Art in Networks: The GDR and its Global Relations
Ausgangspunkte
Die in der DDR entstandene Kunst ist seit den 1990er Jahren Gegenstand kontroverser Debatten. Ihre (kunst-)historische Verortung und gesellschaftliche Relevanz werden in der Wissenschaft und im Rahmen von Ausstellungen bis heute diskutiert. Die Kunstproduktion in der DDR wird in diesem Zusammenhang oftmals als provinziell und selbstbezüglich dargestellt. Internationale Beziehungen werden in der Regel im sogenannten Ostblock verortet. Kaum bekannt ist, dass das Netzwerk der Kontakte und Austauschbeziehungen der DDR im Feld der bildenden Kunst und Architektur fast den ganzen Globus umspannte. Formen dieses Kontakts konnten zum Beispiel Ausstellungskooperationen, Künstler:innenreisen oder der Austausch von Studierenden sein.
Forschungsziele
Vor diesem Hintergrund ist eine breit angelegte transkulturelle Perspektive auf die künstlerische Produktion in der DDR unerlässlich, um die Geschichte der Kunst in der DDR als eine „Kunstgeschichte des Kontakts“ (Christian Kravagna) grundlegend neu zu verorten. Dabei werden unbekannte Freiräume und Einschränkungen des Kontakts über eurozentrische Narrative hinaus beleuchtet. Besondere Aufmerksamkeit erfahren Geschichten und Perspektiven von Akteur:innen aus Ländern des Globalen Südens. Die Vielfalt von Stimmen und Erinnerungen soll dabei intersektionalen Perspektiven sowie Widersprüchen Raum geben. Diese neue Sicht möchte Art in Networks: The GDR and its Global Relations etablieren und in Form einer digitalen Plattform der Öffentlichkeit vermitteln. Die REACT-Nachwuchsforscherinnengruppe wird durch den ESF gefördert und ist zwischen Februar und Dezember 2022 unter der Leitung von Prof. Dr. Kerstin Schankweiler an der Professur für Bildwissenschaft im globalen Kontext der TU Dresden angesiedelt.
Art in Networks macht die Verbindungen von Künstler:innen, Architekt:innen, Museen und anderen kulturellen Akteur:innen zwischen der DDR und Ländern in Afrika, Asien und Lateinamerika sichtbar und spürt den dabei entstandenen internationalen Netzwerken nach. An einzelnen „Knotenpunkten“ wird exemplarisch untersucht, wo und wie sich Formen des privaten und institutionellen künstlerischen Austauschs gestalteten. Inwiefern haben sich kulturpolitische Beziehungen materialisiert? Wo lagen die Grenzen des offiziellen Austauschs innerhalb der politischen Rahmenbedingungen? Wie wurden sie mitunter im Privaten überschritten? Wo finden sich bis heute Spuren dieser Kontakte?Dazu entstehen Text- und Videobeiträge, die hauptsächlich auf Interviews mit Zeitzeug:innen basieren. Die Beiträge sind in einer Timeline visualisiert, die über die lineare Entwicklung der internationalen Beziehungen der DDR im Feld der Kunst hinaus die fortwährende Entstehung von Netzwerken bis in die Gegenwart sichtbar macht. So spricht zum Beispiel der Leipziger Fotograf Harald Kirschner über seine Serie „Syrien 1986“, die während einer Reise im Auftrag des Verbands Bildender Künstler entstand, und die kubanische Künstlerin Teresa Casanueva erzählt, wie sie als Studentin an die Burg Giebichenstein kam. Der Künstler Abed Abdi, der aus Haifa an die Hochschule für Bildende Künste in Dresden kam, berichtet von seiner Mitarbeit an dem bekannten Wandbild „Der Weg der Roten Fahne“ am Kulturpalast in Dresden. Internationaler Austausch außerhalb staatlicher Strukturen wie in der Mail Art wird ebenfalls angesprochen, etwa im Interview mit dem Psychoanalytiker und Mail Artisten Lutz Wohlrab. Auch Reiseverbote und politisch verhinderte internationale Kooperationen im repressiven Staatssystem der DDR werden auf der Plattform thematisiert. So zeigt Ulrike Zille abgelehnte Reiseanträge ihres Vaters, des Malers Rainer Zille, und die Historikerin Ellen Pupeter erklärt, wie die DDR Restitutionsgesuche für Kulturgüter bürokratisch verschleppte.
Thematische Schwerpunkte ergeben sich dabei aus den individuellen Forschungsarbeiten der Mitwirkenden. Ergänzend zu den Zeitzeug:inneninterviews kommen bei Art in Networks Expert:innen zu Wort, um interdisziplinäre und internationale Perspektiven auf den Themenkomplex zu bieten. In Interviews mit Wissenschaftler:innen, Archivar:innen und Kurator:innen werden zum Beispiel Forschungsansätze, Ausstellungs- und Sammlungspraktiken oder auch einzelne Objekte besprochen. Unser Vorgehen und offene FragenArt in Networks arbeitet mit der Methode der Oral Art History, um Erinnerungen von Zeitzeug:innen mit der Materialität von Werken, Artefakten und anderen Quellen in Videointerviews zu verknüpfen. Während Oral History in der Geschichtswissenschaft bereits etabliert ist, kommen Interviews in der Kunstgeschichte selten zum Einsatz. Das Format einer digitalen Forschungsplattform mit Videobeiträgen birgt methodische Chancen ebenso wie Schwierigkeiten und eröffnet komplexe Fragestellungen. Die zeitgenössische und persönliche Perspektive der Interviewten auf die vergangenen Begegnungen, Erfahrungen und Ereignisse macht die affektive und emotionale Dimension dieser Kunstgeschichte(n) greifbar. Gleichzeitig spiegeln die Interviews Selbsteinschätzungen und subjektive Sichtweisen auf die Politik, Kultur und Gesellschaft der DDR und anderer Länder wider, die im Einzelnen nicht immer verifiziert und historisch eingeordnet werden können.
Politische Haltungen und beispielsweise Berührungen der Protagonist:innen mit der Staatssicherheit der DDR versuchen wir, wenn bekannt, anzugeben.
Eine andere Herausforderung lag darin, möglichst vielfältige Stimmen festzuhalten, denn diesem Anspruch steht eine historische Realität der in der Überzahl weißen und männlichen Protagonisten im Kunstbetrieb gegenüber. Dieser Eindimensionalität versuchen wir entgegenzuwirken und gezielt diverse Perspektiven sichtbar zu machen.
Bei der Postproduktion standen ebenfalls viele Fragen im Raum, denn es wurde deutlich, dass die internationalen Kontakte der Protagonist:innen mitunter von asymmetrischen Machtverhältnissen und Eurozentrismus geprägt waren: Wie kann man mit Exotisierungen, Stereotypen und Rassismen umgehen, ohne sie zu reproduzieren – aber auch ohne sie zu verschweigen? Kann das Videomaterial, das wir mit lediglich kurzen Begleittexten zur historisch-politischen Kontextualisierung versehen, für sich stehen?
Erweitertes Netzwerk des ProjektsIm Rahmen des Projektes konnten wir insgesamt sechs Fellows einladen, mit uns zu arbeiten und jeweils einen Videobeitrag zu produzieren. Hinzu kommen weitere Gastbeiträge und Kooperationen. Dadurch bringt die Plattform plurale und auch experimentelle Ansätze und Zugänge auf das Thema „globale DDR“ zusammen. Zu den eingeladenen Künstler:innen und Wissenschaftler:innen gehören Katrin Bahr, Nikolai Brandes, Gaelle Prodhon, Siska, Sonya Schönberger und Arlette Quỳnh-Anh Trần.
Art in Networks wird durch ein internationales Advisory Board wissenschaftlich begleitet. Die Mitglieder sind April Eisman, Doreen Mende, Yvette Mutumba, Elena Shtromberg und Angelika Weißbach.
Art in Networks versteht sich nicht als ein in sich geschlossenes Forschungsprojekt, sondern versucht, einen dynamischen digitalen Raum zu schaffen, in dem wissenschaftlicher Austausch ermöglicht und für ein breites Publikum aufbereitet wird. Historische wie aktuelle künstlerische Auseinandersetzungen mit dem Thema der „globalen DDR“ werden präsentiert. Gleichzeitig wird die neue Plattform im vorhandenen Forschungsfeld verankert. Das Projekt erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die stetig wachsende Plattform soll auch als Ressource für weitere Forschung oder Kunstprojekte dienen und nimmt ergänzende Beiträge, Kritik und Anregungen gerne entgegen unter: kerstin.schankweiler@tu-dresden.de
Kerstin Schankweiler, Elke Neumann, Pauline Hohn, Nora Kaschuba, Jule Lagoda, Anja Degner, Laura-Maria Schulze, Janine Kläffling
English
Starting Points
Art created in the GDR has been the subject of controversial debates since the 1990s. To this day, its (art) historical location and social relevance are discussed and questioned in academia and in the context of exhibitions. In this context, art production in the GDR is often portrayed pejoratively as provincial and self-referential. International relations are usually located in the so-called Eastern Bloc. It is hardly known that the GDR’s network of contacts and exchange relationships in the field of visual art and architecture spanned almost the entire globe. Forms of this contact could be, for example, exhibition cooperations, artists‘ trips, or student exchanges.
Research Goals
Against this background, a broad transcultural perspective on artistic production in the GDR is essential to fundamentally re-situate the history of art in the GDR as an „art history of contact“ (Christian Kravagna). In doing so, unknown spaces and restrictions of contact are illuminated beyond Eurocentric narratives. Special attention will be paid to stories and perspectives of actors from countries of the Global South. The diversity of voices and memories will provide space for intersectional perspectives and contradictions. Art in Networks – The GDR and its Global Relations aims to establish this new perspective and to communicate it to the public in the form of a digital platform. The REACT-research group is funded by the ESF between February and December 2022, and is located at the Chair of Visual Studies in Global Context at TU Dresden. The project is led by Prof. Dr. Kerstin Schankweiler.
Art in Networks aims to make visible the connections between artists, architects, museums, and other cultural actors between the GDR and countries in Africa, Asia, and Latin America, and to trace the international networks that emerged in the process. Using individual „nodes“ as examples, the project will examine where and how forms of private and institutional artistic exchange took shape. To what extent did cultural-political relationships materialize? Where did the boundaries of official exchange lie within the political framework? How were they sometimes transgressed in private? Where can traces of these contacts still be found today?
For this purpose, text and video contributions are created, which are mainly based on interviews with contemporary witnesses. The contributions are visualized in a timeline that is intended to go beyond the linear development of the GDR’s international relations in the field of art and to show the ongoing emergence of networks up to the present. For example, the photographer Harald Kirschner from Leipzig talks about his series „Syria 1986,“ which was created during a trip commissioned by the GDR’s Association of Visual Artists, and the Cuban artist Teresa Casanueva tells how she came to Burg Giebichenstein as a student. The artist Abed Abdi, who came to the Dresden University of Fine Arts from Haifa, recalls his involvement with the famous mural „The Path of the Red Flag“ at the Kulturpalast in Dresden. International exchange outside of state structures, as in mail art, is also addressed, for instance in the interview with the psychoanalyst and mail artist Lutz Wohlrab. Travel bans and international collaborations which were prevented in the GDR’s repressive political system are considered on the platform as well. For example, Ulrike Zille shows rejected travel applications submitted by her father, the painter Rainer Zille, and the historian Ellen Pupeter explains how the GDR bureaucratically delayed restitution requests for cultural assets.
Focal points result from the individual research of the contributors. In addition to the interviews with contemporary witnesses, academic experts will offer interdisciplinary and international perspectives on the topics of Art in Networks. In interviews with scholars, archivists, and curators, for example, research approaches, exhibition and collection practices, and individual objects will be discussed.
Our Approach and Open Questions
Art in Networks explores the possibilities of oral art history as a method to link memories of contemporary witnesses with the materiality of works, artifacts and other sources in video interviews. While oral history is already established in historical studies, interviews are rarely used in art history. The format of a digital research platform with video contributions holds methodological opportunities as well as difficulties and opens up complex questions. The contemporary and personal perspective of the interviewees on past encounters, experiences and events also highlights the affective and emotional dimension of these art history(s). At the same time, the interviews reflect self-assessments and subjective perspectives on the politics, culture, and society of the GDR and other countries, which cannot always be verified and historically contextualised in detail.
We try to indicate political attitudes and, for example, contacts of the protagonists with the state security of the GDR, if known.
Another challenge was to capture as diverse a range of voices as possible, because this claim is contrasted with a historical reality of predominantly white and male protagonists in the art business. We try to counteract this one-dimensionality and specifically make diverse perspectives visible.“ ? Das wäre im Teil „Our Approach and Open Questions“ hinter dem Satz „We try to indicate political attitudes and, for example, contacts of the protagonists with the state security of the GDR, if known.
During the video postproduction, other challenges presented themselves as it became clear that the protagonists’ international contacts were sometimes characterized by asymmetric power relations and Eurocentrism: How can exoticizations, stereotypes and racisms be dealt with without reproducing them – but also without concealing them? Can the video material stand on its own with only a brief historical-political contextualization by us?
Extended network of the project
As part of the project, we were able to invite six fellows to work with us and produce one video each. In addition, there are further guest contributions and collaborations. Thus, the platform brings together plural and also experimental approaches to the topic of the „global GDR“. Among the invited artists and scholars are Katrin Bahr, Nikolai Brandes, Gaelle Prodhon, Siska, Sonya Schönberger and Arlette Quỳnh-Anh Trần.
Art in Networks has an international academic advisory board. The members are April Eisman, Doreen Mende, Yvette Mutumba, Elena Shtromberg and Angelika Weißbach.
Art in Networks does not see itself as a self-contained research project, but attempts to create a dynamic digital space in which scholarly exchange is facilitated and processed for a broad audience. Historical as well as current artistic explorations of the topic of the „global GDR“ will be presented. At the same time, the new platform will be anchored in the existing research field. The project does not claim to be complete. The constantly growing platform is also intended to serve as a resource for further research or art projects and is open to supplementary contributions, criticism and suggestions. Please email: Kerstin.schankweiler@tu-dresden.de
Kerstin Schankweiler, Elke Neumann, Pauline Hohn, Nora Kaschuba, Jule Lagoda, Anja Degner, Laura-Maria Schulze, Janine Kläffling