„Stärke in der Fremde – die Stärke in mir“
Eine Fotoserie von ukrainischen Frauen
Bomben – Luftschutzkeller – Fluchtentscheidung
Fünf Frauen aus der Ukraine haben ihre Handy-Fotos aus den ersten Wochen des Russisch-Ukrainischen Krieges im Februar und März 2022 zur Verfügung gestellt.
Polina, Natalya, Svetlana, Natalia und Valeria zeigen auf den Bildern ihr eigenes Leben in Bombenkellern und auf der Flucht. Zuerst war das Ungeheuerliche der Angriffskrieg auf ukrainischem Territorium. Dann kam die Erkenntnis, dass nichts mehr so ist, wie es war, und die innere Frage: Wie schaffe ich es, ein neues Leben zu gestalten?
Insgesamt sind es 27 Fotografien unterschiedlicher Größe, zwischen 100 x 80 cm und 30 x 20 cm, teilweise Schattenfuge, verglast und unverglast. Man könnte fast meinen, dass die Frauen die Bilderrahmen aus den Nachbarzimmern der zerbombten Wohnungen ihres ukrainischen Lebensumfelds mitgenommen haben. Die farbliche Ästhetik überzieht die Wahrnehmung des Gegenwärtigen. Auf Visual History zeigen wir eine Auswahl der Bilder.
Svetlana Andrus
Wir wachten am 24. Februar 2022 mit meinem Mann von einem Klopfen an der Tür auf. Es war eine Nachbarin. Sie sagte: „Packen Sie Ihren Koffer, der Krieg hat begonnen.“
Wir haben lange Zeit nicht verstanden, dass dies in unserer Zeit möglich ist.
Wir wollten am Samstag Ski fahren! Wie ist das möglich? Als wir rausgingen, sahen wir alle Nachbarn. Die Türen der Keller wurden geöffnet. Niemand hatte sich auf den Krieg vorbereitet. Die erste Nacht verbrachten wir auf Styroporstücken im Keller.
Als wir merkten, dass es in unserem Hauskeller zu unsicher wurde, packten wir schnell einen großen Koffer, nahmen warme Sachen, Wasser, Essen und rannten zum Auto. Auf der Straße herrschte Chaos. Menschen holten Wasser, rannten in die Läden, um einzukaufen, weil sie begriffen, dass morgen eine Hungersnot kommen würde und einige die Waren ohne Bezahlung stehlen würden. Vorausschauend wurde in unserer Stadt, zum Schutz vor Plünderern, bereits am dritten Tag alles aus den Läden genommen.
Wir fanden einen anderen Bunker in einem anderen Teil der Stadt: ein alter sowjetischer Bunker ohne Licht, ein Leben unter minimalen Bedingungen. Man sieht ihn auf den Fotos, es ist wirklich ein Bunkerunterstand. Überall gab es verängstigte Menschen, Kinder, Rentner, umherirrende Frauen. Alle wurden durch den Krieg in die gleichen Umstände gezwungen. Später sahen wir, dass der erste Keller, in dem wir uns versteckt gehalten hatten, getroffen worden war. Eine Bombe traf das Gebäude gegenüber, und die Druckwelle hatte ringsum alles zerstört.
Der Krieg veränderte nicht nur unser Leben, sondern auch unsere Weltanschauung, Werte, Gedanken, Gefühle und Ansichten.
Natalya
Diese Explosion habe ich am 27. Februar 2022 um 1.20 Uhr nachts, 30 km vor Kijv, mit dem Handy aus dem Schlafzimmerfenster meiner Datscha fotografiert. Kurz zuvor hat sich unsere Familie entschieden, aus Kijv zu flüchten, um in einem kleinen Vorort Schutz zu suchen. Wir dachten, in unserer Datscha sei es sicher. Dann kam die Explosion. Die Bedrohung war schrecklich. Das Geräusch der massiven Detonation war furchtbar. Man kann nicht ohne Tränen darüber sprechen.
2014 begann der direkte Krieg Russlands gegen die Ukraine im Donbass. Ich habe verletzten ukrainischen Soldaten im Krankenhaus geholfen und die Situation in die Öffentlichkeit gebracht. Viele Menschen in der Ukraine haben 2014 nicht geglaubt, dass wir schon im Krieg mit Russland standen.
Polina Adamenko
Du wohnst in Lagern, in Schutzräumen, in der Fremde. Ständig hört man Explosionen. Durch die Fenster sieht man nichts. Sie sind gesichert und verbaut. Die Leute verteilen das letzte Brot untereinander. Die Menschlichkeit ist das Wichtigste im Leben.
Drei Tage brauchten wir für die Flucht von Charkiv nach Berlin. Wir haben viele hilfsbereite Menschen auf dem Weg getroffen.
Menschen außerhalb des Krieges können sich nicht vorstellen, was es bedeutet, wenn man sich entscheidet, Molotowcocktails zu bauen, um sich vor Angreifern mit schweren Waffen zu schützen. Ich flüchtete mit meiner Mutter und weiteren Familienmitgliedern in einen Vorort von Berlin.
Meine Cousine Daria, 27 Jahre, wohnt auch mit mir im Heim. Daria fuhr vor ein paar Wochen mit ihrer Mutter in der Berliner S-Bahn. Sie unterhielten sich miteinander. Ein Mann und eine Frau hörten die ukrainische Sprache und beschimpften sie auf Russisch, dass sie Scheiß-Nazis seien. Seitdem sprechen die beiden nicht mehr miteinander, wenn sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren.
Früher war mein Leben einfach. In Charkiv hatte ich gerade meinen Abschluss als Lehrerin absolviert. Ich habe ein Leben verloren, bin aber am Leben geblieben.
Ende des Sommers sind Freunde an die Front gegangen. Sie haben nichts zu essen, keine Schuhe, keine Fahrzeuge, keine richtige Kleidung. Für eine Fotoveröffentlichung habe ich etwas Geld bekommen, das habe ich an die Jungs, die an der Front kämpfen, gespendet.
Natalia
In der Sowjetunion und in Russland war und ist es verpönt, Ukrainisch zu sprechen. Seit der Wende Anfang der 1990er Jahre hat die Regierung in der Zentralukraine begonnen, Ukrainisch als Amtssprache durchzusetzen. In den Schulen und an Universitäten ebenso. Im Osten und in Teilen des Südens wird viel Russisch gesprochen. Teilweise ist dort eine Mischsprache (Surschyk) aus Ukrainisch und Russisch entstanden.
In den vergangenen acht Jahren hat die ukrainische Jugend in Kijv langsam aufgehört, Musik in russischer Sprache zu hören. In der Westukraine und in vielen anderen Teilen des Landes wurde die ukrainische Sprache gerettet. Weihnachtslieder wurden auf Ukrainisch weitergegeben. Mein Vater war immer stolz, ein Ukrainer zu sein. „Bitte sprecht Ukrainisch.“ Wir haben ukrainische Literatur gelesen.
Dezember 2022. Es ist Winter. In Kijv gibt es nur für kurze Zeit Strom am Tag. Internet ist fast gar nicht verfügbar. Es ist kalt. In unserer Datscha haben wir etwas Holz und Eingewecktes. Den Soldaten geht es noch schlechter. Jeder spendet Geld für die Soldaten und für die Krankenhäuser. Alle Ukrainer sind zueinander freundlich. Mehr und mehr sieht man junge ukrainische Männer mit amputierten Gliedmaßen.
Mein Vater betont, dass Russland seit 300 Jahren Geschichtsverfälschung gegen die Ukraine betreibt.
Svetlana Andrus
Zuerst dachte ich nur, jetzt werden alle aus der Ukraine anfangen, ihre Verwandten in Russland anzurufen. Schließlich hat fast jede ukrainische Familie Verwandte in Russland, und sie werden sagen, was für ein Horror, was Russland tut, das kann nicht wahr sein.
Nachdem ich im Schockzustand meine Tante in Russland angerufen hatte, begannen meine Mutter und ich, ihr zu erzählen, dass ein schrecklicher Krieg begonnen habe, dass in Charkiv alles explodiere. Meine Tante sagte: „Glaubt nicht, was im Fernsehen erzählt wird.“ Was??? Wir schickten ihr Fotos von zerstörten Gebäuden. Daraufhin bekamen wir die Antwort, dass Putin es gut machen würde: „Er weiß, was er tut. Ihr werdet ein wenig Geduld haben müssen, alle Nazis werden getötet, und alles wird gut.“
Wir haben überhaupt nicht verstanden, um welche Nazis es ging.
Was für ein sinnloser Wahn! Niemand hat jemals Russischsprachige in der Ukraine unterdrückt. Es ist alles erfunden. Ich habe im Donbass studiert, und meine Mutter stammt aus dem Donbass.
Russland beschießt friedliche Städte in der Ukraine, weit von der Front entfernt. Massive Angriffe vom Meer und aus der Luft. Sie versuchen, alle Strom- und Gasunternehmen in den Städten zu zerstören. Sie bombardieren alles, was die Menschen „leiden“ und „im Schlamm und in der Kälte umkommen“ lässt – das sind Sätze aus dem russischen Fernsehen.
Und sie haben Erfolg. Seit drei Tagen haben wir kein Internet, keinen Strom, kein Wasser. Bis dahin hatten wir tagsüber und nachts zwei Stunden Licht.
Wir hatten so ein cooles Land. Meine Heimatstadt ist Charkiv. Wir waren wirklich stolz auf unsere Städte. Wir Einwohner von Charkiv waren sehr zufrieden mit der Entwicklung unserer Stadt. Ich habe einen Online-Shop für Weihnachtsbäume, der war letztes Jahr erfolgreich, und – Du wirst es nicht glauben – auch dieses Jahr kaufen unsere Leute Weihnachtsbäume.
Es ist so viel neu gebaut. Parks, Brunnen, Sportstätten und Verwaltungsgebäude. Extrem leistungsstarke Farmen, Molkereien und Produktionsstätten mit bester Ausstattung. Meine Seele schmerzt für die Ukraine. Wir waren keine arme Nation, der Lebensstandard wurde allmählich verbessert, es gab soziale Sicherheit. Schwer war es mit den kleinen Renten, aber ich denke, dass wir das auch nach und nach hätten lösen können.
Die Ausstellung mit allen Fotografien wurde im Mai 2022 in Zühlsdorf am Rande von Berlin das erste Mal gezeigt. Sie wurde organisiert durch die Co-Autor:innen Volker Barndt und Katharina Bartsch. Die Fotoausstellung ist eine Gruppenarbeit. Bei gemeinsamen Treffen, in Gesprächen und Sichtungen wurden die Bilder ausgewählt und gerahmt sowie die Texte festgelegt.
Wir suchen weiterhin nach einer Möglichkeit, die Fotografien auszustellen. Auch freuen wir uns über Hinweise in den Medien zu unserem Projekt.
Kontakt: volker.barndt@gmail.com
Dieser Artikel ist Teil des Themendossiers: Bilder des Krieges in der Ukraine,
hg. v. d. Visual History-Redaktion
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