Ein jüdisches Fotoalbum!?

 

Joseph und Helene Lindenberger kommen aus jüdischen Familien. Im Jahr 1938 flohen sie mit ihren Kindern vor den Nazis nach Palästina. Damit handelt es sich um ein Fotoalbum aus jüdischer Perspektive! Doch wo finden sich vermeintlich jüdische Symbole, Orte oder aber das Wort „jüdisch“? Und wo zeigt sich die Verfolgung durch die Nazis? Welche Hinweise geben uns die eingeklebten Fotos oder die Bildunterschriften darauf, dass es sich um das Fotoalbum einer jüdischen Familie handelt?

Porträts von Joseph und Helene. Fotoalbum der Familie Lindenberger, Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Michael Lindenberger © Seite 5

Da sind zunächst die im Album vermerkten Namen hebräischen Ursprungs einiger Familienmitglieder wie Isaak, Esther, Joseph oder Nathan. Auf dem Banner des Lastwagens, mit dem Joseph und Helene posieren, steht in hebräischen Buchstaben: „Danke“ und „Arbeit“.

Jospeh und Helene Lindenberger gemeinsam mit Kindern auf einem beschmückten Lastwagen. Fotoalbum der Familie Lindenberger, Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Michael Lindenberger © Seite 14

Auch wenn die NS-Verfolgung nicht Teil des Albums ist, liegt beim Betrachten der Fotos und Anmerkungen die Vermutung nahe, dass es eine Flucht nach Palästina gab. In diesem Zusammenhang steht das Bild einer Gruppe von Jungen, unter ihnen Hermann, das womöglich die landwirtschaftliche Ausbildung zur Vorbereitung auf die Besiedlung (Hachschara) dokumentiert.

Hermann Lindenberger in einer Gruppe Jungen, die ihre Schuhe vorzeigen. Fotoalbum der Familie Lindenberger, Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Michael Lindenberger © Seite 27

Der eindeutigste Verweis auf einen jüdischen Kontext ist die Bildunterschrift unter einem Gruppenfoto mit rund 40 Personen – unter ihnen viele Mitglieder der Familie Lindenberger: „Hermann – Bar Mitzwa 1933“.

Gruppenfoto zur Bar Mitzwar. Fotoalbum der Familie Lindenberger, Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Michael Lindenberger © Seite 42

Und was sehen wir nicht? Anstelle jüdisch religiöser Kleidung tragen die Fotografierten traditionsbehaftete Matrosenanzüge, modische Anzüge und Kleider, moderne Frisuren oder ausladende Hüte.

Helene und eine unbekannte Frau. Fotoalbum der Familie Lindenberger, Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Michael Lindenberger © Seite 31

Hermann im Matrosenanzug. Fotoalbum der Familie Lindenberger, Jüdisches Museum Berlin,
Schenkung von Michael Lindenberger © Seite 24

Auch finden sich auf den Bildern keine vermeintlich eindeutig jüdischen Orte wie Synagogen oder religiöse Symbole wie der Davidstern oder die Menora.

In den vorliegenden Fotos der Familie Lindenberger erscheinen die Bezüge zum Großbürgertum oder zur Familie vielfach präsenter als die zur Kategorie „jüdisch“. Was verrät uns diese fotografische Selbstinszenierung über die Identität, Kultur und Zugehörigkeit der Familie Lindenberger?

 

 

Dieser Artikel ist Teil des Themendossiers: „un.sichtbar. Blicke auf das Fotoalbum einer jüdischen Familie 1904-1969“, herausgegeben von Christine Bartlitz, Christoph Kreutzmüller und Theresia Ziehe

Themendossier: un.sichtbar: Blicke auf das Fotoalbum einer jüdischen Familie 1904-1969

 

 
 

 

Zitation


Daniel Neumeier und Lisa Querner, Ein jüdisches Fotoalbum!?, in: Visual History, 14.02.2024, https://visual-history.de/2024/02/14/unsichtbar-neumeier-querner-ein-juedisches-fotoalbum/
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-2710
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