„Wir sind Stalins Helden“ – Ein Foto aus dem Kriegsgefangenenlager Zeithain
Ein kleines Bild: zehn Männer, die vor einer Wand eng beieinanderstehen: Erschöpfung, Misstrauen und Ausweglosigkeit spiegeln sich in ihren Gesichtern. Es ist kalt, Dezember 1941, sie haben angezogen, was sie finden konnten: Die zerlumpte, stark verschmutzte Kleidung, darunter Teile von sowjetischen Uniformen, ist zusammen mit den Essensbehältern ihr wertvollster Besitz. Der Mann vorne rechts mit dem Kopfverband wirkt durch seine Haltung selbstbewusst, steckt die Hand in die Uniformjacke, deutet ein Lächeln an.
Die gefangenen Rotarmisten wissen, dass sie für die Kamera ihrer deutschen Bewacher vorgeführt werden. Sie können nicht zurückweichen, sie drängen sich zusammen vor einer der sogenannten Russenbaracken des Kriegsgefangenenlagers. Es ist ein Foto-wider-Willen,[1] dessen Intention auch durch die zynische Beschriftung der Tafel deutlich wird, die von den Kriegsgefangenen gehalten wird: „Wir sind Stalins Helden“; alle drei S-Buchstaben sind spiegelverkehrt geschrieben.
So sehen keine Helden aus. Das wurde durch den ins Bild integrierten Text deutlich gemacht. Spätere Betrachter*innen sollten nicht auf die Idee kommen, Mitgefühl für die Gefangenen zu entwickeln. Der Text im Bild gibt die Lesart des Fotos vor: Die Abgebildeten werden verhöhnt und lächerlich gemacht. Die vermeintliche Rückständigkeit der Roten Armee wird durch das heterogene Erscheinungsbild der Soldaten in ihrer Kleidung, den Schmutz, aber auch durch ihren körperlichen Zustand visuell belegt.
Für Stalin waren die Männer „Vaterlandsverräter“; für ihre deutschen Bewacher waren sie slawische „Untermenschen“, eher Tieren gleich als Soldaten. Ihre Erscheinung, ihr Aussehen sollte in maximalem Kontrast zu deutschen Wehrmachtssoldaten wahrgenommen werden, die 1941 noch siegesbewusst sein konnten. Die Konstruktion visueller Gegenbilder der Feinde legitimierte Raub und Terror in den besetzten Ländern und die Vernichtung der „rassisch“ unerwünschten Bevölkerung. Die Bildwerdung des Anderen, des Fremden als Feind, geschah auf vielen Ebenen. Dabei spielte die Definition insbesondere von „jüdisch-bolschewistischen“ „Rasse-Typen“ eine wichtige Rolle, die häufig in der antisowjetischen Propaganda als Einzelporträts auftauchten. Auch später finden sich viele ähnliche Bilder von Kriegsgefangenen und Zivilbevölkerung in den Fotoalben deutscher Wehrmachtssoldaten an der Ostfront.[2]
Das Kriegsgefangenenlager der Wehrmacht in Zeithain bei Riesa bestand zwischen 1941 und 1945. Es war vor dem Überfall auf die Sowjetunion im April 1941 eingerichtet worden, ab Oktober 1943 kamen auch italienische, serbische, britische, französische und polnische Gefangene in das Lager. Insgesamt starben rund 25.000 bis 30.000 sowjetische und mehr als 900 Kriegsgefangene aus anderen Ländern an mangelhafter Ernährung und katastrophalen hygienischen Bedingungen.
Auch wenn das Foto der zehn sowjetischen Kriegsgefangenen in Zeithain sich aus heutiger Sicht in die zeitgenössische NS-Bildpropaganda einfügen lässt, so ist diese feste visuelle Repräsentation des Feindes noch ungewohnt zum Zeitpunkt der Aufnahme im Dezember 1941. Der Überfall auf die Sowjetunion lag gerade erst ein halbes Jahr zurück, die große Propaganda-Ausstellung „Das Sowjet-Paradies“ wurde erstmals ab Dezember 1941 in Wien gezeigt.[3] Der größte Teil antisowjetischer Propaganda wurde erst später für die Öffentlichkeit sichtbar, beispielsweise in der im März 1942 erschienenen Broschüre „Der Untermensch“, die in vier Millionen Exemplaren kostenlos verteilt wurde und in 14 Sprachen übersetzt vorlag. Unter dem Bildmaterial für diese Publikation befinden sich auch professionell angefertigte Porträts sowjetischer Kriegsgefangener aus dem KZ Sachsenhausen.[4]
Die Sicherheit, mit der die Bewacher der Kriegsgefangenen visuelle Stereotypen der NS-Propaganda zu diesem frühen Zeitpunkt genau nachahmten, lässt darauf schließen, dass fotografierte Feindbilder in einem größeren Zeitrahmen gesehen werden müssen, der bis zum Ersten Weltkrieg zurück und darüber hinaus geht. Diese traditionellen, nationalistischen Stereotypen erweisen sich als sehr beständige und weit verbreitete visuelle Codes, auf die die Soldaten schon hier als Fotoamateure zurückgreifen konnten.
Das Foto der sowjetischen Kriegsgefangenen gehört zu einer Serie von 70 kleinformatigen Knipserbildern. Die Fotografien sind ein Sammelsurium der Gewalt, Zeugnisse unmenschlicher Szenen aus dem Stalag Zeithain: Folter, Erhängte, Tote, Kranke und andere Lagerszenen. Kaum eine Grausamkeit, die nicht fotografiert wurde. Einige der Bilder wurden aus privaten Dienstzeit- oder Familienalben herausgerissen, mindestens elf Bilder tragen rückseitige Spuren des Herausreißens. Die Gewalt war also ein Teil visueller Kriegserzählungen dieser Wachmannschaft, sie wurde nicht pietätvoll ausgeblendet oder nur versteckt thematisiert. Die Fotos waren im Gegenteil weit verbreitet, wurden auch herumgezeigt, betrachtet, getauscht, verkauft und von heimischen Fotoateliers vervielfältigt, neben den Aufnahmen von Familienfesten, Ausflügen und süßen Kinderbildern. Auch für diese Verwendung der Bilder finden sich Spuren auf den Rückseiten, handgeschriebene Nummern und die Stempel der Fotolabore.
Das Elend der sowjetischen Kriegsgefangenen war alltäglich, und es war vor aller Augen sichtbar. Trotz bestehender Fotoverbote in den Stalags beschreibt die schiere Menge an überliefertem Bildmaterial eine private Bildpraxis, die das Verbot komplett ignorierte – im Gegensatz beispielsweise zu Konzentrationslagern, deren Bilder vor 1945 sehr restriktiv kontrolliert wurden. Die allermeisten Fotografien aus KZs wurden von offiziellen Stellen im Auftrag gemacht und sollten die Leistungen der SS für ihre Vorgesetzten dokumentieren im Hinblick auf Effizienz und Ordnung der Lager. Knipserbilder innerhalb der Lager sind die absolute Ausnahme, da die SS fürchtete, dass solche Bilder in die falschen Hände gelangen könnten. Die Wehrmacht, die für die Bewachung der Stalags zuständig war, teilte diese Bedenken offenbar nicht: Das Nebeneinander von Idylle und Gewalt im „Dritten Reich“ wird durch diese privaten Bilder eindrücklich gezeigt.
[1] Susanne Regener hat den Begriff im Zusammenhang mit erkennungsdienstlicher Polizeifotografie eingeführt. Vgl. Susanne Regener, Fotografische Erfassung. Zur Geschichte medialer Konstruktionen des Kriminellen, München 1999.
[2] Vgl. Petra Bopp, Fremde im Visier. Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg, Bielefeld 2009; dies./Sandra Starke, Fremde im Visier. Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg, Katalog, Bielefeld 2009, online unter http://www.fremde-im-visier.de/publikationen_pdfs/Fremde_im_Visier_broschuere.pdf [15.04.2021].
[3] Oliver Lorenz, Die Ausstellung „Das Sowjetparadies“: nationalsozialistische Propaganda und kolonialer Diskurs, in: Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande, 48-1 (2016), S. 121-139, https://journals.openedition.org/allemagne/376#tocto1n2 [15.04.2021].
[4] Vgl. Mareike Otters, Fotografien sowjetischer Kriegsgefangener aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen. Eine Untersuchung antisowjetischer „Propagandabilder“, in: Frédéric Bonnesoeur/Philipp Dinkelaker/Sarah Kleinmann/Jens Kolata/Anja Reuss (Hg.), Besatzung, Vernichtung, Zwangsarbeit (Beiträge des 20. Workshops zur Geschichte und Gedächtnisgeschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager), Berlin 2017, S. 105-136.
Am 23. April 2021 findet ab 14.00 Uhr online eine Podiumsdiskussion mit der Historikerin Sandra Starke in der Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain statt:
https://www.stsg.de/cms/zeithain/veranstaltungen/podiumsdiskusson-vernichtungskrieg-der-heimatfront-neue-fotografien
Zitation
Sandra Starke, „Wir sind Stalins Helden“. Ein Foto aus dem Kriegsgefangenenlager, in: Visual History, 19.04.2021, https://visual-history.de/2021/04/19/wir-sind-stalins-helden-foto-kriegsgefangenenlager-zeithain/
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-2165
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