Neue Rezensionen: H-SOZ-KULT
Neue Rezensionen auf H-Soz-Kult zu Publikationen aus dem Bereich der Historischen Bildforschung und Visual History

Hortense Haudebourt-Lescot: Gemälde einer lesenden jungen Frau am Fenster,
möglicherweise in der Villa Medici, Rom 1813. Quelle: Wikimedia Commons gemeinfrei
Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2024
rezensiert von Martina Mettner, redaktionell betreut durch Jan-Holger Kirsch

Cover: Schürmann/Yacavone (Hg.), Die Fotografie
und ihre Institutionen, Dietrich Reimer Verlag ©
Im Kontext der ab 2019 erneut geführten Debatte um ein bundesdeutsches Institut für Fotografie ging es zuletzt mehr um den Standort (Essen oder Düsseldorf) als um die wesentliche Frage, welche Aufgabe diesem Institut zufiele. Während die Fotografieszene sich mehrheitlich ein zentrales Fotoinstitut als Kompetenzzentrum für eine Koordinierung und Förderung der bereits zahlreich existierenden Institutionen und Initiativen wünscht, entschied sich die Politik im Herbst 2022 für Düsseldorf als Repräsentantin der Fotografie als anerkannter Kunstform (Stichwort: Becher-Schule). Den politischen Willen mag Unwissenheit über die vielfältigen Ausdrucks- und Anwendungsformen eines schwer fassbaren Mediums und seiner über Jahrzehnte etablierten, längst weiter gewachsenen institutionellen Bewahrung beeinflusst haben. Oder waren die Ursache der eingeschränkten Sicht auf die Fotografie eher „Forschungslücken“, welche die beiden Herausgeberinnen Anja Schürmann und Kathrin Yacavone konstatieren? […]
Wallstein Verlag, Göttingen 2023
rezensiert von Daniel Jankowski, redaktionell betreut durch Sarah Knoll

Cover: Wurzer, Der lange Atem kolonialer Bilder, Wallstein 2023 ©
Markus Wurzers Buch ist aus seiner 2020 am Institut für Geschichte der Karl-Franzens-Universität Graz eingereichten Dissertationsschrift hervorgegangen. Es bespricht die Ergebnisse seines Forschungsprojektes zu privaten Bildersammlungen, die im Kontext des Angriffskriegs Italiens auf das Kaiserreich Abessinien (1935–1941) von Soldaten aus Südtirol/Alto Adige angelegt wurden. Der Autor arbeitet in seiner umfassenden Studie mit 56 Beständen kolonialer Bilder aus Nachlässen, die ihm Familien nach Aufrufen in mehreren lokalen Tageszeitungen zur Verfügung stellten – damit untersucht Wurzer fotografische Überlieferungen von rund fünf Prozent der 1.118 Kriegsteilnehmer aus Südtirol/Alto Adige. […]
Schwabe Verlag, 2023
rezensiert von Nils Freytag, redaktionell betreut durch Jan-Holger Kirsch

Cover: Vetter-Schultheiß, Natur- und Umweltschutz
als ästhetische Praxis, Schwabe Verlag 2023 ©
Am 18. Juli 1985 wandte sich ein 15-jähriger Schüler an den Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen, Christian Schwarz-Schilling (CDU), und beklagte sich bitter über die zwei Tage zuvor erschienene 80-Pfennig-Sonderbriefmarke „Rettet den Wald“, die lebende und tote Bäume hinter einer kurz vor zwölf Uhr stehenden Uhr zeigte. Das dramatische Motiv sei nicht geeignet, die Umwelt zu retten; es helfe lediglich dem Posthaushalt. Stattdessen mahnte der Schüler aktives Regierungshandeln an: „Tun Sie und Ihr Kanzler lieber was für den Wald, gegen Schadstoffe.“ Er schloss mit einer rhetorischen Frage: „Was glauben Sie, bringt so eine Briefmarke für den Umweltschutz?“ Der Jugendliche konnte nicht ahnen, dass er mit dieser Argumentation Befürchtungen wahr werden ließ, die bereits lange vor Erscheinen der Briefmarke zu politischen Differenzen im zweiten Kabinett Kohl geführt und eine lebhafte Diskussion ausgelöst hatten, in die sich neben dem Kanzler und dem Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann auch der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß einschaltete. […]
Wendy Lower: The Ravine. A Family, a Photograph, a Holocaust Massacre Revealed
Bloomsbury, London 2021
rezensiert von Jana Matthies, redaktionell betreut durch Sina Fabian

Cover: Lower, The Ravine, Bloomsburg 2021 ©
Erreicht der Besucher oder die Besucherin im kürzlich eröffneten Nationaal Holocaustmuseum in Amsterdam den zweiten Stock und den Ausstellungsteil „Das Morden beginnt“, sieht er oder sie eine großflächige Bild- und Karteninstallation, die überblicksartig die Dimensionen der Verbrechen an den europäischen Juden und Jüdinnen zwischen 1939 und 1945 erklärt. Darin ist für einen kurzen Moment ein Schwarzweiß-Foto zu sehen, das am 13. Oktober 1941 im nordukrainischen Dorf Myropil aufgenommen wurde und eine Frau und zwei Kinder im Moment ihrer Erschießung an einer Grube im nahegelegenen Wald zeigt. Die Geschichte dieses Fotos und wer darauf zu sehen ist, hat die US-amerikanische Historikerin Wendy Lower in jahrelanger Recherche zu rekonstruieren versucht. Ihr daraus entstandenes Buch mit dem Titel „The Ravine“, in dem sie ihre Ergebnisse ebenso wie ihre Suche nachzeichnet, ist ein herausragendes Beispiel dafür, wie Historikerinnen und Historiker sich der Geschichte der Shoah nähern und wie sie darüber für eine breite Leserschaft schreiben können. […]