VH-Empfehlungen aus dem Jahr 2025

Schwarzweißfoto von einem tanzenden Paar (Mann und Frau)

Abisag Tüllmann: Tanzpaar im Festzelt, Franfurt a.M. 1959
Quelle: bpk-Mediennummer: 70371288, Lizenz: CC BY-NC-ND

Am Ende des Jahres 2025 hat das Redaktionsteam von Visual History – wie immer – die ganz persönlichen Highlights unter den diesjährigen Beiträgen zur Wieder- oder Neu-Lektüre ausgewählt.

 

Klarer Favorit ist in diesem Jahr das Themendossier „Was man nicht sieht! Perspektivwechsel durch Comics“, herausgegeben von Christine Bartlitz und Irmgard Zündorf, in dem es um den Einsatz und die Funktion von Comics bei der Vermittlung von Geschichte geht.

Die Visual History-Redakteurin Sandra Starke hebt hervor: „Fast jede/r liest gerne Comics und Graphic Novels, aber ein analytischer Blick auf das Medium fällt mir persönlich oft schwer. Sich mit den Funktionsweisen von Comics in der Erinnerungskultur umfassend und multiperspektivisch auseinanderzusetzen, ist ein Verdienst dieses gelungenen Themendossiers. Es ist interdisziplinär gedacht und bietet einen fundierten Überblick zur Entwicklung und Rolle des Comics bei der Vermittlung historischer Themen und marginalisierter Perspektiven. Dabei werden auch viele unterschiedliche Beispiele gezeigt sowie deren Möglichkeiten und Grenzen. Es geht jedoch nicht nur um Comics in Buchform allein, wir begegnen ihnen zunehmend in Online-Spielen und historischen Ausstellungen. Dort nehmen die Comics häufig eine Rolle als Schnittstelle zwischen dem Gestern und dem Heute ein.“

Viele Einzelszenen von einer Gerichtsverhandlung, Polizisten, Frauen, einem Zeitungsleser etc.; in der Mitte Text

Bettina Köhler, „immertreu“, Comic-Plakat, Berlin 2019 ©

Unser Kollege und wissenschaftlicher Volontär am ZZF Niklas Weber sieht das genauso: „Was können Comics leisten, wozu die herkömmliche Geschichtsschreibung nicht in der Lage ist? Dieser und damit verwandten Fragen widmen sich die Beiträge im Themendossier. Anhand unterschiedlicher Beispiele zeigen die Autor:innen, inwiefern Comics, Graphic Novels, Spiele oder Animationsfilme die Perspektive auf Geschichte erweitern, verfremden und verändern können. Besonders gut gefallen hat mir der Beitrag von Bettina Köhler, die sich mit dem Zeichnen als historiographische Praxis auseinandersetzt. Die Autorin reflektiert die Praxis des Zeichnens so unterhaltsam wie informativ, anhand von zwei Projekten sowie ihrer persönlichen Zeichenbiografie – und erzählt nebenbei vom sozialen und dokumentarischen Stellenwert, den das Zeichnen einmal hatte, bevor ihm die Fotografie den Rang ablief.“

 

Und auch Josephine Kuban, Redakteurin von Visual History, hat sich für das Comic-Dossier und ebenfalls wie Niklas für den Beitrag von Bettina Köhler „Zeichnen als Instrument“ entschieden: eine persönliche Leseempfehlung, um selbst wieder kreativer zu werden:

„Als ich die ersten vier Worte im Beitrag ‚Zeichnen als Instrument‘ von Bettina Köhler gelesen habe, musste ich laut auflachen. Denn auch ich habe an dem Comic-Seminar im Master-Studiengang Public History an der Freien Universität Berlin teilgenommen, in dem 2019 Köhlers Comic-Plakat ‚immertreu‘ entstanden ist. Den Satz ‚Ich kann nicht zeichnen‘ habe ich dabei sowohl gehört als auch gesagt. Umso schöner ist es, dass mich ihr Text dazu inspiriert hat, den Bleistift, Kuli oder Pinsel in diesem Jahr wieder etwas öfter in die Hand zu nehmen. Dafür möchte ich danke sagen! Bettina Köhlers Beitrag ist absolut empfehlenswert.“

 

Themendossier „Was man nicht sieht! Perspektivwechsel durch Comics“, hg. v. Christine Bartlitz und Irmgard Zündorf, in: Visual History, 30.05.2025, https://visual-history.de/2025/05/30/themendossier-was-man-nicht-sieht-perspektivwechsel-durch-comics/

Bettina Köhler, Zeichnen als Instrument, in: Visual History, 14.04.2025, https://visual-history.de/2025/04/14/koehler-zeichnen-als-instrument/ 

 

Unsere Kollegin Iulia Sucutardean hat das zweite Themendossier, das im Jahr 2025 auf Visual History erschienen ist, als Highlight ausgewählt: „Putting Images to Work – Gender and the Visual Archive“, herausgegeben von Christina Benninghaus und Mary Jo Maynes“:

„Alle Beiträge im Themendossier sind für sich überaus lesenswert. Zusammen gelesen bilden sie jedoch über ein Jahrhundert visueller Darstellung von Gender und Weiblichkeit ab. Die Bandbreite der Themen und die Vielfalt der im Dossier zusammengetragenen visuellen Quellen, von Illustrationen in deutschen Kinderbüchern ab Mitte des 18. Jahrhunderts über sowjetische Propagandaposter hin zum Werk der Schwarzen Fotografin Charlotte Paige Carroll im Chicago der Zwischenkriegszeit sowie Comics aus den 1970er und 80er Jahren und mehr, sind beeindruckend. Die Perspektiven und Zugänge sind ebenso vielfältig wie das zugrundeliegende Material, dabei durchweg reflektiert bezüglich bildethischer Fragestellungen, der (Un-)Zugänglichkeit von Produktions- und Rezeptionskontexten und dezidiert machtkritisch. Ein Teil des Materials ist abgebildet – und es ist toll, die Analysen nachzuvollziehen und dabei so ein breites Spektrum an visuellen Quellen betrachten zu können.“

 

Christina Benninghaus & Mary Jo Maynes (Hg.), Putting Images to Work – Gender and the Visual Archive, in: Visual History, 06.10.2025, https://visual-history.de/2025/10/06/theme-dossier-putting-images-to-work-gender-and-the-visual-archive/

Collage aus fünf Bildern

Collage: v.l.n.r.: “Sibling Love”, 1776; Kogout, 1920; Business Card, c. 1930; Fischer-Dückelmann, 1905; Trina, 1970 ©

Christine Bartlitz gefällt der Aufsatz von Kavita-Kathleen Toora besonders gut, der sich mit Zigarettensammelalben der Firma Reemtsma im Dienst des Nationalsozialismus beschäftigt:

„Das Sammeln und Einkleben von Bildern ist eine langlebige, weltweit ausgeführte Praxis – bis heute. In den 1920er bis 1940er Jahren befand sie sich mit der Verbreitung von Zigarettensammelbildern auf einem Höhepunkt. In Deutschland dominierte die Zigarettenfirma Reemtsma den Markt, die ab 1933 intensiv mit dem NS-Regime kooperierte. Die Autorin zeigt in ihrem forschungsbasierten Aufsatz, der auf ihrer Masterarbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin beruht, in hervorragender Weise, wie die Alben durch ihre bildliche Gestaltung (u.a. mit Fotografien von Heinrich Hoffmann) genutzt wurden, um durch ein Medium der Populärkultur ein neues, der NS-Ideologie entsprechendes Bildgedächtnis zu schaffen.“

 

Kavita-Kathleen Toora, Zigarettensammelalben der Firma Reemtsma im Dienst des Nationalsozialismus, in: Visual History, 10.02.2025, https://visual-history.de/2025/02/10/toora-zigarettensammelalben-der-firma-reemtsma-im-dienst-des-nationalsozialismus/

Drei Buchansichten: links: Bild von Quadriga und Hakenkreuzfahne und Schrift; Mitte: Zeichnung eines Soldaten und Schrift; rechts: nur Schrift

Links: Kampf um’s Dritte Reich, Cigaretten-Bilderdienst Altona-Bahrenfeld 1933, Cover;
Mitte: Deutschland erwacht, Cigaretten-Bilderdienst Altona-Bahrenfeld 1933, Cover;
Rechts: Adolf Hitler, Cigaretten-Bilderdienst Altona-Bahrenfeld 1936, Cover mit Blick auf den Buchrücken

Unsere Redakteurin Violetta Rudolf hat einen Beitrag aus dem Visual History-Themendossier „Bilder des Krieges in der Ukraine“ gewählt – ein leider auch im dritten Kriegsjahr 2025 weiterhin aktuelles Thema:

„In dem Interview der Public Historian Josephine Kuban mit der Kunstwissenschaftlerin Elena Korowin über das Buch ‚Krieg geht viral. Visuelle Kultur und Kunst im Ukraine-Krieg‘ lassen beide den Strom der medialen Inhalte für einen Moment pausieren. Sie beschreiben den Prozess, einen analytischen Umgang zu finden mit einer ständig wachsenden Menge an Bildern und Inhalten in den Sozialen Medien, ihrer Flüchtigkeit, der ungeklärten Urheberschaften, Fake-Nachrichten, den sozialen Bubbles. Es geht dabei um Dokumentation, um Bildsprachen, Bilder als Waffen und um die eigene Verantwortung, wie wir Bilder konsumieren und weiterverarbeiten.“

 

Josephine Kuban, Das Schweigen überwinden. Die Kunstwissenschaftlerin Elena Korowin im Interview über ihr Buch „Krieg geht viral. Visuelle Kultur und Kunst im Ukraine-Krieg“, in: Visual History, 27.01.2025, https://visual-history.de/2025/01/27/kuban-korowin-das-schweigen-ueberwinden/

 

Graues Cover mit roter Schrift; darunter ein gezeichnetes Flugzeit mit Banner über eine Stadt fliegend.

Cover: Elena Korowin, Krieg geht viral. Visuelle Kultur und Kunst im Ukraine-Krieg, transcript Verlag, Bielefeld 2023 ©

Glasschaukasten mit Ankündigung in städtischer Umgebung

Ankündigung der Diane-Arbus-Ausstellung im Gropius Bau, Berlin-Kreuzberg, 20.11.2025. Foto: Niklas Weber ©

 

 

 

 

 

 

Und zum Schluss gibt es noch einen Ausstellungstipp von unserer Redakteurin Annette Vowinckel: Sie ist begeistert von der Rezension unseres Kollegen Niklas Weber der Diane-Arbus-Ausstellung im Berliner Gropius Bau:

„Diane Arbus und Susan Sontag sind zwei herausragende Figuren der US-amerikanischen Kulturgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg. Für die Ausstellung ist die Beziehung zwischen den beiden auf zweierlei Arten relevant: Arbus fotografierte Sontag. Und Sontag war eine von wenigen Kritiker:innen, die Arbus’ Arbeit einer Fundamentalkritik unterzog. Dass diese Kritik, wie Niklas Weber zeigt, heute vielfach vom Tisch gewischt wird (selbst von Menschen, die Sontag ansonsten sehr zugetan sind), ist sehr erstaunlich. Denn die Frage, die die Kritikerin gestellt hat, ist höchst aktuell und keinesfalls einfach zu beantworten: Zeigt Arbus auf sensible Weise die Ränder der amerikanischen Gesellschaft oder ist sie doch eher eine Voyeuristin, die die fotografierten Menschen mit Häme überzieht? Ich habe die Ausstellung selbst noch gar nicht gesehen, aber nachdem ich diese Rezension gelesen habe, steht sie ganz oben auf meinem Zettel. Der wunderbare Text von Niklas Weber hat mich sehr, sehr neugierig gemacht.“

Für alle, denen es nach der Lektüre von Niklas Webers Rezension ebenso wie Annette Vowinckel geht: Die Ausstellung „Diane Arbus: Konstellationen“ ist noch bis zum 18. Januar 2026 im Berliner Gropius Bau zu sehen.

 

Niklas Weber, You Look All the Same to Me. Perspektiven auf die Diane-Arbus-Ausstellung im Berliner Gropius Bau, in: Visual History, 18.11.2025, https://visual-history.de/2025/11/18/weber-you-look-all-the-same-to-me/ 

 

Die Visual History-Redaktion wünscht allen Leser:innen einen guten Rutsch und ein gesundes und frohes neues Jahr 2026!

Folgende Beiträge könnten Sie auch interessieren:

Artikel kommentieren

Ihre Email wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.