Familie & Film
Familienbilder und Alltagspraxen des privaten Familienfilms in der BRD der 1950er bis 1980erJahre
Ähnlich wie „Dia-Abend“ setzt auch der Begriff „Familienfilm“ den inneren Projektor in Gang: Die fast schon klischeehaften Motive heimischer Schmalfilme ziehen ebenso am geistigen Auge vorbei wie der filmende Vater, der freundlich-bestimmt einfordert, „mal was zu machen“, und das Rattern des Schmalfilmprojektors beim gemeinsamen Genuss der Bilder auf weißen Tapeten.
Das Dissertationsprojekt „Familie & Film. Familienbilder und Alltagspraxen des privaten Familienfilms in der BRD der 1950er bis 1980er Jahre“ widmet sich der „Visuellen Kultur des Familienfilms“. Mit der für den deutschsprachigen Raum noch kaum bearbeiteten Quelle des analogen privat-familialen Amateurfilms soll dabei der Frage nachgegangen werden, wo jene Produkte familialer Erinnerungskultur in einem Feld allgemein vermuteten gesellschaftlichen Wandels der 1960er- und 70er- Jahre verortet sind. Die Familienfilme sind kulturelle Objektivationen an der Schnittstelle zwischen gesellschaftlichen Entwicklungen und deren individueller Rezeption, zwischen diskursiven Moden und alltäglicher Praxis – und dienen hier zur Beantwortung der Frage, ob sozialwissenschaftliches Forschungspostulat und alltagshistorische Praxis tatsächlich kongruent sind.
Dabei vereint das Projekt verschiedene Perspektiven und Methoden aus Kulturanthropologie/Volkskunde, Geschichtswissenschaft, Kulturwissenschaften und Kunstgeschichte, um dem praktisch-textlichen Ensemble des Familienfilms gerecht werden zu können und zugleich Praxen der wechselseitigen Rezeption von Kunst, Massenmedien und privater Bildproduktion aufdecken zu können. Analog zur Oral History birgt diese Art von Quellen einen Blick auf die Dimensionen, Formen und Formate populärer Sinngebungsprozesse sowie Sinngebungstechniken und bietet die Möglichkeit, alternative Evidenz für soziale Praktiken jenseits administrativ, wissenschaftlich oder kommerziell generierter Bilder zu offerieren.
Hinsichtlich der Motivik des Familienfilms ist die Stereotypie und Gleichförmigkeit der Bilder ein Gemeinplatz, wenngleich auch empirisch vielfach belegt. Ebenso sinnfällig wahrnehmbar ist die Gleichsetzung von Familie und Glück in privaten Bildern – Bilder von Familie sind sich hochgradig ähnelnde Ikonen des Glücks, „Familie“ ist in diesem Sinne auch ein ästhetisches Ausdrucksformat: In ihren Bildern wirft die Familie den Blick auf sich selbst und offenbart ihre impliziten Ideale eines Familienlebens.
Trotz der starken Uniformität der privaten Familienbilder – die bereits Bourdieu früh als fundamentalen Bestandteil in seinen Studien zu den „sozialen Gebrauchsweisen der Photographie“ festhält – soll mit diesem Forschungsvorhaben die Frage nach einem möglichen Wandel der Bilder im Rahmen des sogenannten Wertewandels zwischen ca. 1965 und 1980 beantwortet werden. In die Ära des analogen Schmalfilms fallen also zwei historische wie soziale Entwicklungen: zum einen eine Hochphase der männlichen Ernährerfamilie im fordistischen Wohlfahrtsstaat, ein „golden age of marriage“, und zum anderen ein „Wertewandel“ und eine „Pluralisierung familialer Lebensformen“ seit Mitte der 1960er- Jahre. Mein Forschungsansatz soll der Skepsis einer kritisch reflektierenden historischen Wertewandelsforschung (Isabel Heinemann, Christopher Neumaier, Andreas Rödder) folgen, die der Rede von einem allgemeinen Wertewandel kritisch gegenüber steht und für eine historisch vergleichende Unterfütterung dieses sozialwissenschaftlichen Postulats plädiert.
Das Forschungsvorhaben soll also letztlich mithilfe lange vernachlässigter Bildquellen die Frage zu beantworten helfen, ob die hegemonialen Diskurse der Pluralisierung, Individualisierung und Modernisierung auch ihre Macht im privat-familialen Rahmen entfalten – oder ob trotz allen „Wertewandels“ die Filmbilder eher von einer Kontinuität in Sujets, Motivik und Funktionalität für die Familie geprägt sind und sich aus den Bildern eine Ungleichzeitigkeit zwischen gesellschaftlichem wie medialem Einstellungs- und Wertewandel und der familialen Alltagspraxis ablesen lässt.
Neben einer diskursanalytischen informierten ikonologisch-ikonografischen Analyse des familialen Filmmaterials soll auch – Roger Odins „semiopragmatischem Ansatz“ folgend – die Erforschung des „pragmatischen“ Bestandteils des Familienfilms, also der Praxen der Produktion und Rezeption, mittels qualitativer Interviews elementarer Bestandteil der Forschungen sein, um zu einem umfänglichen Bild zu gelangen. Eine solch umfassende Betrachtung des Familienfilms dient nicht nur zum Verständnis der Produktions- und Rezeptionspraxen, sondern auch dazu, den filmischen Text selbst untersuchbar zu machen und historisch wie sozial einzugrenzen.