CfA: Die deutsche Konsumgesellschaft Ost und West der 1950er-1980er Jahre. Bedingungen – Ausprägungen – audiovisuelle Repräsentationen (AT)

Sammelband, Nomos Verlag, hg. von Sigrun Lehnert und Anke Steinborn: Beitrags-Vorschläge bis 15. Oktober 2024

Die Konsumgeschichte hat sich als ein bedeutendes Forschungsfeld etabliert, dessen Faszination nicht zuletzt auf den Brückenschlag zwischen „harten“ sozialhistorischen und „weichen“ kulturhistorischen Themen zurückführt (vgl. Schramm 2020).[1] Wie fruchtbar diese Betrachtungen sein können, lässt sich an den einmaligen Bedingungen eines geteilten und von unterschiedlichen politischen Zielen geprägten Landes aufzeigen. So sehen wir in der Untersuchung der Konsumgeschichte Deutschlands der 1950er bis 1980er Jahre ein großes Potenzial, um die konsumkulturelle Entwicklung einer Gesellschaft ausgehend von einer Ausgangssituation, allerdings dann verschiedene Wege einschlagend, nachzuzeichnen.

Die Zeit nach 1945 wurde geprägt von Wiederaufbau, gefolgt von einem mehr oder weniger rasant zunehmenden (Massen-)Konsum in Verbindung mit strategischen Werbe- und Marketingmaßnahmen. Nach Jahren der Entbehrungen repräsentierten das Warenangebot und die Möglichkeit zur Teilhabe am Konsum den Aufbruch in eine neue Zeit. Der Reichtum an Dingen wie Elektrogeräte für den Haushalt, das Auto oder modische Kleidung verkörperte den neuen Wohlstand und zeigte diesen vor allem auch nach außen. Angebot und Reichweite wuchsen stetig an, Begehrlichkeiten wurden geweckt und die Konsumspirale immer mehr angetrieben. Konsum wurde zunehmend als Mittel zur Selbstverwirklichung und Identitätsbildung betrachtet.

Trotz ähnlicher oder gleicher Bedürfnisse der Menschen (auch aufgrund des durch Medien ermöglichten Vergleichs) wurden diese in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik durch Wirtschaft und Politik unterschiedlich kanalisiert. Spätestens Ende der 1960er Jahre waren der Wunsch nach Fernseher, Kühlschrank, Waschmaschine und Auto auch in der DDR nicht länger ein Wunsch nach übertriebenem oder absurdem Luxus, sondern galt als normal für eine Industriegesellschaft (vgl. Merkel 2003[2]).

Im geplanten Sammelband soll der Wandel der Konsumgesellschaft im geteilten Deutschland nachgezeichnet werden. Beginnend mit dem Aufbruch in den 1950er Jahren über die unterschiedlichen Entwicklungen der 1960er und 1970er Jahre bis hin zu den 1980er Jahren, in denen sowohl die Differenzen als auch die Gemeinsamkeiten der ost- und westdeutschen Konsumgesellschaft symptomatisch zutage traten.

Im Fokus steht dabei, welche politischen, sozialen und ökonomischen Bedingungen jeweils die Gesellschaft prägten und v.a. wie audiovisuelle Medien als kritische Spiegelbilder fungierten. Anstatt den Konsum darin zum Hauptthema der Erzählung zu machen, wird er häufig als Ergänzung und Veranschaulichung anderer, nicht selten politisch motivierter, Erzählstränge betrachtet. Dokumentar-, Spiel- und Werbefilm werden ebenso wie Fernseh-, Rundfunk- und Wochenschaubeiträge aus West- und Ostdeutschland als Quelle für zeitgenössische Darstellungen von Konsum herangezogen, um als repräsentative Ausschnitte einen Einblick in das Konsumverhalten und dessen Kritik zu liefern. Diskussionen über die Rolle von Konsument:innen, Produzent:innen, Handel, Werbefachleuten und Konsumkritiker:innen sowie Vergleiche von Konsumtrends sind ein weiterer Teil der Untersuchung.

In einer Zeit, in der Konsum und Produktkritik aktueller sind denn je, soll der interdisziplinäre Sammelband nicht nur einen Blick zurück, sondern auch eine kritische Reflexion über die heutige Konsumgesellschaft bieten. Der Sammelband richtet sich einerseits an das Fachpublikum aus Medien- und Filmwissenschaftler:innen, Kulturwissenschaftler:innen und Historiker:innen, soll aber zudem interessant für alle sein, die die Wechselwirkungen von Gesellschaft, Politik, Medien und Konsum verstehen möchten.

Ein für einen Filmbeitrag ausgeleuchtetes Wohnzimmer mit Stehlampe und Sitzgarnitur

Filmstill: „Welt im Film“, Nr. 304 von 1951: eine Möbelausstellung, Quelle: Bundesarchiv Berlin ©

Mögliche (aber nicht abschließende) Fragestellungen können sein:

Phänomene der Konsumgesellschaft:

  • Welche sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen lassen sich abstrahieren?
  • Welche Wechselwirkungen zwischen politischen Interessen und Konsumverhalten zeigen sich?
  • Welche Rollen haben sich in der Konsumgesellschaft ausgeprägt, z.B. Konsument:innen, Werbefachleute, Händler:innen, Verbraucherschützer:innen?
  • Wie entwickelten sich die Wahrnehmung der Folgen des Konsums und die Konsequenzen daraus, z.B. Einrichtungen für Recycling?
  • Wie berichten Konsument:innen von ihren Erfahrungen im Konsumzeitalter?
  • Welche Gegensätze in der Konsumgesellschaft waren zu beobachten, wie Auswahl an Waren vs. Orientierungslosigkeit der Verbraucher:innen?
  • Wie verändert sich die Haltung gegenüber dem Konsum und der Produktindustrie?
  • Welche konsumkritischen Phänomene entwickelten sich, z.B. Dritte-Welt-Läden, Do-it-yourself, Bio-Waren?

 

… und ihre audiovisuelle Repräsentation:

  • Welche west- und ostdeutschen Filme der 1950er bis 1980er Jahre mit Fokus auf Konsumkritik sind exemplarisch?
  • Auf welche Weise fungieren Medien als Spiegelbilder der Gesellschaft, z.B. in Werbefilmen mit Werbefiguren?
  • Wie wurde speziell Kaufen und Konsum in den 1950er bis 1980er Jahren in Filmen gespiegelt?
  • Welche Veränderungen in der materiellen Lebensweise sowie im damit verbundenen Wandel von Konsum-Mentalitäten lassen sich in den Medien verfolgen?
  • Wie werden Verbraucher:innen dargestellt und ihr Konsumverhalten?
  • Wie werden unterschiedliche konsumistische Lebensstile und Konsumtrends medial verhandelt?
  • Welche konsumistischen Entwicklungen wie Selbstbedienung, Automarken und andere Marken für Konsumwaren als Statussymbol wurden thematisiert?
  • Wie wird Kritik an einer Massenkultur medial sichtbar, z.B. am Massentourismus und Individualmotorisierung?

 

Der Sammelband wird in der Reihe Konsum und Kultur – Geschichte und Gegenwart, herausgegeben von Prof. Dr. Gunter Hirschfelder, Universität Regensburg, und Prof. Dr. Barbara Wittmann, Otto-Friedrich-Universität Bamberg, im Nomos Verlag erscheinen.

Vorschläge von ca. 500 Wörtern mit einer Kurzbiografie werden bis zum 15. Oktober 2024 erbeten an: PD Dr. Sigrun Lehnert sigrun.lehnert@uni-bamberg.de und Dr. Anke Steinborn mail@ankesteinborn.de

 

 

[1] Manuel Schramm, Konsumgeschichte, Version: 3.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 02.09.2020, https://docupedia.de/zg/Schramm_konsumgeschichte_v3_de_2020

[2] Ina Merkel, Luxus im Sozialismus Eine widersinnige Fragestellung?, in: Reinhold Reith, Torsten Meyer (Hg.), Luxus und Konsum eine historische Annäherung, Münster 2003

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