Bilder zeigen – aber wie?
Ein Kommentar zum Workshop „Bildethik – zum Umgang mit Bildern im Internet“ am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, 18. März 2019
Nachrichten, Blogs, Online-Zeitschriften, Websites von Museen, von Gedenkstätten und anderen Bildungseinrichtungen, Online-Ausstellungen, Social Media – sie alle zeigen Bilder: groß aufgezogen, als Fotostrecke, in kleineren Formaten, mit oder ohne Bildunterschrift. Visuelle Informationen gehören im Netz dazu. Häufig dienen Bilder der Illustrierung von Texten; sie sind ästhetische Elemente, die visuell die Inhalte der Website kommunizieren sollen. Selten steht ihr eigener Quellenwert im Vordergrund. Bilder – und hierzu zählen auch historische Fotografien – sind niedrigschwellig durch Bildagenturen, Online-Bildarchive, Bilddatenbanken und Social Media zugängig, darunter auch solche, die diskriminierende Inhalte zeigen. Wie aber können wir mit Bildmaterial umgehen, das negative oder ausgrenzende Zuschreibungen aufweist und etwa die Persönlichkeitsrechte eines Menschen verletzt? Auseinandersetzungen über bildethische Fragestellungen in der Verwendung von (historischen) Fotografien finden zwar intern in einer Redaktion, in einem Ausstellungsteam, bei der Planung eines Buches immer wieder statt, allerdings werden diese noch kaum dokumentiert. Eine Diskussion in der Fachöffentlichkeit hat sich darüber noch nicht etabliert.
Der Workshop „Bildethik – zum Umgang mit Bildern im Internet“ wollte genau hier ansetzen und einen Austausch von Erfahrungen, Methoden und Strategien im Umgang initiieren. Am 18. März 2019 luden Christine Bartlitz (Redaktion „Visual History“), Sarah Dellmann (Redaktion „Early Popular Visual Culture“) und Annette Vowinckel (Autorin „Agenten der Bilder“) zu der eintägigen Veranstaltung ans Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam ein. Die Redner*innen berichteten aus ihrer Praxiserfahrung in Dokumentations- und Forschungsprojekten, Zeitschriftenredaktionen, Online-Archiven, Museen und Gedenkstätten sowie den sozialen Medien. Es ging in dem Workshop nicht darum, fertige Lösungen zu formulieren, sondern gemeinsam Problemfelder und Handlungsmöglichkeiten auszuloten: Welche Gefahren birgt die unkommentierte Publikation von Bildern? Welche technischen Möglichkeiten gibt es für den Umgang mit „problematischen“ Bildern? Was verstehen wir überhaupt unter einem ethischen Umgang mit historischem diskriminierendem Material?[1]
Eng verknüpft mit der Frage nach dem Umgang mit diskriminierendem Material sind die Fragen danach, was diskriminierende Inhalte eigentlich sind und wie man sie bestimmt. Bei Kriegsfotografien, Propagandafotografien, Bildern aus Gewaltregimen wie dem Nationalsozialismus, Bildern aus Konzentrationslagern, bei stereotypen Darstellungen von Minderheiten, Fotografien von Toten und Gewalthandlungen ist es sehr wahrscheinlich, auf diskriminierende Inhalte zu stoßen: Bildinhalte, die in einem Machtgefälle entstanden sind, die entwürdigende Details und Szenen zeigen, die stereotype Darstellungen festigen, die die Persönlichkeitsrechte und die Menschenwürde des Individuums verletzen.
Zur Annäherung an die Frage, wie diskriminierende Inhalte zu bestimmen sind, kann ein Blick in die philosophische Bildethik hilfreich sein. Der Philosoph Arndt Pollmann arbeitet vier Gruppen von Beteiligten heraus: die fotografierte Person, die fotografierende Person, die repräsentierende Person, also jene Menschen, die an der Auswahl und Bearbeitung der Fotografie beteiligt sind, sowie die rezipierenden Personen. Jede dieser vier Akteursgruppen bringt unterschiedliche Ansprüche an und Perspektiven auf die Bilder mit. Eine Kriegsfotografin möchte den Krieg abbilden und dokumentieren, ein Opfer dieses Krieges möchte eventuell nicht in dieser Situation gezeigt werden und ist dem Akt des Fotografierens ausgeliefert. Bei Bildredakteur*innen stehen der Nachrichtenwert und der Sensationswert sowie die Ästhetik des Bildes im Vordergrund, und die Rezipient*innen möchten visuell am Geschehen teilhaben.[2] In dem „vermeintlichen Wirrwarr der vier genannten Perspektiven“ habe die „Ethik des Bildes […] zuvorderst die Interessen und Verletzlichkeiten der jeweils abgebildeten Personen in Schutz zu nehmen“.[3] Hier ist nach Pollmann die Einschätzung der Fotografierten der Maßstab dafür, ob ein Bild diskriminierend ist.
Die zweite Frage bezieht sich auf konkrete Maßnahmen im Umgang mit diskriminierendem Bildmaterial. Sie wirft Schlaglichter auf die Problemfelder unterschiedlicher Verwendungsweisen von diskriminierendem Bildmaterial, die beim Workshop vorgestellt wurden. Die Beschäftigung mit den verschiedenen Verwendungskontexten veranschaulicht die Komplexität der Thematik.
Für die Historikerin, die mit Bildern arbeitet, steht der Quellenwert der Fotografie im Vordergrund. Sie versucht, Informationen zum Entstehungskontext, zur Fotograf*in, zu den fotografierten Personen sowie zur Distribution und Verwendung zusammenzutragen, und lässt diese Informationen in die Bildanalyse einfließen. So wird eine reflektierte und differenzierte Auseinandersetzung mit diskriminierendem Bildmaterial begünstigt. Hier sei angemerkt, dass nur in seltenen Fällen all diese Informationen rekonstruierbar sind; zudem steht man vor der Frage, ob die Bilder online gezeigt bzw. in einer analogen Publikation abgedruckt werden sollen. Läuft man trotz der Analyse und Kontextualisierung Gefahr, die diskriminierenden Inhalte zu reproduzieren, wenn man entsprechende Bilder zeigt?
Welche Herausforderungen sich für ein Online-Bildarchiv ergeben, stellte Jürgen Keiper von der Deutschen Kinemathek anhand des RomArchive (https://www.romarchive.eu/de) vor. Das RomArchive ist ein digitales Archiv über die Kultur der Sinti und Roma. Der Prämisse folgend, „Not without us about us“, bestehen Kuratorium sowie Beirat aus Sinti und Roma, und es geht bei dem Archiv um eine Selbstpräsentation. Bei der Gestaltung der Website kamen grundlegende Fragen auf: Wie kann eine Verschlagwortung aussehen, die die diskriminierenden Inhalte nicht einfach reproduziert, sondern reflektiert? Ist es zum Beispiel möglich, Verschlagwortung nach ästhetischen Kriterien zu gestalten? Sollte es technische Hürden für Nutzer*innen geben, die den Gebrauch von Bildern regulieren? Eignen sich versteckte Tags wie „offensive content, um diskriminierende Inhalte zu kennzeichnen“? Eine Kontextualisierung von Bildern, die auch in der URL aufgenommen wird, sowie die Übersetzung von Bildinhalten in Texte und nicht nur in Schlagworte sind zwei Maßnahmen, um Bildinhalte nicht vollkommen isoliert zur Verfügung zu stellen.
Auch in Online-Redaktionen spielt der Umgang mit fotografischem/visuellem Material eine zentrale Rolle, wie Sarah Dellmann von der Zeitschrift „Early Popular Visual Culture“ und Christine Bartlitz, Redakteurin von visual-history.de, zeigten. Hier sollten im Idealfall solche Bilder ausgewählt werden, die nicht nur Thesen des Textes illustrieren, sondern selbst Inhalte zur Analyse beitragen.
Dazu gehören auch vollständige Bildunterschriften, die im besten Fall Auskunft geben über Fotografierende und Fotografierte, den Entstehungshintergrund inklusive Datierung sowie über das Urheber- und Nutzungsrecht. Bei Bildern mit negativen Zuschreibungen und diskriminierenden Inhalten ist zu prüfen, ob es wirklich nötig ist, das Bild zu zeigen. Handelt es sich gegebenenfalls um ein bekanntes Bild, sodass eine neuerliche Veröffentlichung nicht notwendig ist? Ein weiteres Kriterium ist die Frage, ob der Text analytisch auf das Bild eingeht oder es nur am Rande erwähnt.
Museen und Gedenkstätten, gerade solche, die sich mit Gewaltregimen befassen, tragen eine besondere Verantwortung im Umgang mit diskriminierendem Bildmaterial. Sylvia Necker stellte in ihrem Vortrag Online-Ausstellungen deutscher NS-Dokumentationszentren vor. Sie fragte danach, wie viele „Nazis“ diese Websites vertragen könnten. Darüber hinaus analysierte sie, ob eine Auseinandersetzung mit Bildern als eigenständigen Quellen stattfindet oder eher die vorgestellten Themen bebildert werden. Auch spielt es eine Rolle, wie viel Raum den Fotografien in den gestalterischen Strukturen der Website zukommt und ob sie vollständig gezeigt werden oder ob Inhalte mit einem Balken abgedeckt oder Teile beschnitten sind. Insgesamt fiel das Fazit recht ernüchternd aus: Fotografien wurden mehrheitlich illustrativ benutzt und meist nicht kontextualisiert.
Als Doktorandin, die selbst mit einem Bildbestand arbeitet, der vielfach diskriminierendes Material umfasst – Fremde Bilder. Fotografische Identitätskonstruktionen von „(Spät-)Aussiedler*innen“ und „Gastarbeiter*innen“ in „Der Spiegel“ und „Stern“ 1950-1998 –, habe ich den Workshop als sehr produktiv und inspirierend wahrgenommen. Nicht nur, weil er den interdisziplinären Austausch förderte und Menschen aus unterschiedlichen Institutionen und Arbeitszusammenhängen zusammenbrachte, sondern weil gemeinsam Fragen, Problemfelder und manchmal Handlungsvorschläge formuliert wurden, die sich aus der praktischen Arbeit ergeben.
Meiner Meinung nach hat der Workshop zwei wichtige Ergebnisse erbracht: erstens, den klar formulierten Bedarf, eine disziplinübergreifende Diskussion in die historischen Wissenschaften zu holen und damit für den Gebrauch von fotografischem Material zu sensibilisieren und dessen eigenen Informationswert herauszustellen. Zweitens, das aus diesem Bedarf resultierende Vorhaben, gemeinsam mit den Vortragenden und Teilnehmenden eine Publikation zum Thema zu erarbeiten. Diese soll weder eine Monografie noch ein klassischer Sammelband werden. Stattdessen wird ein offenes Mosaik-Format entstehen, in dem Teilnehmende aus ihrer Perspektive über Begriffe und Problemstellungen des Themenfelds „Bildethik“ schreiben und mit diesen Beiträgen aus der Praxis das Handlungsfeld näher beleuchten. Im Herbst/Winter 2019 werden erste Texte der Publikation hier auf visual-history.de veröffentlicht, sukzessive folgen weitere Beiträge.
[1] Die Fragen sind der Ankündigung entnommen „Bildethik – zum Umgang mit Bildern im Internet“, https://www.visual-history.de/2019/02/12/bildethik-zum-umgang-mit-bildern-im-internet/ [26.08.2019]
[2] Arndt Pollmann, Darf man das zeigen? Grundzüge einer philosophischen Ethik des Bildes, in: tv diskurs 22 Jg., 1/2018, Ausgabe 83, S. 20-25, online unter: https://tvdiskurs.de/beitrag/darf-man-das-zeigen/ [26.08.2019]
[3] Zit. nach. ebd.
Zitation
Violetta Rudolf, Bilder zeigen – aber wie? Ein Kommentar zum Workshop „Bildethik – zum Umgang mit Bildern im Internet“ am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, 18. März 2019, in: Visual History, 03.09.2019, https://www.visual-history.de/2019/09/03/bilder-zeigen-aber-wie/
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-1702
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