Erinnerung im Fokus: Bilder, Macht und Deutungskämpfe in Europa zwischen 1945, 1990 und 2025
Gedenkstättenkonferenz Kreisau 2025, 19. bis 22. März 2025
Das Ost-West-Europäische Gedenkstättentreffen in Kreisau beschäftigt sich im Jahr 2025 mit dem historischen Bildgedächtnis in Verbindung mit den historischen Zäsuren „80 Jahre Kriegsende“ und „35 Jahre Zusammenbruch der kommunistischen Staaten“.
Im Fokus der Tagung steht die Frage, wie der Einsatz und die Rezeption von Fotografien und Bildern die Erinnerung an historische Ereignisse in Ost- und Westeuropa prägten. Wie wurden sie vor und nach 1990 in Gedenkstätten, Museen, Dokumentationszentren und Ausstellungen eingesetzt? Wie werden sie heute genutzt?
Ziel ist eine Standortbestimmung: Wie steht es um das historische Bildgedächtnis in Wechselwirkung zu diesen Zäsuren heute? Was änderte sich mit den Epochenbrüchen für den Einsatz von Bildern und damit verbundenen Narrativen, die sich um die Themenkomplexe „Massenverbrechen“, „Lager“, „Besatzungsregime“ und Gesten der „Versöhnung“ formiert haben? Was veränderte sich seit dem Visual Turn in den Nullerjahren für den Umgang mit Bildern, und welche Folgen hat die digitale Transformation, insbesondere der Einsatz von KI, für den Einsatz von Fotos und Bildern heute?
Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg ist eng mit dem Bildgedächtnis verknüpft. Während sich in den westlichen Ländern Europas nach 1945 die Möglichkeit eines demokratischen Neuanfangs eröffnete, gerieten die Staaten Osteuropas unter den Einfluss sowjetisch gestützter Besatzungsregime, die neue autoritäre Diktaturen errichteten. Das führte teilweise zu gegenläufigen Gedächtnissen.
Während des Kalten Krieges prägte die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen das kollektive Gedächtnis sowohl in West- als auch in Osteuropa. Bild-, Film- und Fotomaterial wurden auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs als Beweismaterial in juristischen Prozessen eingesetzt. Diese Form der Aufarbeitung führte einerseits zu einer Vielzahl neuer Erkenntnisse über die nationalsozialistischen Massenverbrechen. Andererseits wurde die juristische Auseinandersetzung von den jeweiligen politischen Interessen überlagert und das Bildmaterial für Propaganda instrumentalisiert.
Die stalinistischen Verbrechen hingegen blieben bis in die 1990er Jahre weitgehend unbearbeitet. Im Gegensatz zu den nationalsozialistischen Verbrechenskomplexen existiert hier kaum eine fotografische Überlieferung. Als Bündnispartner der westlichen Alliierten erschien die Sowjetunion weiterhin als Sieger im „Großen Vaterländischen Krieg“. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Stalinismus wurde erschwert.
Zugleich traten Gesten der Versöhnung, oft widerstreitend zu den offiziellen Narrativen, in den Vordergrund und warfen immer wieder Fragen nach der historischen Deutung auf. Zivilgesellschaftliche Initiativen und die wachsende Rolle von Zeitzeugen als Akteuren leisteten ab den späten 1970er Jahren einen wesentlichen Beitrag zur historischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen und trugen zur Diversifizierung des Gedenkens bei.
Erst die tiefgreifenden politischen Umbrüche der 1990er Jahre, die das Ende des Kalten Krieges markierten, eröffneten Zugang zu historischen Quellen und ermöglichten sowohl neue Perspektiven auf die nationalsozialistischen Verbrechen als auch auf die Verbrechen des Stalinismus. Dies führte zu intensiven Deutungskämpfen, die sich um die Anerkennung der Opfer und die Aufarbeitung konkurrierender Erinnerungskomplexe drehten.
35 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges sind die Deutungskämpfe selbst Gegenstand historischer Reflexion. In einer Ära des Digitalen, in der Zeitzeugenberichte abnehmen und analoge Dokumente dem Verfall preisgegeben sind, erscheint die Auseinandersetzung mit der visuellen Geschichte des „Rasse“- und Vernichtungskriegs der Wehrmacht und des Holocaust sowie der Umgang mit der Abwesenheit von Bildmaterial im Fall der stalinistischen Verbrechen umso notwendiger. Gerade dann, wenn Bilder von nationalsozialistischen Verbrechen neuerdings als Kriegspropaganda eingesetzt und stalinistische Gewalt verharmlost wird.
Ziel der Tagung ist es, Museen und Gedenkstätten in Europa und weltweit eine Plattform zum Austausch über diese Themen zu bieten, die Vernetzung untereinander zu fördern und eine kritische Reflexion über die Gestaltung demokratischer Erinnerungskulturen zu ermöglichen. Wir laden Fachleute und Multiplikatoren ein, an den Diskussionen teilzunehmen, und freuen uns auf einen anregenden und produktiven Dialog.
Eine Kooperation der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung, des Centrum Historii Zajezdnia, Evangelische Akademie, Berlin, der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
19. März 2025: Mittwoch
Ankunft
Führung über das Gelände
Turbopräsentationen
Kurzpräsentationen der Teilnehmer
20. März 2025: Donnerstag
Key Lecture
Christoph Kreutzmüller, Aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V.
Zuzanna Schnepf-Kołacz, Muzeum POLIN
Panel I: Bilder von Gewalt
Fotografien von Gewalt und Massenverbrechen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs existieren zahlreich. Dabei wird in viele verschiedene Kategorien unterschiedenen: Neben Fotodokumentationen zeugen Alltagsfotografien, Schnappschüsse, Familienalben sowie heimlich und unter Gefahr aufgenommene Bilder von Häftlingen oder Zwangsarbeitern vom Ausmaß der Gewalt. All diese Bilder werden in Ausstellungen, in Fotodokumentationen in Museen und Gedenkstätten eingesetzt und kuratiert. Die Fotografien erfüllen eine bestimmte Funktion. Die Art und Weise ihrer Nutzung und Darstellung unterliegt verschiedenen Methoden, dem Umgang mit der Fotografie als Quelle, dem kuratorischen Blickwinkel mit dem Ziel, ein Narrativ zu bebildern, eine Erzählung einzubetten.
Gleichzeitig gibt es unzählige Orte, die nicht dokumentiert sind. Das sind Orte, an denen NS-Verbrechen stattfanden, das sind ebenfalls Orte stalinistischer Massengewalt, die nicht gefilmt oder fotografiert wurden. Das Panel widmet sich der Frage nach der Funktion, Interpretation und Rezeption von Bildmaterial, das Gewalt bezeugen soll. Es fragt nach Trends und Bedingungen sowie nach den Veränderungen im Umgang mit Bildmaterial und seiner Funktion, der Entstehung und dem Wandel von Bedeutung.
Moderation: Amélie zu Eulenburg, Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
1. Babette Quinkert, Museum Berlin-Karlshorst
2. Michael Achenbach, Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
3. Maria Smorževskihh-Smirnova, Narva Muuseum
4. Igor Stankevich, Historiker und Journalist Belarus
Panel II: Bilder von Lagern
Das Panel verbindet die beiden Themenkomplexe „Lager“ und „Bildgedächtnis“ und diskutiert die Entstehung, Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der fotografischen Überlieferung von Lagern und ihren Einsatz in Ausstellungen und Museen in der Vergangenheit und Gegenwart. Dabei wird auch das Spannungsverhältnis diskutiert, dass einerseits zahlreiche Fotografien und Fotodokumentationen das Bildgedächtnis prägen, in manchen Fällen jedoch keine Überlieferung vorhanden ist.
Die Institution Lager und seine Rolle im 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart erfährt seit mehr als zehn Jahren eine umfassende wissenschaftliche Auseinandersetzung und fortschreitende Differenzierung. In transnationaler Perspektive wurden Lager insbesondere unter den Aspekten der Exklusion, Gewalt und sozialen Kontrolle behandelt. In diesem Rahmen wurden auch die Unterschiede zwischen nationalsozialistischen Lagern und sowjetischen Speziallagern und dem Gulagsystem vielfach diskutiert und benannt.
Welchen Beitrag hat die kontinuierliche Aufarbeitung der NS-Verbrechen und der Einsatz von Fotodokumenten und Bildmaterial auf den Einsatz von Fotografien in Ausstellungen? Welche Folgen hat die Tatsache, dass der stalinistische Gulag nicht dokumentiert wurde? Welche Strategien und Konflikte erwuchsen aus diesem Spannungsverhältnis in der Gegenwart? Was sagt das über die Deutung und Interpretation von den verschiedenen Verbrechenskomplexen heute aus?
Moderation: Irmgard Zündorf, Leibnitz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
1. Kathrin Unger, Gedenkstätte Bergen-Belsen
2. Igor Bartosik, Gedenkstätte Auschwitz (angefragt)
3. Jury Brodsky, Memorial (angefragt)
4. Julia Landau, Gedenkstätte Buchenwald
5. Michał Matheja, Forschungszentrum der deutschen Minderheit in Oppeln
Panel III: Bilder von Besatzung
Das Panel diskutiert das Bildgedächtnis von militärischen Besatzungen in Europa und nimmt dafür Besatzer und Besetzte in den Blick. Dabei stellt sie nicht nur die Besatzung der deutschen Wehrmacht im „Rasse“- und Vernichtungskrieg in den Vordergrund, es diskutiert auch die fotografische Erinnerung an die alliierten Besatzungen nach dem Zweiten Weltkrieg.
Welchen Einfluss hatte das Ende des Kalten Krieges auf die Aufarbeitung und die Verwendung von Bildmaterial in offiziellen Kontexten nach 1990? Welche Erfahrungsräume haben sich in den im Zweiten Weltkrieg besetzten Gebieten im Bildgedächtnis festgeschrieben und wie werden diese heute erinnert? Welche Rolle spielt die Erfahrung von Zwangsarbeit und Produktion bei der Dokumentation von Besatzungen? Inwiefern erscheinen die Bewohner der besetzten Gebiete als Akteure? Wo wird Repression und Zwang sichtbar?
Welche Erfahrungsräume hat die Alliierte Besatzung nach 1945 zur Folge und inwiefern unterscheidet sich das Bildgedächtnis in dem sowjetisch besetzten Teil Deutschlands und Europas von dem der Westzonen? Welche Rolle spielen Fotografien dabei die individuellen, persönlichen Erfahrungen aber auch die offiziellen Strukturen und Mechanismen von Besatzung festzuhalten? Welche Besatzungserfahrungen werden bildlich überliefert und wo bestehen weiterhin Nullstellen?
Moderation: Dominik Kretschmann, Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung
1. Iris Hax, Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit, Berlin
2. Evita Feldentāle, Museum of the Occupation of Latvia
3. Lénárt András, Holokauszt Emlékközpont Budapest
Panel IV: Workshop Worldcafé
Moderation: Samuel da Silva / Amélie zu Eulenburg, Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
1. Charlotte Meiwes, Arolsen Archives
2. Aliena Stürzer, Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück
3. Pauline Gault, Haus der Europäischen Geschichte
4. Clara Mansfeld, Stiftung Hamburger Gedenkstätten (angefragt)
21. März 2025: Freitag
Panel V: Sowjetische Denkmäler
Moderation: Katarzyna Bock-Matuszyk, Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung
1. Mischa Gabowitsch, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
2. Dimiter Dimov, Institute for Studies of the Recent Past, Sofia University
3. Martin Wöpke, Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge
Exkursion-Breslau Sowjetische Ehrenmale in der Region Breslau
Stadtführung mit Renata Bardzik Miłosz, Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung
Conference Dinner Breslau
22. März 2025: Samstag
Panel VI: Versöhnung und Bildgedächtnis
Das Panel diskutiert das Thema Versöhnung, seine Beziehung zum Bildgedächtnis und die Bedeutung für Gedenkstätten und Erinnerungsorte aus verschiedenen Perspektiven. Bilder von Gesten der Versöhnung, von Versöhnungsritualen mit Politikern oder auch zivilgesellschaftlichen Initiativen oder Einzelpersonen, sind spätestens seit den 1980er Jahren prägend für das Bildgedächtnis im 20. Jahrhundert. Sie sind damit wichtiger Bestandteil von Ausstellungen, welche die Verbrechen der Shoah, des Rasse- und Vernichtungskriegs, aber auch die Überwindung der kommunistischen Herrschaft in den 1990er Jahren thematisieren. Mitunter werden Gedenkstätten selbst zu Orten, an denen symbolhafte Handlungen und Rituale der Versöhnung stattfinden und vollzogen werden.
Moderation: Jacqueline Boysen, Helmut-Kohl-Stiftung
1. Pierre-Frédéric Weber, Uniwersytecie Szczecińskim
2. Dominik Tomenendal, Europäische Akademie Bayern
3. Wojciech Kucharski, Centrum Historii Zajezdnia
4. Dr. Alexandra Köhring, Stiftung Hamburger Gedenkstätten
Kontakt
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