Die Fotopropaganda mit Kindern und Jugendlichen im deutsch-japanischen Vergleich
Eine ikonografisch-ikonologische Untersuchung anhand der Zeitschriften „Illustrierter Beobachter“ sowie „Shashin shûhô“ der Jahre 1938 und 1943
In keinem der am Zweiten Weltkrieg beteiligten Länder existierte eine freie Berichterstattung;[1] fotografisch stellte der Konflikt einen „Superlativ“[2] dar. Einer vergleichenden Untersuchung der Propaganda der beiden Länder Deutschland und Japan kommt jedoch eine Sonderrolle zu: Ihr Verständnis ist von Bedeutung für die Kenntnis der deutsch-japanischen Verbindung insgesamt. Vor allem auch deshalb, weil das deutsch-japanische Bündnis größtenteils nur in den Bemühungen von Propagandisten greifbare Realität annahm.[3] Es bestand nur wenig direkter Kontakt zwischen Deutschen und Japanern während des Zweiten Weltkriegs.[4] Das im November 1936 durch den Anti-Komintern-Pakt geschlossene deutsch-japanische Bündnis existierte zwar bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, war jedoch ein Bündnis aus Mangel an guten Alternativen.[5] Zusätzlich ist ein Vergleich dadurch besonders reizvoll, dass in der aktuellen Forschung wiederholt auf Parallelen zwischen Naikaku jōhōbu (内閣情報部, dt. „Kabinettinformationsabteilung“) und Naikaku jōhōkyoku (内閣情報局, dt. „Kabinettinformationsbüro“), beide Herausgeber der für die Untersuchung zentralen Zeitschrift „Shashin shūhō“, und dem deutschen Propagandaministerium aufmerksam gemacht wird.[6]
Die Darstellung von Kindern und Jugendlichen als inhaltlichem Schwerpunkt ist besonders vor dem Hintergrund interessant, dass in Japan die Mobilisierung von Kindern stark vorangetrieben wurde, wahrscheinlich sogar intensiver als in Deutschland.[7] Es stellt sich daher die Frage, mit welchen propagandistischen Mitteln man versuchte, Kinder für den Kriegsdienst zu gewinnen.
Mein Dissertationsvorhaben hat das Ziel, einen Beitrag zu zwei Gebieten der deutschen Geschichtswissenschaft zu leisten, von denen zumindest eines im letzten Jahrzehnt verstärkt in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt ist. In den vergangenen Jahren ist in der Geschichtswissenschaft als einer kommunikationsbezogenen Kulturwissenschaft vermehrt die Tendenz zu beobachten, mit den Medienwissenschaften in einen Dialog zu treten und beiden Disziplinen gemeinsame Interessensgebiete zu erschließen. Andererseits kann zwar der Themenbereich des deutsch-japanischen Kulturaustauschs unmittelbar vor und in der Zeit des Zweiten Weltkriegs als gut erforscht gelten, jedoch handelt es sich bei der Mehrzahl der Publikationen um japanologische Werke, welche sich – wenn überhaupt – nur am Rande auf eine Analyse von Darstellungsmustern bestimmter Medien fokussieren oder gar einen deutsch-japanischen Vergleich dieser Muster in Betracht ziehen.
Unter Rückgriff auf die ikonografisch-ikonologische Methode des Kunsthistorikers Erwin Panofsky sowie unter Hinzuziehung von Charles Sanders Peirces Bildtheorie, nach welcher Bilder nur im Rahmen der Wahrnehmung existieren, soll Mustern der Darstellung von Kindern und Jugendlichen in zwei propagandistischen, in erster Linie mit Fotografien arbeitenden Zeitschriften in einem deutsch-japanischen Vergleich nachgegangen werden: dem „Illustrierten Beobachter“ auf deutscher sowie der „Shashin shūhô“ (写 真 周 報, dt. „Fotografische Wochenschrift“) auf japanischer Seite. Hierdurch sollen Rückschlüsse auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Ausgestaltung der Bildpropaganda beider Länder im Allgemeinen zur Zeit des Zweiten Weltkriegs sowie auf die Funktionsweise von Propaganda in nationalistischen Regimen im Allgemeinen gezogen werden. Schwerpunkt der Untersuchung sind die publizierten Ausgaben der zweiten Jahreshälften 1938 und 1943. Einen besonderen Fokus der Analyse bilden die japanbezogenen Bilder im „Illustrierten Beobachter“ sowie deutschlandbezogene Bilder in der „Shashin shūhô“. Die Analyse konzentriert sich auf fotografische Darstellungen und Abbildungen, was Fotomontagen mit einschließt.
Dass die Sichtung mit der zweiten Jahreshälfte 1938 beginnt, ist zunächst der Tatsache geschuldet, dass 1938 das erste Publikationsjahr der „Shashin Shūhō“ darstellt und folglich für die Zeit vor 1938 keine Ausgaben vorliegen. Aus deutscher Sicht ist auf den Umstand zu verweisen, dass 1938 der Aufbau des Eher-Verlags (Herausgeber des „Illustrierten Beobachters“) als Pressekonzern des „Dritten Reichs“ als abgeschlossen gilt.[8]
Zusätzlich liegt die Wahl des Zeitraums der Untersuchung darin begründet, dass insbesondere in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre eine Annäherung zwischen Japan und dem nationalsozialistischen Deutschland zu beobachten ist, die aus politikgeschichtlicher Perspektive zunächst im Abschluss des Antikominternpakts zwischen Deutschland und Japan im November 1936 (Italiens Beitritt im November 1937) klar erkennbar ist.[9] Das verbindende Vorgehen gegen den gemeinsamen Feind des „Bolschewismus“ überlagerte hier die ideologischen Unvereinbarkeiten und unterschiedlichen Machtinteressen der beiden Bündnispartner.[10] In seiner 2014 erschienenen Untersuchung zu deutsch-japanischen Kulturbeziehungen der Jahre 1933 bis 1945 spricht Hans-Joachim Bieber aus kulturpolitischer Sicht von einer „Intensivierung der deutsch-japanischen Kulturbeziehungen zwischen Antikominternpakt und Frühjahr 1938“,[11] die an eine 1936 erfolgte „politische Annäherung und kulturelle Kooperation“[12] anschloss; weite Teile des Jahres 1938 behandelt Bieber unter der Überschrift „Ansätze zur Ausweitung der deutsch-japanischen Kulturbeziehungen“.[13] Ende 1938 wurde zur Förderung bilateraler Beziehungen ein Kulturabkommen geschlossen, welches Austausch auf den Ebenen Wissenschaft, Kunst, Musik, Literatur, Film, Funk, Jugendbegegnung und Sport vorsah. Künftig strebten beide Seiten danach, insbesondere den Austausch Jugendlicher und Studierender, der „künftigen Elite“ Deutschlands und Japans, zu befördern.[14] Parallel zu dieser Annäherung kann seit Mitte der 1930er-Jahre von einer regelrechten Propaganda für das nationalsozialistische Deutschland in Japan die Rede sein, die ihren Ausdruck in Ausstellungen, Filmen, der Beeinflussung japanischer Medien sowie der Entsendung prominenter Wissenschaftler sowie Jugend- und Studentendelegationen fand.[15]
Zunehmend mit Problemen behaftet war der deutsch-japanische Kulturaustausch spätestens mit Beginn des Kriegs in Europa. So ließ der Ausbruch des japanisch-chinesischen Kriegs 1937 sowie des Konflikts in Europa 1939 zahlreiche Planungen zur Erweiterung deutsch-japanischer Kulturbeziehungen hinfällig werden.[16] Ein weiteres Hindernis bildete der Abschluss des Hitler-Stalin-Pakts im August 1939, auf den jedoch im Kontext des Dreimächtepakts im September 1940 eine erneute Annäherung erfolgte.[17] Nach dem Angriff auf Pearl Harbour im Dezember 1941 waren die Verkehrsverbindungen zwischen Japan und Deutschland weitestgehend abgebrochen; ab 1943 kam die Zunahme alliierter Bombenangriffe auf beide Länder hinzu.[18] Die Untersuchung strebt einen Vergleich der Berichterstattung von 1938 mit jener von 1943 an, weil es vor dem umrissenen ereignisgeschichtlichen Hintergrund besonders interessant erscheint, der Frage nachzugehen, welchen Einfluss der Kriegsbeginn in Europa und die fortschreitenden Erschwernisse deutsch-japanischen Austauschs auf die Ausgestaltung der beiden Zeitschriften gehabt haben.
Meine Untersuchung geht von der Annahme aus, dass trotz gewisser Unterschiede zahlreiche Parallelen zwischen japanischer und deutscher Kriegspropaganda existieren, die in bisherigen Publikationen nicht in ausreichender Klarheit beleuchtet worden sind: Positionierungen führender Propagandisten zur Rolle des Bilds als Propagandamedium, Parallelen in Zielsetzung und Organisation von Naikaku jōhōbu bzw. Naikaku jōhōkyoku und dem deutschen Propagandaministerium, Ähnlichkeiten in Produktion, Rezeption und Zielsetzung der untersuchten Zeitschriften usw. Nach meinem bisherigen Erkenntnisstand vertrete ich darüber hinaus die These, dass die fotografische Propagandaaktivität Japans im Zweiten Weltkrieg ohne die Berücksichtigung deutschen Einflusses nur unzureichend erklärt werden kann. Mit meiner Arbeit möchte ich einen ersten umfassenden Beitrag zur vergleichenden Betrachtung der Zeitschriftenpropaganda beider Länder leisten, um die Einflüsse Deutschlands auf Japan aufzuzeigen, etwa die Aktivitäten japanischer Fotografen im Deutschland der 1920er- und frühen 1930er-Jahre, ihre Rückkehr nach Japan und die damit einhergehende Beeinflussung japanischer Fotografie durch die Weimarer Tradition, bis hin zur Beeinflussung der „Shashin Shūhō“ ab 1938.
[1] Michael Ebert, Die Ära der großen Bilder, in: ders./Lars Bauernschmitt, Handbuch des Fotojournalismus. Geschichte, Ausdrucksformen, Einsatzgebiete und Praxis, Heidelberg 2015, S. 63-76, hier S. 63.
[2] Ebd., S. 66.
[3] Ricky W. Law, Knowledge Is Power. The Interwar German and Japanese Mass Media in the Making of the Axis. Dissertation, University of North Carolina at Chapel Hill 2012, S. 13. Siehe auch meine 2014 an der Universität Trier eingereichte Masterarbeit zu Konstruktionen des Shintō in deutschsprachigen Publikationen ab 1939 bis Kriegsende: Lukas Frank, Von der „Erfüllung der Kokugaku“ und der „Wiederbelebung des Reinen Shintō“ – Staats-Shintō und Nationalsozialismus, unveröffentlichte Masterarbeit, Univ. Trier 2014.
[4] Law, Knowledge Is Power, S. 26.
[5] Ebd., S. 9.
[6] David C. Earhart sieht Parallelen in der Zielsetzung der Propaganda beim deutschen Propagandaministerium, dem amerikanischen United States Office of War und dem japanischen Cabinet Information Bureau (CIB) : die Moral aufrechtzuerhalten und die Menschen von der Richtigkeit des Krieges zu überzeugen (David C. Earhart, Certain Victory. Images of World War II in the Japanese Media, London 2008, S. 3). Barak Kushner sieht im deutschen Propagandaministerium das Vorbild des „Naikaku jōhōkyoku“ (Barak Kushner, A most successful „Failure“. World War Two Japanese Propaganda. Dissertation, Princeton University 2002, S. 46).
[7] Earhart, Certain Victory, S. 183.
[8] Thomas Tavernaro, Der Verlag Hitlers und der NSDAP. Die Franz Eher Nachfolger GmbH, Wien 2004, S. 5.
[9] Reinhard Zöllner, Geschichte Japans. Von 1800 bis zur Gegenwart, Paderborn 2006, S. 364.
[10] Axel Klein, Japan im Krieg. 1931-1945, in: Josef Kreiner (Hrsg.), Geschichte Japans, Stuttgart 2012, S. 381-418, hier S. 407.
[11] Hans-Joachim Bieber, SS und Samurai. Deutsch-japanische Kulturbeziehungen 1933-1945, München 2014, S. 8.
[12] Ebd., S. 7.
[13] Ebd., S. 9.
[14] Ebd., S. 18f.
[15] Ebd., S. 19.
[16] Ebd., S. 20.
[17] Ebd., S. 11.
[18] Ebd., S. 30.
Siehe zu diesem Thema auch: Andrea Germer, Adapting Russian Constructivism and Socialist Realism. The Japanese Overseas Photo Magazine „FRONT“ (1942–1945), in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 12 (2015), S. 236-263.