Rezension: Filmfieber – Deutsche Kinopublizistik 1917-1937

Cover: Patrick Rössler, Filmfieber: Deutsche Kinopublizistik 1917 – 1937, Universität Erfurt 2017

Patrick Rössler, Professor für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt Empirische Kommunikationsforschung / Methoden der Universität Erfurt,[1] hat seiner Leidenschaft für historische Bildpublizistik freien Lauf gelassen und sich und uns ein opulentes, großformatiges Bilderbuch zur deutschen Kinopublizistik von 1917 bis 1937 geschenkt, erschienen im Privatdruck als Begleitbuch zu einer Ausstellung. Anlass war die Ausstellung KUNSTORT.KINO in der Kunsthalle Erfurt vom 15.7. bis 17.9.2017, veranstaltet von der Kulturdirektion der Stadt Erfurt und dem Erfurter Kunstverein in Kooperation mit der Universität Erfurt anlässlich des 100. Gründungsjubiläums der Universum-Film AG (Ufa). An den Vorarbeiten hat Rössler Dutzende von Studierenden und insbesondere eine Gruppe von sechs Studentinnen aus seinen Seminaren beteiligt, als Kuratoren fungierten Susanne Knorr von den Kunstmuseen der Stadt Erfurt und wiederum Patrick Rössler.

Entstanden ist ein faszinierendes Konvolut von Abbildungen – meist der Titel- resp. Deckblätter – aller nur denkbaren Arten und Formen von Druckpublizistik, die in den zwanzig Jahren der wirtschaftlich selbstständigen Existenz der Ufa nicht nur die Filme der Ufa, sondern auch anderer Filmgesellschaften begleiteten und für sie warben, gelegentlich aber auch relativ unabhängig von ihnen existierten.

Gegliedert sind die über 2500 Reproduktionen von Drucksachen und Fotos in vier große Gruppen, die jeweils von einem bereits veröffentlichten, aber jetzt überarbeiteten Text von Rössler oder anderen eingeleitet werden und danach tief in eine Flut von Bildern und Plakaten hineinführen.[2] Die frühen Jahre (bis ca. 1917), Ufa (1917 – 1937), Unabhängige Filmpublizistik (mit vier Untergruppen zu Buch zum Film, zu Filmzeitschriften, zur Filmberichterstattung in Illustrierten der Weimarer Zeit und zu Programmheften) und Verleihpropaganda (mit den Untergruppen Gedrucktes statt Bewegtem und Prominente im Filmbild) lauten die Gliederungspunkte, die aber nur als Anhaltspunkte für die Mehrzahl der ihnen zugeordneten Abbildungen gelten können.

Innerhalb der vier Haupt- resp. Untergruppen werden die Materialien nicht chronologisch nach Jahresangaben oder nach Personen wie Filmregisseuren oder Filmschauspielern sortiert, sondern nach „medialen Genres“, d.i. Zeitschriften, Programmhefte, Bücher, Verleihkataloge, Starfotos, Zigarettenalben etc., gelegentlich unterbrochen durch Doppelseiten zu einzelnen Filmen oder Filmstars und durch eingeschobene Plakate. „Man mag diese Vorgehensweise für inkonsequent halten (zurecht!) oder verwirrend, weil Material zu ein und demselben Film an verschiedenen Stellen auftaucht“, schreibt Rössler, aber ihm geht es um eine neue Erzähltechnik, die sich von bisherigen Versuchen abhebe (Vorwort, S. 5). Sein Konzept orientiert sich am Ansatz des „Visual Storytelling“, d.h. die Objekte sind zwar identifiziert und beschriftet, werden aber bewusst nicht als bildliche Ergänzung zu einem Text angelegt: „Vielmehr wird hier der Versuch unternommen, den akademischen Diskurs in der Bildsprache selbst zu führen.“ Rössler führt demnach die wissenschaftliche Auseinandersetzung nicht über die Bilder, sondern mit den Bildern: Das Konvolut soll sich zu einer Art Bildatlas verdichten, dessen Aussage sich den Betrachtern erschließen soll, so die Hoffnung Rösslers (Vorwort, S. 4).

Die einführenden und erläuternden Texte zu Beginn der Haupt- und Untergruppen werden von den Bildern aufgegriffen, übernommen und weitergeführt. Wohl um die Bildargumentation nicht allein oder zu sehr der Interpretation der Betrachter zu überlassen, hat Rössler auf jeder Seite lebende Kolumnentitel in die Kopfzeilen gestellt, die die Inhalte der Bilder auf der jeweiligen Seite benennen, zwar relativ unauffällig, aber hilfreich, wenn man sie entdeckt hat und liest. Für die punktuelle inhaltliche Erschließung werden mehrere Register bereitgestellt: Filmtitel, fremdsprachige Verleihtitel, Filmschaffende, Autorinnen und Autoren, Gestalterinnen und Gestalter incl. Kürzel und Künstlernamen sind in großer Sorgfalt indexiert.[3] Außerdem werden in einem Verzeichnis Literatur und Quellen bereitgestellt (ca. 120 Titel gegliedert in neun inhaltlichen Gruppen).

Die durchweg farbigen Abbildungen sind exzellent gedruckt und geben die aktuellen Zustände der Vorlagen wieder, sind also nicht retuschiert. Ihre Größe und Anordnung im Layout folgen keinen erkennbaren Regeln, sondern sind ästhetisch resp. argumentativ begründet, sie reichen von Klein- und Kleinstformaten über viertel- und halbseitige Formate bis zu gelegentlichen doppelseitigen Wiedergaben von Ausschnitten; ihr Verhältnis zur Größe der Vorlage variiert ausgiebig. Das Format der Vorlagen wird in cm angegeben, im Falle von Broschüren und ähnlichen Materialien in Größengruppen nach den Richtlinien der Deutschen Nationalbibliothek.

Die Abbildungen repräsentieren private und öffentliche Sammlungen aus (Film-)Archiven und Bibliotheken, insbesondere aus der Universitätsbibliothek Erfurt und der eigens hierfür gegründeten Interdisziplinären Forschungsstelle für Historische Medien (IFhM) der Universität Erfurt. Selbstverständlich sind sie nicht vollständig in irgendeinem Sinne, können und wollen dies auch gar nicht sein, obwohl die Ausführungen von Rössler hierzu im Vorwort etwas im Undeutlichen bleiben. Am stärksten fällt die geringere Berücksichtigung von Filmplakaten und Aushangfotos auf, von Rössler damit begründet, dass hierzu schon Veröffentlichungen existieren, auf die auch hingewiesen wird.

Ansonsten rangiert das Unbekanntere vor dem Bekannteren, das Unkonventionelle vor dem Konventionellen, alles im Sinne einer Argumentation durch die Abbildungen, nicht mit Hilfe von Abbildungen. Ob diese Argumentation sich dem Leser und Betrachter im Einzelnen oder durchgängig erschließt, mag offen bleiben, ein überwältigendes, ungetrübtes Vergnügen bereitet das Sich-Versenken in den Band allemal. Mögen die 50 Exemplare der beiden Vorzugsausgaben (angereichert mit Originalia resp. Faksimiles) und die 900 Exemplare der Normalausgabe sowie die „h.c.“-Exemplare für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Institutionen und Presse ihre erfreuten und faszinierten Leserinnen und Leser finden!

 

Patrick Rössler, Filmfieber: Deutsche Kinopublizistik 1917 – 1937; [… anlässlich … der Ausstellung KUNST.ORT.KINO, Kunsthalle Erfurt, 15.7. bis 17.9.2017]. [Texte: Patrick Rössler sowie Olaf Brill …]. – Erfurt: Universität Erfurt, Interdisziplinäre Forschungsstelle für Historische Medien, 2017.  399 S.: überw. Ill.; 29 cm. ISBN 978-3-9818938-0-9: EUR 30.00, EUR 198.00 (Vorzugsausg. A), EUR 98.00 (Vorzugsausg. B)

 

Diese Rezension ist eine Zweitveröffentlichung und zuerst auf dem Portal IFB erschienen. Wir danken Wilbert Ubbens und Dr. Klaus Schreiber für die freundliche Genehmigung, den Text auf Visual History zu veröffentlichen.

Quelle: Informationsmittel (IFB): Digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft

http://informationsmittel-fuer-bibliotheken.de/showfile.php?id=9037

 

[1] Seine dienstliche Website: https://www.uni-erfurt.de/kommunikationswissenschaft/personen/personenuebersicht/prof-dr-patrick-roessler/[2018-05-12].

[2] Inhaltsverzeichnis: https://d-nb.info/1147528322/04. Von den einführenden Texten stammen nach den bibliografischen Angaben fünf von Rössler und zwei aus dem Textarchiv des Deutschen Filminstituts Frankfurt a.M.

[3] Dass dies bei der Fülle des Materials nicht ohne Auslassungen zu leisten ist, sei hier an einem kleinen Beispiel gezeigt: Die Reklamemarke zum Film Atlantis von 1913 nennt und porträtiert Gerhart Hauptmann prominent als Filmautor, ohne dass dies durch einen Namenseintrag im Register honoriert worden wäre, die Reklamemarke zu Asta Nielsen direkt daneben führt jedoch zu einem Eintrag (S. 296).

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