VH-Empfehlungen der Redakteurinnen aus dem Jahr 2024
Für das vergangene Jahr 2024 haben sich die Mitglieder der Redaktion von Visual History noch einmal die veröffentlichten Beiträge auf dem Portal angeschaut und einige davon zur Wieder- oder Neu-Lektüre empfohlen.
Das Jahr war durch die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten geprägt. Unsere Redakteurin Lucia Halder empfiehlt daher einen Text von Sophie-Charlotte Opitz über die Bildstrategien Russlands und der Ukraine:
„Die besten Beiträge zu den gegenwärtigen Kriegen und Krisen kommen meines Erachtens von Historiker:innen – eine Ausnahme ist der Text ‚Alles und Nichts. Die Bildstrategien Russlands und der Ukraine im Krieg‘ von Sophie-Charlotte Opitz, ihres Zeichens Medienwissenschaftlerin und Fotografie-Expertin. In ihrer Analyse legt sie Schicht für Schicht die Bildstrategien der beiden Kriegsparteien frei und begleitet die Lesenden durch verschiedene Medien und Zeiten. Die philosophischen Referenzen geben dem Text eine historische Tiefe. Lesenswert sind im Übrigen auch alle weiteren Texte, die die Autorin im Rahmen ihres Thomas Mann Fellowships für die FAZ verfasst hat.“ (Lucia Halder)
Und auch unsere Kollegin Iulia-Maria Sucutardean hat sich für diesen Text entschieden, da in ihm die russischen und ukrainischen Bildstrategien als gewichtiger Faktor des Krieges kenntnisreich analysiert werden:
„Besonders gefreut habe ich mich in diesem Jahr über den Beitrag von Sophie-Charlotte Opitz. Der Artikel beschränkt sich nicht auf eine Darstellung der Bildnarrative von Wolodymyr Selenskyj und Wladimir Putin, sondern berücksichtigt auf ukrainischer Seite auch Beiträge von User:innen in den sozialen Medien; auf russischer Seite besonders auch Veröffentlichungen der Presseorgane. Nicht nur werden die konträren Ansätze der ukrainischen und russischen Bildpolitik überzeugend dargestellt, sondern vor allem rückt die Autorin durch die Einbeziehung weiterer Akteur:innen wichtige Fragen in den Mittelpunkt: Wem gehören die Bilder? Und kann man ihnen trauen? Eine erhellende Lektüre.“ (Iulia-Maria Sucutardean)
Sophie-Charlotte Opitz, Alles und Nichts. Die Bildstrategien Russlands und der Ukraine im Krieg, in: Visual History, 24.06.2024,
https://visual-history.de/2024/06/24/opitz-alles-und-nichts/
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-2804
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Auch im vergangenen Jahr war der Umgang mit der Erinnerung an die DDR ein Thema in der deutschen Gesellschaft, das kontrovers diskutiert wurde. Die Fotografiehistorikerin Sandra Starke empfiehlt einen auf Visual History erschienenen Text des Historikers Axel Doßmann, der eine Potsdamer Ausstellung der Fotografin Christina Glanz vorgestellt hat.
„Wenn ich die Potsdamer Ausstellung von Christina Glanz ‚Ich würde sofort wieder in die Kohle gehen …‘ nicht hätte sehen können, die Rezension von Axel Doßmann wäre kein schwacher Trost gewesen. Seine genauen Beobachtungen, die umfassende Kenntnis des historischen Kontextes und die empathische Sprache lassen das Werk der Fotografin und die Ausstellung im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (jetzt: Brandenburg Museum) im Text neu erstrahlen. Dabei wird schnell klar, dass diese Rezension genau wie auch die Ausstellung viel mehr kann als die bloße Empfehlung eindimensionaler gerahmter Fotografien. Hinter den Portraits eindringlicher Nähe zwischen der Fotografin und den Abgebildeten tauchen auch reale Menschen auf, die in Lauchhammer lebten und leben: individuelle Biografien und visuelle Narrative der Deindustrialisierung, deren Bilder zwar in Lauchhammer/Ostdeutschland entstanden sind, aber weit darüber hinausweisen.“ (Sandra Starke)
Axel Doßmann, „Lauchhammer ist mein New York“. Christina Glanz’ Fotoporträts ostdeutscher Kohle-Arbeiter:innen in den Jahren postsozialistischer Massenentlassungen, in: Visual History, 13.03.2024,
https://visual-history.de/2024/03/13/dossmann-lauchhammer-ist-mein-new-york-christina-glanz-fotoportraets/
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-2736
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Und auch die Geschichte der deutschen Kolonialherrschaft sowie der politische und erinnerungskulturelle Umgang damit waren im Jahr 2024 weiterhin von großer Bedeutung. Christine Bartlitz hat sich daher für den Beitrag von Anne D. Peiter entschieden, in dem sie „Überlegungen zum kolonialen Erbe mit Blick auf die deutsche Kolonialfotografie“ anstellt.
„Anne D. Peiter hat einen überaus wichtigen Text geschrieben, der sich mit der deutsch-ruandischen Kolonialgeschichte und der dazugehörigen Kolonialfotografie beschäftigt. Eindringlich zeigt sie auf, welche gewaltsamen Folgen das koloniale fotografische Handeln für die Geschichte Ruandas hat. Dabei geht sie vom ‚Bildervorrat‘ der 1887 gegründeten Deutschen Kolonialgesellschaft aus, deren Mitglieder das Bestreben hatten, ‚Ordnung‘ in die Begegnung mit der ruandischen Kultur und Gesellschaft zu bringen. Anne Peiter analysiert, wie die deutsche und belgische ‚Ethnisierung‘ der Menschen, u.a. festgehalten und ‚belegt‘ durch Fotografien, Jahrzehnte später zur Grundlage der Identifizierung der prospektiven Opfer beim Genozid an den Tutsi im Jahr 1994 wurde. Außerdem weist sie auf ein großes Problem bei der Digitalisierung von Archivbeständen hin: Um die Bilder im Internet zu kategorisieren und besser auffindbar zu machen, werden koloniale Bildlegenden und Aufschriften in scheinbar objektive Beschreibungskategorien und Suchwörter übernommen, was wiederum bis heute zu erneuten Fest- und Zuschreibungen führt.“ (Christine Bartlitz)
Anne D. Peiter, Die Ethnogenese und der Tutsizid in Ruanda. Überlegungen zum kolonialen Erbe mit Blick auf die deutsche Kolonialfotografie, in: Visual History, 04.06.2024,
https://visual-history.de/2024/06/04/peiter-die-ethnogenese-und-der-tutsizid-in-ruanda/
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-2797
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Unsere Redakteurin Josephine Kuban wie auch unser wissenschaftlicher Volontär Tobias Eder, der uns in diesem Jahr tatkräftig in der Redaktion unterstützt hat, haben sich in ihrer Empfehlung für das Themendossier entschieden:
„Bereits als mir Christine Bartlitz von dem Vorhaben erzählte, weckte es bei mir als Absolventin des Masterstudiengangs Public History der Freien Universität Berlin Interesse. Zusammen mit Christoph Kreutzmüller, Theresia Ziehe und Public History-Studierenden wollte sie das private Fotoalbum der deutsch-jüdischen Familie Lindenberger untersuchen. Auch ich hatte vor einigen Jahren im Rahmen des Studiums einen Fotobestand aus der Sammlung des Jüdischen Museums Berlin mit meinen Kommiliton:innen erforscht und freute mich auf die Ergebnisse des aktuellen Projekts. Herausgekommen ist ein umfassendes Themendossier, in das ich regelmäßig gern hineinstöbere. ‚un.sichtbar. Blicke auf das Fotoalbum einer jüdischen Familie 1904-1969‘ fragt aus unterschiedlichsten Perspektiven danach, was sichtbar ist und was unsichtbar bleibt.“ (Josephine Kuban)
„Bilder können Dinge zeigen und verstecken. Das haben auch die Studierenden festgestellt, die für Visual History das private Fotoalbum der jüdischen Familie Lindenberger analysiert haben. Das Album entstand in den Jahren 1904-1969, und die Studierenden haben sich gefragt: Was ist im Album sichtbar, und was bleibt unsichtbar? Sichtbar sind etwa vielfältige Bezüge zum Großbürgertum, weniger zum jüdischen Glauben der Familie. Und sichtbar sind beeindruckend viele Fortbewegungsmittel, ganze 26 an der Zahl. Zu all dem aber mehr in der Online-Ausstellung der Studierenden. Die macht nämlich eines deutlich sichtbar: Es ist immer wieder erstaunlich, wie viel man anhand von Bildern herausfinden kann.“ (Tobias Eder)
Themendossier „un.sichtbar. Blicke auf das Fotoalbum einer jüdischen Familie 1904-1969“, in: Visual History, 14.02.2024,
https://visual-history.de/2024/02/14/themendossier-unsichtbar-blicke-auf-das-fotoalbum-einer-juedischen-familie-1904-1969/
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-2692
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