Kolonialfotografie: Kulturelle Wahrnehmungsformen und Mediatisierung transnationaler Beziehungsverflechtung

Am Beispiel von Kamerun und Deutschland (1884-1918)

Ein Mann mit nacktem Oberkörper von vorne und von der Seite fotografiert

Sammlung Tessmann 1907: Porträtfotografie in Vorder- und Seitenansicht eines jungen Mannes
aus Jaunde der Familie Bava. Fotosammlung von Günther Tessmann zur „Lübecker Pangwe-Expedition“
(1907-1909). Quelle: Leibniz-Institut für Länderkunde, Archiv für Geographie, Leipzig ©

Diese Porträtfotografie (Abb. 1) ist Teil der Fotosammlung von Günther Tessmann (1884-1969) zur „Lübecker Pangwe-Expedition“, die im Archiv für Geographie des Leibniz-Instituts für Länderkunde in Leipzig aufbewahrt wird. Die zweijährige Mission (1907-1909), die in Lübeck geplant und maßgeblich finanziert wurde, sollte eine frühe Form der stationären ethnographischen Feldforschung im Süden Kameruns und im Hinterland des Festlands des heutigen Äquatorialguinea, den Pangwe, heute Fang, durchführen.

Zu den wichtigsten Hinterlassenschaften der verschiedenen europäischen Kolonialismen in Afrika gehören die Fotografien, die für die Kolonialreiche produziert wurden. Die Etablierung der kolonialen Kontrolle über den afrikanischen Kontinent und die Verbreitung der Fotografie als Mittel zur Dokumentation und Vermittlung von Bildern aus fernen Regionen fiel mit dem Ende des 19. Jahrhundert zusammen. Manche ethnologischen Museen und Archive in Deutschland verfügen über große Afrika-Sammlungen. Diese umfassen nicht nur Objekte und Kunstgegenstände, sondern auch umfangreiche Bildbestände aus dem subsaharischen Afrika.

Ziel meines Forschungsprojekts ist es, Kolonialfotografien von Menschen und Landschaften Kameruns, die zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs produziert wurden, zu untersuchen. Vor dem Hintergrund der aktuellen – nicht nur in Deutschland – geführten Debatten über das unzureichend aufgearbeitete „Erbe“ des Kolonialismus ist dieses Thema von hoher Aktualität.

Die Vielfalt deutscher Kolonialbilder zu Kamerun ist Ausgangspunkt des Forschungsprojekts. Im Mittelpunkt steht die Untersuchung der Rolle kolonialer Bilder in der Vermittlung anthropologischen Wissens über Menschen fremder Herkunft im Kontext europäischer bzw. deutscher Kolonialherrschaft. Ich gehe davon aus, dass die deutschen Kolonialbestrebungen von „kolonialen Phantasien“ (Susanne Zantop) begleitet und genährt wurden, die sich über Jahrhunderte im europäischen kulturellen Kontext tradierten und von aufkommenden modernen Strömungen durchdrungen waren.

Die Geschichte des Kolonialismus und der Fotografie ist eng mit der industriellen und imperialistischen Expansion Europas im 19. und 20. Jahrhundert verbunden. Die europäischen Nationen waren bestrebt, koloniale fotografische Darstellungen zu schaffen. Die Visualisierung der kolonialen Welt und der Kolonisierten war in Deutschland wie in ganz Europa eine weit verbreitete Form der Massenkultur. Die Gründung des deutschen Kolonialreichs verlief somit parallel zur Entstehung eines modernen Phänomens, nämlich der Etablierung einer visuellen Massenkultur (David M. Ciarlo). Der neue Bereich der visuellen Massenkultur schlug sich in der Fotografie bzw. Kolonialfotografie nieder.

Mein Projekt zeigt, dass Kolonialfotografien dem europäischen Publikum ein eurozentrisches Bild der kolonisierten Völker Afrikas vermittelten. Diese wurden in stereotypen Motiven als „primitiv“ dargestellt: Die Europäer sollten ihnen im Rahmen ihrer „Kulturmission“ Zivilisation bringen. Anknüpfend an neuere Arbeiten zur Kolonialfotografie von Christraud M. Geary, Paul Jenkins, Jens Jäger, Stefanie Michels, Kokou Azamede und Elizabeth Edwards verstehe ich die deutschen Kolonialbilder zu Kamerun als Zeugnisse, Medien und Dokumentationen eines anthropologischen und kulturellen Wissens über Kamerun. Dabei berücksichtige ich die historischen, sozialen und kulturellen Hintergründe der Kolonialgeschichte des Deutschen Kaiserreichs.

Darüber hinaus wird in dem Projekt ein postkolonialer bzw. transnationaler Zugang zu kolonialen Bildern entwickelt. Indem ich die Machtasymmetrien kolonialer Situation aufzeige, beziehe ich auch die Perspektive der Kolonisierten mit ein. Von Bedeutung ist dabei, die Kategorien des Kolonialismus kritisch zu hinterfragen und über sie hinauszugehen. Die Transnationalitätsthese, um die es hier geht, betont, wie mit kolonialen Fotografien in der Gegenwart umgegangen wird. Dies unterstreicht die Tatsache, dass historische Bilder oder Fotografien aus der Kolonialzeit ein zweites Leben erhalten und mehr Beachtung finden.

Folgende Bildkategorien werden in meiner Forschung verwendet: ethnografische Fotografien, Missionsfotografien und Fotografien mit exotischen Motiven. Hinsichtlich der visualisierten Kolonialgebiete stehen folgende Regionen im Mittelpunkt der Forschung: die Wald- und Küstenregion bzw. das Küstenhinterland, das Grasland und die Nordregion Kameruns.

Ein Mann sitzt auf einem Thron, ein anderer verneigt sich vor ihm.

Franz und Marie Pauline Thorbeckes Fotosammlung aus Kamerun 1911-1913 im Auftrag der Deutschen Kolonialgesellschaft.
König Njoya, Herrscher des Königreichs Bamum im Grasland von Kamerun, auf seinem berühmten perlenbesetzten doppelseitigen Thron während einer Audienz. Thorbecke (Fotograf/in). Nummer F19336. Quelle: Rautenstrauch-Joest-Museum, Köln ©

Eine Gruppe von wenig bekleideten Menschen auf einer Lichtung

Fotosammlung der Innerafrika-Expedition des Herzogs Adolf Friedrich zu Mecklenburg 1910/11. Expeditionsteilnehmer,
vermutlich der Herzog, posiert mit den „Pygmäen“ von Bomanjok in Mobiangele bei Yukaduma im Osten Kameruns.
Nummer: 2016.13:1805. Quelle: Museum am Rothenbaum (MARKK), Hamburg ©

 

 

 

 

Zitation


Romuald Valentin Nkouda Sopgui, Kolonialfotografie: Kulturelle Wahrnehmungsformen und Mediatisierung transnationaler Beziehungsverflechtung. Am Beispiel von Kamerun und Deutschland (1884-1918), in: Visual History, 11.04.2024, https://visual-history.de/project/nkouda-sopgui-kolonialfotografie-kulturelle-wahrnehmungsformen-und-mediatisierung-transnationaler-beziehungsverflechtung/
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-2750
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