Advent, Advent 2022 …

Visual History – Xmas Special

24 x Geschichte(n) des Jahres 2022, 24 erhellende Momente zum Verhältnis von Bildern und Geschichte. Kolleg:innen am ZZF haben ihre Handys durchsucht und ein Foto ausgewählt. Wir zeigen in unserem Adventskalender, was die digitalen Schatullen so hergeben. Welche Geschichten stecken hinter den Bildern, welche Fragen werfen sie auf, welche Vergangenheit halten sie wach?

Die Bilder und Texte sind vom 1. bis zum 24. Dezember 2022 auf dem Instagram-Account von Visual History veröffentlicht worden –  hier gibt es sie noch einmal kompakt.

 

Basketballplätze faszinieren mich schon immer. Für mich – einen Amateurspieler, der fast alle Ambitionen hinter sich gelassen hat – sind es Orte der Tagträumerei. Dieser hier ist einer von vielen Plätzen in der Altstadt Jerusalems. Die meisten gehören zu Schulen. Das in einer so dichten, duzendfach überlagerten Stadt wie Jerusalem auch Platz für solche Räume ist, hat mich beeindruckt – und gefreut.

Robert Mueller-Stahl, Jerusalem, Altstadtmauer nahe des Jaffa-Tors, 21. März 2022, CC BY-NC-ND 4.0

 

 

Friedenswünsche für die Ukraine. Gebastelt von Berliner Schülerinnen und Schülern im März 2022.

Wir alle sind mit der einfachen Wahrheit aufgewachsen: „Krieg ist keine Lösung!“ Was machen wir jetzt mit der Einsicht, dass dieses Mantra uns weder hilft, die Situation zu begreifen, noch sie zu lösen?

Corinna Kuhr-Korolev, Foto: Berliner Schule, März 2022, CC BY-SA 3.0

 

 

Das Foto zeigt Street Art eines unbekannten Künstlers in Ravenna, Italien. Es entstand im September 2022 während des ersten Auslandsurlaubs „nach Corona“. Das Bild zeigt zwei Menschen, die sich durch ihre blauen OP-Masken hindurch küssen. Ein Teil des Graffitis wurde übersprüht und zerkratzt.

Für mich symbolisiert das Foto die Erfahrungen der letzten Jahre: Schutzmaßnahmen, Abstandsgebote und Corona-Proteste, aber auch den Wunsch nach Normalität und Nähe.

Svea Hammerle, Ravenna, September 2022, CC BY-NC-ND 4.0

 

 

Das Bild zeigt die Demonstration für die Frauen im Iran „Women, Life, Freedom“ vom 28. September 2022 in Berlin. Zahlreiche Männer und Frauen, darunter viele Exil-Iraner:innen, protestierten nach dem Mord an Jina Mahsa Amini vor dem Brandenburger Tor in Berlin.

Seither sind viele weitere Menschen im Iran für Freiheit und Menschenrechte gestorben. Die Solidaritätskundgebung an diesem geschichtsträchtigen Ort zeigt nicht nur, dass wir auch weiterhin nicht wegschauen (dürfen), sondern auch, was es bedeutet, in Freiheit und Demokratie zu leben.

Elke Sieber, Berlin, 28. September 2022, CC BY-SA 3.0

 

 

In Kyoto fand vom 1. bis 4. Oktober 2022 das „Science and Technology in Society” Forum statt, an dem knapp 1000 Personen aus über 80 Ländern, Regionen und internationalen Organisationen teilnahmen. Für das ZZF Potsdam war PD Dr. Michael Homberg als Teil des Young Leaders Network dabei.

Im Bild sieht man den zentralen Versammlungssaal des Kyoto International Conference Center. In dem Konferenzzentrum wurde 1997 das als Kyoto-Protokoll bekannte internationale Abkommen zum Klimaschutz beschlossen.

Michael Homberg, Kyoto, Japan, Oktober 2022 ©

 

 

Das Foto entstand im April am Rande eines Workshops in Jerusalem. Es zeigt eine äthiopische Tauffeier in einem Park in der Nähe des Rathauses. Im Vordergrund sehen wir den Vater des Täuflings, im Hintergrund das Kind mit seiner Mutter und anderen Verwandten.

Es wurde viel gefilmt und fotografiert. Ich wurde freundlich eingeladen, auch Bilder zu machen. Das Bild regt mich an zum Nachdenken über Tradition und Moderne, über Diversität im jüdischen Staat, über Geschlechterverhältnisse und über fotografische (Selbst-)Inszenierungen.

Annette Vowinckel, Jerusalem, April 2022 ©

 

 

Wegen der Energiekrise bleibt der Fernsehturm derzeit dunkel. Das Berliner Wahrzeichen wird nachts nicht mehr angestrahlt. Das macht etwas mit mir als Berliner. Der Fernsehturm fehlt mir.

Als er an einem trüben Novembermorgen urplötzlich aus dem Nebel auftauchte, musste ich sofort anhalten und ihn festhalten.

Hanno Hochmuth, Foto: Berlin, November 2022, CC BY-SA 3.0

 

 

Für Historiker:innen ist das Bahnfahren besonders reizvoll, da ein Großteil der sichtbaren Infrastruktur (hier: Duisburg Hbf) über Jahrzehnte als eine Art Zeitkapsel erhalten geblieben ist.

Andererseits ist das in die Jahre gekommene Netz nicht immer in der Lage, alle Reisenden pünktlich an ihr Ziel zu bringen …

Leonie Wolters, Duisburg Hauptbahnhof, Oktober 2022, CC BY-SA 3.0

 

 

Einsam im Wald steht am Sacrower See diese alte, verbogene Wippe. Auf einer Plakette ist zu lesen: „Im Rahmen des NAW angefertigt durch die Brigade Albert Schweitzer – VEB Lokomotivbau Karl Marx Babelsberg“.

So war die DDR: improvisierte Technik, kryptische Abkürzungen, dabei versehen mit reichlich moralischem und symbolischem Überschuss. Ferner eine Gesellschaft, in der betriebliche Arbeit und kollektives Engagement im Mittelpunkt stehen sollten. Ein skurriles Relikt einer untergegangenen Kultur.

Christoph Classen, Sacrower See, September 2022, ©

 

 

Urlaubsfund
Die Stufen führen zum einstigen Hotelresort Haludovo auf Krk in Kroatien. 1971 als Hotelstadt für den Tourismus in Jugoslawien eröffnet, verwandelte der Inhaber des Männermagazins „Penthouse“ den Ort in ein dekadentes Luxusresort mit Casino und prominenten Gästen aus aller Welt.

Nach dem Konkurs folgten Hotelbetrieb, die Nutzung als Notunterkunft für Kriegsflüchtlinge, Hotelbetrieb, Leerstand. Heute baden Kroat:innen vor den überwucherten Ruinen. Sie wehrten sich gegen einen Investor, der die Strände privatisieren wollte.

Violetta Rudolf, Krk, Kroatien, Juli 2022, CC BY-NC-ND 4.0

 

 

Die Toilettenbotschaft
Den Umständen entsprechend ist dieses Bild mehr Schnappschuss als professionelle Fotografie. Denn es entstand im August 2022 auf einer öffentlichen Toilette im Treptower Park.

Diese sechs kurzen Sätze einer mir völlig fremden Person waren nichts Besonderes und trafen mich dennoch mitten ins Herz. Ich schickte das Bild noch an diesem Abend an mindestens fünf Freund:innen weiter. Manchmal ist den Worten auf der Toilettentür eben einfach nichts mehr hinzuzufügen …

Josephine Kuban, Berlin, August 2022, CC BY-NC-ND 4.0

 

 

Die Maas bei Maastricht, von einer Brücke im Stadtzentrum aus gesehen

Dieses Touri-Foto ist am 23. Februar entstanden und mittlerweile auch eine Erinnerung an die Zeit vor dem Überfall auf die Ukraine. Ich war zu Besuch bei meiner besten Freundin, die in Aachen wohnt. Der spontane Ausflug nach Maastricht war für uns beide eine Möglichkeit, kurz aufzuatmen und wertvolle Zeit miteinander zu verbringen. Wir sehen uns viel zu selten und haben uns vorgestellt, wie es wäre, am Maas-Ufer Nachbarinnen zu sein.

Iulia Sucutardean, Maastricht, 23. Februar 2022 ©

 

 

„Ich will so ein Glanz sein, der oben ist. Mit weißem Auto und Badewasser, das nach Parfüm riecht, und alles wie Paris …“

Das sagte Irmgard Keuns „Kunstseidenes Mädchen“ im Jahr 1932. Berlin will auch immer ein wenig wie Paris und „ein Glanz“ sein.

Es glänzt wenig in dieser Stadt, und Paris ist weit. Aber manchmal, in Sommernächten, wenn die Hitze sich gelegt hat und die Lauten endlich müde sind, findet man hier und da ein Glitzern.

Annette Schuhmann, Berlin, August 2022, CC BY-NC-ND 4.0

 

 

Aufgenommen wurde das Bild auf der Aussichtsplattform eines in den 1990er Jahren stillgelegten Hochofens in Esch-sur-Alzette, Luxemburg. Es zeigt einige der 180 Stufen, die nach unten führen. Zudem ist der Hinweis zu lesen: „Personen, die zu Schwindelanfällen neigen, können umkehren.“

Das Foto sollte die Überwindung der rund vierzig Meter dokumentieren, die Aussichtsplattform und Boden trennen. Kaum einige Stufen darunter erinnerte ich mich jedoch an die Szenen von Hitchcocks „Vertigo“ (1958). Ich kehrte also um. Das Bild bleibt mir als Erinnerung an eine architektonisch äußerst aufregende Stadt.

Janaina Ferreira dos Santos, Ausblick aus der Gicht-Plattform des Hochofens A in Belval/Esch-sur-Alzette, Luxemburg, 18. September 2022, CC BY-NC-ND 4.0

 

 

Kassel, 28. August 2022, 18:31. Auf der documenta schaue ich die umstrittene „Tokyo Reels“-Installation des palästinensischen Kollektivs Subversive Film. Sieht eigentlich ganz harmlos aus, wüsste man nicht um den Hintergrund.

Die Diskussionen um die documenta fifteen haben mich das ganze Jahr beschäftigt. Dissens allerorten – zerreißprobenartig wurde beruflich und privat diskutiert. Zum Jahresende ist das Sprechen darüber schon fast wieder abgeebbt – das Thema bleibt trotzdem.

Lucia Halder, documenta 15, Kassel, 28. August 2022, CC BY-SA 3.0

 

 

Die 2018 eröffnete Universitätsbibliothek von Luxemburg wurde in die Möllerei, das heißt in die Lagerhalle eines stillgelegten Stahlwerks integriert. Bis 1997 wurde hier noch Stahl produziert, heute wird auf den 12.000 m² Wissen produziert.

Mich hat nicht nur die Architektur des Gebäudes und die Inneneinrichtung begeistert, sondern auch die symbolische Aussage des Baus: Bildung ist harte Arbeit.

Helen Thein, Esch-Belval, Luxembourg, Learning Centre, 20. August 2022, CC BY-NC-ND 4.0

 

 

Temporalisierung der Gegenwart. Luxemburg Stadt. Container mit Kassette. Die B-Seite.

Achim Saupe, Container in Luxemburg Stadt, 28. Oktober 2022, CC BY-NC-ND 4.0

 

 

Was gibt mein Handy schon für 2022 her? Eine Freundin: auf jeden Fall die Dampflok! Stimmt, da steckt alles drin: 9 € Ticket, Verkehrswende, Kohleausstieg. Klimakatastrophe. Energiekrise.

Aber mit gemütlichem „Tschu-Tschu“ und Weihnachtsstimmung aus dem Erzgebirge.

Josephine Eckert, Fichtelbergbahn, November 2022, CC BY-SA 3.0

 

 

Es sind jene Tage Anfang März des Jahres, da wünschte ich mir „mehr Licht“ in dieser Welt. Doch während ich Vergangenheit schaue in einem hellen Schaufenster, gemacht aus den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts, meldet sich hinter meinem Rücken die triste Gegenwart. Immerhin als kleiner Trost die Umrisse einer – wenn auch – schwarzen Blume auf grauem Kabelverteilerkastengrund.

Katja Stopka, Berlin, März 2022, CC BY-NC-ND 4.0

 

 

An meinem Geburtstag starb die Queen. Somit war auch meine anschließende Rundreise durch England schwarzumrandet, denn das Ereignis war allgegenwärtig: trauertragende BBC-Moderator:innen, ein Fußballkönig, David Beckham, der sich als Untertan in „The Queue“ einreihte. Politische Proteste gegen die Staatstrauer von vielen Menschen, die die Rolle der Monarchie im Kolonialismus beklagten, andere, die das persönliche Lebenswerk von Elizabeth II würdigten, auch ihren Einsatz im Zweiten Weltkrieg.

Die Geschichte von Jahrhunderten brach sich noch einmal im Leben und Sterben der Person, der dieses Püppchen gewidmet war, das von Unbekannten, wie viele andere Devotionalien, am Wochenende vor der Beisetzung im Londoner Green Park niedergelegt wurde. Zeitenwende auch in Großbritannien.

Jutta Braun, London, 18. September 2022, CC BY-NC-ND 4.0

 

 

Blick gen Osten auf Potsdam vom Dach des Kunst- und Kreativhauses „Rechenzentrum“.

Das Gebäude wurde in den 1970er Jahren zu einem Teil auf dem „historischen“ Grundriss der 1968 gesprengten Garnisonkirche errichtet. Seit 2015 beherbergt das Haus Ateliers von Künstler:innen.

Wenn die Stiftung Garnisonkirche daran festhält, das Kirchenschiff im Stile des Originals aus dem 18. Jahrhundert wieder aufzubauen, würde das den Abriss des RZ bedeuten. Nicht nur der Blick ginge verloren, sondern auch ein städtischer Kulturstandort des 21. Jahrhunderts.

Anja Tack, Dach des Rechenzentrums, Potsdam, Oktober 2022, CC BY-NC-ND 4.0

 

 

Die 6th World Conference of the International Federation for Public History (IFPH) endete mit der Tanzperformance UMNQA! NEVER DEFEATED von Azile Cibi und Likhaya Jack aus Südafrika.

Ich hatte mir ehrlich gesagt wenig davon versprochen, aber gedacht, dass ein Tanz zum Abschluss ja ganz schön sei. Es war vielmehr als das – es war eine extrem ausdrucksstark erzählte Gewaltgeschichte aus ihrem Land Anfang des 19. Jahrhunderts. Die beiden Künstler tanzten und formten dadurch Bilder, die selbst als Fotografien noch wirken.

Irmgard Zündorf, Berlin, August 2022, CC BY-NC-ND 4.0

 

 

Als ich am 24. Februar 2022 morgens auf mein Handy blickte, wusste ich, dass nach diesem Tag nichts mehr so sein würde, wie es mal war.

Es folgte einer Zeit umtriebiger, fast verzweifelter, Aktivitäten: Interviews, Schulbesuche, Flüchtlingshilfe. Als ich im Sommer eine Einladung nach Wroclaw erhielt, beschloss ich von dort weiter nach Osten zu fahren – nach Przemyśl und weiter zu einem alten Lieblingsort von mir: Lviv. In der bisher vom Krieg verschonten Stadt war die Atmosphäre angespannt, aber voller Leben. Die jungen Leute während einer Vernissage waren fröhlich, aber mehr noch: Sie waren entschlossen.

Ein knappes halbes Jahr später ist es in Lviv zumeist dunkel und kalt. Auch hier fielen in den letzten Wochen Bomben auf wichtige Infrastruktur. Wer weiß, wo die jungen Leute auf dem Bild jetzt sind.

Juliane Fürst, Lviv, Vernissage in der Caféteria der Nationalen Akademie für Kunst und Design, 1. Juli 2022, CC BY-NC-ND 4.0

 

 

Plötzlich stand es da – nachdem die Zäune des Potsdamer Seesportclubs aufgrund des Abrisses verschwunden waren: ein kleines, etwas lädiertes Denkmal auf einer Wiese im Park Babelsberg in Potsdam. Es besteht aus einem Sockel aus Stein, darin eingelassen das Relief eines Mannes mit Nickelbrille und Schnauzbart, darunter die Daten: 1871 1919.

Nur Eingeweihte wissen wohl noch, wer hier geehrt werden sollte. Es gibt keinen Namen, keine Tafel, keinen Hinweis. In der DDR gehörten Karl Liebknecht-Denkmale zum Alltag dazu. Heute wirkt der Mann im Park wie ein Besuch aus einer längst vergangenen Zeit. Ob er wohl bleiben darf?

Christine Bartlitz, Potsdam, 3. Dezember 2022, CC BY 3.0

 

Wir wünschen allen Leser:innen von Visual History frohe, entspannte und friedliche Feiertage!

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