Wie wir leben wollen – Weimar 1989/90 in Fotografien von Klaus Bergmann
Eine Ausstellung im Weimar Atrium, 3. bis 29. Februar 2020
Die Ausstellung „Wie wir leben wollen“ ist eine Re-Installation. Bereits 1992 hatte der Fotoamateur Klaus Bergmann seine 300 Fotografien vom Straßenprotest 1989/90 in einem Hotel in Weimar gezeigt. Drei Jahre nach der „Wende“ war 1989 noch kein großes geschichtspolitisches Event; in Deutschland wurden Brandanschläge auf Nicht-Deutsche verübt. Bergmann ergänzte damals seine Weimarer Bilderchronik mit Fotos von einer Demo gegen Gewalt und Fremdenfeindichkeit aus dem Oktober 1992.
Das Jenaer Forschungsprojekt „Sozialismus im Bild“ präsentiert die historische Tafelausstellung heute in einer Shopping Mall in Weimar – zum Jahrestag des Endes der Straßenproteste und unter der Frage, wie wir leben wollen. Das „Weimar Artium“ ist vor 15 Jahren in den Ruinen der „Halle der Volksgemeinschaft“ eröffnet worden, ein Teil des unvollendet gebliebenen Gauforums von Weimar.
Klaus Bergmann hat sich bereits als Student mit der Kamera die Welt angeeignet; die Fotografie wurde sein Hobby. Der Berufsschullehrer für Metalltechnik leitete seit den 1970er Jahren ehrenamtlich Fotozirkel in Betrieben. Und er belieferte als „Volkskorrespondent“ regionale Zeitungen mit seinen Bildern: 10 Mark erhielt er für ein gedrucktes Foto. Klaus Bergmann gehörte nicht zur Opposition im Land. Der damals 41-Jährige verpasste die ersten beiden Dienstags-Demos in Weimar. Aber von da an war er fast immer dabei, ein Dokumentarist, der mit seiner Kleinbildkamera Sinn für die Vielfalt bewies.
1989/90: Wie wollten wir leben? Und wer war „das Volk“?
Klaus Bergmanns Fotografien vom Straßenprotest in Weimar zwischen November 1989 und Februar 1990 geben uns historische Antworten auf die Frage, was „das Volk“ wollte – und wie sich die Forderungen der Bürgerinnen und Bürger rasant wandelten. Wer die über 300 Dokumente betrachtet, erkennt viele Wünsche und Visionen von einem anderen und besseren Leben im 40. Jahr der DDR. Mehr Demokratie und freie Wahlen wurden gefordert; Reisefreiheit und die D-Mark; gute Luft zum Atmen und ein neues Krankenhaus; Solidarisierung mit der Opposition in der ČSSR und Rumänien; ein nazifreies Weimar; eine Vertragsgemeinschaft mit der BRD und – ab 9. November 1989 immer dominanter – „Deutschland einig Vaterland“. Die meisten wollten demokratische Verhältnisse. Einige engagieren sich bis heute in Bürgerinitiativen, Gewerkschaften, Vereinen und Parteien für eine offene Gesellschaft.
… 2020, was soll (anders) werden?
Die Postkartenaktion transparent 1989 | 2020 von Anke Heelemann (FOTOTHEK Weimar) schafft Raum für Antworten. Die Forderungen und Losungen auf den damals von Hand beschrifteten Transparenten sind – 30 Jahre danach – nicht mehr zu sehen. Die weißen Leerstellen fordern auf, sich zu erinnern oder (neu) zu positionieren. Auf den Karten kann der Straßenprotest von 1989 reaktiviert werden; neue Ideen lassen sich formulieren; Haltung wird gezeigt. Die Besucher*innen sollen sich einmischen und mit den ausliegenden Postkarten die Ausstellung mit gestalten. Tatsächlich fand wenige Stunden nach der Wahl des Ministerpräsidenten in Erfurt am 5. Februar der politische Protest auch in dieser Ausstellung seinen Ausdruck.
Was bleibt?
Es bleiben Klaus Bergmanns Fotos: Dokumente von praktizierter Meinungsfreiheit, von Lebensfreude, von ernsthafter Sorge und Wut im Bauch. Die ersten freien Wahlen für die DDR-Volkskammer am 18. März 1990 ließen auch für Weimar erkennen: Die Mehrheit begrüßte einen schnellen Anschluss an die Marktwirtschaft der Bundesrepublik. Es bleiben nicht zuletzt Lebenserfahrungen, historisches Wissen – und offene Fragen. Wer nach 30 Jahren die Revolution feiert, sollte auch die Zeit nach 1989 neu vermessen und begreifen lernen.
Für viele Menschen in Ostdeutschland folgten Jahre der Unsicherheit und Angst. Berufspendeln, Arbeitslosigkeit und neonazistische Gewalt prägten oft den Alltag. Migranten wurden verfolgt. Mit dem Herbst 1989 wurde auch das Abgespaltene und Unterdrückte in der DDR-Gesellschaft sichtbarer. Die meisten erleben jedoch, dass Demokratie anstrengend sein kann, sich aber lohnt. Vor den Bildern von Klaus Bergmann lässt sich auch die Gegenwart befragen: Welche Anpassungen fordert unsere Gesellschaft heute von den Einzelnen? Und welche Angriffe auf die Demokratie verdienen erneut Protest und Zivilcourage?
Was ist Ihre Forderung heute?
Schreiben Sie uns! E-Mail: wende-weimar@verbund-dut.de
Melden Sie sich bitte auch, wenn Sie eine Ausstellung zur Geschichte der fotografierten DDR mit eigenen Bildern unterstützen wollen. Informationen über „Sozialismus im Bild“ unter: https://verbund-dut.de/teilprojekte/visuelle-aneignung
Die Ausstellung ist eine Kooperation des Forschungsverbunds „Diktaturerfahrung und Transformation“ mit Klaus Bergmann, der Trier-Gesellschaft Weimar e.V., dem Einkaufszentrum Weimar Atrium, der Stiftung Ettersberg, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Fotos: Klaus Bergmann, Reproduktionen nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Fotografen
Idee, Konzept, Leitung: Dr. Axel Doßmann, Universität Jena