauen und ein Kind, eingehüllt in eine Decke

Foto: Fabian Ritter für FOCUS Magazin ©

Bilder vom Krieg im Minutentakt. Nadine Kurschat und Frank Seidlitz von der „Focus“-Bildredaktion im Gespräch, in: Visual History, 04.04.2022

„Das ist die schwierige Frage: Was kann man zeigen, was kann man nicht zeigen? Wenn es um Krieg geht, gibt es leider solche Bilder. Wir müssen dann gemeinsam abwägen, ob die Veröffentlichung notwendig ist, so schwer solch ein Motiv auch auszuhalten ist.“

 

 

 

 

 

Foto: l. Natalia Kepesz ©, r. Ramin Mazur ©

Journalismus in Kriegszeiten. Stefan Günther vom Journalisten-Netzwerk n-ost im Gespräch, in: Visual History, 28.03.2022

„Wir haben außerdem gleich in der ersten Kriegswoche einen Spendenaufruf für Jounalist:innen in der Ukraine gestartet. Da wir eng mit den Kolleg:innen verbunden sind und in direktem Kontakt stehen, wussten wir relativ früh, was Journalist:innen brauchen, um ihre Arbeit unter diesen Bedingungen fortzuführen. Sie brauchen zum Beispiel schusssichere Westen.“

 

 

 

Foto: Florian Bachmeier ©

In Limbo Ukraine 2013-2021. Fotografien von Florian Bachmeier – Virtuelle Ausstellung und Fotobuch, in: Visual History, 07.03.2022

„IN LIMBO“ zeigt Florian Bachmeiers Fotografien, die von 2013 bis 2021 in der Ukraine entstanden sind. Bachmeiers Porträts zeichnen dabei auch die psychologischen und sozialen Auswirkungen von politischen Konflikten, militärischer Gewalt und vielfacher Umbrüche auf die Menschen nach.

 

 

 

Linkliste

Bedeutung der Bilder

Michael Diers, Die Schrecken des Ukrainekrieges. Zeigen und Nicht-Zeigen von Gräuel und Gewalt in der Fotografie, in: Fotogeschichte 43 (Sommer 2023), H. 168

Ellinor Landmann, Realität vs. Propaganda. Fotos aus dem Ukraine-Krieg. Annette Vowinckel im Gespräch, SRF, 01.07.2022

Annette Vowinckel, Very Long Tables: A First Sounding of Photography of the War in Ukraine, in: fotomuseum winterthur, Blog, 20.05.-13.07.2022

Philipp Sarasin, Das Leiden anderer in meiner Timeline. Über Fotografie im Ukraine-Krieg, in: Geschichte der Gegenwart, 11.05.2022

Knut Cordsen, Visuelle Eskalationsspiralen im Krieg: Annekathrin Kohout im Gespräch, BR, 03.05.2022, und Podcast

Marlis Prinzing, Ukraine-Krieg: Bilder, die wir sehen müssen, Meedia, 04.04.2022

Daniel Leisegang, WarTok: Der Krieg in den sozialen Medien, Blätter für deutsche und internationale Politik, April 2022

Kriegsfotografin aus der Ukraine; „In meiner Heimat fürchte ich mich nicht“. Mila Teshaieva im Gespräch mit Vladimir Balzer, Deutschlandfunk Kultur, 21.03.2022

Bilder des Krieges: Warum wir zeigen sollten, was wir nicht sehen wollen, Übermedien, 12.03.2022

Die Macht der Karten, in: Übermedien, 11.03.2022

Ukraine-Konflikt: Bilderkrieg und Bilderkrise. Ein Interview mit Charlotte Klonk und Wolfgang Ulrich, Deutschlandfunk Kultur, 06.03.2022

Florian Peters, Verändert der Krieg alles? Wie Russland und die Ukraine für ihr Militär werben, in: Zeitgeschichte-online, März 2022

 

Verifizierung von Bildmaterial

Elisabeth Kagermeier, #Faktenfuchs: Falsche Behauptungen zu Video aus Butscha, BR24, 05.04.2022

Krieg in der Ukraine  RTS-Journalist in Butscha: „Sinnlos, eine Fälschung zu vermuten“, SRF, 05.04.2022

Imre Grimm, Krieg in sozialen Netzwerken. Traut euren Augen nicht! Im Krieg der Bilder ist praktisch alles möglich, RedaktionsNetzwerk Deutschland, 16.03.2022

Patrick Gensing, Desinformation zum Ukraine-Krieg: Veraltete Bilder und fiktive Journalisten, ARD Tagesschau, 01.03.2022

Jana Heigl/Max Gilbert/Julia Ley, Ukraine-Krieg: So ordnen Sie Quellen und Bilder richtig ein, BR24, 24.02.2022

 

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