Zur Repräsentation des Anderen

Eine Analyse von Ausstellungen im Kontext von Migration und ihren diskursiven Dynamiken in Deutschland anhand von Katalogen und anderen Dokumenten sowie exemplarischer Rezeptionsstrecken

Ausstellungen als außerschulische Bildungsformate sind populär; so auch konkrete Themenausstellungen zu Einwanderung, Flucht oder weiteren Formen von Migration, wie beispielsweise Pendel- oder Transmigration. Als politisches Bildungsangebot, welches auf ein ästhetisches Erleben seitens der Betrachter*innen setzt, lassen sich seit Ende des 20. Jahrhunderts Ausstellungen finden, die Migration und gesellschaftliche Heterogenität explizit zum Thema machen. Diese bilden den äußeren Rahmen für das Dissertationsprojekt.

In der bisherigen Forschung zu diesem zunehmend populären Bildungsformat stellt die Institution Museum oftmals den zentralen Kontext dar. Demgegenüber finden Ausstellungsprojekte aus der Institution Schule oder der Sparkasse „um’s Eck“ als weitere etablierte Ausstellungsorte weitaus seltener Berücksichtigung. Über eine Online-Recherche zu Ausstellungen, die Migration nach Deutschland thematisieren, wurden mit Einbezug auch nicht-musealer Angebote insgesamt 814 Ausstellungen zwischen den Jahren 1974 und 2013 erhoben, die mit den dazugehörigen Dokumenten den Untersuchungskorpus des Dissertationsvorhabens darstellen.

 

ohne Titel, 1964, Fotograf: unbekannt. Quelle: DOMiD-Archiv (Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland) Köln © mit freundlicher Genehmigung

Demonstration für die Gleichberechtigung von Deutschen und AusländerInnen, um 1993, Fotograf: unbekannt. Quelle: DOMiD-Archiv Köln © mit freundlicher Genehmigung

 

Der Analysefokus liegt neben der Betrachtung der didaktischen Konzepte insbesondere auf dem prominentesten Medium innerhalb der Ausstellungen: dem Bild. Diesbezüglich liegt die Vorannahme zu Grunde, dass zum einen, unter sozialgesellschaftlichen Gesichtspunkten, Bilder vorherrschende Diskurse nicht nur „abbilden“, sondern auch mitschreiben, und zum anderen, hinsichtlich bildungswissenschaftlich-pädagogischen Aspekten, Bilder unmittelbare Affekte seitens der betrachtenden Person hervorrufen.

Mit dem Aufgreifen des kunsthistorischen bzw. kulturwissenschaftlichen Ansatzes von Aby Warburg können Bildbeziehungen im Sinne von Bild-Bild-Bezügen aufgedeckt und verwendete Darstellungsweisen und Formen der Gebärdensprache systematisiert werden. Die ausgestellten Repräsentationsformen sind dabei in einem über das einzelne Ausstellungsstück hinausweisenden Funktionszusammenhang von Sehen und Verstehen zu betrachten: Sie sind eingebettet in alltägliche Rezeptionsgewohnheiten sowie daran anknüpfende Affektstrukturen erlebter Bildwelten. Die Analyse migrationsgesellschaftlicher Diskurse erfolgt durch die Auseinandersetzung mit vornehmlich fotografischen Exponaten. Es wird davon ausgegangen, dass nicht nur über die Inhalts-, sondern gerade auch über die Formebene des Bildlichen diskursive Affekte im Kontext von Migration aufgegriffen und verhandelt werden. Der methodische Ansatz Aby Warburgs kann so für eine migrationsgesellschaftliche Ikonologie adaptiert werden, um das vielfältige Ausstellungsangebot zu Migration nach Deutschland aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive zu erforschen.

In methodischer Hinsicht wird konkret ein zweistufiges Verfahren verwendet, was eine Verzahnung von quantitativer Strukturanalyse und qualitativ ausgerichteter Feininterpretation zum Ziel hat. Bezüglich des quantitativen Teils der Studie wird sich mit Verweis zu Erwin Panofsky an der Bildtypenanalyse orientiert, um den Untersuchungskorpus von sämtlichen Bildern, die in und zu den Ausstellungen verwendet wurden, in einem ersten Schritt aufzubrechen. Des Weiteren hat die Offenlegung der „Typengeschichte“ zum Ziel, herauszuarbeiten, wie das Thema Migration über Gegenstände und Ereignisse zum Ausdruck gebracht wird[1] – übersetzt ließe sich auch von der Analyse etablierter Weltsichten auf das Thema sprechen (Abb. 1 bis 3).

Berlin-Kreuzberg, 1974, Fotograf: Vlassis Caniaris. Quelle: DOMiD-Archiv Köln © mit freundlicher Genehmigung

Die Interpretation der Bilder auf Feinebene wird im Rahmen jeweilig herausgearbeiteter Bildtypen durchgeführt. Hierbei stehen weniger die Motive oder Bildgegenstände im Fokus, sondern vielmehr Aspekte der gestalterischen Formsprache. Die Schwerpunktsetzung innerhalb der Bildbetrachtung verlagert sich somit von der Fragestellung Was hin zur Fokussierung auf das Wie. Hintergrund dieses zweiten Schritts ist die o.g. Vorannahme, dass Bilder unmittelbare Affekte seitens der Rezipient*innen hervorrufen und diese maßgeblich über die Formsprache mitbestimmt werden. Angeknüpft wird diesbezüglich an die theoretischen Arbeiten Aby Warburgs; konkret an das Konzept der Pathosformel sowie das des Nachlebens der Bilder.[2] Vereinfacht ließe sich das dahinterliegende Verständnis damit beschreiben, dass der Bildgegenstand oder das Sujet über die Ausdrucksweise mit einem Pathos belegt wird, dessen Formsymbolik über bestehende und bereits gesehene Bilder internalisiert wurde. Die zum Teil unbewusste Verwendung gestalterischer Prinzipien knüpft daher immer an bestehende Ausdrucksformen an, die hinsichtlich ihrer Affektwirkung für das Darzustellende als geeignet empfunden werden: so beispielsweise das klassische Halbprofil für die Darstellung der Frau mit eher modisch anmutendem Accessoire und im Gegensatz dazu die verfolgten stilistischen Prinzipien der Frontalität und Symmetrie für die zwei weiteren Porträtfotografien, auf denen die abgebildete Frau über das ikonische Symbol des religiös deutbaren Kopftuches als Muslima interpretiert wird (Abb. 4).[3] Über die Herausarbeitung etablierter Formsprachen jeweiliger Bildtypen sowie die Rekonstruktion ihrer Tradierungslinien lässt sich die Affektstruktur freilegen, die zum Thema Migration im kulturellen Gedächtnis eingeschrieben ist.

Elektronisch nachgezeichnete Pressefotografie der Ausstellung „Was glaubst du denn?!“, 2013, bereitgestellt von der Bundeszentrale für politische Bildung, nachgezeichnet von Tim Wolfgarten © mit freundlicher Genehmigung

[1] Vgl. Erwin Panofsky, Sinn und Deutung in der bildenden Kunst, Köln 2002, S. 48.

[2]  Siehe hierzu vertiefend Aby Warburg, Mnemosyne, Einleitung, in: ders.,Werke in einem Band. Auf der Grundlage der Manuskripte und Handexemplare hrsg. und kommentiert von Martin Treml, Sigrid Weigel und Perdita Ladwig, Berlin 2010, S. 629-639, sowie Georges Didi-Huberman, Das Nachleben der Bilder, Berlin 2010.

[3]  Bewusst wurde die exemplarisch verwendete Ausstellungsansicht elektronisch nachgezeichnet angeführt, um so den Blick vom Bildgegenstand hin zur formalen Konzeption zu lenken. Siehe hinsichtlich der Differenzierung zwischen dem „wiedererkennenden Gegenstandssehen“ und dem „sehenden Sehen“ Max Imdahl, Cézanne – Braque – Picasso: Zum Verhältnis zwischen Bildautonomie und Gegenstandssehen, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 36 (1974), S. 325-365.

 

 

Siehe zu diesem Thema auch:

Fachtagung: Migration im Bild. Zum aktuellen Stand der Diskussion um Bild und Migration aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive, Universität zu Köln 30.-31.3.2017Veranstalter/innen: Henrike Terhart, Michalina Trompeta, Tim Wolfgarten, Arbeitsbereich Interkulturelle Bildungsforschung, Universität zu Köln
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