Bildpolitik der Ingenieure
Fotokampagnen der k. k. privilegierten österreichischen Staats-Eisenbahn-Gesellschaft 1855-1879 – eine Ausstellung in Wien
Seit einigen Jahren setzt das private Photoinstitut Bonartes mit verschiedenen Ausstellungen neue Akzente für die österreichische Fotografiegeschichte. Hinter dem Institut steht eine private Stiftung, die wiederum von einer finanzkräftigen (anonym bleibenden) Familie getragen wird. Motor des Unternehmens ist die frühere Kuratorin für Fotografie an der Albertina, Dr. Monika Faber.
Hinter dem spröden Titel „Bildpolitik der Ingenieure“ verbirgt sich eine sehenswerte Kabinettausstellung zur Fotografie aus der Zeit zwischen 1855 und 1879. Hintergrund ist die Erschließung des Banater Bergbaugebiets durch die „K.K. Privilegierte Staats-Eisenbahn-Gesellschaft“ (StEG), welche die ehemalige Staatsdomäne mit Hilfe eines französisch-österreichischen Bankierskonsortiums erworben hatte und nun deren vielfältige Ressourcen mit einem Eisenbahnnetz erschließen wollte.
Die StEG war auch der Auftraggeber der in der Ausstellung gezeigten Fotos. Im Zentrum steht der österreichische Fotograf Andreas Groll (1812-1872), von dem ein Großteil der Aufnahmen stammt. Groll, dem 2015 das Wien Museum eine eigene Ausstellung gewidmet hat, ist auch für seine Stadt- und Architekturaufnahmen bekannt. Ihn und andere Fotografen wie Hermann Voigtländer und Anton Rohrbach schickte die StEG seit 1855 in das Banat, um dort die Arbeiten zu dokumentieren. Es wäre aber zu kurz gegriffen, die ausgestellten Fotografien unter dem Begriff „Industriefotografie“ abzulegen. Zwar hat Groll auch klassische Produktfotografie geliefert, so Aufnahmen von Lokomotiven, die von der StEG gebaut wurden. Die Fotografien sind aber weitaus mehr. Die ausführenden Ingenieure benutzten sie, um ihren Vorgesetzten in Wien einen bildlichen Rechenschaftsbericht über die Baufortschritte zu präsentieren, eine neue Form des Berichtswesens, die nur wenige Jahre nach der Erfindung der Fotografie bereits in England zum Einsatz gekommen war. Der leitende Baudirektor Carl von Ruppert (1813-1881) wiederum instrumentalisierte sie, um dem Bankenkonsortium seine Kompetenz bei der Durchführung der schwierigen Baumaßnahmen unter Beweis zu stellen. Gleichzeitig dienten die Aufnahmen dazu, den Aktionären der StEG die höchst anspruchsvolle Arbeit im Gebirge, aber auch deren Fortschritte vor Augen zu führen. Gleichzeitig wurden die Fotografien z. B. bei der Weltausstellung in London 1862 präsentiert, um Neukunden zu werben. Und schließlich gingen die Motive als Postkarten in Serie und erreichten so eine breite Öffentlichkeit.
Die Fotokampagne von Andreas Groll dokumentiert über die eisenbahntechnische Erschließung des Banats hinaus auch eine Gegend im Wandel. Die Ausstellung zeigt originale Aufnahmen der einheimischen Bevölkerung in ihren Trachten und in ihrer Lebenswelt, von Bauerndörfern bis hin zu Unterkünften in Zelten, von traditionellen Wassermühlen und Ochsengespannen. Dieser Lebenswelt werden die modernen Zeiten gegenübergestellt: Eisenbahnlinien, die tiefe Täler überqueren; Eisenwerke, die neu entstehen; die Kolonistenhäuser in Anina (heute Rumänien) mit ihren Gärtchen und Latrinen.
Bildpolitik der Ingenieure: Fotokampagnen der k. k. privilegierten österreichischen Staats-Eisenbahn-Gesellschaft 1855–1879
Photoinstitut Bonartes, Seilerstätte 22, A-2010 Wien
11. August – 14. Oktober 2016
Zur Ausstellung erschien die gleichnamige Publikation:
Monika Faber, Martin Keckeis (Hrsg.), Bildpolitik der Ingenieure. Fotokampagnen der k. k. privilegierten österreichischen Staats-Eisenbahn-Gesellschaft 1855–1879, mit Beiträgen von Rudolf Gräf und Martin Keckeis, Salzburg: Fotohof edition 2016 (= Beiträge zur Geschichte der Fotografie in Österreich, Bd. 13)