Fotografie im Nationalsozialismus
Alltägliche Visualisierung von Vergemeinschaftungs- und Ausgrenzungspraktiken 1933-1945
Für das nationalsozialistische Regime spielten Visualität und visuelle Repräsentation, insbesondere in Form des Mediums Fotografie, von Beginn an eine prominente Rolle. Mit der Fotografie bot sich ein wirksames Mittel zur Implementierung und Verbreitung von Weltanschauung und politischer Idee des Nationalsozialismus sowie zur Festigung seiner Herrschaft.
Der propagandistische Gebrauch der Fotografie und deren spezifische Ästhetik sind vergleichsweise breit untersucht worden. Gleichwohl prägen die offiziellen Selbstinszenierungen des Regimes bis heute das Bild dieser Epoche der deutschen Geschichte. Dabei hatte sich die Fotografie – jenseits der professionellen Bildproduktion – bereits vor 1933 zu einem Massenmedium entwickelt, das es breiteren Schichten ermöglichte, ihren Alltag – wie auch Nichtalltägliches – festzuhalten und aktiv, als Praxis, mitzugestalten.
Im Mittelpunkt des Forschungsprojekts steht die Selbstaufnahme der sogenannten Volksgenossinnen und Volksgenossen sowohl im Hinblick auf die Inszenierung und Performanz von Gemeinschaft als auch auf Praktiken der Ausgrenzung, Gewalt und Stigmatisierung. Von besonderem Interesse sind dabei Bildserien, also z. B. Fotosammlungen aus einzelnen Orten über einen längeren Zeitraum hinweg (seit Ende der 1920er-Jahre bis in die frühe Nachkriegszeit) oder private Fotoalben. Aber auch Nachlässe von professionellen oder Amateur- und Hobby-Fotografen, die gewissermaßen als Bildchronisten für die Geschichte ihres Ortes, ihres Betriebes oder ihres Dienstalltags in den besetzten Gebieten gewirkt haben, sollen ausgewertet werden, wobei es mehr um den zivilen Blick geht als um den vergleichsweise gut untersuchten Blick von SS- oder Wehrmachtssoldaten.
Das Forschungsprojekt gliedert sich in folgende drei Teil-Projekte:
Linda Conze
Das Fest im Bild. (Selbst-)Inszenierungen von Zugehörigkeit im öffentlichen Raum
Das Promotionsprojekt beschäftigt sich mit privater und semiprivater Fotografie aus der Zeit des Nationalsozialismus, genauer mit solchen Bildern, die im Kontext von Festen und Feiern unterschiedlicher Art entstanden sind. Im Fokus des Interesses steht dabei das Potenzial des Mediums Fotografie, in Prozessen von Vergemeinschaftung und Ausgrenzung Wirkmacht zu entfalten. Mit dem Deutschen Reich der 1920er-, 1930er- und 1940er-Jahre setzt die Studie einen spezifischen Rahmen, innerhalb dessen sie das Verhältnis von Fotografie und Gemeinschaft medienhistorisch ausloten möchte. Diese Rahmung orientiert sich unverkennbar an den politischen Zäsuren der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, die jedoch zugleich kritisch hinterfragt und auf ihre Kongruenz mit einer Geschichte der privaten Fotografie überprüft werden sollen.
Die angestrebte Studie möchte sich der zeitgenössischen Festkultur in ihren vielfältigen Größenordnungen, Ausprägungen und ganz unterschiedlichen Graden von Öffentlichkeit zuwenden. Der Untersuchungsrahmen schließt nationalsozialistische Großveranstaltungen ebenso wie das private Hochzeitsfest, den halböffentlichen Maskenball oder das dörfliche Schützenfest ein. Sie interessiert sich für den fotografischen Blick auf Feste und Feiernde jenseits von Propaganda- oder Pressefotografie, für die Interaktion zwischen Fotograf/inn/en, Kamera und Fotografierten, deren Ergebnis das Bild ist. Das Feiern dient der Studie also einerseits als räumliche, zeitliche und motivische Sphäre, anhand derer das Verhältnis von Bild und Gemeinschaft durchexerziert werden soll. Andererseits ist das Feiern selbst gemeinschaftsstiftende Praxis, das Fest im Sinne eines Rituals selbst Medium – von Kollektivierung, aber auch von Ausgrenzung und Terror.
Als Quellengrundlage dienen zusammenhängende Foto-Serien und -konvolute aus unterschiedlichen Regionen des ehemaligen Deutschen Reichs, anhand derer sich Motive, Blickpositionen und fotografische Aufmerksamkeitstrends über längere Zeiträume hinweg untersuchen lassen.
Kontakt: linda.conze[at]geschichte.hu-berlin.de
Ulrich Prehn
Tradition, „Eigen-Sinn“ und nationalsozialistische Formierung: Fotografien der Arbeitswelt
Die Sphäre der Arbeitswelt war bereits Jahrzehnte vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland ein Bereich, in dem die politisch-gesellschaftliche Mobilisierung von Menschen ebenso wie ihre „Einordnung“ in den Betrieb stark über visuelle Medien hergestellt wurde. Doch erst seit den 1920er-/30er-Jahren fotografierten Arbeiterinnen und Arbeiter in zunehmendem Maße auch sich selbst, ihre Arbeit und Freizeit sowie ihre sozialen und politischen Aktivitäten.
In der Studie werden Traditionen und Adaptionen, Überschreibungen und Neuerungen auf dem Feld fotografischer Repräsentationen von Arbeitswelt und Arbeiterkultur seit den 1920er-Jahren sowie deren Wandlungen im Nationalsozialismus in den Blick genommen. Zentral ist dabei die Frage nach den verschiedenen Repräsentationsweisen von „Arbeit“, Arbeiterinnen und Arbeitern sowie nach entsprechenden Modi der Erinnerungsproduktion, wenn es um so unterschiedliche Quellenbestände wie die professioneller Auftrags- und Industriefotografen und jene von Privatpersonen – ambitionierten Amateurfotografen und sogenannten Knipsern – geht.
Deswegen werden der quantitativ dominanten Werksfotografie und der unter genuin nationalsozialistischen Vorzeichen stehenden politischen Fotografie der Arbeitswelt sowie der „Organisation“ und Formierung der arbeitenden Menschen in der Analyse bewusst auch solche Aufnahmen an die Seite gestellt, die in anderen Kontexten überliefert sind. Diese zeigen zum Teil eine Sicht „von unten“ beziehungsweise dokumentieren sie mitunter eine individuelle fotografische „Handschrift“ und einen gewissen „Eigen-Sinn“. Solche Fotografien, für die bisweilen auch Spuren überwiegend privaten Gebrauchs oder privater „Aneignungen“ nachweisbar sind, stammen zumeist aus Nachlässen, privaten Sammlungen, Geschichtswerkstätten, kommunalen Archiven und Museen.
Kontakt: prehnulr[at]geschichte.hu-berlin.de
Julia Werner
Im besetzten Polen: Fotografie und die Veränderung von Räumen
Mit dem Überfall auf Polen strömten Wehrmachtssoldaten, SS-Männer und Polizisten in den „neu eroberten Raum“; mit ihnen kamen auch Beamte, Unternehmer, Lehrer und ihre Familien. Doch nicht nur die deutschen Besatzer betraten „völliges Neugebiet“, Räume und Raumvorstellungen änderten sich für alle in dieser Region lebenden Menschen. Die unterliegenden Dynamiken waren jedoch von Gruppe zu Gruppe enorm verschieden. Zentral für die Veränderung von Räumen war die von den Nationalsozialisten nach rassistischen Kriterien operierende Bevölkerungspolitik, die Hunderttausende von Menschen auf verschiedenste Art und Weise in Bewegung setzte. Diese unterschiedlichen Formen von Massenbewegung, Vertreibungen, Umsiedlungen, Deportationen und Gettoisierungen treten uns aus vielfältigen fotografischen Quellen entgegen. Zur NS-Bevölkerungspolitik liegt eine breite Forschung vor; diese behandelt die Bevölkerungspolitik allerdings zumeist aus einer Perspektive des social engineering oder als Geschichte konkurrierender Institutionen und Ideologien. Die Folgen dieses bevölkerungspolitischen Planens und Handelns, die sehr konkrete Auswirkungen auf Leben und Alltag der Menschen hatten, stehen weniger im Fokus: So bewegten sich Hunderttausende unter ganz unterschiedlichen Vorzeichen durch die Landschaft, zum Teil mit Gepäck, zum Teil ohne, mussten sich die Menschen zu Fuß oder mit dem Pferdewagen, mit dem Zug, dem Schiff, allein oder in großen Gruppen über lange Strecken bewegen. Die Studie möchte untersuchen, wie diese Bewegungen in Fotografien unterschiedlicher Provenienz visuellen Niederschlag finden.
Als Quellen dienen dem Projekt fotografische Bestände von nicht-professionellen Fotografen, insbesondere Fotoserien und Fotobestände, die von Fotografen über einen längeren Zeitraum hinweg geschaffen wurden. Der zeitliche Rahmen des Projekts ist durch die Zeit der Besatzung eng gesteckt, die Bildkonvolute erlauben aber einen Blick über die Grenzen von 1939-1945 hinaus, da die Bestände natürlich in ihrer Gesamtheit in den Blick genommen werden sollen.
Wie also eigneten sich die Fotografierenden die sich stetig – auch durch ihr eigenes Handeln – verändernde Situation durch ihre fotografische Praxis an? Welche Darstellungs- und Repräsentationsformen wählten die unterschiedlichen fotografischen Akteure? Es geht also darum, die Perspektive des Fotografen aus dem historischen Kontext heraus zu verstehen, sowie die Formen, in der er die Realität durch seine Fotografie rahmte und wahrnahm. Über den Vergleich unterschiedlicher Bestände sollen jedoch größere Muster von Wahrnehmungsweisen und Darstellungsarten herausgearbeitet werden.
Kontakt: juliawerner[at]gmail.com
Humboldt-Universität zu Berlin
Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziell gefördert.