Kollegen bei der Arbeit

Die Fotografien von Günter Franzkowiak zwischen Schilderung und Portrait

Betriebsschlosser bei der Reparatur eines Förderbands, 1957 Volkswagenwerk Wolfsburg; Foto: Günter Franzkowiak © mit freundlicher Genehmigung

Innerhalb des weit gefächerten Feldes der auf sozialdokumentarische Inhalte ausgerichteten Fotografie nimmt der Bereich der Arbeiterfotografie einen umfangreichen, häufig politisch und sozialkritisch motivierten eigenen Bereich ein. Vor allem im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung und der Wirtschaftskrise zwischen den beiden Weltkriegen im 20. Jahrhundert entwickelte sich die authentisch von Arbeitern fotografierte Arbeitswelt mit ihren Schilderungen von Produktions- und Arbeitsbedingungen zu einem auch agitatorisch eingesetzten eigenen Bereich der Fotografie. Von der beschreibenden Darstellung bis hin zu über Missstände aufklärenden Gesichtspunkten gehört die Arbeiterfotografie bis heute zu wichtigen bildjournalistischen Inhalten.

Das Thema der Arbeit und das mit ihr verbundene, von sozioökonomischen Bedingungen abhängige soziale Leben sowie die physiognomische Prägung des Individuums durch seinen Beruf gehören darüber hinaus zu fotografisch und konzeptionell ebenso vielfach wie unterschiedlich behandelten künstlerischen Inhalten. Hierfür beispielhaft können seit dem frühen 20. Jahrhundert fotografische Positionen wie die von Lewis Hine (1874–1940), der sich unter anderem mit dem Thema der Kinderarbeit beschäftigte, oder später Walker Evans (1903–1975) oder Dorothea Lange (1895–1965) angeführt werden. In den 1930er Jahren gehörten die beiden letztgenannten zu den von der amerikanischen Regierung beauftragten Fotografinnen und Fotografen, die innerhalb des Farm Security Administration-Programms zur Verbesserung der Lebenssituation verarmter Farmer und Landarbeiter deren Leben in den Südstaaten Amerikas während der großen Depression aufnahmen. Obwohl es sich bei diesen Bildern zunächst um dokumentarische Auftragsarbeiten handelte, beanspruchte Walker Evans die Freiheit zur Selbstgestaltung der Inhalte. Wohl auch deswegen erlangten seine wie auch Dorothea Langes Fotografien mit Blick auf eigenständige Kompositionen, Bildausschnitte und Sensibilität für Portraits einen besonderen Stellenwert im Kontext der Fotografie als Bereich der Bildenden Kunst.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg und bis heute gehören sozialdokumentarisch ausgerichtete Konzepte zur Dokumentation von Arbeitssituationen zu wiederkehrenden Themen der Fotografie, wofür unter anderem das Werk von Allan Sekula (1951–2013) beispielhaft ist.

Die Vielzahl der Schwarzweißfotografien von Günter Franzkowiak sind weder aus politisch agitatorischen noch aus künstlerisch konzeptuellen Beweggründen entstanden. Erzählerisch stehen in der Vielfalt seiner in etwa vor fünfzig bis sechzig Jahren entstandenen Fotografien eher die wiederkehrenden und besonderen Momente des Arbeitslebens, die soziale Identifikation des Bildautors mit seinen Kollegen und manchmal auch individuelle Portraits im Vordergrund seines Bildinteresses. Dabei weisen sie in einigen Fällen hervorzuhebende bildnerische Besonderheiten auf, bewegen sich zwischen Schilderung und Portrait und sind mit ihren handwerklich ausgearbeiteten Qualitäten der Schwarzweißfotografie grafisch und von Lichtführungen ästhetisch geprägt.

Besonders die Nahsichten auf einige Kollegen bei der Arbeit erinnern dabei mitunter auch an die berühmten Portraits von August Sander (1876–1964), die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts mit dokumentarischer Bildsprache aufgenommen wurden. Als umfangreiches und bis heute im Kontext der Entwicklung typologisch-künstlerischer Fotografie wegweisendes Konzept legte August Sander bereits in den 1920er Jahren sein für die Fotografiegeschichte exzeptionelles Portraitwerk Menschen des 20. Jahrhunderts an. Innerhalb des in sieben Gruppen unterteilten Kompendiums zum Menschenbild seiner Zeit nehmen in der II. Gruppe die Arbeiter und Handwerker einen eigenen Bereich ein und erscheinen vor neutralen Hintergründen oder im Umfeld ihres Wirkens mit konzentrierten Blicken und Attributen ihrer Arbeit ausgestattet.[1]

Obwohl die fotografische Arbeit Günter Franzkowiaks eher auf einem ausgeprägten Interesse an der Fotografie in Verbindung mit dem sozialen Umfeld seines Arbeitslebens beruht, haben manche seiner Fotografien, die er von seinen Kollegen gemacht hat, durchaus auch künstlerische Qualität; sie erinnern an die Handwerker bei August Sander. Hierfür beispielhaft erscheint bei Günter Franzkowiak das Portrait seines Kollegen Fritz Jacobs. Auf seine Arbeit konzentriert, den Fotografen nicht beachtend, wird Jacobs im Halbportrait dargestellt. Auch andere Portraits von Kollegen sind mit ihrer Konzentration auf die Arbeitshandlung bildnerisch sehr ausdrucksstark. Während Günter Franzkowiak seine Kollegen jedoch nur aus privatem Interesse an der Fotografie und für seine persönlich intendierte Dokumentation aufnahm, nehmen die Handwerker-Arbeiter bei August Sander einen eigenen Stellenwert im typologisch angelegten und den Vergleich zu anderen Menschen ermöglichenden Portraitkompendium ein.

Fritz Jacobs beim Säubern einer Schweißnaht, 1956 Volkswagenwerk Wolfsburg; Foto: Günter Franzkowiak © mit freundlicher Genehmigung

Man kann davon ausgehen, dass es heute Günter Franzkowiak nicht mehr erlaubt wäre, in den Produktionshallen der Volkswagen AG den Arbeitsalltag seiner Kollegen fotografisch festzuhalten. Was ihm Zeit seines Arbeitslebens bis zu seinem Ruhestand Anfang der 1990er Jahre möglich war, würde heute im konkurrierenden internationalen Wirtschaftsalltag, bei der die Sorge vor Industriespionage stets gegenwärtig ist, nicht mehr denkbar sein. Produktionsbedingungen und Produktionsgeheimnisse gilt es vor der Konkurrenz zu schützen. Im Bewusstsein um die „Bilderverbote“, wie sie bei den Großkonzernen, den „Global Playern“ der internationalen Wirtschaftsbeziehungen heute vorherrschen, sind die Fotografien Günter Franzkowiaks aus heutiger Perspektive neben einer persönlichen Sammlung auch ein fotografisches Relikt.

Seine Aufnahmen sind als persönlich motivierte Dokumentation seines täglichen beruflich-sozialen Umfeldes und dem Miteinander der Kollegen entstanden. Sie dienen nicht dazu, Missstände anzuklagen; vielmehr halten sie Teamarbeit und Einzelleistungen in Bildern fest.

Schweißarbeiten, 1960er Jahre Volkswagenwerk Wolfsburg; Foto: Günter Franzkowiak

[1] August Sander, Menschen des 20. Jahrhunderts: Ein Kulturwerk in Lichtbildern eingeteilt in sieben Gruppen. Bearbeitet und neu zusammengestellt von Susanne Lange, Gabriele Conrath-Scholl und Gerd Sander. 7 Bände, hg. v. Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur. München 2002. – Dieser Beitrag ist ein leicht überarbeiteter Nachdruck; die Originalveröffentlichung findet sich in: Das Archiv. Zeitung für Wolfsburger Stadtgeschichte, Nr. 13, April 2019, S. 7-8, online unter https://www.wolfsburg.de/kultur/geschichte/izs-neu/izs-aktuelles/das-archiv. Wir danken Alexander Kraus für die Genehmigung.

 

Die Ausstellung Günter Franzkowiak: Arbeit ist vom 12. April bis zum 5. Mai 2019 im Kunstverein Wolfsburg, Schlossstr. 8, 38448 Wolfsburg, sowie vom 29. Mai (Eröffnung) bis zum 20. Juni 2019 in der Bar Lissabon, Breite Straße 25–27, 38100 Braunschweig, zu sehen.

 

 

Zitation


Barbara Hofmann-Johnson, Kollegen bei der Arbeit. Die Fotografien von Günter Franzkowiak zwischen Schilderung und Portrait, in: Visual History, 24.04.2019, https://www.visual-history.de/2019/04/24/kollegen-bei-der-arbeit/
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-1638
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